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Fristlose Kündigung wegen Schmähkritik

Mitarbeiter wegen Schmähkritik fristlos gekündigt

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die fristlose Kündigung eines Pasta-/Pizzabäckers, der sich über unangemessene Arbeitsbedingungen und Diskriminierung beschwert hatte. Die Kündigung erfolgte nach einer E-Mail des Klägers an den Franchisegeber, in der er Missstände schilderte und eine Klage androhte. Das Gericht sah darin eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages und wies die Klage des Arbeitnehmers ab.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 54/22   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Fristlose Kündigung: Bestätigung durch das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern.
  2. Beschwerde über Arbeitsbedingungen: Kläger kritisiert lange Arbeitszeiten und Ungleichbehandlung.
  3. E-Mail an Franchisegeber: Kläger schildert Probleme und droht mit Klage.
  4. Pflichtverletzung: Das Gericht sieht die E-Mail als schwerwiegenden Verstoß gegen den Arbeitsvertrag.
  5. Abweisung der Klage: Klägers Antrag auf Weiterbeschäftigung wird abgelehnt.
  6. Kritik an Arbeitszeiten: Kläger beklagt Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden pro Woche.
  7. Vorwürfe von Diskriminierung und Mobbing: Kläger fühlt sich aufgrund seines Alters und seiner Qualifikation benachteiligt.
  8. Kontakt zum Franchisegeber: Gericht wertet dies als unzulässige Eskalation.

Fristlose Kündigung im Arbeitsrecht: Ein kontroverses Thema

Im Arbeitsrecht gibt es kaum ein Thema, das so heftige Diskussionen auslöst wie die fristlose Kündigung. Dieses Rechtsinstrument ermöglicht es Arbeitgebern, ein Arbeitsverhältnis unverzüglich zu beenden, wenn ein triftiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund kann beispielsweise Schmähkritik sein, ein Verhalten, das die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet und in den Bereich der persönlichen Beleidigung oder Verleumdung übergeht. Die Beurteilung, ob eine Äußerung tatsächlich als Schmähkritik zu werten ist, fällt dabei häufig in die Zuständigkeit von Arbeitsgerichten.

Die Frage, ob und inwiefern Äußerungen eines Arbeitnehmers, die eventuell unter Schmähkritik fallen, eine fristlose Kündigung rechtfertigen, berührt grundlegende Aspekte des Arbeitsvertrags und der Arbeitszeitgestaltung. Dabei spielt auch die Thematik der Diskriminierung am Arbeitsplatz eine wichtige Rolle. Die Abwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung des Arbeitnehmers und den Interessen des Arbeitgebers ist ein zentrales und oft umstrittenes Element in solchen Fällen. Der folgende Beitrag beleuchtet anhand eines konkreten Urteils, wie diese Abwägungen in der Praxis ausfallen können und welche Lehren daraus für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezogen werden können. Lassen Sie sich in die Welt des Arbeitsrechts entführen, um zu erfahren, wie Gerichte in solch heiklen Fällen entscheiden.

Der Weg zur fristlosen Kündigung: Ein Drama in der Küche

In einer aufsehenerregenden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung wurde ein Pasta-/Pizzabäcker durch die Inhaberin zweier Restaurants fristlos gekündigt. Auslöser war eine Serie von Konflikten, die ihren Höhepunkt in einer E-Mail des Klägers an den Franchisegeber fanden. In dieser E-Mail und einem beigefügten Klageentwurf warf der Kläger der Geschäftsleitung unter anderem vor, vertragswidrig gehandelt und seine grundlegenden Arbeitnehmerrechte verletzt zu haben. Er behauptete, unter systematischen emotionalen Belastungen zu stehen und fühlte sich altersdiskriminiert, da jüngere Kollegen höhere Gehaltserhöhungen erhalten hätten. Weitere Vorwürfe bezogen sich auf Arbeitsunfälle, unzureichende Arbeitsgeräte, Verletzung der Unantastbarkeit seiner Wohnung und Diskriminierung aufgrund sozialer und ethnischer Herkunft.

