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Fristlose Kündigung wegen nicht nachgewiesenen Abrechnungsbetrugs mit Tankrechnungen

Unwirksame Kündigung: LAG weist Vorwürfe zurück

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel ab und bestätigte die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines angestellten Arztes und ärztlichen Leiters. Die Beklagte konnte weder einen wichtigen Grund für die Kündigung noch den dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung durch den Kläger nachweisen. Die Vorwürfe bezogen sich auf die angebliche Falschinformation über ein Gespräch sowie auf den Vorwurf des Abrechnungsbetrugs mit Tankrechnungen, welche beide nicht als Kündigungsgrund anerkannt wurden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 Sa 11/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  • Die außerordentliche Kündigung des ärztlichen Leiters wurde als unwirksam erklärt.
  • Falschinformationen über die Initiative eines Gesprächs und Abrechnungsbetrug mit Tankrechnungen rechtfertigten keine Kündigung.
  • Das Arbeitsgericht bestätigte, dass dem Kläger keine erhebliche Pflichtverletzung vorzuwerfen ist.
  • Verdachtskündigung wurde ebenfalls abgelehnt, da der Verdacht nicht ausreichend begründet war.
  • Die Weiterbeschäftigung des Klägers wurde angeordnet.
  • Die Beklagte trägt die Kosten der erfolglosen Berufung.
  • Revision wurde nicht zugelassen.
  • Die Entscheidung betont die Wichtigkeit der klaren Beweisführung und -last bei Kündigungen.

Abrechnungsbetrug mit Tankrechnungen: Rechtliche Hürden bei fristlosen Kündigungen

Der Abrechnungsbetrug im Zusammenhang mit Tankrechnungen kann ein schwerwiegender Vorwurf im Arbeitsrecht sein. Allerdings muss ein Arbeitgeber, der eine fristlose Kündigung aus diesem Grund aussprechen will, den Betrug eindeutig nachweisen können. Denn die Beweispflicht liegt bei ihm.

Das Arbeitsrecht schützt Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen. Daher kann eine Kündigung wegen Betrugs unwirksam sein, wenn die Beweise nicht ausreichend sind. Der bloße Verdacht reicht nicht aus, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

„Wenn Sie Fragen zu Abrechnungsbetrug mit Tankrechnungen haben, zögern Sie nicht und fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.“
Kündigung wegen Betrug bei Abrechnung von Tankstellenrechungen
(Symbolfoto: Lena_karpi /Shutterstock.com)

Im Zentrum eines arbeitsrechtlichen Disputs stand die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die ein Arbeitgeber gegenüber seinem angestellten Arzt und ärztlichen Leiter eines medizinischen Versorgungszentrums aussprach. Auslöser war der Vorwurf nicht nachgewiesener Abrechnungsbetrüge mit Tankrechnungen. Der Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein verhandelt wurde, drehte sich um komplexe Fragen der Beweisführung und der Auslegung von Vertragsbedingungen sowie um die Verantwortlichkeiten und Pflichten, die der Position des Klägers innewohnten.

Zwischen Transparenzkodex und Tankrechnungen

Der Kläger, zuletzt in einer führenden Position tätig, sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit Tankrechnungen für private Zwecke abgerechnet zu haben. Besonders brisant wurde der Fall durch die Einbindung eines Transparenzkodex, der die Trennung zwischen beruflichen und privaten Ausgaben regelte und vom Kläger als verbindlich anerkannt wurde. Die Beklagte argumentierte, dass der Kläger gegen diesen Kodex verstoßen habe, indem er Tankrechnungen für private Fahrten einreichte und somit ein Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers begangen habe.

Die Rolle der Beweislast im Arbeitsrecht

Die juristische Auseinandersetzung beleuchtete detailliert die Beweislastverteilung im Arbeitsrecht. Der Arbeitgeber muss im Falle einer fristlosen Kündigung wegen eines behaupteten Delikts die Beweise für das Fehlverhalten des Arbeitnehmers erbringen. Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte jedoch nicht überzeugend darlegen, dass der Kläger vorsätzlich und mit Bereicherungsabsicht gehandelt hatte. Es wurde deutlich, dass die eingereichten Tankrechnungen ohne ausreichende Beweise für einen Betrug oder eine absichtliche Schädigung des Unternehmens nicht als Grundlage für eine fristlose Kündigung dienen konnten.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein folgte der Argumentation des Klägers und wies die Berufung der Beklagten zurück, indem es das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel bestätigte. Die Richter befanden, dass weder der angeführte Verstoß gegen den Transparenzkodex noch die Einreichung der Tankrechnungen eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten. Zudem wurde hervorgehoben, dass der Kläger nicht nachweislich gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen hatte, insbesondere da keine eindeutige Trennung zwischen dienstlich veranlassten und privaten Fahrten festgestellt werden konnte.

Die Bedeutung von Transparenz und Fairness im Arbeitsverhältnis

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung von Transparenz und Fairness in Arbeitsverhältnissen. Arbeitgeber müssen bei der Aussprache einer fristlosen Kündigung nicht nur rechtliche, sondern auch ethische Standards berücksichtigen und sicherstellen, dass die Vorwürfe gegenüber dem Arbeitnehmer klar belegt und bewiesen werden können. Gleichzeitig zeigt der Fall, dass Arbeitsverträge und ergänzende Vereinbarungen, wie der Transparenzkodex, sorgfältig formuliert und in ihrer praktischen Anwendung genau verstanden und befolgt werden müssen, um Missverständnisse und rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigte mit seinem Urteil nicht nur die Rechte des Arbeitnehmers auf ein faires Verfahren, sondern betonte auch die Notwendigkeit einer klaren und eindeutigen Kommunikation zwischen den Vertragsparteien. Die Entscheidung dient als Erinnerung daran, dass im Arbeitsrecht die Beweislast und die Pflicht zur Einhaltung vertraglicher Vereinbarungen zentrale Rollen spielen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird der Begriff des Abrechnungsbetrugs im Kontext von Arbeitsverhältnissen definiert?

