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Fristlose Kündigung wegen Nichtbenutzung der Arbeitszeiterfassung – erforderliche Abmahnung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 5 Sa 753/20 – Urteil vom 05.04.2023

I. Auf die Berufungen beider Parteien werden das Teilurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 30.06.2020 5 Ca 1620/19 und das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 22.09.2020 – 5 Ca 1520/19 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigungen vom 31.05.2019 und 12.06.2019 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.283,90 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.12.2019 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 192,26 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 zu zahlen.

4. Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 86 % und die Beklagte zu 14 %.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine fristlose und eine hilfsweise fristgerecht ausgesprochene Kündigung der Beklagten. Darüber hinaus macht er eine Entschädigung und weitere Zahlungsansprüche sowie die Aushändigung einer Tätigkeitsbeschreibung geltend. Mit einem Feststellungsantrag will er geklärt haben, ob er auch dann am Arbeitsplatz zu verweilen hat, wenn die Beklagte ihm keine vertragsgerechten Tätigkeiten zuweist. Die Beklagte will hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht erreichen.

Der am 14.06.1966 geborene Kläger ist bei der beklagten Stadt seit dem 21.10.2009 angestellt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages finden die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (TVöD) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Gemäß § 4 ist der Kläger „nach Maßgabe der Tarifautomatik eingruppiert in Entgeltgruppe 14 TVöD”. Das monatliche Tarifgehalt betrug bis Februar 2020 5.059,88 EUR brutto und seit März 2020 6.008,27 EUR brutto.

Der Kläger war zunächst als Referent des damaligen Oberbürgermeisters im „Fachbereich Verwaltungsleitung“ tätig. Nachdem es aus Umständen, die zwischen den Parteien streitig sind, zu Konflikten mit dem Oberbürgermeister kam, wurde der Kläger im Juli 2013 bis zur Klärung vorübergehend in das Dezernat V umgesetzt. Tatsächlich nahm der Kläger die Arbeit dort wegen einer längeren Erkrankung nicht auf.

Mit Schreiben vom 06.02.2015 verfügte die Beklagte die sofortige Umsetzung des Klägers in die “eigenbetriebsähnliche Einrichtung Kulturbetrieb der Stadt A”. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf den Akteninhalt (Bl. 301d.A.) verwiesen. Der Kläger war mit dieser Maßnahme nicht einverstanden. Der Streit wurde durch einen gerichtlichen Vergleich in einem Vorprozess (LAG Köln – 3 Sa 864/14) ausgeräumt. Der am 01.09.2015 geschlossene Vergleich sah vor, dass der Kläger die ihm zugewiesene Stelle im Kulturbetrieb der Beklagten antritt. Es wurde Einigkeit erzielt, dass es sich um eine Dauerstelle handelt und nicht lediglich um befristete Projektaufgaben.

Der Kläger nahm die Arbeit dort zunächst im Rahmen einer Wiedereingliederung am 14.09.2015 auf. Nach seinen Angaben war er ab dem 27.10.2015 wieder arbeitsfähig. Ob und in welchem Umfang die Beklagte dem Kläger nach seiner Genesung vertragsgerechte Tätigkeiten zuwies, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Beklagte hatte den Kläger unter dem 31.01.2015 ein Zwischenzeugnis erteilt. Wegen des Inhalts des Zwischenzeugnisses wird auf den Akteninhalt verwiesen. Am 12.02.2016 verständigten sich die Parteien auf eine Zielvereinbarung, auf die ebenfalls Bezug genommen wird. Am 27.07.2016 führten der Betriebsleiter Herr M und die stellvertretende Betriebsleiterin Frau Tein Personalgespräch mit dem Kläger, in dem es um die Aufgabenzuweisung für den Kläger ging. Hierzu wurde ein Aktenvermerk erstellt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.

Mit E-Mail vom 06.12.2016 wies Frau T den Kläger an, sich in das Abwesenheitsbuch einzutragen. Herr M monierte mit E-Mail vom 07.12.2016 gegenüber dem Kläger, dass er ihn erneut nicht erreicht habe. Am 15.02.2017 beschwerte sich der Kläger per E-Mail bei Herrn M, dass er nicht ausreichend beschäftigt werde. Wegen des Inhalts der Nachricht und der Antwort von Herrn M vom gleichen Tag wird auf den Akteninhalt verwiesen. Noch am gleichen Tag führten Herr M und Frau T ein erneutes Personalgespräch mit dem Kläger. Dem Kläger wurde nicht mehr wie zuvor gestattet, gelegentlich zu Hause zu arbeiten. Er wurde angewiesen, „gemäß Gleitzeit zu stempeln“. Der Kläger erklärte, es sei aus gesundheitlichen Gründen erforderlich, dass er die Möglichkeit zur Heimarbeit habe. Die Betriebsleitung forderte ihn auf, einen entsprechenden Nachweis beizubringen.

Eine weitere Zielvereinbarung schlossen die Parteien am 12.07.2017. Auf diese wird Bezug genommen. Am 07.12.2017 beschwerte sich der Kläger mit E-Mail bei Herrn M, dass ihm keine adäquaten Aufgaben zugewiesen worden seien. Dem widersprach Herr M mit E-Mail vom gleichen Tag. Er teilte dem Kläger im Januar 2018 auf dessen Bitte mit, dass für ihn eine Arbeitsplatzbeschreibung erarbeitet werde.

Der Kläger wurde am 25.04.2018 beauftragt, die für den 18.11.2018 vorgesehene Verleihung des Hasencleverpreises zu koordinieren. Am 05.06.2018 beschwerte sich der Kläger erneut gegenüber Herrn Mn dessen Büro, dass er seit Wochen keine Arbeit zugewiesen bekomme. Herr M beauftragte den Kläger sodann mit einer Recherche und anderen Tätigkeiten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

In einem weiteren Personalgespräch beschwerte sich der Kläger am 02.07.2018, dass er gar keine bzw. in geringem Umfang minderwertige Aufgaben zugewiesen bekomme. Die Beklagte wies den Kläger in einem weiteren Personalgespräch am 13.07.2018 auf vermeintliche Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Zeiterfassung hin. Der Kläger erstellte am 28.08.2018 ein Grußwort für die Kulturdezernentin. Frau T übertrug dem Kläger am 20.09.2018 die Aufgabe, Anträge zur Kulturförderung außerhalb städtischer Einrichtungen zu bearbeiten.

Mit E-Mails vom 03. und 04.01.2019 wies Frau T den Kläger darauf hin, dass er sich nicht “ausgetragen” habe und nicht bekannt sei, wo er sich aufgehalten habe. Sie forderte ihn auf, zu den Zeiten seiner Abwesenheit schriftlich Stellung zu nehmen. Wegen der Antwort des Klägers vom gleichen Tag wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Mit Schreiben vom 19.02.2019 gab die Beklagte dem Kläger auf, ab dem ersten Tag einer Erkrankung ein ärztliches Attest vorzulegen.

In der Folgezeit stritten die Parteien weiter darüber, ob die Beklagte dem Kläger adäquate Aufgaben zugewiesen hatte. Die Beklagte hielt dem Kläger vor, noch nicht einmal die Aufgaben, die ihm erteilt worden seien, zeitgerecht und ordnungsgemäß abgearbeitet zu haben. Konkret führte Herr M in einer E-Mail an den Kläger vom 27.03.2019 aus:

“Sehr geehrter Herr Dr. M

wie ich Ihnen bereits mündlich sagte, sind aus ihrer Sicht alle übertragenen Aufgaben inadäquat, unter Ihrem Niveau, nicht angemessen. Dass ich jedes Mal um eine Überarbeitung bitten muss, alles erklären muss, Sie rasch aus dem Internet kopieren, keine Quellenangaben beifügen, keine eigenständigen Gedanken artikulieren, das schreiben Sie natürlich nicht.

Wir haben dann wohl keine passenden Aufgaben. Ich empfehle dringend, dass Sie sich eine neue Arbeitsstelle suchen. Herzlich und aufrichtig wünsche ich ihnen dabei viel Erfolg. Und gerne sende ich Ihnen Stellenausschreibung für leitende Führungspositionen.

Wir werden das uns mit FB 11 zusammensetzen, da Ihre Überqualifizierung dringend eine neue Tätigkeit erfordert.”

Am Nachmittag desselben Tages übersandte der Betriebsleiter dem Kläger eine Stellenausschreibung für eine Stelle bei der Stadt W, die nach der Entgeltgruppe 9c TVöD bewertet war. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Am 08.04.2019 erhielt der Kläger den Auftrag, die Musikförderung in A federführend zu bearbeiten. Am 09.04.2019 lud der Kläger diesbezüglich zu einer Besprechung für den 08.05.2019 ein.

Nachdem sich der Kläger bereits im Januar 2019 an den Oberbürgermeister und im Februar 2019 an den Vorsitzenden des Personalrates gewandt hatte, schrieb er am 23.04.2019 an den Personaldezernenten Dr. K Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen (Bl. 102 ff. d.A.).

Nach der Zeiterfassung für den 29.04.2019 hatte der Kläger den Dienst um 11:43 Uhr aufgenommen und um 17:45 Uhr beendet. Tatsächlich hatte der Kläger den Arbeitsplatz um 14:30 Uhr verlassen. Den Kollegen H mit dem er sich ein Zimmer teilte, unterrichtete er, er sei auf dem Weg zum internationalen Zeitungsmuseum. Am späten Nachmittag (gegen 17:00 Uhr) suchte der Kläger das Büro erneut auf. Er legte der Beklagten später ein ärztliches Attest über Arbeitsunfähigkeit vom 29.04.2019 bis zum 03.05.2019 vor. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit war am 02.05.2019 getroffen worden. Bereits am 29.04.2019 hatte Herr M um 15:48 Uhr per E-Mail beim Kläger angefragt, wo er gewesen sei. Der Kläger antwortete auf das Schreiben nicht.

Am 03.05.2019 fand ein weiteres Personalgespräch mit dem Kläger statt. Der Inhalt ist zwischen den Parteien streitig. Insbesondere besteht Streit darüber, ob er gesagt hat, dass noch ganz andere Sachen auf den Tisch kommen würden. Die Beklagte erstellte am 07.05.2019 ein erstes Protokoll von der Unterredung vom 03.05.2019, welches sie dem Kläger übermittelte. Er nahm zu dem Protokoll am 08.05.2019 Stellung und widersprach Einzelheiten des Protokolls. Die Beklagte übersandte ihm daraufhin ein korrigiertes Protokoll, welches der Kläger ebenfalls nicht akzeptierte. Er übersandte am 13.05.2019 eine 22-seitige Stellungnahme.

Der Kläger war vom 06.05.2019 bis zum 29.05.2019 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 06.05.2019 (Bl. 841 f. d.A.) veranlasste die Beklagte eine Begutachtung des Klägers durch den medizinischen Dienst der Krankenkasse. Dieser teilte am 28.05.2019 mit, dass keine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestünden.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers nach vorheriger Anhörung des Personalrates, welcher keine Bedenken äußerte, mit Schreiben vom 31.05.2019 außerordentlich fristlos. Hilfsweise kündigte sie das Arbeitsverhältnis unter dem 12.06.2019 ordentlich zum 31.12.2019. Der Kläger hat beide Kündigungen unter Bezugnahme auf § 174 BGB zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Der Kläger war im ganzen Jahr 2014 und darüber hinaus bis zum 13.09.2015 arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 06.01.2015 bis zum 10.02.2015 befand sich der Kläger in einer stationären Reha-Maßnahme, aus der er arbeitsunfähig entlassen wurde. In den Folgejahren ergaben sich krankheitsbedingte Fehlzeiten in diesem Umfang:

2016 57 Arbeitstage

2017 117 Arbeitstage

2018 44 Arbeitstage

2019 (bis zum Zugang der Kündigung vom 31.05.2019 am 03.06.2019). 61 Arbeitstage

Nach Erhalt der Kündigung war der Kläger jedenfalls noch bis zum 31.12.2019 arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet, an ihn eine Entschädigung in Höhe von mindestens 80.000,00 EUR zu zahlen, weil sie durch die Art und Weise seiner Beschäftigung bzw. vor allem durch seine Nichtbeschäftigung im Kulturbetrieb sein Persönlichkeitsrecht verletzt habe. Ihm seien im Kulturbetrieb keine adäquaten Aufgaben übertragen worden. Soweit ihm überhaupt Tätigkeiten zugewiesen worden seien, hätten diese lediglich Alibicharakter gehabt. Dies zeige sich zunächst darin, dass seine Stelle haushaltstechnisch gar nicht dem Kulturbetrieb, sondern der allgemeinen Verwaltung zugeordnet gewesen und eine Arbeitsplatzbeschreibung nie erstellt worden sei, sodann darin, dass der Betriebsleiter ihm gegenüber mehrfach erklärt habe, dass er woanders besser aufgehoben sei und ihn auf anderweitige Bewerbungsmöglichkeiten hingewiesen habe und schließlich darin, dass die Aufgaben aus der Umsetzungsverfügung vom 06.02.2015 von einer mit Entgeltgruppe 10 bewerteten Stellenausschreibung der Stadt Plauen abgeschrieben worden seien und nach Aussage von Herrn M und Frau Tim Kulturbetrieb gar nicht gebraucht würden. Dass es sich lediglich um Alibiaufgaben gehandelt habe, zeige sich daran, dass Herr Müller in einer Geschäftsbereichsleiterkonferenz im Jahr 2015 erklärt habe, dass für ein Fortschreiben eines kulturellen Leitprofils keine Notwendigkeit bestehe. Darüber hinaus habe Herr M ihm gegenüber bestätigt, dass die für das Entwickeln von Formaten für die kulturelle Infrastruktur der Stadt erforderlichen finanziellen Mittel gar nicht vorhanden seien. Nichts anderes gelte für die ihm im Juli 2016 angetragene Aufgabe, sich um das Marketing der Aachener Kultur zu kümmern und im Depot „mitzuarbeiten“. Das Marketing für den Aachener Kulturbetrieb sei nach Übertragung auf den Fachbereich „Presse und Marketing“ im Jahr 2010 ausschließlich von dort erfolgt. Sein Einsatz im Depot sei schon deshalb fragwürdig, weil die Leiterin des Depots selbst höchstens in die Entgeltgruppe 13 eingruppiert sei. Die Erstellung einer Synopse über die Kulturpreise in Aachen habe problemlos durch die von ihm beauftragte Praktikantin erledigt werden können; eine Rückmeldung durch den Betriebsleiter sei auch zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Insgesamt sei er 2016 bis auf wenige Arbeitstage und unterbrochen durch kleinere Aufgaben wie Korrekturlesen oder Besprechungen beschäftigungslos gewesen.

Im Jahr 2017 habe er die ihm im Gespräch vom 15.02.2017 übertragene Aufgabe der Analyse der Kommunikationsmittel in weniger als einem Arbeitstag erledigt. Zudem habe er zwei (weitere) Termine im ersten Halbjahr 2017 wahrgenommen. Ansonsten habe er keine Beschäftigung gehabt.