Eskalation und rechtliche Konsequenzen

Die Beklagte reagierte auf diese Vorwürfe mit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Der Kläger wandte sich gegen diese Kündigung und verlangte die Weiterbeschäftigung. Das Arbeitsgericht gab der Klage zunächst statt, sah in den Äußerungen des Klägers keine schwerwiegenden Verstöße gegen die arbeitsvertragliche Loyalitätspflicht und bewertete die Kündigung als sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte legte daraufhin Berufung ein, da sie die Entscheidung des Arbeitsgerichts aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen als fehlerhaft ansah.

Der Fall vor dem Landesarbeitsgericht

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern befasste sich eingehend mit der Berufung der Beklagten und kam zu einem anderen Schluss als das Arbeitsgericht. Das Gericht wertete die Vorwürfe des Klägers als schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht und als unzulässige Schmähkritik. Besonders problematisch war die Tatsache, dass der Kläger seine Vorwürfe nicht nur intern, sondern auch gegenüber Dritten wie dem Franchisegeber und dem Arbeitsgericht erhoben hatte. Diese Handlungen wurden als grobe Beleidigungen und als Versuch, die Beklagte unter Druck zu setzen, bewertet.

Das Urteil: Fristlose Kündigung bestätigt

Das Landesarbeitsgericht entschied schließlich, dass die fristlose Kündigung wirksam war und beendete damit das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien. Die Kündigung wurde als verhältnismäßig und gerechtfertigt angesehen, da die Vorwürfe des Klägers eine so schwerwiegende Pflichtverletzung darstellten, dass eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar erschien. Das Gericht wies daher die Klage des Arbeitnehmers ab und bestätigte die Entscheidung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden.

Dieser Fall zeigt deutlich, wie komplex und emotional aufgeladen Arbeitsrechtsstreitigkeiten sein können, besonders wenn sie Themen wie Diskriminierung, Arbeitszeit und Schmähkritik berühren. Das Urteil verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung der Interessen beider Parteien und die Bedeutung der arbeitsvertraglichen Pflichten,

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was kennzeichnet Schmähkritik und wie unterscheidet sie sich von normaler Kritik

„Schmähkritik“ ist ein Begriff aus dem deutschen Recht, der eine bestimmte Form der Beleidigung bezeichnet. Sie ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet.

Im Unterschied zur normalen Kritik, die sich auf eine sachliche Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema oder einer Person konzentriert, zielt die Schmähkritik primär darauf ab, eine Person zu diffamieren und zu verunglimpfen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet und in den Bereich der persönlichen Beleidigung und Herabwürdigung übergeht.

Eine Äußerung kann als Schmähkritik eingestuft werden, wenn sie unsachlich und gravierend ehrverletzend ist. Dabei ist es entscheidend, dass die Äußerung kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligt und tabuisiert ist.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik sorgfältig geprüft werden muss. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf.

Die Meinungsfreiheit schützt auch scharfe und polemische Kritik, solange sie nicht in den Bereich der Schmähkritik übergeht. Daher ist es wichtig, zwischen legitimer, wenn auch scharfer Kritik und Schmähkritik zu unterscheiden.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 2 Sa 54/22 – Urteil vom 16.08.2022

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 15.02.2022 zum Az.: 2 Ca 250/21 abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger und Berufungsbeklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die hilfsweise als ordentliche Kündigung ausgesprochen ist.

Der im März 1979 geborene, verheiratete, zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war gemäß schriftlichen Arbeitsvertrages (Anlage K 1, Bl. 11 ff d.A.) seit dem 01.03.2019 zuletzt zu einem monatlichen Bruttoverdienst von 2.115,00 € bei der Beklagten als Pasta-/Pizzabäcker beschäftigt. Die Beklagte ist Inhaberin der Firma XX S., betreibt als Franchisenehmerin der XX L. XX zwei Restaurants und beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Der Kläger hatte bereits im Jahr 2017 Kontakt zur XX L. GmbH zur Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses aufgenommen und daraufhin von dort die E-Mails vom 29.06.2017 (Bl. 175 d.A.) und 03.05.2017 (Bl. 176 d.A.) erhalten. Die Anbahnung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten war durch Vermittlung einer mazedonischen Agentur mit dem Namen „G. T.“ im Jahr 2019 erfolgt. Die Beklagte hat mit dem Kläger einen Mietvertrag über ein möbliertes Zimmer in G-Stadt geschlossen.