Definition und Aspekte des Spesenbetrugs

Spesenbetrug im Kontext von Arbeitsverhältnissen tritt auf, wenn Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber bewusst höhere Spesen (z.B. Bewirtungskosten, Reisekosten) geltend machen, als tatsächlich angefallen sind. Dies kann beispielsweise durch das Einreichen gefälschter oder manipulierter Belege geschehen. Der Betrug kann sich auf verschiedene Kostenarten beziehen, die im Rahmen von Geschäftsreisen oder anderen beruflichen Aktivitäten entstehen, wie Verpflegung, Taxifahrten, Übernachtungen und Flüge.

Rechtliche Konsequenzen

Die rechtlichen Konsequenzen für Spesenbetrug können gravierend sein. In vielen Fällen kann ein nachgewiesener Betrug bei den Spesen zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Eine vorherige Abmahnung ist bei vorsätzlichem Betrug nicht zwingend erforderlich. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Arbeitgeber bei Spesenbetrug die Kosten für notwendige Ermittlungen vom Arbeitnehmer zurückfordern können, sofern die Beauftragung einer spezialisierten Anwaltskanzlei zur Aufklärung des Betrugs notwendig war.

Prävention und Umgang mit Spesenbetrug

Unternehmen können verschiedene Maßnahmen ergreifen, um sich vor Spesenbetrug zu schützen. Dazu gehören die Implementierung klarer Richtlinien für Spesenabrechnungen, regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter zu den geltenden Regeln und die Einführung von Kontrollmechanismen zur Überprüfung der eingereichten Belege. Bei Verdacht auf Spesenbetrug ist eine sorgfältige Untersuchung des Sachverhalts erforderlich. Experten raten zu einer lückenlosen Dokumentation der Untersuchungen, um im Falle einer rechtlichen Auseinandersetzung die notwendigen Beweise vorlegen zu können.

Spesenbetrug stellt einen ernstzunehmenden Verstoß gegen die Vertrauensbasis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber dar. Die Konsequenzen können von der Rückforderung der zu Unrecht erstatteten Kosten bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses reichen. Unternehmen sollten daher präventive Maßnahmen ergreifen und bei Verdachtsfällen umsichtig und unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen handeln.

Inwiefern sind Gutschriften von Tankrechnungen für die Beurteilung einer Kündigung relevant?

Gutschriften von Tankrechnungen können im Kontext einer Kündigung relevant sein, wenn sie als Beweismittel für ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers dienen. Beispielsweise könnten sie aufzeigen, dass ein Arbeitnehmer unberechtigte oder überhöhte Tankkosten geltend gemacht hat, was als Betrugsversuch gewertet werden könnte. In einem solchen Fall könnte der Arbeitgeber eine Kündigung in Erwägung ziehen.

Im Fall einer außerordentlichen Kündigung, die ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erfolgt, ist es für den Arbeitgeber notwendig, stichhaltige Beweise für das Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu haben. Gutschriften von Tankrechnungen könnten solche Beweise darstellen, wenn sie beispielsweise mit den tatsächlichen Fahrtenbüchern oder anderen Dokumenten nicht übereinstimmen und somit auf einen Spesenbetrug hindeuten.

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Vergangenheit entschieden, dass Spesenbetrug, zu dem auch der Betrug mit Tankrechnungen zählen kann, ein Grund für eine fristlose Kündigung sein kann, selbst wenn es sich um einen einmaligen Vorfall mit geringen finanziellen Auswirkungen handelt. Allerdings muss der Arbeitgeber die Kündigungsgründe genau prüfen und gegebenenfalls eine Abmahnung aussprechen, bevor er eine Kündigung ausspricht, es sei denn, es liegt ein schwerwiegender Verstoß vor.

Zudem ist zu beachten, dass die Kündigung innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen muss, nachdem der Arbeitgeber von dem Fehlverhalten Kenntnis erlangt hat. Diese Frist beträgt in der Regel zwei Wochen.

Insgesamt spielen Gutschriften von Tankrechnungen also eine Rolle bei der Beurteilung einer Kündigung, wenn sie als Nachweis für ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers dienen, das schwerwiegend genug ist, um eine Kündigung zu rechtfertigen.

Wie wird die Beweislast bei Vorwürfen eines Abrechnungsbetrugs im Arbeitsrecht verteilt?

Im Arbeitsrecht liegt die Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes beim Arbeitgeber. Dies gilt auch bei Vorwürfen eines Abrechnungsbetrugs. Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschutzprozess die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes tragen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber nachweisen muss, dass der Arbeitnehmer tatsächlich einen Betrug begangen hat, um eine Kündigung zu rechtfertigen.

Bei einer außerordentlichen Kündigung wegen Spesenbetrugs muss der Arbeitgeber ebenfalls die Beweispflicht erfüllen. Er muss alle Umstände darlegen und beweisen, die als wichtige Gründe für eine Kündigung geeignet sein können. Dies beinhaltet den Nachweis, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, um sich selbst oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

Die Beweislastverteilung im Arbeitsrecht sieht vor, dass der Arbeitgeber die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen muss. Der Arbeitnehmer hingegen muss die anspruchsvernichtenden Tatsachen darlegen und beweisen, falls er solche geltend macht. Im Falle eines Abrechnungsbetrugs bedeutet dies, dass der Arbeitgeber die unrechtmäßige Handlung des Arbeitnehmers nachweisen muss, während der Arbeitnehmer gegebenenfalls entlastende Umstände vorbringen kann.

Welche Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen dienstlichen und privaten Fahrten für die Erstattung von Tankkosten?