Die faktische Nichtbeschäftigung habe sich im zweiten Halbjahr 2017 fortgesetzt. Die ihm im Mitarbeitergespräch am 12.07.2017 übertragenen Aufgaben hätten lediglich eine Alibifunktion gehabt, denn die dort genannten Veranstaltungsideen seien bereits Gegenstand des am 12.02.2016 geführten Gesprächs gewesen. Keins dieser Veranstaltungskonzepte sei umgesetzt worden. Dies sei schon im Vorfeld klar gewesen, zumal Herr M am 08.04.2019 erklärt habe, dass mit Blick auf Veranstaltungen „weniger mehr“ sei. Auch die ihm im Jahr 2018 übertragenen Aufgaben stellten bloße Alibiaufgaben dar. Dies gelte zum einen für die Bearbeitung der „Soziokulturellen Zentren“, da das soziokulturelle Zentrum der Stadt, das Depot, mit Frau Z bereits eine eigene Leitung gehabt habe. Die für die Kulturarbeit außerhalb städtischer Kultureinrichtungen (KASTE) anfallenden Tätigkeiten seien der Entgeltgruppe 9 zuzuordnen. Es handele sich um klassische Sachbearbeitertätigkeiten, die kaum mehr als 13 Stunden seiner Arbeitszeit in Anspruch genommen hätten. Darüber hinaus seien ihm nur hin und wieder Aufgaben zugewiesen worden. Für die Arbeit im Zusammenhang mit der Verleihung des Hasencleverpreises habe er insgesamt drei Stunden benötigt.

Für die ihm 2019 übertragenen Aufgaben habe er insgesamt nicht mehr als acht Stunden verwandt. Die ihm angetragene Aufgabe im Zusammenhang mit der Musikförderung der Stadt Aachen habe sich in der Auflistung der in Aachen musiktreibenden Personen erschöpft und etwa eineinhalb Stunden beansprucht. Ähnliches gelte für die ihm im Zusammenhang mit der Musikförderung zugewiesene weitere Rechercheaufgabe vom 27.03.2019; die Erarbeitung des Textes für die E-Mail vom 09.04.2019 habe ihn etwa 15 Minuten gekostet. Ab dem 11.04.2019 habe die Beklagte ihm keine Aufgaben mehr zugewiesen.

Der Kläger hat weiter die Auffassung vertreten, dass die beklagte Stadt verpflichtet sei, an ihn für die Zeit seit dem 01.06.2019 trotz seiner seit dem 29.04.2019 durchgängig bestehenden Arbeitsunfähigkeit die vertragsgerechte Vergütung zu zahlen. Gemäß § 326 Abs. 2 BGB sei sein Anspruch auf Vergütung erhalten geblieben, weil die Beklagte seine Arbeitsunfähigkeit zu vertreten habe. Zudem habe sie sich im Annahmeverzug befunden, bevor er erkrankt sei, weil sie ihm seit dem 11.04.2019 keine Aufgaben mehr zugewiesen habe.

Der Kläger hat die ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam gehalten. Die von der Beklagten vorgelegten Arbeitszeitnachweise seien nicht zu berücksichtigen, weil sie einem Verwertungsverbot unterlägen. Darüber hinaus hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrates gerügt. Diesem sei weder mitgeteilt worden, wann die Beklagte Kenntnis von den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen erlangt habe noch, dass der Medizinische Dienst seine Arbeitsunfähigkeit am 29.04.2019 bestätigt habe. Für die außerordentliche Kündigung sei zu berücksichtigen, dass die Zwei-Wochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden sei. Beide Kündigungen seien gemäß § 174 BGB unwirksam. Schließlich seien die Kündigungen auch gemäß § 612a BGB unwirksam, weil sie ausgesprochen worden seien, weil er wiederholt seine fehlende Beschäftigung geltend gemachte habe.

Zur Begründung des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Tätigkeitsbeschreibung hat sich der Kläger auf den Grundsatz der Gleichbehandlung berufen und vorgetragen, dass es im Kulturbetrieb der Beklagten üblich sei, für jeden Arbeitsplatz eine Tätigkeitsbeschreibung zu erstellen.

Zur Begründung des Feststellungantrages hat der Kläger darauf verwiesen, dass die Beklagte, die ihn über lange Strecken überhaupt nicht beschäftigt habe, nicht das Recht habe, von ihm eine ständige Präsenz am Arbeitsplatz zu verlangen, ohne ihm vertragsgemäße Aufgaben zu übertragen. Dies entspreche tatsächlich einer unzulässigen Anordnung von Bereitschaftszeit.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 31.05.2019 aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.06.2019 aufgelöst worden ist;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 31.10.2019 hinaus ungekündigt fortbesteht;

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung und ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 80.000,00 EUR liegen soll;

5. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1.) und 2.), die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Tätigkeitsdarstellung mit Aufgaben, die inhaltlich den Anforderungen der Entgeltgruppe 14 in Nr. 4 des Abschnitts I, Teil A der Anlage I zum TVöD (VKA) entsprechen, zu übergeben;

6. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1.) und 2.) festzustellen, dass er an solchen Arbeitstagen, für die die Beklagte ihm nicht spätestens bis zum Beginn der für Beschäftigte des Kulturbetriebs festgelegten Kernarbeitszeit Aufgaben, die inhaltlich den Anforderungen der Entgeltgruppe 14 in Nr. 4 des Abschnitts I, Teil A der Anlage I zum TVöD (VKA) entsprechen, übertragen hat, nicht verpflichtet ist, den gesamten Arbeitstag am Arbeitsplatz zu verweilen und der Beklagten lediglich zur Verfügung zu stehen;

7. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen die Beklagte zu verurteilen, an ihn 29.754,40 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.950,88 EUR seit dem 01.07.2019, aus weiteren 5.950,88 EUR seit dem 01.08.2019, aus weiteren 5.950,88 EUR seit dem 01.09.2019, aus weiteren 5.950,88 EUR seit dem 01.10.2019, aus weiteren 5.950,88 EUR seit dem 01.11.2019, abzüglich am 18.06.2019 erhaltenen Krankengeldes von 2.842,08 EUR, am 27.06.2019 erhaltenen Krankengeldes von 1.741,92 EUR, am 18.07.2019 erhaltenen Krankengeldes von 2.108,64 EUR, am 01.08.2019 erhaltenen Krankengeldes von 1.991,84 EUR, am 30.08.2019 erhaltenen Krankengeldes von 2.567,04 EUR, am 30.09.2019 erhaltenen Krankengeldes von 2.475,36 EUR, am 18.10.2019 erhaltenen Krankengeldes vom 2.016,96 EUR sowie am 05.11.2019 erhaltenen Krankengeldes von 1.191,84 EUR, zu zahlen;

8. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen die Beklagte zu verurteilen, an ihn 44.909,69 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 9.032,24 EUR seit dem 02.12.2019, aus 5.950,88 EUR seit dem 02.01.2020, aus weiteren 5.950,88 EUR seit dem 03.02.2020, aus weiteren 5.950,88 EUR seit dem 02.03.2020, aus 6.008,27 EUR seit dem 01.04.2020, aus weiteren 6.008,27 EUR seit dem 02.05.2020 und aus weiteren 6.008,27 EUR seit dem 01.06.2020 abzüglich am 27.11.2019 erhaltenen Krankengeldes von 2.383,68 EUR, am 19.12.2019 erhaltenen Krankengeldes von 2.016,96 EUR, am 13.01.2020 erhaltenen Krankengeldes von 1.925,64 EUR, am 06.02.2020 erhaltenen Krankengeldes von 2.384,72 EUR, am 05.03.2020 erhaltenen Krankengeldes von 2.659,88 EUR, am 26.03.2020 erhaltenen Krankengeldes von 1.834,40 EUR, am 20.04.2020 erhaltenen Krankengeldes vom 2.061.20 EUR sowie am 13.05.2020 erhaltenen Krankengeldes von 2.360,75 EUR, zu zahlen;

9. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.169,61 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufzulösen.

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte hat bestritten, den Kläger nicht bzw. nur unzureichend mit vertragsgerechten Aufgaben beschäftigt zu haben. Tatsächlich habe sie dem Kläger mit den formulierten Zielvorgaben anspruchsvolle Tätigkeiten zur eigenverantwortlichen Bearbeitung übertragen. Er sei zu allen Dienstbesprechungen der Führungskräfte aller Geschäftsbereiche hinzugebeten worden, bei denen über die aktuell anstehenden Themen von Bedeutung informiert worden sei. Der Kläger habe jedoch die Tragweite der Aufgaben nicht erkannt. Seine Art der Erledigung der Aufgaben habe immer wieder zu wünschen übrig gelassen. Der Vortrag des Klägers, dass er mit den ihm übertragenen Aufgaben immer nur wenige Stunden bzw. Arbeitstage beschäftigt gewesen sei, zeige sein mangelndes Aufgabenverständnis und seine oberflächliche und unzureichende Herangehensweise bei der Bearbeitung der Aufgaben. Anstatt sich der Erledigung der Aufgaben zu widmen, habe der Kläger stets Einwände geltend gemacht und so letztlich die Arbeit verweigert. Dies zeige sich beispielhaft an dem Auftrag zu den Ausstellungsvorhaben 2020. Der Kläger habe seine Energie nicht zur Erfüllung seiner Aufgaben verwandt, sondern mit Akribie Gründe für sein Nichttätigwerden gesucht. Darüber hinaus sei aufgrund der häufigen und immer wieder über lange Zeiträume andauernden Erkrankungen des Klägers eine kontinuierliche und verlässliche Arbeit gar nicht möglich gewesen, so dass viele Aufgaben, die dem Kläger übertragen worden seien, letztlich durch die Betriebsleitung erledigt worden seien. Ein Zusammenhang zwischen der Situation am Arbeitsplatz und der labilen gesundheitlichen Verfassung des Klägers bestehe nicht, zumal der Kläger seine musikalische Karriere als Einzelkünstler während seiner Beschäftigung im Kulturbetrieb in den Jahren 2016 bis 2019 erstaunlich weit vorangebracht habe.

Die ausgesprochenen Kündigungen seien wirksam. Der Kläger habe vorsätzlich und wiederholt das Dienstgebäude verlassen, ohne das Zeiterfassungsgerät zu bedienen. Daher habe er seine Arbeitszeit vorsätzlich falsch dokumentiert. Konkret habe er am 29.04.2019 seine Dienstpflichten aus der Dienstvereinbarung Arbeitszeit verletzt, indem er das Dienstgebäude zwischen 14.30 Uhr und 17.00 Uhr verlassen habe, ohne dies am Zeiterfassungsterminal ordnungsgemäß als Dienstgang oder Pause zu buchen. Darüber hinaus habe er gegen seine weitere Verpflichtung aus der im Kulturbetrieb bestehenden innerbetrieblichen Vereinbarung verstoßen, sich bei Verlassen des Gebäudes zusätzlich in das im Vorzimmer der Betriebsleitung ausliegende Abwesenheitsbuch einzutragen. Der Kläger habe – wie von ihm im Personalgespräch am 03.05.2019 auch eingeräumt – das Dienstgebäude mehrfach zu Pausenzwecken verlassen, ohne dies ordnungsgemäß im Zeiterfassungsterminal zu buchen. Dies habe der Zimmerkollege des Klägers, Herr H, bestätigt, der in seiner Befragung am 23.05.2019 (auf Blatt 45 und 46 der Akte wird Bezug genommen) bekundet habe, dass der Kläger überwiegend gegen Mittag oder Nachmittag das Dienstgebäude verlassen habe, wobei er mitunter geäußert habe, dass er dienstliche Termine wahrzunehmen habe.

Das in den Kläger gesetzte Vertrauen sei zerstört. Es sei davon auszugehen, dass er sich auch in Zukunft nicht nach den geltenden Vorschriften richten werde, zumal er bereits zweimal – im Februar 2017 und im Januar 2019 – zur korrekten Buchung im Zeiterfassungssystem aufgefordert worden sei. Die außerordentliche Kündigung sei innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden. Hierzu hat sie vorgetragen, dass sie von dem Ausmaß der durch den Kläger begangenen Pflichtverletzungen erst durch das im Rahmen der weiteren Ermittlungen geführte Gespräch mit Herrn H am 23.05.2019 Kenntnis erlangt habe. Sie habe den Personalrat über die ihr vorab mündlich übermittelte Information des Medizinischen Dienstes am 28.05.2019 und damit vor dessen am 29.05.2019 erfolgten Stellungnahme unterrichtet. Der Einwand des Klägers, die Kündigungen seien nach erfolgter Zurückweisung mangels Vollmachtvorlage gemäß § 174 BGB unwirksam, gehe fehl. Die Zuständigkeit des Betriebsleiters M, der die Kündigungen unterzeichnet habe, für Personalangelegenheiten – und damit für den Ausspruch der streitigen Kündigungen – sei in der öffentlich bekannt gemachten Betriebssatzung der Beklagten geregelt und gelte damit auch dem Kläger als bekannt.

Zur Begründung des Auflösungsantrages hat die Beklagte vorgetragen, dass das Vertrauensverhältnis zum Kläger, das bereits während seiner Tätigkeit als Referent des Oberbürgermeisters gelitten habe, nunmehr in seinem jetzigen Arbeitsbereich endgültig zerstört worden sei. Obwohl der Kläger dort mit offenen Armen empfangen worden sei, sei es zu Konflikten gekommen, auf die er – wohl um dem Ausspruch einer Kündigung entgegenzuwirken – wiederholt mit dem unberechtigten Vorwurf der Nichtbeschäftigung reagiert habe. Es sei ihr nicht zuzumuten, immer wieder unberechtigten Schadenersatzforderungen ausgesetzt zu sein. Hinzu komme, dass der Kläger sich durch das Nichteintragen ins Abwesenheitsbuch sowie das Nichteinbuchen in der Zeiterfassung der Kontrolle und Einflussnahme seiner Dienstvorgesetzten entzogen habe. Auf konkrete Nachfragen habe der Kläger nur unfreundlich reagiert. Offenbar habe sie für den Kläger wohl keine geeignete Stelle. Das Ausmaß der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses lasse sich auch daran ablesen, dass der Betriebsleiter, der den Kläger seit Jahrzehnten kenne, diesem das „du“ entzogen habe. Schließlich habe der Kläger wiederholt damit gedroht, „eine Bombe platzen zu lassen“.