Der Arbeitsvertrag lautet u.a.:

㤠3 Arbeitszeit

1. Die Regelarbeitszeit ausschließlich der Pausen beträgt 40 Std. pro Woche. Sofern regelmäßig (über einen Zeitraum von 3 Monaten) Arbeit, die über die vereinbarte Wochenarbeitszeit hinausgeht, angeordnet und geleistet wird, kann der Arbeitnehmer eine entsprechende Neugestaltung des Arbeitsvertrages verlangen.

2. Die Arbeitszeit beginnt mit dem Umziehen (Dienstkleidung) vor Aufnahme der Tätigkeit am Arbeitsplatz und endet nach dem Umziehen. Die Einteilung der Arbeitszeit auf einzelne Wochentage und die Festlegung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit richtet sich nach dem wöchentlich festgelegten und ausgehängten Dienstplan. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich selbst rechtzeitig über die Dienst-einteilung zu informieren. Die Arbeitszeit richtet sich immer nach dem Arbeitsaufkommen.“

Mit Schreiben vom 22.12.2019 (Anlage B 2, Bl. 53, 54 d.A.) mahnte die Beklagte den Kläger wegen Nichteinhaltung vorgeschriebener Rezepturen ab. Mit Schreiben vom 31.08.2021 (Anlage B 3, Bl. 55, 56 d.A.) warf die Beklagte dem Kläger im Wege der Abmahnung vor, gegenüber einem männlichen Kollegen geäußert zu haben: „Wenn du mehr lutschen würdest, könntest du fünfzig Cent pro Stunde alle 6 Monate mehr Gehalt bekommen.“ Diese Äußerung erfolgte so laut in Richtung seiner Vorgesetzten, dass diese sie klar und deutlich mithören konnte und musste und sich deshalb an die Beklagte wegen sexueller Belästigung wandte. Mit Schreiben vom 18.10.2021 (Anlage B 4, Bl. 57, 58 d.A.) mahnte die Beklagte ab, dass sich der Kläger geweigert hatte, entsprechend der dienstplanmäßigen Einteilung zu arbeiten, Pasta zu kochen, deswegen nach Hause geschickt und durch anderweitiges Personal ersetzt werden musste.

Bereits im August 2021 hatte sich der Kläger mit einer Beschwerde an das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGUS) in Mecklenburg-Vorpommern gewandt. Das LAGUS, Abteilung Arbeitsschutz und technische Sicherheit, hat daraufhin am 23.08.2021 im Betrieb der Beklagten eine Kontrollbegehung durchgeführt und sich Arbeitszeitnachweise vorlegen lassen. Es erfolgte keine Beanstandung.

Am 23.10.2021 wandte sich der Kläger unter dem Betreff „Ansprüche aus Arbeitnehmerrechten“ per E-Mail an L. P. R. (Anlage B 1, Bl. 43 d.A.) und teilte Folgendes mit:

„Liebe L. Familia.

Ich habe darüber nachgedacht, die Firma L. wegen einiger Arbeitsprobleme zu kontaktieren, die ich als Ausbeutung der Arbeitskraft empfinde und die mit meinem Arbeitgeberin XX XXXXXXX, Inh. W., G-Stadt, aber ich glaube, dass die Klage, die ich an ein Arbeitsgericht schicken werde, auch die Marke L. betreffen kann.

Jedenfalls ist mir ein Kommentar auf Facebook aufgefallen, dass es in L. eine Sklaverei gibt und eine Antwort von euch, dass es möglich ist, solche Behauptungen an xxxxxxx@xxxxxx.de zu senden. Daher sehen Sie im Anhang eine Kopie der Klage, die ich an das Arbeitsgericht senden werde, und ich würde gerne Ihre Meinung dazu hören, da ich die Marke L. auf keinen Fall beschädigen würde.

Mein Hauptgrund gegen XX S., G-Stadt ist eine Regel beim Vertrag, die feststeht: „Arbeitszeit richtet sich immer nach dem Arbeitsaufkomme.“ Diese Regelung finden sie als Grundlage, Arbeitszeiten bis zu 60 Stunden pro Woche, an sechs oder sogar sieben Tagen in der Woche zu planen oder zu orden.