Die Unterscheidung zwischen dienstlichen und privaten Fahrten ist für die Erstattung von Tankkosten von großer Bedeutung, da sie bestimmt, welche Kosten vom Arbeitgeber übernommen werden und welche der Arbeitnehmer selbst zu tragen hat. Bei der Überlassung eines Dienstfahrzeugs zur privaten Nutzung ist der geldwerte Vorteil, der sich aus der privaten Nutzung ergibt, zu versteuern. Der Arbeitnehmer kann jedoch unter bestimmten Umständen die selbst getragenen Benzinkosten vom geldwerten Vorteil abziehen.

Wenn ein Arbeitsvertrag die Nutzung eines Dienstfahrzeugs auch für private Zwecke einschränkungslos erlaubt, sind in der Regel alle damit verbundenen Kosten, einschließlich der Tankkosten für private Fahrten, vom Arbeitgeber zu tragen. Dies kann jedoch in der Praxis schwierig zu handhaben sein, da es oft nicht einfach ist, bei Tankvorgängen zwischen privaten und dienstlichen Fahrten zu unterscheiden.

Für Dienstreisen mit dem privaten Pkw des Arbeitnehmers gibt es die Möglichkeit der Kilometerpauschale, die eine Fahrtkostenerstattung darstellt. Diese Pauschale gilt jedoch nicht für den täglichen Arbeitsweg, sondern nur für dienstlich veranlasste Fahrten. Die Erstattung von Fahrtkosten für den Weg zur Arbeit erfolgt über die Pendlerpauschale, die der Arbeitnehmer in seiner Steuererklärung geltend machen kann, falls der Arbeitgeber diese nicht erstattet.

Zusammenfassend ist die Unterscheidung zwischen dienstlichen und privaten Fahrten entscheidend für die korrekte Abrechnung und Erstattung von Tankkosten. Sie beeinflusst sowohl die steuerliche Behandlung als auch die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 6 Sa 11/23 – Urteil vom 28.06.2023

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 30.11.2022 – 4 Ca 655 c/22 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 24.04.2019 (Anlage K 1) nebst Ergänzungsvereinbarung vom selben Tag (Anlage K 2) als angestellter Arzt und ärztlicher Leiter in deren medizinischem Versorgungszentrum tätig und verdiente 15.000 EUR brutto im Monat. Er ist ordentlich unkündbar.

Der Kläger und Herr Dr. B… waren zunächst Gesellschafter der Ü… Dres. T…, B… & Kollegen GbR und später alleinige Gesellschaftergeschäftsführer der Beklagten, die seinerzeit als M… Dres. T…, B… & Kollegen GmbH firmierte. Zum 01.08.2019 übertrugen sie ihre Gesellschaftsanteile auf die S… Kliniken N… SE & Co. KG, die seither Alleingesellschafterin des Unternehmens ist. Das Unternehmen betreibt ein Medizinisches Versorgungszentrum im Sinne von § 95 SGB V (M…) mit Betriebsstätten in L…, S…, H.., P… und N….

Aufgrund Gesellschafterbeschlusses vom 15.08.2019 wurden der Kläger und Herr Dr. B… als Geschäftsführer abberufen (Handelsregistereintrag 27.11.2019). Danach und bis zum 09.03.2020 war A… T… alleiniger Geschäftsführer der Beklagten. Anschließend waren Herr T… und der Kläger gemeinsam Geschäftsführer. Aus dieser Geschäftsführerstellung wurde der Kläger durch Beschluss der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 14.01.2021 abberufen (Eintrag im Handelsregister am 23.02.2021).

Nach seiner Abberufung als Geschäftsführer arbeitete der Kläger weiter als Arzt und ärztlicher Leiter des M…. Als ärztlicher Leiter war er für alle Standorte zuständig. Seine ärztliche Tätigkeit erbrachte der Kläger jedoch überwiegend in L….

Der Kläger ist aufgrund der mit „Transparenzkodex“ überschriebenen Regelung in § 11 des Arbeitsvertrages (Anlage K 1) zur Einhaltung des Transparenzkodex der Unternehmensgruppe der S… Klinik, der die Beklagte angehört, verpflichtet. Die Vorschrift lautet auszugsweise:

„Ergänzend zu den Regelungen in diesem Vertrag gilt der Transparenzkodex der S… Klinik Unternehmensgruppe in der jeweiligen Fassung. Dieser darf durch das M… an Rechtsvorschriften und ethische Vorstellungen im Geschäftsverkehr angepasst werden.

(…)“

Der Transparenzkodex (Anlage B 2) enthält in Ziffer II.6.1 folgende Regelung:

„Für Aufwendungen, bei denen sich Geschäftliches und Privates so vermischen, dass eine genaue Trennung schwierig ist, sind die Kosten – insbesondere auch bei Geschenken oder Bewirtungen – vom Mitarbeiter privat zu übernehmen. Auch bei privaten Aufwendungen ist jedoch darauf zu achten, dass jeglicher Anschein einer verpflichtenden Abhängigkeit vermieden wird. Im Zweifel ist die Genehmigung des kaufmännischen Leiters / Hauptabteilungsleiters bzw. der Geschäftsführung einzuholen.“

Die Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag vom 24.04.2019 sieht in Ziff. I. 4) vor, dass der Kläger gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSH) als Ansprechpartner fungiert und dass er der Vereinigung gegenüber für die Einhaltung vertragsärztlicher Vorgaben aller bei der Beklagten tätigen ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter und die Einhaltung der vertragsärztlichen Pflichten durch die Beklagte verantwortlich ist.

Der Kläger teilte Frau S… und dem ehemaligen Geschäftsführer der Beklagten Herrn T… mit E-Mail vom 17.06.2022 (Anlage B 2) mit, der Vorstand der K… habe ihn zu einem Gespräch am 27.06.2022 eingeladen. Seiner E-Mail fügte er eine E-Mail des Vorstandssekretariats der K… vom 15.06.2022 (Anlage B 3) bei, in der es heißt, „im Auftrag des Vorstands … möchte ich Sie zu einem gemeinsamen Austausch … einladen“. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Initiative zu dem Gespräch vom Kläger oder von der K… ausging.