Das Arbeitsgericht hat über die Klageanträge durch Teilurteil vom 30.06.2020 und Schlussurteil vom 22.09.2020 entschieden. Es hat den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben und den vom Kläger verfolgten allgemeinen Feststellungsantrag sowie den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Zudem hat es die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung iHv 6.000 EUR und einer Sonderzuwendung für das Jahr 2019 iHv 1.283,90 EUR sowie eines Leistungsentgelts für 2019 iHv 1.169,61 EUR verurteilt. Gegen beide Urteile haben beide Parteien Berufung eingelegt. Rechtskräftig ist nur die Abweisung des allgemeinen Feststellungsantrags geworden. Die Berufungen gegen das Teilurteil und das Schlussurteil sind beim Berufungsgericht zunächst getrennten Verfahren zugeordnet. worden, bis das Berufungsgericht beide Verfahren verbunden hat. Auf Hinweis des Gerichts hat die Beklagte klargestellt, dass der Auflösungsantrag auf den 31.12.2019 bezogen ist. Der Kläger hat in die Formulierung seiner gegen das Schlussurteil gerichteten Klageanträge in der Berufungsinstanz nicht die für Juni bis Oktober 2019 erstinstanzlich geltend gemachte Zahlung iHv 29.754 EUR abzgl. der im Antrag genannten Beträge aufgenommen. Mit Schriftsatz vom 11.03.2021 hat er geltend gemacht, dass sich die Berufung auch auf die für Juni bis Oktober 2019 erstinstanzlich geltend gemachte Zahlung iHv 29.754 EUR abzgl. der genannten Beträge beziehe.

Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass die Kündigungen unwirksam seien. Ihm stehe eine Tätigkeitsbeschreibung aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung zu. Herr habe ihm Anfang 2018 auf seine Bitte zugesagt, dass er für ihn eine Arbeitsplatzbeschreibung erarbeiten werde, damit er wisse, in welchem Korridor er arbeiten könne. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass der Klageanspruch keiner ergänzenden Begründung bedürfe. Vielmehr sei es Sache der Beklagten, konkret zu begründen, warum sie ihm keine Tätigkeitsbeschreibung aushändige. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe auch für den Feststellungsantrag das notwendige Feststellungsinteresse. Es handele sich um eine zulässige Elementenfeststellungsklage. In Bezug auf den Entschädigungsantrag habe das Arbeitsgericht ohne jeden Sachvortrag der Beklagten unterstellt, das die Beklagte ihm in der Zeit vom 09.04.2019 bis zum 29.04.2019 hinreichend Arbeit zugewiesen habe. Damit habe es gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen. Soweit es ihm eine Entschädigung zugesprochen habe, sei der Betrag deutlich zu niedrig ausgefallen. Der Entschädigungsanspruch könne nicht gemindert werden, weil er die Beklagte nicht auf Beschäftigung verklagt habe.

Beide Parteien beantragen, das Teilurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 30.06.2020 – 5 Ca 1620/19 – und das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 30.06.2020 – 5 Ca 1620/19 – (mit Ausnahme des allgemeinen Feststellungsantrags) jeweils insoweit abzuändern, als es zu ihren Ungunsten ergangen ist und die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen.

Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die Kündigungen seien wirksam. Anlass für die Kündigungen sei nicht der Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs, sondern die notorische Missachtung der Stempelpflicht durch den Kläger. Der Kläger werde durch die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 29.04.2019 nicht entlastet. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass auch ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer zu einer ordnungsgemäßen Bedienung des Zeiterfassungsgeräts verpflichtet sei. Zudem sei das Attest rückwirkend ausgestellt worden. Abgesehen davon habe der Kläger am 29.04.2019, 30.04.2019 und 02.05.2019 regulär gearbeitet. Es stelle eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtungen dar, dass er am 29.04.2019 und schon häufiger zuvor das Zeiterfassungsgerät nicht ordnungsgemäß bedient habe. Der Kläger könne am 29.04.2019 (Montag) das Zeitungsmuseum gar nicht wie von ihm angegeben besucht haben. Das Museum sei montags geschlossen. Sie behauptet, der Kläger habe ihr in dem Personalgespräch am 03.05.2023 gedroht, es kämen noch ganz andere Sachen auf den Tisch. Jedenfalls sei das Arbeitsverhältnis durch das Gericht aufzulösen. Der Kläger sei aus personenbedingten Gründen nicht geeignet, seine Fähigkeiten in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis dauerhaft und gewinnbringend einzusetzen. Das Arbeitsverhältnis sei durch immens hohe Krankheitszeiten (868 Arbeitstage in 11 Jahren) und umfangreiche arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen geprägt. Der Kläger sei nicht bereit, sich an Arbeitsanweisungen zu halten. Er empfinde es offensichtlich als unwürdig, sich an bestimmte Spielregeln in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zu halten. Er habe unterschwellige Drohungen ausgesprochen. Es sei bei den Mitarbeitern der Beklagten nicht gut angekommen, dass der Kläger trotz der vielen Ausfallzeiten offenbar in der Lage gewesen sei, seine Musikkarriere voranzubringen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass der Kläger im hiesigen Verfahren teilweise unzutreffend vorgetragen habe. Der Kläger habe eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Nichtbeschäftigung nicht hinreichend dargelegt. Sie habe den Kläger vertragsgemäß beschäftigt. Zudem sei der Kläger wegen der hohen Eingruppierung dazu gehalten gewesen, sich selbst Arbeit zu suchen. In seiner Stellung habe er nicht erwarten dürfen, kleinteilige Arbeitsaufträge zu erhalten. Es passe schwerlich zum Vorwurf einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, dass sich der Kläger an dem ihm Anfang 2019 angebotenen BEM nicht interessiert gezeigt habe. Ein möglicher Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung sei zudem verfallen.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Inhalts des Beweisbeschlusses und des Sachverständigengutachtens wird ebenso auf den Akteninhalt Bezug genommen wie wegen der Stellungnahmen der Parteien zu dem Gutachten und eines vom Kläger vorgelegten Privatgutachtens.

Das Berufungsgericht hat mehrere Hinweis- und Auflagenbeschlüsse erlassen. Wegen deren Inhalt wird ebenfalls auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufungen beider Parteien sind überwiegend zulässig. Dies gilt für die Berufung des Klägers auch in Bezug auf den für Juni bis Oktober 2019 geltend gemachten Zahlungsantrag. Unzulässig ist die Berufung der Beklagten insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des Auflösungsantrags durch das Arbeitsgericht wendet.

I. Soweit die Berufungen zulässig sind, sind sie gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurden gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Klägers ist auch in Bezug auf den für Juni bis Oktober 2019 geltend gemachten Zahlungsantrag zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass er den diesbezüglichen Antrag in der Berufungsbegründung nicht ausdrücklich formuliert hat. Wie das Berufungsgericht bereits in dem an die Parteien gerichteten Schreiben vom 02.11.2021 (Bl. 1366 d.A.) ausgeführt hat, ergibt die Auslegung des Berufungsantrags, dass er sich von Anfang an auch auf die Ansprüche für Juni 2019 bis Oktober 2019 iHv 29.754,40 EUR abzgl. der dort genannten Beträge bezogen hat. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des Antrags. Danach verfolgt der Kläger das Ziel, die Abänderung des Schlussurteils insoweit zu erreichen, als es seinen Anträgen nicht entsprochen hat. Zudem lässt sich auch aus den Ausführungen zur Begründung der Berufung der Wille entnehmen, das arbeitsgerichtliche Urteil umfassend anzugreifen.

III. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Auflösungsantrags durch das Arbeitsgericht wendet.

1. Eine Berufungsbegründung muss gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben.

Die Berufungsbegründung muss auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung kann zwar nicht verlangt werden. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es aber nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (BAG 26.04.2017 – 10 AZR 275/16).

Betrifft das Urteil mehrere Streitgegenstände, muss für jeden Streitgegenstand eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig (BAG 02.02.2012 – 4 AZR 142/10 – Rn. 10; LAG Köln 28.10.2016 – 4 Sa 86/16 – Rn. 52).

Eine eigenständige Begründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt. Mit der Begründung des Rechtsmittels über den einen Streitgegenstand ist dann zugleich dargelegt, dass die Entscheidung über den anderen unrichtig ist (vgl. zur Zulässigkeit einer Revision BAG 21.11.2013 – 2 AZR 495/12 – Rn. 17; zur Zulässigkeit einer Berufung LAG Köln 28.10.2016 – 4 Sa 86/16 – Rn. 52).

Diese Grundsätze gelten auch für den Auflösungsantrag. Dieser stellt einen eigenen Streitgegenstand dar (LAG Köln 28.10.2016 – 4 Sa 86/16 – Rn. 57; NK/Eylert § 9 KSchG Rn. 12).

Aus § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG folgt keine andere Betrachtung. Nach dieser Vorschrift kann der Auflösungsantrag (erstmals) bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden. Daraus folgt, dass die Voraussetzungen des § 533 ZPO für einen erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Antrag nicht erfüllt sein müssen (BAG 27.09.2022 – 2 AZR 5/22 – Rn. 9). Wird der Auflösungsantrag erstinstanzlich abgewiesen, kann gleichwohl in der Berufungsinstanz ein neuer Auflösungsantrag gestellt werden, der allerdings nur auf neue (andere) Auflösungstatsachen gestützt werden kann (KR/Spilger § 9 KSchG Rn. 118). Keine prozessualen Besonderheiten gelten, wenn sich die Partei, die mit ihrem Auflösungsantrag erstinstanzlich unterlegen ist, dafür entscheidet, keinen neuen Auflösungsantrag zu stellen, sondern gegen die Abweisung des Auflösungsantrags durch das Arbeitsgericht Berufung einzulegen. Dies folgt daraus, dass die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG nur den Zeitpunkt betrifft, bis zu dem ein Erstantrag erstmals gestellt werden kann. Sie trifft keine besondere Regelung für das Berufungsverfahren gegen einen erstinstanzlich zurückgewiesenen Auflösungsantrag (KR/Spilger § 9 KSchG Rn. 24, 116 und118).

2. Danach erweist sich die Berufung der Beklagten als unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Auflösungsantrags durch das Arbeitsgericht wendet. Hierauf hat der Kläger bereits in dem Schriftsatz vom 08.11.2021 auf Seite 3 (= Bl. 1382 d.A.) zutreffend hingewiesen, ohne dass sich die Beklagte veranlasst gesehen hätte, zu dieser Frage weitere Ausführungen zu machen.

Zunächst ist der in dem Schriftsatz vom 19.11.2020 gestellte Berufungsantrag der Beklagten dahingehend auszulegen, dass sie den erstinstanzlich gestellten Auflösungsantrag in der Berufungsverhandlung weiterverfolgen wollte. Auf Seite 26 (= Bl. 776 d.A.) des genannten Schriftsatzes hat die Beklagte ausdrücklich ausgeführt, das Arbeitsgericht habe „schließlich zu Unrecht entschieden, dass im Falle einer unterstellten Unwirksamkeit der Kündigung der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag unbegründet“ sei. Zudem stützt sie den Auflösungsantrag in der Berufungsinstanz auch auf die bereits erstinstanzlich geltend gemachten Gründe.

Der Berufungsantrag ist unzulässig, weil sich die Berufungsbegründung nicht mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befasst und auch nicht aufzeigt, aus welchen Gründen das Arbeitsgericht insoweit fehlerhaft entschieden haben soll. Die Berufungsbegründung enthält zu der Begründung des Arbeitsgerichts für die Abweisung des Auflösungsantrags keine Ausführungen.

B. Die Rechtsmittel beider Parteien haben, soweit sie zulässig sind, in der Sache teilweise Erfolg. Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kündigungen der Beklagten vom 31.05.2019 und 12.06.2019 unwirksam sind. Der auf die Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag war vollständig abzuweisen, weil er ebenso wie der Feststellungsantrag unzulässig ist. Zahlung kann der Kläger nur in geringem – aus dem Tenor ersichtlichen – Umfang verlangen.

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.05.2019 ist unwirksam.

1. Die am Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmende Prüfung einer außerordentlichen Kündigung hat zweistufig zu erfolgen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet, ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2011 – 2 AZR 355/10; 09.06.2011 – 2 AZR 323/10; 06. 09.2007 – 2 AZR 264/06; 27.04.2006 – 2 AZR 415/05; 02.031989 – 2 AZR 280/88).

Zu berücksichtigen ist, dass für die verhaltensbedingte Kündigung das Prognose- und nicht das Sanktionsprinzip gilt. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers. Maßgeblich ist, ob eine schwerwiegende Verletzung der Vertragspflichten des Arbeitnehmers vorliegt (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09; 24.11.2005 – 2 AZR 684/04; 10.10.2002 – 2 AZR 418/01).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 19.04.2012 – 2 AZR 258/11; 07.07.2011 – 2 AZR 355/10; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 07.07.2011 – 2 AZR 355/10; 09.06.2011 – 2 AZR 323/10; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18: 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

Einer Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

2. Nach diesen Grundsätzen erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 31.05.2021 als unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn zu Gunsten der Beklagten angenommen wird, der Kläger sei zur ordnungsgemäßen Bedienung des Zeiterfassungsgeräts verpflichtet gewesen, weil die Betriebsvereinbarung Zeiterfassung anwendbar war.

Für diesen Fall teilt die Kammer die Auffassung der Beklagten, dass der Kläger sich vertragswidrig verhalten hat, wenn er beim Verlassen des Dienstgebäudes nicht ausgestempelt hat. Dies gilt namentlich auch für den 29.04.2019 ungeachtet des Umstands, dass der Kläger, wie sich später herausgestellt hat, an diesem Tag bereits arbeitsunfähig erkrankt war. Seine Verpflichtung, das Zeiterfassungsgerät ordnungsgemäß zu bedienen, blieb hiervon unberührt. Es kann auch nicht angenommen werden, der Kläger sei wegen eines „gesundheitlichen Ausnahmezustands“ hierzu nicht mehr in der Lage gewesen, wie er vorgetragen hat. Dieser Annahme steht entgegen, dass der Kläger in der Lage war, das Gerät derart zu bedienen, dass es für den 29.04.2019 als Arbeitsende 17:45 Uhr ausgewiesen hat. Vor diesem Hintergrund wäre es ihm auch möglich gewesen, die Arbeitszeiten korrekt einzugeben.

Der Kläger war auch nicht deswegen von der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Bedienung des Arbeitszeiterfassungsgeräts befreit, weil ihm die Beklagte praktisch keine Tätigkeiten zugewiesen hat, die der Entgeltgruppe 14 TVöD-VKA entsprechen. Von der faktischen Nichtbeschäftigung des Klägers mit vertragsgerechten Tätigkeiten über mehrere Jahre ist auszugehen, ohne dass es einer Beweisaufnahme bedurft hätte. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers gilt mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat eingeräumt, dass sie trotz der in dem Vergleich vom 01.09.2015 eingegangenen Verpflichtung, den Kläger im Kulturbetrieb mit Tätigkeiten zu beschäftigen, die der Entgeltgruppe 14 TVöD-VKA entsprechen, zunächst nicht in der Lage war, ihn entsprechend einzusetzen. Dies für sich genommen wäre unproblematisch gewesen, wenn die Beklagte im Anschluss eine entsprechende Stelle für ihn im Kulturbetrieb geschaffen hätte. Dies ist jedoch zu keinem Zeitpunkt geschehen. Mit ihrem Vorbringen, es sei wegen der hohen Eingruppierung des Klägers schwierig gewesen, den Kläger im Kulturbetrieb vertragsgerecht einzusetzen, kann die Beklagte i.H. auf die in dem Vergleich eingegangene Verpflichtung, nicht durchdringen.