Meiner Meinung nach, habe ich einen 40-Stunden-Vertrag und diese Regelung ist kein Grund für eine Arbeitszeit (Überstunde) von mehr als 40 Stunden pro Woche. Es gibt viele andere Probleme mit der Arbeitszeit und der Ungleichbehandlung, aber dies wird hoffentlich vom Arbeitsgericht geklärt.

Ich möchte erwähnen, dass es für mich persönlich immer eine Freude ist, bei L. zu arbeiten, denn Pizza ist das, was wir mit Liebe machen und ich habe mich für eine Arbeitsstelle in einer anderen L. beworben.

Mit freundliche Grüße,

XX,

Pasta/Pizza Koch,

L., G-Stadt.“

Als Anlage war ein Klageentwurf (Anlage B 1, Bl. 44 ff d.A.) beigefügt, in dem es u.a. heißt:

„Ich erwarte Bestätigung und Schutz von dem angesehenen Gericht, dass die Geschäftsleitung in vielen Fällen vertragswidrig gehandelt und sogar gegen das Gesetz verstoßen hat, indem sie meine grundlegenden Arbeitnehmerrechte, Gesundheit, Würde und Menschenrechte verletzt haten.“

6. Ungleichbehandlung und Mobbing

– Seit mehr als einem Jahr, bin ich unter systematischen emotionalen Belastungen. Nach Meinung des Managerin Frau B…, ist sie die Chefin, die jeden einstellen oder entlassen kann, sie befördert wen sie will und sie kann tun was sie will. Sie sagte offen, dass sie aufgrund ihrer persönlichen Meinung meine beiden jüngeren Kollegen fördern möchte, mit denen wir genau den gleichen Job machen und ich einfach nicht ihr Typ bin. Ein Jahr lang bekamen diese beiden Kollegen die 5-fache Gehaltserhöhung und ich nicht. Ich sehe dies als Altersdiskriminierung gegenüber meinen Kollegen und erwarte ich eine 5-fache Gehaltserhöhung, genauso wie meine Kollegen, obwohl ich qualifizierter bin als sie. Gem. § 1, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

– Ich hatte zweimal einen Arbeitsunfall mit derselben Maschine, die kaputt war. Mit der gleichen Maschine haben sich mindestens drei andere Kollegen verletzt und das Geschäftsleitung hat sich nie darum gekümmert es zu reparieren. Ich benötige Schmerzensgeld für diesen Arbeitsunfall. Gem. § 104, Sozialgesetzbuch zur gesetzlichen Unfallversicherung.

– Ich hatte einen Mietvertrag mit dem Arbeitgeberin für ein WG-Zimmer. Dieses Zimmer nutzen sie, um anderen Kollegen zu geben zur Verwendung auch trotz meiner Beschwerde dass die Wohnung unantastbar ist. Gem. Art.13, Grundgesetz, und §1, AGG

– 9 von 10 Kollegen in der Geschäftsleitung in dem Unternehmen die deutsche Staatsangehörigkeit haben und alle Mitarbeiter in der Küche Auswanderer sind, also als Benahteilung wegen Soziale und Ethnische Herkunft empfinde ich die Tatsache, dass nur das Geschäftsleitung den Zuschläge für die Überstunden, Sonn- Feiertage und für Weihnachtsgeld haben. Gem. § 1, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

– Ich war zwei Wochen krankgeschrieben und die Geschäftsleitung hat mir vorgeschlagen, dass es besser wäre, wenn ich trotzdem arbeite.

Glaube ich im Allgemeinen, dass das Verhalten des Geschäftsleitung Elemente der Ausbeutung hat, und ich habe mich bei ihnen darüber beschwert, dass sie mit diesem Verhalten meine Würde verletzen. Gem. § Art.1, Grundgesetz; Gem. § 233, Ausbeutung der Arbeitskraft, StGB; Gem. §1, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz“

In einer weiteren an L. G-Stadt sowie L. P. versandten E-Mail vom 24.10.2021 (Anlage B 1, Bl. 49, 50 d.A.) teilte der Kläger mit:

„Grüße L. Management.