Im Rahmen des Anteilskaufs im Jahr 2018 hatte die Beklagte von dem Kläger und Herrn Dr. B… unter anderem die Zahlungsverpflichtung aus den Leasingverträgen für die beiden Mercedes A 180 mit den Kennzeichen P…-… und P…-… übernommen (lfd. Nr. 44 und 45 in der Anlage B 5). Dieses Fahrzeugmodell wird mit dem Kraftstoff „Super“ betankt. Die beiden Fahrzeuge dienten den Mitarbeitern des M… als Poolfahrzeuge, um zwischen den Standorten hin und her zu fahren. Die Mitarbeiter des M… betankten die Fahrzeuge. Tankkarten gab es nicht.

Die von den Mitarbeitern und vom Kläger eingereichten Tankrechnungen prüfte bis Ende 2020 die damalige Beraterin der Beklagten Frau Dr. D… B…. Die Zahlung veranlasste sodann der Einkaufsleiter Herr M… H…. Seit dem Ausscheiden von Frau Dr. B… zum 01.01.2021 prüft die Kaufmännische Leitung des M… Nord, Frau S…, die Rechnungen stichprobenartig und weist die Zahlungen an.

Der Kläger reichte bei der Beklagten im Jahr 2019 Tankrechnungen der Tankstelle S… Station P… ein. Die Tankstelle zog bis Ende 2019 die Rechnungsbeträge vom Konto der überörtlichen Gemeinschaftspraxis ein und seither vom Konto des Klägers. Die Tankstelle erstattetet der überörtlichen Gemeinschaftspraxis die Beträge aus den Rechnungen vom 31.08. und 30.09.2019 sowie dem Kläger den Betrag aus der Rechnung vom 31.03.2021. Wegen der Tankrechnungen betreffend die Monate August 2019 bis Dezember 2019 sowie März und April 2021 wird auf die Anlage B 7 verwiesen, wegen der Kontoauszüge der überörtlichen Gemeinschaftspraxis für das 4. Quartal 2019 auf die Anlage K 7 und wegen der Kontoauszüge des Klägers für die Monate April und Mai 2021 auf die Anlage 8.

Mit Schreiben vom 28.06.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 30.06.2022.

Der Kläger hat behauptet, er habe die streitbefangene Kündigung erst am späten Abend des 02.07.2022 in seinem Briefkasten gefunden. Er hat gemeint, eine rückwirkende Kündigung sei unwirksam. Auch könne der Kündigung nicht entnommen werden, zu welchem Zeitpunkt sie habe ausgesprochen werden sollen. Die Kombination der Worte „fristlos“ und „mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2022“ bezeichne zwei unterschiedliche Termine. Derartige Unklarheiten führten zur Unwirksamkeit der Kündigung

Der Kläger hat die von der Beklagten erhobenen Kündigungsvorwürfe bestritten.

Er hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 28.06.2022, zugestellt am 02.07.2022, nicht aufgelöst ist, sondern zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage insgesamt abzuweisen.

Sie hat behauptet, ein Bote habe das Kündigungsschreiben am 29.06.2022 um 11:25 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen.

Die Beklagte hat gemeint, der Kläger habe gegen die Rücksichtnahmepflicht verstoßen, indem er wahrheitswidrig angegeben habe, die K… habe ihn zu einem Gespräch eingeladen, obwohl er selbst das Gespräch initiiert habe. Die Beklagte hat behauptet, die kaufmännische Leitung des M… Nord, Frau S…, habe am 20.06.2022 in einem Telefonat mit der Vorstandsvorsitzenden Frau Dr. Sch… erfahren, dass diese keine Auskunft über den Gegenstand des für den 27.06.2022 geplanten Gesprächs geben könne, da der Kläger persönlich um das Gespräch gebeten habe. Frau S… habe Herrn T…, dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten, am selben Tag von dem Telefonat berichtet.

Die Beklagte hat die Kündigung ferner damit begründet, der Kläger habe im Zusammenhang mit dem Einreichen von Tankrechnungen ein Vermögensdelikt zu ihren Lasten begangen. Sie hat behauptet, von den eingereichten Tankrechnungen seien die mit den Rechnungen vom 31.08.2019, 30.09.2019 und 31.03.2021 geltend gemachten Beträge an die Tankstelle S… Station P… zu Gunsten des Klägers ausgezahlt worden. Sie, die Beklagte, habe somit insgesamt 1.988,40 EUR brutto der Tankkosten des Klägers übernommen. Abzüglich der Tankkosten für den Kraftstoff „Super“ in Höhe von 111,06 EUR brutto habe sie, die Beklagte, 1.877,34 EUR brutto für Tankvorgänge mit den Kraftstoffen „Super plus“ und „Diesel“ sowie für textile Autowäschen an die Tankstelle S… Station P… gezahlt. Frau S… habe die Tankrechnungen erstmals am 07.07.2022 inhaltlich genau geprüft. Die Prüfung habe ergeben, dass die von der Beklagten beglichenen Tankrechnungen nahezu ausschließlich Tankvorgänge mit den Kraftstoffen „Super Plus“ oder „Diesel“ betroffen hätten obwohl beide Poolfahrzeuge mit dem Kraftstoff „Super“ zu betanken seien. Außerdem sei die Position „Textil-Autowäsche Premium“ aufgetaucht. Am 18.07.2022 habe Frau S… mit einer Mitarbeiterin der Tankstelle S… Station P… gesprochen, die ihr mitgeteilt habe, dass mit der Ausweisnummer 276 die medizinischen Fachangestellten getankt hätten. Mit der Ausweisnummer 347 hätten der Kläger, seine Ehefrau und der ehemalige Auszubildende A… K… getankt. Dabei habe es sich ausschließlich um Tankvorgänge mit den Kraftstoffen „Diesel“ und „Super Plus“ gehandelt. Zudem seien zwei Autowäschen in Rechnung gestellt worden. Tankkosten in Höhe von 1.877,34 EUR brutto seien für das Betanken von Privatfahrzeugen mit den Kraftstoffen „Super Plus“ und „Diesel“ angefallen. Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass er selbst die Poolfahrzeuge nicht genutzt habe, sondern ausschließlich seine Privatfahrzeuge, um sich zwischen den Standorten der Beklagten zu bewegen, stünde dem Kläger allenfalls ein Erstattungsanspruch gemäß § 670 BGB analog in Höhe der Benzinkosten zu, die tatsächlich für die zurückgelegten Strecken zwischen den Standorten entstanden sind. Darüber hinaus bestehe der dringende Verdacht, dass der Kläger durch sein Verhalten gegen den Transparenzkodex verstoßen habe.