Ergänzend wird festgehalten, dass das Berufungsgericht die Beklagte mit Schreiben vom 08.11.2021 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sie nicht dargelegt hat, den Vorgaben der Entgeltgruppe 14 TVöD-VKA in Bezug auf den Kläger in quantitativer und qualitativer Hinsicht Rechnung getragen zu haben. Vielmehr war der Kläger in den Jahren 2016 – 2018 und zu Beginn des Jahres 2019 weitgehend beschäftigungslos. Ob die wenige ihm zugewiesene Arbeit vertragsgerecht war, bedarf weder an dieser noch an späterer Stelle der Aufklärung durch das Gericht.

Zu dem von der Beklagten mehrfach – zuletzt in der Kammerverhandlung vom 05.04.2023 – vorgebrachten Einwand, der Kläger sei wegen der hohen Eingruppierung dazu gehalten gewesen, sich selbst Arbeit zu suchen, ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die ein Arbeitsverhältnis kennzeichnenden Grundsätze verkennt. Dem Arbeitgeber obliegt es, im Rahmen des ihm zustehenden Weisungsrechts (§ 106 GewO), dem Arbeitnehmer vertragsgerechte Arbeit zuzuweisen. Dies schließt es selbstverständlich nicht aus, insbesondere Führungskräften in der konkreten Ausübung der Arbeit weitreichende Freiheiten einzuräumen. Gleichwohl ist es Sache des Arbeitgebers, den Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich der Arbeitnehmer zu bewegen hat. Ist dies nicht beabsichtigt, liegt kein Arbeitsverhältnis vor (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB).

Ebenso unzutreffend ist die in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten vertretene Auffassung, sie sei zwar vereinbarungsgemäß zur Zahlung der Vergütung nach der Entgeltgruppe 14 TVöD-VKA, nicht aber zu einer entsprechenden Beschäftigung des Klägers verpflichtet. Tatsächliche Umstände, die den Schluss auf eine derartige Vereinbarung zuließen, sind nicht vorgetragen worden. Das Gegenteil ist der Fall. Auf §§ 2 und 4 des Arbeitsvertrages sowie die Ziffern 1 und 2 des Vergleichs vom 01.09.2015 (LAG Köln 3 Sa 864/14) wird Bezug genommen.

Der Kläger war nicht berechtigt, sich als Reaktion auf das Verhalten bzw. Unterlassen der Beklagten seinerseits vertragswidrig zu verhalten. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger berechtigt gewesen wäre, der Arbeit ganz oder zeitweise fernzubleiben. Hierauf kommt es nicht an. Das Zeiterfassungsgerät ist unabhängig von einem Streit über Inhalt und Umfang der Arbeit ordnungsgemäß zu bedienen; wird dies vom Arbeitnehmer nicht beachtet, liegt eine Pflichtverletzung vor, die „an sich“ geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

Im konkreten Fall erwiese sich die außerordentliche Kündigung jedoch selbst dann als unwirksam, wenn davon ausgegangen wird, der Kläger habe das Arbeitszeiterfassungsgerät in dem von der Beklagten angenommenen Umfang falsch bedient. Die Beklagte wäre gehalten gewesen, den Kläger zunächst abzumahnen.

Es liegt kein Fall vor, in dem auf der Basis der Rechtsprechung des BAG von einer Entbehrlichkeit der Abmahnung auszugehen wäre. Zunächst ist nicht anzunehmen, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten gewesen wäre. Hierfür bestehen keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Vielmehr wäre eine Abmahnung geeignet gewesen, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Beklagte selbst gegenüber dem Kläger den Eindruck vermittelt hat, dass Verstöße gegen die Pflicht zur korrekten Zeiterfassung von ihr als nicht derart schwerwiegend angesehen werden, dass sie das Arbeitsverhältnis ohne vorherige Abmahnung kündigen würde. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, sie habe den Kläger bei Verstößen in der Vergangenheit zunächst auf seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Zeiterfassung hingewiesen. Nach weiteren Verstößen sei er ermahnt worden (vgl. den Vortrag der Beklagten auf Seite 13 des Schriftsatzes vom 19.11.2020 = Bl. 763 d.A.). Da sie selbst vermeintliche vorherige Verstöße noch nicht einmal mit einer Abmahnung sanktioniert hat, war sie gehalten, dem Kläger vorab deutlich zu machen, dass er bei weiteren Pflichtverletzungen nicht mehr mit relativ milden Reaktionen der Beklagten zu rechnen hat. Aus diesen Erwägungen ergibt sich zugleich, dass es sich bei dem Vorwurf der Beklagten nicht um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war.

Selbst wenn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine vorherige Abmahnung als nicht erforderlich anzusehen wäre, ergäbe sich kein anderes Ergebnis, weil die Interessenabwägung wegen der Besonderheiten des konkreten Falls zugunsten des Klägers ausfallen würde. Sein Interesse an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist überwiegt das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Für ein Überwiegen des Interesses der Beklagten spricht zwar, dass das Arbeitsverhältnis bei Ausspruch der Kündigung nicht besonders lang bestanden hat und vor allem keineswegs störungsfrei verlaufen ist. Aus Sicht der Kammer ist jedoch zu berücksichtigen, dass die vermeintlichen Pflichtwidrigkeiten des Klägers erst die Reaktion auf das vertragswidrige Verhalten der Beklagten waren. Sie war und ist verpflichtet, den Kläger vertragsgemäß zu beschäftigen. Wie oben ausgeführt, war der Kläger nicht berechtigt, auf den Pflichtenverstoß der Beklagten mit einer Falschbedienung des Arbeitszeiterfassungsgeräts zu reagieren. Gleichwohl kommt den Pflichtverletzungen des Klägers in diesem Zusammenhang ein erheblich geringeres Gewicht zu als bei einem vertragsgerechten Verhalten der Beklagten. Zu Lasten der Beklagten ist zu beachten, dass sie sich gegenüber dem Kläger nicht immer sachgerecht, sondern teilweise schikanös verhalten hat. Selbst wenn zugunsten der Beklagten davon ausgegangen wird, dass der Umgang mit dem Kläger sicherlich nicht ganz einfach für die Beklagte war, ist gleichwohl im Ergebnis zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass sie auf eine schwierige Situation nicht angemessen reagiert hat. Die schwierige Situation ist dem Kläger nicht anzulasten. Sie geht darauf zurück, dass der Kläger mit einem unbefristeten Vertrag ausgestattet wurde, der die Bezahlung nach der Vergütungsgruppe 14 TVöD als persönlicher Referent des damaligen Oberbürgermeisters vorsah. Nachdem der Kläger – aus welchen Gründen auch immer – bei dem damaligen Oberbürgermeister in Ungnade gefallen war, sah sich die Verwaltung mit dem Problem konfrontiert, dem Kläger Arbeit zuzuweisen, die eigentlich gar nicht da war. Der Beklagten ist es nicht gelungen, dem Kläger quantitativ und qualitativ vertragsgemäße Tätigkeiten zuzuweisen. Aus Sicht der Kammer bestand für sie in dieser Situation kein nachvollziehbarer Anlass, vom Kläger zu erwarten, regelmäßig im Büro zu verweilen, ohne dass er ausreichend vertragsgerechte Arbeit zugewiesen bekam. Wie sich aus den gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen (S. 39 f. des Gutachtens) ergibt, kann ein derartiges Verhalten des Arbeitgebers jedenfalls Auslöser für eine Verschlechterung einer vorbestehenden psychischen Störung sein. Als ebenfalls schikanös ist das Zusenden einer Stellenausschreibung der Stadt W mit der Einstufung in die Entgeltgruppe 9c TVöD/VKA zu werten.

Vor dem geschilderten Hintergrund ist die ebenfalls nicht angemessene Reaktion des Klägers auf das Verhalten nicht als derart schwerwiegend anzusehen, dass die Interessenabwägung zu seinen Lasten ausgehen würde.

II. Die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 12.06.2019 ist ebenfalls unwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 2 KSchG).

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass der Ausspruch einer Abmahnung als angemessene Reaktion auf die von der Beklagten angenommenen Pflichtverletzungen anzusehen gewesen wäre.

Unabhängig hiervon fällt auch in Bezug auf die ordentliche Kündigung die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers aus. Sein Interesse an einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überwiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten. Auch insoweit kann auf die Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung verwiesen werden. Wegen der dargestellten Besonderheiten des konkreten Falls wiegen die vermeintlichen Pflichtverletzungen des Klägers nicht derart schwer, dass dem Beendigungsinteresse der Beklagten ein höheres Gewicht als dem berechtigten Interesse des Klägers an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zukäme.

III. Der auf die Zahlung einer „Entschädigung und eines Schmerzensgeldes“ gerichtete Antrag ist unzulässig. Zwar kann er – wie es das Arbeitsgericht bereits zutreffend getan hat (S. 13 des Schlussurteils) – dahingehend ausgelegt werden, dass es dem Kläger lediglich um eine Entschädigung geht. Dies hat er selbst in der Begründung seines Antrags (S. 29 des Schriftsatzes vom 25.09.2019 = Bl. 99 d.A.) deutlich gemacht. Dennoch erweist sich der Antrag als unzulässig, weil er nicht dem Bestimmtheitsgebot (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) genügt.

1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift neben einem bestimmten Antrag auch eine bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat (BAG 30.10.2019 – 10 AZR 177/18 – Rn. 15).

2. Nach diesen Grundsätzen erweist sich der Klageantrag als unzulässig, weil er dem Bestimmtheitsgebot nicht genügt. Der Kläger hat trotz des Hinweises des Gerichts vom 05.11.2021 nicht deutlich gemacht, auf welchen Zeitraum sich sein Antrag konkret bezieht. Im Schriftsatz vom 08.11.2021 hat er auf Seite 1 ausgeführt, es gehe um die unzureichende Beschäftigung und Integration in die laufenden Geschäfte des Kulturbetriebs seit 2016. Auf Seite 2 hat der Kläger darauf hingewiesen, die geltend gemachte Mindestentschädigung betrage gut 13 Monatsgehälter. Gemessen an der Dauer der unzureichenden Beschäftigung von inzwischen mehr als sechs Jahren entspreche dies einem Betrag von gut zwei Monatsgehältern pro Jahr; gemessen an der Dauer der unzureichenden Beschäftigung im Zeitpunkt der Erweiterung der Klage von rund drei Jahren und 9 Monaten gut dreieinhalb Monatsgehältern pro Jahr.

Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, wann der Zeitraum, auf den sich der Antrag bezieht, beginnt und wann er endet. Wenn bezogen auf den 08.11.2021 mehr als sechs Jahre zurückgerechnet wird, ergäbe sich ein Beginn im Jahr 2015. Wenn ab dem Eingang der Klageerweiterung, die am 27.09.2019 beim Arbeitsgericht erfolgt ist, drei Jahre und neun Monate zurückgerechnet wird, ergäbe sich ein Beginn am 01.01.2016. Was nun gelten soll, hat der Kläger nicht klargestellt.

Ebenso unkonkret sind die Ausführungen des Klägers zu dem Ende des aus seiner Sicht maßgeblichen Zeitraums. Wenn auf den Zeitpunkt der Zustellung der Klageerweiterung abgestellt werden sollte, würde der Zeitraum, auf den sich der Antrag bezieht, Ende September 2019 zu Ende gegangen sein. Wenn auf die „Dauer der unzureichenden Beschäftigung von inzwischen mehr als sechs Jahren“ abgestellt werden sollte, würde der Zeitraum, auf den sich der Antrag bezieht, Ende November 2021 zu Ende gegangen sein. Auch dies geht aus den Ausführungen des Klägers indes nicht deutlich hervor, weil seine Ausführungen auch so verstanden werden können, dass er von einem „open end“ ausgeht. In beiden Varianten würde sich die Frage stellen, wie sich diese Annahme damit verträgt, dass das Arbeitsgericht einerseits über den Antrag bereits am 22.09.2020 entschieden hat und das Vorbringen des Klägers andererseits so zu verstehen ist, dass er den Streitgegenstand im Berufungsverfahren nicht verändern wollte.

Die Festlegung des konkreten Beginns und des konkreten Endes des Zeitraums, auf den sich der Klageantrag bezieht, konnte vom Kläger nicht offengelassen werden. Die Dauer des Zeitraums hat nicht nur Einfluss auf die Höhe einer möglichen Entschädigung. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass nur mit einer entsprechenden Klarstellung in einem möglichen Folgeprozess klar wäre, wie weit die Rechtskraft eines in diesem Verfahren ergangenen Urteils reichen würde. Würde der Kläger etwa in einem Folgeprozess erneut eine Entschädigung geltend machen und diesen Anspruch unter anderem auf Vorgänge aus dem Jahr 2019 stützen, müsste sich aus dem hiesigen Urteil ergeben, ob über Vorgänge aus dem Jahr 2019 in Bezug auf die Entschädigungsforderung des Klägers bereits rechtskräftig entschieden worden ist oder nicht.

Die Kammer hatte keinen Anlass, den Kläger gemäß § 139 ZPO erneut auf die Unbestimmtheit des Antrages hinzuweisen. Nach dem erteilten Hinweis des Gerichtes war es Sache des Klägers, die Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrages auszuräumen.

IV. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Aushändigung einer Tätigkeitsbeschreibung.

1. Der Klageantrag ist nach der gebotenen Auslegung zulässig. Es liegt keine unzulässige alternative Klagehäufung vor. Der Kläger hat mit dem Antrag nur einen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt. Er stützt den Anspruch ausschließlich auf die Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Beklagte, nicht aber auf eine vermeintlich rechtsverbindliche Zusage von Herrn Müller. Vor diesem Hintergrund war der Kläger nicht gehalten, dem Gericht die von ihm gewünschte Reihenfolge der Prüfung vorzugeben.

a) Eine alternative Klagehäufung verstößt gegen das Gebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, den Klagegrund bestimmt zu bezeichnen, wenn die klagende Partei dem Gericht die Auswahl überlässt, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt. Deshalb muss, was auch konkludent möglich ist, eine Reihenfolge gebildet werden, in der die Streitgegenstände zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden. Dies ist noch im Lauf des Verfahrens möglich (BAG 25.01.2023 – 10 AZR 29/22 – Rn. 16; 30.03.2022 – 10 AZR 419/19).

b) Der Kläger stützt den geltend gemachten Anspruch nur auf den Grundsatz der Gleichbehandlung. Dies ergibt sich aus seinen Ausführungen auf Seite 30 des Schriftsatzes vom 25.09.2019 (Bl. 100 d.A.) und aus dem Schriftsatz vom 28.09.2020 (Bl. 615 d.A.). Dort wird lediglich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Bezug genommen und nicht auf eine vermeintliche Zusage der Beklagten. Der Kläger ist – für das Gericht gut nachvollziehbar – offensichtlich nicht von einer rechtsverbindlichen Zusage ausgegangen.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Tätigkeitsbeschreibung aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Dies gilt selbst dann, wenn zu seinen Gunsten davon ausgegangen wird, es sei bei der Beklagten üblich, Tätigkeitsbeschreibungen zu erstellen. Daraus erwächst kein Anspruch, ebenfalls eine Tätigkeitsbeschreibung zu erhalten. Die Tätigkeitsbeschreibung stellt ein Hilfsmittel für Arbeitgeber und Arbeitnehmer dar. Sie ist nicht dazu bestimmt, bestimmte Rechte oder Pflichten zu begründen.