Ich bin für nächste Woche wieder über 40 Stunden Arbeit in verschiedenen Stationen eingeplant. Nachdem ich mich geweigert habe, unter diesen Umständen zu arbeiten, dass ich keine Minute mehr als 40 Stunden arbeiten möchte und nicht in einer anderen Station arbeiten möchte, da dies eine vertragliche Regelung ist, die Sie von allen Mitarbeitern erwarten können, insbesondere von denen, die 5 Mal waren in einem Jahr befördert, erhielt ich wegen der Arbeitsverweigerung eine Abmahnung zur Kündigung. Das bedeutet, dass ich mehr als 40 Stunden arbeiten MUSS und GEZWUNGEN bin.

Ich möchte Sie versichern, dass ich diese Woche die Klage vor das Arbeitsgericht schicke und Sie sich neben anderen Verstößen für den Menchenhandel verantworten werden.

Ich habe einen 40-Stunden-Vertrag, also außer bei einer Naturkatastrophe von Sturm oder Feuer bin ich nicht verpflichtet, überstunden zu arbeiten.“

Von vorgenannten beiden E-Mails erhielt die Beklagte am 25.10.2021 Kenntnis. Unter dem 26.10.2021 hat der Kläger die angekündigte Zahlungsklage beim Arbeitsgericht eingereicht.

Mit Schreiben vom 29.10.2021 (Anlage K 2, Bl. 19, 20 d.A.), dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Mit am 01.11.2021 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 29.10.2021 gewandt und die Verurteilung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung begehrt. Zur Begründung hat der Kläger angeführt, es fehle der für eine außerordentliche Kündigung erforderliche wichtige Grund. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verpflichtet.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe die E-Mails nicht an P. R. gesandt, um der Beklagten zu schaden, sondern weil er sich ihm von der Beklagten verwehrte Hilfe erhofft habe. Es sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, dass es sich bei dem Franchisegeber um eine dritte Person handele. Dies werde auch dadurch deutlich, dass er sich nicht direkt bei der Beklagten, sondern beim Franchisegeber beworben habe und zwischen diesem und ihm hinsichtlich einer Anstellung kommuniziert worden sei. Zudem sei er nach Kontaktaufnahme mit der Franchisegeberin durch diese aufgefordert worden, seine Probleme zu schildern. Er sei davon ausgegangen, dass es sich bei der Franchisegeberin um die „nächsthöhere Instanz“ bei Problemen innerhalb des Arbeitsverhältnisses handeln würde. Sofern seine Kontaktaufnahme zur Franchisegeberin eine Pflichtverletzung darstellen sollte, habe er diese jedenfalls nicht zu vertreten. Allenfalls würde sein Verhalten die Verletzung einer Nebenpflicht darstellen, die jedoch allein zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausreiche. Er habe keine Strafanzeige erstattet, nichts an die Presse gegeben oder im Internet gepostet und sei nicht anderweitig an die „Öffentlichkeit“ herangetreten, sondern habe den Franchisegeber über Probleme mit seinem Arbeitgeber sachlich informiert und diesen um seine Meinung gebeten. Die von ihm in der beigefügten Klage gewählten Worte mögen zwar drastisch klingen, seien jedoch primär seinen eingeschränkten Sprachkenntnissen geschuldet. In Bezug auf die Beklagte habe er nie von Sklaverei gesprochen. Dieses Wort sei lediglich im Zusammenhang mit einem Post, den er bei Facebook über die Franchisegeberin gelesen habe, gefallen. Auch eine von der Betriebsleiterin der Beklagten, Frau B., in einer aus Mitarbeitern der Beklagten gebildeten WhatsApp-Chat-Gruppe im Dezember 2020 verfasste Nachricht stelle gegenüber allen Mitarbeitern der Beklagten eine sexuelle Belästigung dar, sei ehrverletzend und mindestens anzüglich. Vor diesem Hintergrund müsse sich die Beklagte die Frage nach der Berechtigung der Abmahnung vom 31.08.2021 wegen seiner Äußerungen gegenüber dem Mitarbeiter gefallen lassen, wenn ähnliches Verhalten kommentarlos hingenommen werde. Das durch ihn von der Beklagten gemietete Zimmer sei gegen seinen Willen durch die Beklagte anderen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt, gegen seinen Willen für „Partys inklusive Sex“ genutzt worden. Die Beklagte habe kein Recht, das Zimmer zu betreten oder anderen zu überlassen. Erst recht habe die Beklagte nicht das Recht, das Zimmer gegen seinen Willen für die dargestellten Aktivitäten zu nutzen oder dies zuzulassen.