Die vorgenannten Pflichtverletzungen betreffend die Tankrechnungen dürften zur Begründung der außerordentlichen Kündigung herangezogen werden, da die Pflichtverletzungen zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits vorgelegen hätten, sie, die Beklagte, hiervon aber erst nach Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt habe.

Der Kläger hat erwidert, Frau K…, die damalige Klinikleiterin der S… Klinik in N… und Geschäftsführerin des M…, habe mit ihm besprochen, dass er mit den Tankkosten wie in der Vergangenheit verfahren solle, bis er eine Tankkarte erhält. Er habe deshalb bis Ende 2019 die Tankrechnungen der Firma P… nach Prüfung bei der Gesellschafterin der Beklagten eingereicht. Ab Januar 2020 habe er keine Tankrechnungen mehr bei der Beklagten eingereicht, da ihm gesagt worden sei, er möge in Vorleistung treten. Parallel habe er das Tankstellenunternehmen P… Ende des Jahres 2019 angewiesen, die Tankrechnungen nicht wie bisher vom alten Ü…-Konto, sondern von seinem Privatkonto abzubuchen. Die Gutschriften habe er nicht veranlasst.

Die Tankrechnungen vom 31.03.2021 und 30.04.2022 habe er, der Kläger, nicht bei der Beklagten eingereicht. Vielmehr seien diese Rechnungen auf Veranlassung von Frau S… direkt von der Tankstelle elektronisch an das Rechnungspostfach der Beklagten versandt worden, ohne dass er, der Kläger, hiervon Kenntnis erhalten habe.

Die von der Beklagten erwähnten Buchungsnummern seien von dem Unternehmen P… vergeben worden und eine Zuordnung der Tankleistungen zu den Buchungsnummern sei nach Belieben der dortigen Tankstellenmitarbeiter erfolgt. Alle Autowäschen hätten das Poolfahrzeug …-… betroffen.

Der Kläger hat gemeint, es könne ihm nicht vorgeworfen werden, wenn ihm ein Teil der Tankrechnungen von dem Unternehmen P… wieder gutgebucht worden sei. Er habe die Gutschrift nicht veranlasst, sondern die Inhaberin des Unternehmens, Frau S… C…. Der Kläger hat Wahrung der Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gerügt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Kündigung sei nicht schon aus formellen Gründen unwirksam. Die von der Beklagten angeführten Gründe begründeten aber weder für sich allein noch in ihrer Gesamtheit die außerordentliche Kündigung. Selbst wenn der Kläger wahrheitswidrig angegeben haben sollte, wer das Gespräch mit der K… initiiert hat, liege darin kein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Denn es sei nicht auszuschließen, dass er ein berechtigtes Interesse daran hatte, nicht mitzuteilen, dass die Initiative zu diesem Gespräch von ihm ausging.

Die Kündigung sei auch nicht durch Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Tankrechnungen gerechtfertigt. Dem Kläger könne allenfalls vorgehalten werden, Tankrechnungen für die Monate August und September 2019 eingereicht zu haben. Für die übrigen Tankrechnungen habe es in 2019 keine Gutschriften gegeben. Es sei zu berücksichtigen, dass die Gutschriften nicht dem Kläger persönlich zugegangen seien, sondern auf das Konto der überörtlichen Gemeinschaftspraxis überwiesen worden seien. Es stehe nicht fest, dass ihm überhaupt ein unmittelbarer Vorteil verschafft worden sei. Denn die Beklagte könne nicht konkret vortragen oder gar beweisen, dass der Kläger dienstlich nicht veranlasste Betankungen vorgenommen hat. Es dränge sich der Eindruck auf, dass nach Übernahme der Gesellschafteranteile am 01.08.2019 noch nicht alles abschließend geregelt gewesen sei. Das gelte auch für den Umgang mit dienstlich veranlassten Fahrten. Dass die beiden ehemaligen Gesellschafter dienstlich veranlasste Fahrten zwischen den einzelnen Standorten privat tragen würden, habe die Beklagte nicht annehmen können.

Die von der Beklagten gezogenen Rückschlüsse, um dem Kläger schädigendes Verhalten vorzuwerfen, seien nicht zwingend. Denn die Beklagte gestehe zu, dass der Kläger an wechselnden Einsatzorten tätig gewesen sei. Dann gebe es aber keine steuerrechtliche Unterteilung zwischen Privatfahrt und dienstlich veranlasster Fahrt. Vielmehr seien Fahrten vom Verlassen des Wohnortes an steuerrechtlich privilegiert und als Dienstfahrten zu bewerten. Möglich sei auch, dass der Kläger erst bei Ankunft in der Praxis in L… in ein Fahrzeug wechselte, mit dem er dann sämtliche dienstlich veranlassten Fahrten unternommen hat. Die beiden vorgenannten Möglichkeiten ziehe die Beklagte gar nicht in Betracht. Erstattung der Tankkosten für dienstlich veranlasste Fahrten bewirkten jedoch keine Vermögensschädigung bei der Beklagten. Die Annahme der Beklagten, die Fahrt von Zuhause zu einer Praxis sei auf jeden Fall eine Privatfahrt gewesen, für die keine Erstattung hätte begehrt werden könne und dürfe, treffe nicht zu.