Unabhängig davon besteht der Anspruch auch deswegen nicht, weil es der Beklagten nach der Einschätzung des Klägers, die die Kammer teilt, derzeit gar nicht möglich ist, eine Tätigkeitsbeschreibung zu erstellen. Denn die Beklagte verfügt nach wie vor nicht über Aufgaben für den Kläger, die sie ihm unter Berücksichtigung seiner Vergütungsgruppe zuweisen könnte. Eine Tätigkeitsbeschreibung kann jedoch nur dann erstellt werden, wenn der Arbeitgeber zuvor festgelegt hat, welche Tätigkeiten er dem Arbeitnehmer zuweisen möchte. Letztlich zielt der Kläger mit dem Antrag darauf, seinen Beschäftigungsanspruch durchzusetzen. Hierfür ist der auf Erteilung einer Tätigkeitsbeschreibung gerichtete Antrag jedoch ein ungeeignetes Mittel.

V. Der sich auf die Anwesenheitspflicht bei gleichzeitiger Nichtbeschäftigung beziehende Feststellungsantrag ist unzulässig. Dies hat bereits das Arbeitsgericht mit zutreffender Begründung angenommen. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt keine zulässige Elementenfeststellungsklage vor.

1. Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Die Feststellungsklage muss sich nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis als Ganzes beziehen. Sie kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf den Umfang einer Leistungspflicht oder – wie hier – auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen beschränken (sog. Elementenfeststellungsklage; st. Rspr., zB BAG 29.06.2022 – 6 AZR 411/21 – Rn. 44; 08.12.2021 – 10 AZR 641/19 – Rn. 14).

Ein Feststellungsinteresse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO fehlt, wenn durch die Entscheidung kein Rechtsfrieden geschaffen wird. Die Rechtskraft der Feststellungsentscheidung muss daher weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen, den Streit insgesamt beseitigen und das Rechtsverhältnis abschließend klären (BAG 29.06.2022 – 6 AZR 411/21 – Rn. 46).

2. Nach diesen Grundsätzen erweist sich der Antrag als unzulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht nicht, weil eine Entscheidung in der Sache keinen Rechtsfrieden zwischen den Parteien in dieser Frage schaffen würde. Zwischen den Parteien bliebe streitig, wann von einer Nichtbeschäftigung des Klägers auszugehen wäre. Dies gilt sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht.

VI. Die geltend gemachten Zahlungsansprüche sind überwiegend nicht gegeben. Der Kläger kann lediglich eine anteilige Sonderzuwendung für 2019 iHv 1.283,90 EUR und ein anteiliges Leistungsentgelt für 2019 iHv 192,26 EUR beanspruchen.

1. Die Zahlungsanträge sind nach der gebotenen Auslegung zulässig. Es liegt keine unzulässige alternative Klagehäufung vor.

a) Der Kläger hat für den Zeitraum vom 01.06.2019 bis zum 09.06.2019 nicht zusätzlich zu dem auf §§ 611a Abs. 2, 326 Abs. 2 BGB gestützten Anspruch einen weiteren Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt. Dem stehen die Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Seite 17 des Schlussurteils nicht entgegen. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, dass der Kläger für den Zeitraum vom 01.06.2019 bis zum 09.06.2019 einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall habe, der nicht tenoriert worden sei.

Dieser mögliche Anspruch des Klägers ist zurecht nicht tenoriert worden, weil der Kläger den Anspruch nicht auf §§ 611a Abs, 2, 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG gestützt hat. Hierauf hat das Berufungsgericht den Kläger mit Schreiben vom 05.11.2021 (Bl. 1359 f. d.A.) hingewiesen. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten, sondern hat lediglich ausgeführt, das Urteil des Arbeitsgerichts sei nach § 319 Abs. 1 ZPO zu berichtigen (S. 2 f. des Schriftsatzes vom 08.11.2021 = Bl. 1381 f. GA).

Vor diesem Hintergrund war es dem Gericht verwehrt, darüber zu entscheiden, ob dem Kläger ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zustand (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

b) Mit den Zahlungsanträgen macht der Kläger einen Erfüllungs- und nicht zusätzlich einen Schadenersatzanspruch geltend. Er stützt den Anspruch auf zwei Alternativen des § 326 Abs. 2 BGB. Bei dem Anspruch aus § 326 Abs. 2 BGB handelt es sich nicht um einen Schadenersatzanspruch, sondern um den aufrechterhaltenen Erfüllungsanspruch (BAG 23.09.2015 – 5 AZR 164/14 – Rn. 23). Dagegen hat der Kläger nicht geltend gemacht, ihm stehe ein Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zu.

Für den auf zwei Alternativen des § 326 Abs. 2 BGB gestützten Zahlungsantrag hat der Kläger dem Gericht die Prüfungsreihenfolge vorgegeben. Er stützt den Anspruch in erster Linie darauf, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befand, als ihm die Erbringung der Arbeitsleistung aus einem von ihm nicht zu vertretenen Umstand unmöglich wurde und damit auf § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 2. Nachrangig leitet er den Anspruch aus § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1 ab, weil er annimmt, die Beklagte sei für seine Leistungsunfähigkeit „allein oder überwiegend verantwortlich“.

2. Es ist nicht aus grundsätzlichen Erwägungen wegen der Besonderheiten des Schuldverhältnisses, das durch den Abschluss eines Arbeitsvertrages zustande kommt, ausgeschlossen, dass dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung aus §§ 611a Abs. 2, 326 Abs. 2 Satz 1 BGB zusteht. Der Anwendungsbereich von § 326 Abs. 2 BGB umfasst sämtliche gegenseitigen Verträge und findet auch auf Arbeitsverhältnisse Anwendung (BAG 23.09.2015 – 5 AZR 146/14 – Rn. 25).

3. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der jeweiligen Monatsvergütung für den Zeitraum von Juni 2019 bis Mai 2020 aus §§ 611a Abs. 2, 326 Abs. 2 Satz 1 BGB 2. Alt.

Nach § 275 Abs. 1 BGB führt die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zum Ausschluss des Leistungsanspruchs des Arbeitgebers. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gegenleistung entfällt nach § 326 Abs. 1 BGB, bleibt aber gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB erhalten, wenn der Umstand, aufgrund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu leisten braucht, zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.

Es kann dahinstehen, ob sich die Beklagte bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 29.04.2019 in Annahmeverzug befand, wie der Kläger meint, weil ihm die Beklagte keine Arbeiten zugewiesen hat. Die 2. Alternative des § 326 Abs. 2 BGB ist schon deswegen nicht anwendbar, weil sich die Beklagte während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht in Annahmeverzug befand (§ 297 BGB). Der Kläger hatte zunächst weiterhin einen Anspruch auf Vergütung, weil er Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beanspruchen konnte. Auch bei diesem Anspruch handelt es sich um den aufrechterhaltenen Vergütungsanspruch aus § 611a Abs. 2 BGB (BAG 23.02.2022 – 10 AZR 992/01).

Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit § 3 EFZG für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eine Spezialregelung zu § 326 Abs. 2 Alt. 2 BGB getroffen hat, die den Anspruch auf sechs Wochen begrenzt.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der jeweiligen Monatsvergütung für den Zeitraum von Juni 2019 bis Mai 2020 aus §§ 611a Abs. 2, 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1. Die Beklagte war für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung des Klägers nicht verantwortlich iSv. § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1.

a) Der Anspruch aus §§ 611a Abs. 2, § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1 wird durch das EFZG nicht ausgeschlossen. Hat der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verschuldet, hat der Arbeitnehmer einen zeitlich nicht begrenzten Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung aus §§ 611a Abs. 2, § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1 (NK/Sievers § 3 EFZG Rn. 81 mwN). Ebenso wie § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 2 stellt § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1 keine eigene Anspruchsgrundlage dar, sondern erhält einen bereits bestehenden Anspruch aufrecht (BAG 12.09.2022 – 6 AZR 261/21 – Rn. 25).

b) Verantwortlich nach § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1 meint Vertretenmüssen iSd. §§ 276, 278 BGB, d.h. mindestens fahrlässiges Handeln. Anders als in der Vorgängerregelung des § 324 Abs. 1 BGB aF enthält § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB Alt. 1 nicht ausdrücklich die Vorgabe, dass der Gläubiger den Umstand „zu vertreten“ hat. Doch kann für die Bestimmung des Begriffs „verantwortlich“ auf die amtlichen Überschriften der §§ 276, 278 BGB zurückgegriffen werden, die „Verantwortlichkeit des Schuldners“ bzw. „Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte“ lauten. Damit ist vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln gemeint. Die Gesetzesbegründung zu § 326 Abs. 2 BGB zeigt, dass der Gesetzgeber an die Vorgängerregelung anknüpfen wollte, weil die Norm den „bisherigen § 324 mit leichten Umformulierungen übernimmt“ (BT-Drs. 14/6040 S. 189). Das Verschuldensprinzip ist auch bei der Nachfolgeregelung zugrunde zu legen (BAG 23.09.2015 – 5 AZR 146/14 – Rn. 28). Zu beachten ist, dass es nach dem Gesetzeswortlaut für ein Fortbestehen des Anspruchs genügt, wenn eine „weit überwiegende“ Verantwortlichkeit des Gläubigers gegeben ist.

Die Formulierung „weit überwiegend“ ist gewählt worden, um Fälle zu erfassen, bei denen im Anwendungsbereich des § 254 BGB die „weit“ überwiegende Verantwortlichkeit der Alleinverantwortlichkeit gleichgestellt wird (Beckmann in: jurisPK-BGB, § 326 BGB Rn. 21).

Dieser Gesichtspunkt ist auch bei der Kausalitätsprüfung zu beachten. Zwar gilt im Ausgangspunkt, dass der Anspruch nur besteht, wenn das vorsätzliche oder fahrlässige Verhalten des Gläubigers die Leistungsunmöglichkeit des Schuldners verursacht hat (BGH 26.10.1979 – V ZR 58/76 – Rn. 23; Beckmann in: jurisPK-BGB, § 326 BGB Rn. 20). Es bedarf allerdings nicht der alleinigen Verursachung durch den Gläubiger. Das Tatbestandsmerkmal „weit überwiegende Verantwortlichkeit“ verdeutlicht, dass die in § 326 Abs. 2 BGB vorgesehenen Rechtsfolgen auch dann eintreten, wenn neben dem Gläubiger noch ein Dritter eine geringfügige Verantwortlichkeit trägt.

Die Darlegungs- (und Beweis-) last für das Vertretenmüssen trägt der Schuldner (hier: den Kläger). Diese Annahme entspricht dem allgemeinen Beweislastgrundsatz, dass derjenige, der aus einer ihm günstigen Norm Rechte herleitet, deren tatsächlichen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen hat (BGH 11.12.1991 – VIII ZR 31/91 – Rn. 39; vgl. auch MükoBGB/Ernst § 326 BGB Rn. 124).

c) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer mit den vereinbarten Tätigkeiten zu beschäftigen (vgl. zum „allgemeinen vertraglichen Beschäftigungsanspruch“ BAG Großer Senat 27.02.1985 – GS 1/84 – zu C I 2 der Gründe; BAG 12.09.2021 – 6 AZR 121/21 – Rn. 29). Allein die Nichtbeschäftigung eines Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum und die sich daran anschließende längere Arbeitsunfähigkeit sind für die Annahme, der Arbeitgeber sei für die Unmöglichkeit allein oder weit überwiegend verantwortlich, nicht ausreichend. Eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers kann allerdings gegeben sein, wenn er zum einen dem Arbeitnehmer keine oder zu wenige vertragsgerechten Tätigkeiten zuweist und zum anderen von ihm verlangt, sich dennoch am Arbeitsplatz aufzuhalten und das Zeiterfassungsgerät zu bedienen. Hiervon gehen nicht nur die den Kläger behandelnden Ärzte, sondern auch der vom Gericht bestellte Sachverständige in seinem Gutachten aus (vgl. S. 40).

d) Die Beklagte hat es nicht allein und auch nicht weit überwiegend zu vertreten, dass es dem Kläger im Zeitraum von Juni 2019 bis Mai 2020 krankheitsbedingt unmöglich war, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Hiervon war bei der Entscheidungsfindung des Gerichts auszugehen, weil nicht feststeht, ob die Arbeitsunfähigkeit des Klägers eingetreten ist, weil ihn die Beklagte zuvor nicht bzw. kaum beschäftigt hat. Dies geht zu Lasten des Klägers, weil er nach allgemeinen Grundsätzen für die Kausalität darlegungs- und beweispflichtig ist

aa) Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung darüber zu befinden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr erachtet oder nicht.

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sich das Gericht mit dem eingeholten Sachverständigengutachten und der hieran geäußerten Kritik auseinanderzusetzen. Ebenfalls zu berücksichtigen und zu würdigen sind vorgelegte Privatgutachten. Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, ist besondere Sorgfalt gefordert. Das Gericht darf in diesem Fall – wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger – den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass es ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt. Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen, ihnen nachgehen und den Sachverhalt gegebenenfalls weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Insbesondere bietet sich die mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO an. Ein Antrag der beweispflichtigen Partei ist dazu nicht erforderlich. Gegebenenfalls hat das Gericht den Sachverständigen unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter anzuhören, um dann entscheiden zu können, wieweit es den Ausführungen des Sachverständigen folgen will. Wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige weder durch schriftliche Ergänzung seines Gutachtens noch im Rahmen seiner Anhörung die sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen auszuräumen vermag, muss der Tatrichter im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gemäß § 412 ZPO ein weiteres Gutachten einholen (BGH 26.02.2020 – IV ZR 220/19 – Rn. 12).

Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass ein Privatgutachten als qualifizierter Parteivortrag zu werten ist, dem in Bezug auf die Richtigkeit darin enthaltener Angaben nicht die Kraft eines Beweismittels iSd. §§ 355 ff. ZPO zukommt. Die gutachterliche Stellungnahme eines Arztes, der nicht vom Gericht als Sachverständiger bestellt worden ist, begründet dementsprechend – für sich genommen – nach § 416 ZPO lediglich Beweis dafür, dass er die in der Urkunde enthaltenen Erklärungen abgegeben hat, nicht aber, dass die ihr zugrunde gelegten Befunde und Schlussfolgerungen zutreffend sind. Etwas anderes gilt nur, wenn beide Parteien damit einverstanden sind, dass das Privatgutachten als Sachverständigengutachten im Sinne eines Beweismittels herangezogen wird (BAG 22.08.2018 – 5 AZR 592/17- Rn. 27).

bb) Danach steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil das Gericht unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze und des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt ist, dass der Kläger wegen des Umgangs der Beklagten mit ihm an seinem Arbeitsplatz arbeitsunfähig erkrankt ist. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte für die Erkrankung des Klägers in den Monaten Juni 2019 bis Mai 2020 weit überwiegend verantwortlich ist. Der nach den obigen Ausführungen darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat den Beweis für die Tatsachen, die den Schluss auf eine vollständige bzw. eine zumindest weit überwiegende Verantwortlichkeit der Beklagten für seine Arbeitsunfähigkeit begründen würden, auch nicht auf andere Weise führen können. Die vorliegenden Bescheinigungen und Erklärungen der den Kläger behandelnden Ärzte begründen ebenso wenig wie das Privatgutachten die Überzeugung des Gerichts, dass die Behauptung des Klägers, er sei aufgrund des (rechtswidrigen) Verhaltens der Beklagten ihm gegenüber erkrankt, wahr ist.

Zu dem vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachten ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Sachverständige die beweisbedürftige Behauptung des Klägers nicht bestätigt hat. Es ist in Bezug auf die Beweisfrage unergiebig bzw. negativ ergiebig. Die notwendige Überzeugung des Gerichts von der Behauptung des Klägers ergibt sich auch nicht aus dem übrigen Inhalt der Verhandlungen und den vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen wie insbesondere dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten. Vor diesem Hintergrund konnte dem Klageantrag nicht stattgegeben werden. Eine Entscheidung im Sinne des Klägers wäre nur noch möglich gewesen, wenn die Kammer zu der Auffassung gelangt wäre, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung geboten gewesen wäre. Dies war nicht der Fall.

Es bestand auch kein Anlass, den Beweisbeschluss zu erweitern. Dies ist auch von den Parteien nicht geltend gemacht worden. Die Anregung des Klägers im Schriftsatz vom 24.11.2021 (Bl. 1417 d.A.) hat sich nicht auf den hier zu behandelnden Antrag bezogen.

Das Gericht hat auch davon abgesehen, eine schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens zu veranlassen oder eine mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 411 Abs. 3 ZPO durchzuführen. Es konnte auch davon abgesehen werden, eine Gegenüberstellung des Sachverständigen mit dem Privatgutachter durchzuführen. Schließlich bestand kein Anlass, gemäß § 412 Abs. 1 ZPO eine gänzlich neue Begutachtung durch denselben oder einen anderen Sachverständigen anzuordnen. Von den geschilderten Maßnahmen wäre kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten gewesen.

Zu dieser Auffassung ist die Kammer aufgrund der gut nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des vom Gericht bestellten Sachverständigen Dr. G gelangt. Dieser hat die entsprechende Beweisfrage dahingehend beantwortet, dass eine Kausalität zwischen dem Verhalten der Beklagten und der Erkrankung des Klägers nicht nachzuweisen sei. Dem folgt die Kammer. Die vom Kläger erhobenen Einwände gegen das Gutachten und den Sachverständigen sind nicht durchschlagend.

Der Sachverständige hat zunächst den Sachverhalt umfassend und gründlich berücksichtigt und sich durch die Untersuchung des Klägers einen persönlichen Eindruck verschafft. Er ist von den zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen.

Es ergibt sich in Bezug auf die ärztlichen Atteste und Diagnosen nach dem Sachverständigengutachten folgende stichwortartige Übersicht:

2013

Gutachten S. 8 f.: Ab 2013 zunehmend neben körperlichen Beschwerden psychische Symptome dokumentiert

21.10.2013

Gutachten S. 9: Unter Diagnosen tauchen die Stichwörter „psychosomatische Depression und Mobbing“ auf

05.11.2013

Gutachten S. 17: Dokumentation Dr. Hegemann

Multiple Beschwerden nach Auseinandersetzung mit OB

So auch Kläger ggü. SV Gutachten S. 22

Kläger bezieht sich auf Auseinandersetzung mit OB April und Mai 2013

Ab 11/2013

Gutachten S. 33: „psychiatrische Diagnosen aus Kapitel F der ICD-10 seit 11/13 dokumentiert, dem Beginn der Behandlung bei Arzt für Nervenheilkunde und Neurologie Dr. H

Seitdem entweder eine Anpassungsstörung oder – im Verlauf – eine depressive Störung diagnostiziert

Ab 11/2013

Gutachten S. 9: Frau Dr. F aus der Praxis Dr. V diagnostiziert „allmählich psychosomatische Krankheitssymptome“

Bereits am 07.10.2013 Diagnose „Mobbingsyndrom“

07.01.2014

Gutachten S. 9 f.: Frau Dr. F aus der Praxis Dr. V stellt die Diagnose 43.2G: Anpassungsstörung bei Mobbing

27.01.2014

Gutachten S. 18 f. Praxis Dr. Hegemann Diagnosen:

F 32.1

isolierte depressive Episode mittelgradiger Ausprägung

F 32.2

isolierte depressive Episode schwerer Ausprägung

F 33.1

wiederkehrende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung

Auf Nachfrage erklärt Herr Dr. H:

„Am 27.10.2014 (Anmerkung: Schreibfehler; gemeint ist der 27.01.2014) habe ich eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik verschlüsselt (F 43.2). Eine rezidivierende depressive Störung habe ich zu keinem Zeitpunkt festgestellt oder verschlüsselt.“

Schlussfolgerung des SV Gutachten S. 35: geht davon aus, dass 2014 noch keine rezidivierende depressive Störung vorlag

24.08.2014

Gutachten S. 9: Frau Dr. F aus der Praxis Dr. V

Diagnose 43.2G: Anpassungsstörung bei Mobbing

„depressive Störung“

06.01. – 10.02.2015

Gutachten S. 10: Stationärer Aufenthalt Bad Zwesten

Diagnose „Depressive Belastungsreaktion mit deutlicher Somatisierungstendenz“ F 43.2 G

ab 2016

Dr. T diagnostiziert rezidivierende depressive Störung; gegenwärtig mittelgradig = F 33.1

2016

Gutachten S. 4: gibt Inhalt Bescheinigung Dr. T vom 24.08.2020 wieder: seit Sommer 2016 ist Kläger bei ihm wegen einer depressiven Störung in Behandlung

Dr. T führt aus, dass der Kläger 2016 wegen fehlender Zuweisung von Arbeit arbeitsunfähig war.

ähnlich Bescheinigung Dr. T vom 27.08.2019 (Bl. 177 d.A.)

21.05.2019

Gutachten S. 15: Überweisung zum Psychiater

29.04.2019 – 09.09.2020

 

Gutachten S. 15: Dr. V diagnostiziert

mittelgradige Depression mit typischen Begleitsymptomen F.32.1

Panikattacke 41.0

24.05.2019

Gutachten S. 15: Untersuchung Kläger wegen Zweifeln Beklagte an seiner AU durch MDK

Arbeitsunfähigkeit bestätigt

25.08.2020

Bescheinigung Dr. Vorwold (Bl. 1468 d.A.):

Diagnose ab 29.04.2019: depressive Störung

„aus medizinischer Sicht ein klarer kausaler Zusammenhang zwischen der Nichtzuteilung von Arbeit“ und Erkrankung

Die Aufstellung verdeutlicht, dass der Sachverständige den Sachverhalt vollständig und gründlich erfasst hat.

Er hat auch die Beweisfrage richtig erfasst. Dem steht nicht entgegen, dass er auf Seite 40 den Begriff „sozialrechtliche Fragestellung“ verwandt hat. Die damit verknüpfte Schlussfolgerung, dass Kausalität nur bejaht werden kann, wenn gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die Ursächlichkeit bestimmter Einwirkungen für die Entstehung des streitigen Gesundheitsschadens bestehen, beansprucht auch für die Arbeitsgerichtsbarkeit Geltung. Auch die Aussage (ebenfalls Seite 40), aus Sicht des Unterzeichners sei es für die Beurteilung im hier vorliegenden Einzelfall von vorrangiger Bedeutung, ob sich eine schuldhafte Einwirkung auf den Kläger durch die Beklagte identifizieren lasse, ist nicht dahingehend misszuverstehen, dass sich der Sachverständige von der Beweisfrage des Gerichts gelöst hat. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach den obigen Ausführungen ein schuldhaftes Handeln der Beklagten eine notwendige Voraussetzung für die Zuerkennung des Antrags darstellt.

Zudem ist der Gesamtzusammenhang in die Betrachtung einzubeziehen. Aus Sicht des Gerichts hat sich der Sachverständige sehr genau an der Beweisfrage orientiert und sie präzise, deutlich und gut nachvollziehbar beantwortet. Sein systematisches Vorgehen zeigt sich darin, dass er nach der Sachverhaltsklärung zunächst fallunabhängige Ausführungen gemacht hat, in denen er die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse dargestellt und erläutert hat, um sie dann auf den Fall anzuwenden. Konkret hat er im ersten Abschnitt des Gutachtens die aus seiner Sicht beurteilungsrelevanten Inhalte der Verfahrensakte zusammengefasst (Seite 3 – 7). Im Anschluss hat er das Ergebnis der über den Kläger geführten Krankengeschichten dargestellt (Seite 7 – 21). Dem hat sich die Auswertung der persönlichen psychiatrischen Untersuchung durch den Sachverständigen angeschlossen (Seite 21 – 32). Auf Grundlage der bis dahin dargestellten Anknüpfungstatsachen ist sodann die fachliche Beurteilung im Hinblick auf die Beweisfrage erfolgt (Seite 32 – 44). Der Sachverständige ist zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt, welches er auf der letzten Seite des Gutachtens zusammengefasst hat.

Die fachliche Beurteilung ist zweiteilig mit einer gut nachvollziehbaren und einleuchtenden Systematik erfolgt. Zunächst hat sich der Sachverständige unter Berücksichtigung aller ihm zugänglichen Unterlagen mit der Diagnose beschäftigt. Dabei hat er die Diagnosen der den Kläger behandelnden Ärzte umfassend berücksichtigt und bewertet und sie im Ergebnis bestätigt. Dabei hat er deutlich gemacht, dass es Umstände in der Person des Klägers gibt, die gegen die Diagnose einer nicht unerheblichen depressiven Störung sprechen und diese konkret benannt. Auf Seite 34 des Gutachtens hat er ausgeführt, dass die vom Kläger zum Ausdruck gebrachte Hoffnung „nicht so recht in das Bild einer nicht nur unerheblichen depressiven Störung passt“. Ähnlich verhalte es sich mit dem Zeiger der Schuld, der beim Kläger stets nach außen gewiesen habe, während beim schwer Depressiven der Zeiger der Schuld in der Regel nach innen zeige. In diesem Zusammenhang hat er gut nachvollziehbar begründet, warum diese beiden Umstände die Diagnose der depressiven Störung im Ergebnis nicht in Frage stellen.

Seine Ausführungen verdeutlichen, dass er den Sachverhalt unparteiisch und keineswegs einseitig zulasten des Klägers gewürdigt hat. Konkret zu nennen ist die Einschätzung der von der Praxis Dr. H getroffenen Diagnosen. Diese hatte – wie dargestellt – am 27.01.2014 gleich dreimal eine depressive Störung in verschiedenen Erscheinungsformen verschlüsselt (vgl. Seite 19 des Gutachtens):

F 32.1

isolierte depressive Episode mittelgradiger Ausprägung

F 32.2

isolierte depressive Episode schwerer Ausprägung

F 33.1

wiederkehrende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung

Auf Nachfrage des Sachverständigen hat Herr Dr. H mitgeteilt, er habe am 27.10.2014 (Anmerkung: Schreibfehler; gemeint ist der 27.01.2014) eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik verschlüsselt (F 43.2). Eine rezidivierende depressive Störung habe er zu keinem Zeitpunkt festgestellt oder verschlüsselt. Damit hat Herr Dr. H für den 27.01.2014 eine vierte (!) Diagnose genannt. Die Verschlüsselung F 43.2. hatte er bis dahin für den 27.01.2014 nicht aufgeführt. Bei einer zu Lasten des Klägers nicht unparteiischen Einstellung des Sachverständigen hätte es nahegelegen, sich mit diesen Diagnosen kritisch auseinanderzusetzen und schon für 2014 zu der Diagnose einer Depression zu kommen. Dies wäre nicht im Sinne des Klägers gewesen, der geltend macht, erst wesentlich später an einer Depression erkrankt zu sein. Der Sachverständige hat sich jedoch auf den zutreffenden Hinweis beschränkt, dass Herr Dr. H seinen Eintrag nicht erläutert hat. Gleichwohl ist der Sachverständige von der Richtigkeit der eingeholten Auskunft von Herrn Dr. H ausgegangen und ist somit zu dem Schluss gekommen, dass sich der Hinweis auf eine mögliche rezidivierende depressive Störung bereits 2014 nicht bestätigt habe. Im Ergebnis hat der Sachverständige die diagnostischen Feststellungen der Behandler des Klägers bestätigt (Seite 36 des Gutachtens).

Gleichzeitig hat der Sachverständige für das Gericht gut nachvollziehbar das Vorgehen der ärztlichen Kollegen aus fachärztlicher Sicht kritisch betrachtet. Dies mag für die Beantwortung der Beweisfrage nicht zwingend erforderlich gewesen sein; diese zusätzlichen Ausführungen schaden jedoch nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Sie waren für die Entscheidungsfindung des Gerichts hilfreich, weil sie verdeutlichen, warum die behandelnden Ärzte und der Sachverständige bei gleicher Diagnose hinsichtlich der Kausalität zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen sind. Während der Sachverständige den Sachverhalt umfassend gewürdigt hat und durch die Studie der Verfahrensakte einen Eindruck von der Position der Beklagten bekommen konnte, sind die behandelnden Ärzte ausschließlich von den Berichten ausgegangen, die sie vom Kläger erhalten haben. Um Missverstände zu vermeiden, weist das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass es die einseitige Betrachtung aus Sicht des Klägers während einer ärztlichen Behandlung nicht zu bewerten hat und nicht bewerten will. Aus ärztlicher Sicht mag es gute Gründe dafür geben, grundsätzlich von der Schilderung des Patienten auszugehen. Problematisch wird dies jedoch dann, wenn die so ermittelten Diagnosen als zutreffend und objektiv in Gerichtsverfahren eingeführt werden sollen. Die auf dieser Grundlage erstellten Atteste können schon deswegen nicht objektiv sein, weil die behandelten Ärzte nur Kenntnis davon hatten, was ihnen der Kläger zu dem Konflikt am Arbeitsplatz aus seiner subjektiven Sicht mitgeteilt hat. Ohne Kenntnis der näheren Umstände und vor allem einer Stellungnahme der Arbeitgeberin zu dieser Frage war es ihnen nicht möglich, objektive Aussagen zu treffen. Angesichts der vom Sachverständigen dargestellten Diagnose, dass der Zeiger der Schuld beim Kläger stets nach außen zeige, wird auch der kritische Hinweis auf die „extensive Dokumentation des subjektiven Narrativs des Klägers“ gut nachvollziehbar.