Soweit die Beklagte dem Kläger vorhalte, eine Gutschrift im Monat April 2021 für den Monat März 2021 nicht angegeben zu haben, verkenne sie, dass hier möglicherweise ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch bestehe. Die Beklagte könne nicht darlegen, dass der Kläger eine solche Gutschrift in irgendeiner Weise zurechenbar veranlasst hat. Vielmehr stelle es sich so dar, dass die Beklagte versehentlich eine Buchung vornehmen ließ. Dass dem Kläger überhaupt eine irrige Gutbuchung aufgefallen sein soll, sei zwar möglich, könne aber nicht als Tatsache unterstellt werden. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger auf diese Gutschrift nicht hingewiesen hat, könne nicht auf einen schädigenden Vorsatz geschlossen werden. Dafür fehlten Anhaltspunkte.

Auch als Verdachtskündigung sei die Kündigung unwirksam. Der hier möglicherweise gehegte Verdacht unredlichen Verhaltens sei derart schwach ausgeprägt, dass er nicht geeignet sei, den Bestand des Arbeitsverhältnisses auch nur zu gefährden.

Bezüglich des Gesprächs mit dem Vorstand der K… könne eine Pflichtverletzung nicht einmal ansatzweise angenommen werden. Hinsichtlich der möglichen Fehlabrechnung bei den Betankungen dränge sich eher der Eindruck auf, die Beklagte habe erst gekündigt und dann im Weiteren durch ihre Recherche nach Kündigungsgründen gesucht. Ein ausreichender Verdacht sei jedenfalls nicht gegeben.

Eine Umdeutung der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung komme angesichts des eindeutigen Wortlauts des Kündigungsschreibens nicht in Betracht. Im Übrigen wäre eine solche Kündigung sozial nicht gerechtfertigt

Gegen das ihr am 20.12.2022 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 11.01.2023 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20.03.2023 am 14.03.2023 begründet.

Dadurch, dass der Kläger ihr mitgeteilt hat, die K… habe ihn zu einem Gespräch eingeladen, in dem es „offenbar“ um Fragen der ärztlichen Leitung gehen „solle“, obwohl er selbst um das Gespräch gebeten habe, habe er gegen die ihm als Ärztlicher Leiter obliegende Rücksichtnahmepflicht verstoßen. Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht überspanne die Anforderungen an die Darlegung eines wichtigen Grundes. Aufgrund der Position des Klägers bei der Beklagten sei es mit Blick auf seinen Außenauftritt von immenser Wichtigkeit, dass er die Interessen der Beklagten in allen Belangen entsprechend vertritt. Hierzu zähle auch, dass er gegenüber der Beklagten zur Wahrheit hinsichtlich des Treffens mit der K… verpflichtet gewesen sei. Durch die Falschangabe zur Gesprächsinitiative habe er das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstört, eine Abmahnung sei entbehrlich.

Auch mit Blick auf das vermögensschädigende Verhalten des Klägers überspanne das Arbeitsgericht die Anforderungen an die Darlegung des wichtigen Grundes. Der Kläger habe zugestanden, dass ihm drei Rechnungsbeträge wieder gutgeschrieben worden sind. Er habe gewusst bzw. wissen können, dass die Gutschriften erfolgten, weil die Beklagte die Rechnungen reguliert hat. Die drei Rechnungen umfassten (auch) dienstlich nicht veranlasste Aufwendungen. Die Betankungen mit der Ausweisnummer 3… beträfen ausschließlich die Treibstoffe Super Plus und Diesel, also nicht die Poolfahrzeuge, für deren Betankung der Ausweis mit der Nummer 3… verwendet worden sei. Aufgrund der Menge des getankten Treibstoffs (Super Plus und Diesel) sei ausgeschlossen, dass dieser ausschließlich für dienstliche Fahrten verbraucht worden sei. Unerheblich sei, dass die Gutschriften teilweise auf das Konto der Ü… geflossen seien.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 30.11.2022 – 4 Ca 656b/22 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Allerdings sei die Kündigung bereits deshalb unwirksam, weil das Beendigungsdatum nicht klar sei. Ungeachtet dessen fehle ein Grund für die außerordentliche Kündigung.

Die Vorwürfe der Beklagten hinsichtlich des Gesprächs mit dem Vorstand der K… rechtfertigten die Kündigung mangels Pflichtverletzung nicht. Die Einladung zu diesem Gespräch habe der Kläger nicht initiiert. Er habe der Beklagten gar nicht mitgeteilt, auf wessen Initiative die Einladung erfolgt ist. Hingewiesen habe er nur auf die Einladung.

Der Kläger meint, er habe keine Vermögensdelikte zu Lasten der Beklagten begangen. Er behauptet, die Gutschriften auf das Konto der Ü… im September und Oktober 2019 seien zu Recht erfolgt, nachdem der Kläger die Tankrechnungen absprachegemäß bei der Beklagten eingereicht hatte, weil diese betrieblichen Kosten enthalten hätten. Er sei nach den getroffenen Absprachen davon ausgegangen, dass die Beträge von der Beklagten zu erstatten seien. Die Ü… habe betriebliche Ausgaben der Beklagten nicht tragen müssen. Der Kläger bestreitet, dass auf den Tankrechnungen verzeichnete Beträge Wäschen oder Betankungen zu privaten Zwecken betroffen hätten. Die Prüfung der Rechnungen habe im Herrschaftsbereich der Beklagten stattgefunden.

Ab dem Jahr 2020 habe der Kläger gar keine Tankrechnungen bei der Beklagten mehr eingereicht und die Gutschrift bezüglich der Rechnung vom 31.03.2021 gar nicht bemerkt.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die in der Berufung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1 ArbGG iVm. §§ 519 ff. ZPO. Zwar hatte die Beklagte vor dem Berufungstermin keinen Berufungsantrag formuliert. Das führt aber nicht zur Unzulässigkeit der Berufung. Denn § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO erfordert nicht unbedingt einen förmlichen Antrag. Es reicht aus, wenn das fristgemäße Vorbringen seinem gesamten Inhalt nach eindeutig ergibt, in welchem Umfang und mit welchem Ziel das Urteil angefochten werden soll (BAG 11.09.1974 – 4 AZR 560/73 -; BGH 22.03.2006 – VIII ZR 212/04 -). Aus der Berufungsbegründung ist ohne weiteres zu entnehmen, dass es der Beklagten (nach wie vor) um die vollständige Klageabweisung geht.

II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

1. Die mit Schreiben vom 28.06.2022 erklärte Kündigung ist nicht bereits deshalb unwirksam, weil sie zu unbestimmt ist.

a) Die Kündigung muss als empfangsbedürftige Willenserklärung so bestimmt sein, dass der Empfänger Klarheit über die Absichten des Kündigenden erlangt (vgl. BAG 20.01.2016 – 6 AZR 782/14). Zu würdigen sind dabei alle Begleitumstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt waren und die für die Frage erheblich sein können, welchen Willen der Erklärende bei Abgabe der Erklärung hatte (BAG 20.06.2013 – 6 AZR 805/11). Allerdings muss der Gekündigte aus dem Wortlaut und den Begleitumständen der Kündigung u.a. erkennen können, wann das Arbeitsverhältnis enden soll. Bei Zugang der Kündigung muss für ihn bestimmbar gewesen sein, ob eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung gewollt gewesen ist und zu welchem Termin das Arbeitsverhältnis enden sollte (BAG 15.12.2005 – 2 AZR 148/05; BAG 15.12.2016 – 6 AZR 430/15).

b) Die von der Beklagten im Kündigungsschreiben verwendete Formulierung, „außerordentlich und fristlos mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 30. Juni 2022“ macht zunächst deutlich, dass eine außerordentliche Kündigung, also eine Kündigung aus wichtigem Grund, ausgesprochen werden soll. Denn die Worte „außerordentlich und fristlos“ beziehen sich auf § 626 BGB.

Richtig ist, dass eine außerordentliche Kündigung auch mit Auslauffrist erklärt werden kann. Diese Absicht hat die Beklagte hier hinreichend deutlich gemacht, indem sie weiter formuliert hat, dass das Arbeitsverhältnis „mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 30. Juni 2022 gekündigt“ wird. Die ausdrückliche Nennung dieses Datums lässt den Kündigungstermin ausreichend klar erkennen.

2. Die außerordentliche Kündigung vom 28.06.2022 ist unwirksam. Ein wichtiger Grund zur Kündigung des ordentlich unkündbaren Klägers liegt nicht vor.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15 mwN).

b) Die Annahme des Arbeitsgerichts, das Verhalten des Klägers sei bereits „an sich“ nicht als wichtiger Grund geeignet, ist nicht zu beanstanden.

aa) Das gilt zunächst für den von der Beklagten unter I. der Berufungsbegründung angeführten Vertrauensbruch durch Ersuchen um und Falschinformation über ein Gespräch bei der K….

Die Beklagte begründet die Kündigung damit, der Kläger habe sie darüber getäuscht, dass er die Einladung der K… zu dem Gespräch am 27.06.2022 initiiert hat. Er habe der Beklagten durch Übersendung der Einladung vom 15.06.2022 (Anlage B 3) mit E-Mail vom 17.06.2022 (Anlage B 2) vorgespiegelt, die Gesprächsinitiative sei von der K… ausgegangen, obwohl er selbst um den Termin nachgesucht habe.

Festzuhalten ist zunächst, dass der Kläger nicht ausdrücklich erklärt hat, die Initiative sei von der K… und nicht von ihm ausgegangen. Er hat schlicht die Einladung übersandt und zum Hintergrund geschwiegen. Aus seiner E-Mail vom 17.06.2022 ergibt sich nichts Anderes.

Es kann letztlich offenbleiben, wer das Gespräch am 27.06.2022 initiiert hat. Selbst wenn dies der Kläger gewesen sein sollte, was dieser bestreitet, war er nicht verpflichtet, diesen Umstand in seinem Übersendungsschreiben zu erwähnen. Selbst unter Berücksichtigung der Stellung des Klägers als ärztlicher Leiter des M… ist nicht nachvollziehbar, warum er sich zu den Hintergründen einer Einladung, die unstreitig vorlag, erklären sollte. Weder hatte die Beklagte zuvor um eine Erklärung gebeten, noch war sie aufgrund besondere Umstände veranlasst. Dass der Kläger als Leiter des M… durchaus berechtigt ist, sich an die K… zu wenden, dokumentiert bereits die Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag in Ziffer I. a). Dort wird er ausdrücklich als Ansprechpartner der K… genannt.

bb) Die Beklagte stützt die Kündigung ausweislich II. der Berufungsbegründung ferner darauf, der Kläger habe im Zusammenhang mit der Einreichung von Tankrechnungen für die Monate August und September 2019 sowie März 2021 Vermögensdelikte zu ihren Lasten begangen.

(1) Ein Arbeitnehmer hat angefallene Aufwendungen korrekt abzurechnen. Ein Abrechnungsbetrug ist grundsätzlich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet (BAG 11.07.2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 22; LAG Schleswig-Holstein 09.06.2009 – 5 Sa 430/08 – Rn. 46). Das gilt erst Recht bei Arbeitnehmern in einer leitenden Position oder in einer Vertrauensstellung.

(2) Die für den Kündigungsgrund darlegungspflichtige Beklagte hat jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger den ihm vorgeworfenen Abrechnungsbetrug tatsächlich begangen hat. Dafür wäre Voraussetzung, dass er vorsätzlich und in Bereicherungsabsicht falsche Abrechnungen erstellt oder eingereicht hat, um sich tatsächlich nicht entstandene Aufwendungen auszahlen zu lassen, die Beklagte also zu schädigen. Eine solche subjektive Absicht lässt sich dem Tatsachenvortrag der Beklagten auch unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts nicht entnehmen.