Bei Prüfung der Kausalität (Seite 36 ff. des Gutachtens) ist zunächst die bereits angesprochene allgemeine Darstellung zur Erkrankung an einer Depression erfolgt, bei der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt worden sind. Der Sachverständige zeigt auf, dass die im Gutachten näher gekennzeichnete Leitlinie von einer „multifaktoriellen Genese depressiver Störungen“ ausgeht (Seite 36 des Gutachtens). Er verdeutlicht weiterhin, dass Depressionen kein homogenes Krankheitsbild umfassen (Seite 37 des Gutachtens). Gut nachvollziehbar weist er ausdrücklich drauf hin, dass die Heterogenität der Symptome depressiver Störungen es unwahrscheinlich mache, dass ein Faktor allein für die Entstehung einer Depression verantwortlich sei (Seite 37 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang verweist der Sachverständige darauf, dass es Ausnahmefälle gebe, bei denen die Feststellung einer Kausalität deutlich leichter möglich ist. Gemeint sind Katastrophenfälle wie etwa ein Flugzeugabsturz. Im Folgenden untersucht der Sachverständige für den Kläger, ob er von einem Ereignis betroffen war, das als mit einem derartigen Unfall vergleichbar angesehen werden kann. Da dies nicht der Fall ist, ergab sich für den Sachverständigen die gut nachvollziehbare Schlussfolgerung, dass die Kausalitätsfrage nicht im Sinne des Klägers positiv beantwortet werden kann.

Die vom Kläger erhobenen Einwände gegen das Sachverständigengutachten sind aus Sicht der Kammer nicht stichhaltig. Der Kläger hat seine im Schriftsatz vom 24.02.2023 geäußerte Kritik nach einem einleitenden Teil (I und II) den sechs folgenden Themenkomplexen (III) zugeordnet:

1. Umgang des Gutachtens mit den vom Gericht vorgegebenen Anknüpfungstatsachen Seite 5 – 9

2. „Abschnitt „Beurteilung“ auf den Seiten 32 – 44 des Gutachtens Seite 9 – 39

3. Einordnung der Beschwerden des Klägers vor 2013 durch den Sachverständigen und deren Interpretation durch den Sachverständigen auf Seite 35 f. und Seite 43 f. des Gutachtens Seite 39 – 45

4. Angeblich mögliche konkurrierende Wirkfaktoren Seite 45 – 59

5. Mangelhafte Berücksichtigung und falsche Interpretation der ärztlichen Bescheinigungen von Dr. V und Dr. T und deren Sichtweise zur Kausalität Seite 59 – 72

6. Fehlkonstrukt des Sachverständigen Seite 72 – 79

Die folgenden Ausführungen orientieren sich an dieser Gliederung.

Unter I. und II. vertritt der Kläger die Auffassung, dass Gutachten werde weder der Beweisfrage noch dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO noch der Stellung des Sachverständigen gegenüber dem Gericht gerecht. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Sachverständige die Beweisfrage keineswegs missverstanden und/oder uminterpretiert. Zu diesem Punkt und den beiden anderen Gesichtspunkten, die der Kläger an dieser Stelle benannt hat, hat das Gericht bereits in den obigen Ausführungen Stellung bezogen. Hierauf wird Bezug genommen.

Die vom Kläger ausgemachten schweren methodischen Mängel des Gutachtens (Seite 4 des Schriftsatzes) bestehen – wie ebenfalls bereits ausgeführt – nicht. Der Sachverständige hat keine ungleichen Maßstäbe angesetzt. Unzutreffend ist ebenfalls die Darstellung des Klägers, das Gutachten erschöpfe sich in theoretischen Ausführungen und dem Hinweis, dass wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen würden. Wie bereits ausgeführt, hat der Sachverständige zunächst grundlegende Ausführungen zur Kausalität, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, gemacht. Es ist auch keineswegs Aufgabe des Sachverständigen, in dem Gutachten darauf einzugehen, ob und gegebenenfalls in wie vielen und welchen vergleichbaren Fällen er über berufliche Erfahrungen in Bezug auf die Erstellung von Gutachten mit vergleichbarer Beweisfrage verfügt. Sein Hinweis auf Seite 38 des Gutachtens, dass die Frage nach der Kausalität bei der Entstehung einer depressiven Störung in der gutachterlichen Praxis eine Rarität ist, sollte nur der Erläuterung und zum besseren Verständnis seiner gründlich und gut nachvollziehbar begründeten These dienen, dass bei dem Krankheitsbild der Depression regelmäßig viele Ursachen in Betracht kommen.

Die Ausführungen auf Seite 6 des Schriftsatzes zu der Berücksichtigung der vom Gericht vorgegebenen Anknüpfungstatsachen sind zum Teil widersprüchlich und insgesamt unzutreffend. Während es zunächst heißt, dass Gutachten gehe auf sie in keiner Weise ein, wird im nächsten Absatz ausgeführt, das Gutachten berücksichtige lediglich (aber immerhin), dass die Nichtzuweisung von Arbeit als Risikofaktor denkbar wäre. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Sachverständige auf Seite 39 des Gutachtens mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Nichtzuweisung von Arbeit bei gleichzeitiger Anwesenheitspflicht dazu geeignet ist, eine Depression auszulösen. Dies hat der Sachverständige im Sinne des Klägers bejaht. Im Anschluss ist das Gutachten auf die Frage eingegangen, ob eine solche Kausalität auch konkret im vorliegenden Fall feststellbar ist. Der Umstand, dass der Sachverständige zu einem vom Kläger nicht gewünschten Ergebnis gekommen ist, stellt keinen Mangel des Gutachtens dar. Es trifft auch nicht zu, dass der Sachverständige „einen ganz wichtigen Aspekt“ nicht gewürdigt habe, wie der Kläger auf Seite 7 seines Schriftsatzes ausführt. Der Sachverständige hat die aufgeführten Umstände berücksichtigt.

Der Kläger geht in seinen Ausführungen zum Themenkomplex 2 fehl in der Annahme, es sei nicht Aufgabe des Sachverständigen gewesen, die Diagnosen der den Kläger behandelnden Ärzte zu überprüfen. Die Frage nach der Kausalität zwischen bestimmten Verhaltensweisen und der Erkrankung an einer Depression kann nur fundiert beantwortet werden, wenn zunächst geklärt wird, ob überhaupt eine Depression vorliegt. So ist im Übrigen auch der vom Kläger beauftragte Privatgutachter vorgegangen.

Für das Gericht nicht nachvollziehbar ist der Hinweis des Klägers, der Sachverständige habe innerhalb des Abschnitts „Beurteilung“ an keiner Stelle dargelegt, von wem genau welche psychische Diagnose gestellt worden sei. Wie ausgeführt, hat der Sachverständige den Sachverhalt zu Beginn des Gutachtens umfassend dargestellt. Einer Wiederholung an späterer Stelle bedurfte es nicht. Es trifft – wie dargelegt – auch nicht zu, dass sich der Sachverständige nicht mit dem zeitlichen Ablauf der Diagnosen auseinandergesetzt hat. Der Sachverständige ist auch nicht fehlerhaft davon ausgegangen, dass beim Kläger bereits 2013 eine depressive Episode vorgelegen hat. Er hat sich auf Seite 41 des Gutachtens auf die Diagnosen der behandelnden Ärzte bezogen.

Wie der Kläger zu der Annahme einer Voreingenommenheit des Sachverständigen zu seinen Lasten kommt, erschließt sich nicht. Was der Kläger mit dem Hinweis aussagen will, gerade die Fähigkeit, Freude zu empfinden, sei aus fachärztlicher Sicht ein wesentlicher Indikator dafür, dass nicht vom Vorliegen einer depressiven Episode auszugehen sei, ist unklar. Genau dies hat der Sachverständige in seinem Gutachten erläutert.

Es stellt auch keinen Mangel des Gutachtens dar, dass der Sachverständige nicht genaue Seitenzahlen der von ihm berücksichtigten Bücher angegeben hat. Es handelt sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit an einer Universität. Der mehrfach erhobene Vorwurf der Widersprüchlichkeit (so auf Seite 16 des Schriftsatzes) trifft ebenfalls nicht zu. Auf den folgenden Seiten versucht der Kläger teilweise polemisch darzulegen, der Sachverständige habe nicht berücksichtigt, dass nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen chronischer Stress am Arbeitsplatz zu einer Depression führen könne. Genau hiervon ist der Sachverständige allerdings ausgegangen.

Ohne Auswirkungen auf die Qualität des Gutachtens ist auch der Umstand, dass der Sachverständige von „Nichtzuweisen von Arbeit“ spricht. Diese Umschreibung mag dem Kläger nicht gefallen, sie ist allerdings sachlich richtig. Der sich anschließende Hinweis auf Seite 20 oben des Schriftsatzes ist ein Beispiel für die polemische Wortwahl des Klägers (…entweder verkannt oder absichtsvoll ignoriert hat…). Die vom Kläger in den folgenden Seiten dargestellten mehrfachen Widersprüche im Gutachten vermag die Kammer nicht zu erkennen. Es leuchtet auch entgegen der Auffassung des Klägers ein, wenn der Sachverständige auf Seite 39 des Gutachtens ausführt, dass es falsch wäre, aus der Unterscheidung der Diagnosen Anpassungsstörung und depressive Störungen auf eine Kausalitätsbetrachtung im rechtlichen Sinn zu schließen. Damit ist nur gesagt, dass mit keiner der beiden Diagnosen eine verbindliche Aussage zur Kausalität verbunden ist. Nur noch sachwidrig sind die Ausführungen des Klägers auf Seite 25 f. des Schriftsatzes („mangelnde Qualifikation, subjektive Unfähigkeit, besserwisserisch“).

Der Sachverständige hat auch nicht die Vorgaben des Gerichts in Frage gestellt und seine Kompetenzen überschritten. Wie bereits ausgeführt, hat er die Beweisfrage systematisch und gründlich behandelt und schließlich fundiert beantwortet. Er hat auch keinen „Kardinalfehler“ begangen. Zu der Verwendung des Begriffs „sozialrechtliche Fragen“ hat das Gericht bereits Stellung bezogen. Auf den folgenden Seiten wiederholt der Kläger im Wesentlichen seine schon zuvor geäußerte Kritik an dem Gutachten. Wie der Kläger zu der Annahme kommt, es sei eine durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bewiesene Tatsache, dass seine berufliche Situation die Depression ausgelöst habe, erschließt sich dem Gericht nicht. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beweisen, dass der Kläger arbeitsunfähig erkrankt war. Eine Aussage zu der Kausalität treffen sie nicht. Der Sachverständige hat auch nicht über zwei denkbare Konstellationen „spekuliert“, sondern nachvollziehbar begründet, dass beide Konstellationen nicht zu der vom Kläger behaupteten Kausalität führen.

Insgesamt fällt auf, dass der Kläger offensichtlich der Meinung ist, der Sachverständige habe die Aussagen der den Kläger behandelnden Ärzte zur Kausalität seinem Gutachten als zutreffend zugrunde legen müssen. Es wurde bereits dargelegt, dass dies nicht zutrifft. Die Ärzte sind zu dieser Einschätzung allein aufgrund der von ihnen mit dem Kläger geführten Gespräche gekommen. Dies mag im Verhältnis zwischen Arzt und Patient genügen. Für ein Gerichtsverfahren reicht es nicht aus, nur die Sichtweise einer Seite zu berücksichtigen.

Zu dem Themenkomplex 3 ist auszuführen, dass sich der Sachverständige mit den Erkrankungen des Klägers vor 2013 sehr differenziert und gut nachvollziehbar auseinandergesetzt hat. Er weist ausdrücklich auf Seite 35 des Gutachtens darauf hin, dass es erst aus heutiger Sicht naheliegend sei, die festgestellten Symptome als „Ausdruck eines sich entwickelnden psychosomatischen Leidens“ zu verstehen. Wie der Kläger zu der Annahme kommt, er sei aus der Perspektive des Jahres 2022 „gesundheitlich robust“ (so auch auf Seite 43 des Schriftsatzes) gewesen, erschließt sich angesichts der Krankengeschichte des Klägers nicht.

Der Sachverständige ist entgegen der Auffassung des Klägers überzeugend zu der Annahme gekommen, es sei beim Kläger bereits eine Grundbelastung vorhanden gewesen. Dies ergibt sich aus der sorgfältig vorgenommenen Auswertung der ärztlichen Diagnosen durch den Sachverständigen. Der Umstand, dass die Praxis Dr. V nunmehr von den eigenen früheren Diagnosen offensichtlich nichts mehr wissen will, steht dem nicht entgegen.

Die Kammer teilt nicht die Auffassung des Klägers, der Sachverständige habe auf der einen Seite „Wagemut“ und auf der anderen Seite „extreme Vorsicht“ gezeigt. Diese Begriffe sind nicht geeignet, die Annahmen und Ergebnisse des Gutachtens in Frage zu stellen. Der Sachverständige hat auch weder „Haare in der Suppe gesucht“ noch „einseitig die Textstellen aus den Patientenakten des Klägers exzerpiert“. Er ist vielmehr sachlich, systematisch und unvoreingenommen vorgegangen. Dass er mit diesem Vorgehen nicht alle Prozessbeteiligten zufrieden stellen konnte, liegt in der Natur der Sache.

Die Kammer sieht auch die Kritik, die der Kläger in seinen Ausführungen zum Themenkomplex 4 geäußert hat, als unberechtigt an. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Darlegungen im Wesentlichen Wiederholungen der bereits zuvor geäußerten Kritik darstellen. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich die Kammer auf den Hinweis, dass der Sachverständige auf Seite 43 des Gutachtens von möglichen konkurrierenden Belastungsfaktoren gesprochen hat. Er hat darüber hinaus ausgeführt, dass sich die aufgelisteten Ereignisse negativ auf die Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens depressiver Episoden auswirken können. Dies ist für die Erkrankung des Klägers an einer Lungenembolie ebenso gut nachvollziehbar wie für die Erkrankungen und den Tod seiner Eltern sowie die vorherige Pflegebedürftigkeit des Vaters. Hierzu hat der Kläger auf Seite 56 des Schriftsatzes darauf verwiesen, sein Vater sei erst lange Zeit nach Ende des vom Sachverständigen zu beurteilenden Zeitraums in ein Alten – und Pflegeheim umgezogen. Er hat allerdings weder angegeben, wann dies genau der Fall war, noch mitgeteilt, wann sein Vater erkrankt war.