(a) Unstreitig hat die S… Station P… in der Vergangenheit und bis Ende 2019 dem M… Dres. T… B… & Kollegen monatlich Tankrechnungen gestellt und die Rechnungsbeträge vom Konto des M… eingezogen. Unstreitig hat der Kläger die an das M… gerichteten Rechnungen der S… Station P… vom 31.08.2019 und vom 30.09.2019 (Anlage 7) an die Gesellschafterin der Beklagten weitergeleitet. Ferner ist unstreitig, dass die S… Station P… die Rechnungsbeträge für die Monate August und September 2019 auf das Konto des M… rücküberwiesen hat. Schließlich ist unstreitig, dass der Kläger die Tankrechnung der S… Station P… vom 31.03.2021 nicht bei der Beklagten eingereicht hat, der Rechnungsbetrag zunächst von der S… Station P… vom Konto des Klägers abgebucht und hernach rücküberwiesen worden ist. Ob dies jeweils geschah, nachdem und weil die Beklagte die Rechnungsbeträge an die S… Station überwiesen hat, kann offenbleiben.

(b) Bezogen auf die Tankrechnungen für die Monate August und September 2019 kann dem Kläger allenfalls vorgeworfen werden, dass er die dem M… gestellten Rechnungen ohne weitere Erläuterung zu den betankten Fahrzeugen (dienstlich/privat) an die Beklagte weitergeleitet hat. Gegen die Weiterleitung selbst hat die Beklagte sich seinerzeit nicht gewandt. Dafür spricht, dass die Rechnungen bei der Beklagten zumindest auf Formalien geprüft worden sind, nämlich von Frau Dr. B…. Hinzu kommt, dass die Beklagte die Behauptung des Klägers, er habe die Rechnungen im Jahr 2019 aufgrund einer Absprache mit der damaligen kaufmännischen Leiterin Frau K… bei der Beklagten eingereicht, nicht ausdrücklich bestritten hat. Anders als die Beklagte meint, ist der Vortrag des Klägers durchaus einlassungsfähig, auch wenn er nicht angegeben hat, an welchem Tag die Absprache getroffen worden ist. Denn aus seinem Vortrag ergibt sich hinreichend deutlich, dass das Gespräch nach der Übernahme des M…, also nach dem 01.08.2021, und vor Übersendung der Tankrechnung vom 31.08.2021 stattgefunden hat.

Unabhängig davon, ob es die Absprache gegeben hat, ist dem Kläger eine Pflichtverletzung im Sinne einer vorsätzlichen Erstellung oder Einreichung einer falschen Abrechnung nicht vorzuwerfen. Denn auch ohne nähere Erläuterung konnte den von der Tankstelle erstellten Rechnungen unschwer entnommen werden, dass nur die Betankungen mit dem Kraftstoff „Super“ die Poolfahrzeuge betroffen haben können. Diese Fahrzeuge hatte die Beklagte im Rahmen des Anteilskaufs übernommen und sie wurden von dem Mitarbeitenden genutzt, um zwischen den Standorten hin und her zu fahren. Es stand danach fest, welche der in den Tankrechnungen aufgeführten Kosten auf die Poolfahrzeuge entfielen und dass die weiteren Tankkosten andere Fahrzeuge betroffen haben müssen. Gegen eine Bereicherungs- und Täuschungsabsicht des Klägers spricht, dass dieser keinerlei Verschleierungsbemühungen unternommen hat. Er hat die Rechnungen nicht manipuliert, sondern unverändert weitergeleitet. Entscheidend gegen das Einreichen vorsätzlich falscher, auf persönliche Bereicherung des Klägers und Vermögensschädigung der Beklagten gerichteter Tankabrechnungen spricht hier die offene Vorgehensweise des Klägers, der keinerlei Heimlichkeit an den Tag gelegt hat. Er hat einfach die an das M… adressierten Rechnungen der S… Station P… für die Monate August und September 2019 an die Gesellschafterin der Beklagten weitergeleitet. Selbst die Beklagte behauptet nicht, der Kläger habe um Erstattung an sich gebeten. Die Beklagte hat ihm oder dem M… direkt auch nichts erstattet.

Bezogen auf die Tankrechnung für den Monat März 2021 lässt sich nicht einmal der Vorwurf erheben, der Kläger habe diese Rechnung an die Beklagte weitergeleitet. Er hat diesbezüglich gar keinen Kontakt zur Beklagten aufgenommen. Die Gutschrift der S… Station P… hat der Kläger nicht, erst Recht nicht pflichtwidrig veranlasst.

cc) Die streitbefangene Kündigung ist nicht wegen des dringenden Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gerechtfertigt. Die Beklagte hat sich auf eine Verdachtskündigung berufen, falls das Gericht die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen nicht als erwiesen ansehen sollte. Selbst wenn die von der Beklagten aufgestellten Behauptungen zur Gesprächsinitiative und zu den Kosten für private Betankungen als wahr unterstellt werden, vermögen die damit begründeten Pflichtverletzungen keine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen und zwar weder als Tat- noch als Verdachtskündigung. Reicht eine Pflichtverletzung als solche nicht aus, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auf sie auch nicht eine außerordentliche Verdachtskündigung gestützt werden.

dd) Schließlich begründen die von der Beklagten angeführten Gründe auch in ihrer Gesamtheit nicht die außerordentliche Kündigung. Im Zusammenhang mit der Einladung der K… hat der Kläger schon nicht pflichtwidrig gehandelt, so dass es bei der allenfalls geringfügigen Pflichtverletzung wegen der unkommentierten Weiterleitung der Tankrechnungen bleibt, die aus den genannten Gründen die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigt.

3. Da die Kündigung vom 28.06.2022 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, hat das Arbeitsgericht die Beklagte zu Recht zur Weiterbeschäftigung verurteilt.

III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision liegen keine Gründe iSv. § 72 Abs. 2 ArbGG vor.

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