In dem dargestellten Zusammenhang ist auch der Verweis des Sachverständigen auf den „Beziehungsstatus Junggeselle“ verständlich. Es ging dem Sachverständigen – wie ausgeführt – um die Benennung möglicher konkurrierender Belastungsfaktoren. Gleiches gilt für die Leukämieerkrankung des Neffen. Dem steht der Hinweis des Klägers, sein Neffe sei bereits im März 2017 für gesund erklärt worden, nicht entgegen. Dies schließt es nicht aus, dass die vorher bestehende große Sorge um einen Angehörigen zu fortwirkenden psychischen Belastungen geführt hat. Nichts anderes hat der Sachverständige sagen wollen und gesagt.

In seinen Ausführungen zum Themenkomplex 5 wirft der Kläger dem Sachverständigen vor, er habe die ärztlichen Bescheinigungen von Dr. V und Dr.T und deren Sichtweise zur Frage der Kausalität unzureichend berücksichtigt und falsch interpretiert. Es wurde bereits oben ausgeführt, dass und warum die Kammer diese Einschätzung des Klägers nicht teilt. Es trifft allerdings zu, dass sich der Sachverständige kritisch und deutlich zu den Stellungnahmen der genannten Ärzte geäußert hat. Diese Kritik ist für die Kammer gut nachvollziehbar. Wie der Sachverständige zutreffend herausgearbeitet hat, fällt auf, dass die Ärzte die subjektive Wahrnehmung des Klägers als objektiv zutreffend dargestellt und sie keine Umstände dokumentiert haben, die auf eine kritische Würdigung seiner Angaben schließen ließen. Wie bereits ausgeführt, mag eine derartige Vorgehensweise angemessen sein, solange es nur um das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten geht. Problematisch wird dies jedoch dann, wenn die so ermittelten Diagnosen als zutreffend und objektiv in ein Gerichtsverfahren eingeführt werden sollen.

Schließlich teilt das Gericht die Ausführungen des Klägers zu dem Themenkomplex 6 nicht. Die Kammer kann die Einschätzung des Sachverständigen, die Aussage des Klägers, er könne sich vorstellen, künftig wieder bei der Stadt Aachen zu arbeiten, sei angesichts der Vorgeschichte schwerlich mit der Lebensrealität zu vereinbaren, gut nachvollziehen. Zwar ist der Hinweis des Klägers, er sei aus wirtschaftlichen Gründen darauf angewiesen, wieder für die Beklagte zu arbeiten, ebenfalls gut nachvollziehbar. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nunmehr seit rund zehn Jahren kaum noch für die Beklagte vertragsgerecht gearbeitet hat. Zumeist bestand entweder Arbeitsunfähigkeit oder dem Kläger wurde nicht ausreichend vertragsgemäße Arbeit zugewiesen. Wenn dann noch zusätzlich berücksichtigt wird, dass der Kläger die Beklagte für die schwere Erkrankung ab April 2019 verantwortlich macht, ist das Erstaunen des Sachverständigen über die Aussage des Klägers, er gehe davon aus, zukünftig wieder bei der Beklagten zu arbeiten, gut nachvollziehbar, zumal ohne eine grundlegende Änderung der arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten erhebliche Bedenken bestehen, ob dieses Arbeitsverhältnis dazu geeignet ist, dem Kläger eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu bieten. Wenn der Kläger wiederum langfristig erkranken sollte (was aus seiner Sicht naheliegt, weil er seine langfristige Erkrankung in der Vergangenheit auf ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zurückführt), wäre das bestehende Arbeitsverhältnis keine geeignete Grundlage, den Kläger wirtschaftlich abzusichern. Diese Einschätzung teilt der Kläger offensichtlich, wie seine Ausführungen auf Seite 76 des Schriftsatzes verdeutlichen.

Zu den Ausführungen des Klägers auf Seite 77 des Schriftsatzes ist anzumerken, dass es für das Sachverständigengutachten und das Ergebnis des Prozesses nicht darauf ankommt, ob sich die Forderung des damaligen Oberbürgermeisters 2013 für den Kläger so angefühlt hat wie „ohne Fallschirm aus dem zehnten Stock herunterzuspringen“, oder ob er einen Vergleich in Form einer Metapher gebildet, dem Sachverständigen gegenüber aber nicht erklärt hat, dass dies sein damaliges Gefühl gewesen sei.

Die Kammer kann die vom Kläger in den weiteren Ausführungen kritisierte Einschätzung des Sachverständigen, der Zeiger der Schuld weise beim Kläger stets nach außen, gut nachvollziehen. Es trifft nicht zu, dass der Sachverständige die Faktenlage nicht dargestellt hat, die dieser Einschätzung zugrunde liegt. Es fällt auf, dass der Kläger in seinen gesamten Schilderungen sich auch nicht ansatzweise der Frage zugewandt hat, ob und gegebenenfalls welchen Beitrag er zu dem Konflikt am Arbeitsplatz geleistet hat. Diese einseitige Sicht kommt etwa in der Äußerung zum Ausdruck, dass er den Personalreferenten, den Oberbürgermeister und andere Stellen angeschrieben und versucht habe, vernunftgeleitet eine Klärung herbeizuführen (Seite 24 f. des Gutachtens). Mit dieser Aussage bringt er stillschweigend zum Ausdruck, dass die Beklagte auf mehreren Ebenen nicht bereit gewesen sei, zu sachgerechten Lösungen zu kommen. Auch die auf Seite 27 des Gutachtens wiedergegebene Äußerung zu einem möglichen Wiederantritt der Arbeit bei der Beklagten deutet in diese Richtung. Gleiches gilt für die Selbsteinschätzung, er sei „ja sehr vernunftorientiert und kompromissbereit“ (Seite 29 des Gutachtens). Diese Einschätzung vermag die Kammer insbesondere in Bezug auf die angebliche Kompromissbereitschaft des Klägers nicht zu teilen. Jedenfalls ist der Versuch, zu einer wie auch immer gearteten gütlichen Einigung der Parteien zu gelangen, bereits in seinen Ansätzen gescheitert, weil der Kläger deutlich gemacht hat, dass er sich mit der Beklagten nicht einigen könne und wolle, wenn die Beklagte nicht seinen mit der Klage geltend gemachten Forderungen nahezu vollständig entspreche. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird ausdrücklich klargestellt, dass es das gute Recht des Klägers ist, sich in einem gerichtlichen Verfahren nicht einigungsbereit zu zeigen. Ohne dass dies Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts gehabt hätte, kann die Kammer allerdings der dargestellten Selbsteinschätzung des Klägers nicht folgen.

Schließlich hat das Privatgutachten von Herrn Dr. T nicht zu der Überzeugung des Gerichts geführt, dass das dargestellte Kausalitätserfordernis erfüllt ist. Aus Sicht des Gerichts ist bereits der Hinweis auf Seite 2 des Privatgutachtens, er fungiere nun als neutraler Gutachter, irritierend. Genau dies ist nicht der Fall. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass von einer Neutralität nicht die Rede sein kann, wenn nur die Sicht der einen Seite berücksichtigt wird. Aus der Darstellung zu den ihm vorliegenden Unterlagen geht eindeutig hervor, dass er die Sichtweise der Beklagten nicht berücksichtigt hat. Zudem ist es zumindest fraglich, ob Herr Dr. T angesichts der deutlichen und massiven Kritik des Sachverständigen an seinem Vorgehen dafür prädestiniert ist, eine neutrale und objektive Einschätzung zu geben. Zweifel an der Neutralität von Herrn Dr. T bestehen auch, weil er vom Kläger beauftragt und vergütet worden ist.

Unabhängig von diesen Gesichtspunkten hat das Privatgutachten die Kammer auch inhaltlich nicht überzeugt. Herr Dr. T hat sich nach einer Darstellung des Sachverhalts ab Seite 21 der Frage zugewandt, ob der Kläger während seiner Tätigkeit in Kulturbüro der Stadt A eine psychische Störung mit Krankheitswert entwickelt hat. Er kommt in diesem Punkt zu derselben Einschätzung wie der gerichtlich bestellte Sachverständige. Er nennt als Diagnose eine mittelgradige depressive Episode. Nicht nachzuvollziehen ist für das Gericht seine auf Seite 22 geäußerte Annahme, er habe keine Zweifel daran, dass sich der gesamte Sachverhalt wie vom Kläger dargestellt zugetragen habe. Aus Sicht des Gerichts verbietet sich eine derartige Einschätzung ohne Berücksichtigung der Sichtweise der Beklagten.

Seine weitere Aussage, dass die auf Seite 24 geschilderten Belastungsfaktoren eine depressive Episode verursachen können, deckt sich mit den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Gleiches gilt für die Annahme, dass die Nichtbeschäftigung des Klägers grundsätzlich geeignet ist, eine Depression auszulösen.

Wie Herr Dr. T zu der Annahme kommt, andere psychosoziale Faktoren als die Nichtbeschäftigung des Klägers, die von wesentlicher Bedeutung sein könnten, seien nicht zu benennen, erschließt sich dem Gericht nicht. Es wurde bereits oben dargestellt, dass das Gericht die Einschätzung des Klägers, der sich Herr Dr. T in dem Privatgutachten angeschlossen hat, der gerichtlich bestellte Sachverständige habe die genannten Lebensereignisse überwiegend falsch eingeordnet, nicht für zutreffend hält. Es stellt sich angesichts der vielen möglichen Ursachen für eine Depression die Frage, wie Herr Dr. Tzu dieser Annahme gelangen konnte, ohne dass ihm alle relevanten Erkenntnisquellen zur Verfügung standen.

Ohne die für eine objektive Beurteilung notwendigen Distanz zum Kläger übernimmt Herr Dr. T die Einschätzung des Klägers, 2018 sei für ihn ein „positives Jahr“ gewesen, ohne dies kritisch zu hinterfragen. Selbst wenn diese Einschätzung zugunsten des Klägers als zutreffend unterstellt wird, ist die Kammer von der Richtigkeit der auf dieser Grundlage beruhenden Schlussfolgerung von Herrn Dr. Thelen nicht überzeugt. Er nimmt offenbar an, dass frühere psychische Belastungen des Klägers nicht fortwirken könnten, wenn er danach zwei „positive“ bzw. „gute Jahre“ gehabt habe (2018 und 2019). Wie dem Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen zu entnehmen ist, entspricht eine derartige Annahme nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Vielmehr können auch lang zurückliegende scheinbar abgeschlossene Sachverhalte einen Verursachungsbeitrag für die Ausbildung einer Depression leisten.

Die Darstellung von Herrn Dr. T, der vom Gericht bestellte Sachverständige habe vorausgesetzt, dass es andere Ursachen geben müsse, ist nicht zutreffend. Der Sachverständige hat vielmehr – worauf bereits mehrfach hingewiesen worden ist – ausgeführt, dass es andere mögliche Ursachen geben könne. Der Hinweis auf Seite 31 des Privatgutachtens, jeder mögliche Faktor solle einzeln bezüglich seiner kausalen Bedeutung für die depressive Episode mit eingetretener Arbeitsunfähigkeit beurteilt werden, deckt sich mit den Ausführungen des vom Gericht bestellten Sachverständigen.

5. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer anteiligen Sonderzuwendung für 2019 iHv 1.283,90 EUR. Der darüber hinaus geltend gemachte Anspruch besteht nicht. Das Berufungsgericht folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (S. 17 f. des Schlussurteils vom 22.09.2020) und sieht zu diesem Anspruch von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

6. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines anteiligen Leistungsentgelts für 2019 iHv 192,26 EUR. Der darüber hinaus geltend gemachte Anspruch besteht nicht.

a) Nach § 18 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2, Abs. 4 Satz 1 TVöD/VKA besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers zur jährlichen Auszahlung des Leistungsentgelts, welches zusätzlich zum Tabellenentgelt als Leistungsprämie, Erfolgsprämie oder Leistungszulage gezahlt wird. Das jeweilige System der leistungsbezogenen Bezahlung wird gemäß § 18 Abs. 6 TVöD/VKA betrieblich vereinbart und näher ausgestaltet (vgl. BAG 12.10.2022 – 10 AZR 496/21). Von dem tariflichen Regelungsauftrag und der daraus folgenden Regelungsbefugnis ist bei der Beklagten durch Abschluss der DV über die Zahlung leistungsorientierter Besoldung und Entgelte bei der Stadt Aachen vom 01.01.2019 (DV 2019) Gebrauch gemacht worden.

§ 18 TVöD/VKA trifft selbst keine ausdrückliche Regelung dazu, wie sich Arbeitsunfähigkeitszeiten, die über den Entgeltfortzahlungszeitraum nach § 22 Abs. 1 TVöD/VKA hinausgehen, auf das Leistungsentgelt in seinen verschiedenen möglichen Ausprägungen als Leistungsprämie, Erfolgsprämie, Leistungszulage oder gemischtes Modell auswirken. Auch § 22 iVm. § 21 TVöD/VKA trifft dazu keine Bestimmung, abgesehen davon, dass im Referenzzeitraum gezahlte Leistungsentgelte nach § 21 Satz 3 TVöD/VKA nicht in die Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts bei einer nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit einfließen. Die Tarifnorm überlässt diese Frage vielmehr der betrieblichen Ausgestaltung nach § 18 Abs. 6 TVöD/VKA. Danach legen die Parteien einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Anspruchsvoraussetzungen innerhalb des tariflichen Rahmens und damit auch etwaige Ausschluss- oder Kürzungskriterien selbst fest. Nur wenn es an einer solchen Ausgestaltung fehlt, kommt ein Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“, welcher bei Leistungen mit Entgeltcharakter aus dem Gegenseitigkeitsverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis hergeleitet wird, in Betracht (BAG 12.10.2022 – 10 AZR 496/21 – Rn. 19).

Aus § 1 DV 2019 ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass ein Anspruch die tatsächliche mindestens achtmonatige Beschäftigung des Arbeitnehmers im Jahr voraussetzt. § 1 DV 2019 ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass das Arbeitsverhältnis mindestens acht Monate bestanden haben muss. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 4 Satz 1 c DV 2019. Danach wird die allgemeine Leistungsprämie anteilig gezahlt, wenn der Mitarbeiter an insgesamt weniger als 275 Kalendertage im Dienst war. Diese Vorschrift hätte keinen Anwendungsbereich, wenn § 1 DV 2019 im Sinne der Beklagten auszulegen wäre.

Maßgeblich sind die Kalendertage, die nicht mit Abwesenheitszeiten belegt sind. Dies waren im Jahr 2019 60 Kalendertage, wie die folgende Aufstellung zeigt:

01.01 – 03.01.

=

3 Tage

09.01. – 13.01.

=

5 Tage

28.02.

=

1 Tag

01.03. – 31.03.

=

31 Tage

01.04. – 28.04.

=

28 Tage

Es ergibt sich folgende Berechnung: 1.169,61 EUR x 60: 365 = 192,26 EUR.

7. Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

 

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