Eine einschlägige Abmahnung fehle, sei in jedem Fall ein milderes Mittel gewesen, um eine Wiederholung des von ihm gegenüber der Franchisegeberin gezeigten Verhaltens für die Zukunft zu unterbinden. Ausgesprochene Abmahnungen seien unwirksam. Die Abmahnung vom 22.12.2019 beziehe sich lediglich auf einen konkreten Verstoß. Die übrigen in ihr enthaltenen Vorwürfe seien nicht konkret genug bezeichnet. Der in der Abmahnung vom 31.08.2021 durch ihn abgegebene Kommentar sei lediglich für seinen Kollegen bestimmt gewesen. Die in der Abmahnung beschriebene persönliche Betroffenheit der Vorgesetzten müsse bezweifelt werden. Der Sachverhalt in der Abmahnung vom 18.10.2021 sei nicht korrekt dargestellt. Die Abmahnung sei bereits aus diesem Grund unwirksam. Er habe sich nicht lediglich geweigert, Pasta zu kochen, sondern zu verstehen gegeben, dass er sich weigere, mehr als die vertraglich geschuldeten 40 Stunden pro Woche in verschiedenen Stationen und 12 – 13 Stunden an einem normalen Tag und 5 – 6 Stunden am Sonntag zu arbeiten.

Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung betreffe lediglich eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Er habe diese jedenfalls, da er nicht davon ausgegangen sei, dass die Franchisegeberin eine unbeteiligte „Dritte“ ist, nicht zu vertreten.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 29.10.2021 – dem Kläger zugegangen am 29.10.2021 – nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 29.10.2021 – dem Kläger zugegangen am 29.10.2021 – zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufgelöst wurde.

Für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2.:

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Pizza/Pastakoch weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung für wirksam erachtet, weil der Kläger auf sie bezogen gegenüber dem Franchisegeber neben allgemeiner Kritik an den Arbeitsbedingungen im Betrieb die Verletzung seiner grundlegenden Arbeitnehmerrechte, seiner Gesundheit und Würde sowie seiner Menschenrechte gerügt sowie Vorwürfe wie Menschenhandel, Sklaverei, Mobbing, Diskriminierung wegen Alter, sozialer und ethnischer Herkunft, Ausbeutung der Arbeitskraft, Verletzung von Arbeitsschutz- und Arbeitszeitvorschriften sowie der Integrität seiner Wohnung ihr gegenüber erhoben habe. Der Inhalt der an L. P. R. gesandten E-Mails suggeriere eine erhebliche Diskriminierung ausländischer Mitarbeiter und könne den Eindruck erwecken, als würde sie systematisch Rechtsverstöße begehen. Aufgrund der Vermittlung durch die Agentur „G. T.“ und des Umstandes, dass der Arbeitsvertrag sie, die Beklagte, als Vertragspartnerin ausweise habe der Kläger sehr wohl gewusst, dass er sich mit seinen E-Mails an eine dritte Person wendet und welche Begrifflichkeiten er gezielt einsetzt. Er habe sie durch diese E-Mails gezielt unter Druck setzen wollen. Damit habe er seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht grob verletzt und eine Rufschädigung jedenfalls in Kauf genommen, wenn nicht sogar beabsichtigt. Seine Ausführungen seien inhaltlich wissentlich und nachweislich unzutreffend, im Ton und der Wortwahl verfehlt, rechtlich nicht haltbar und daher offensichtlich rufschädigend. Eine Verletzung der Wohnung durch sie sei nicht nachvollziehbar. Warum sie für ein Rendezvous des Zeugen R. einstehen solle, entbehre jeder Grundlage. Ein solches Verhalten könne sie nicht akzeptieren. Der Kläger störe und gefährde nicht nur nachhaltig den Betriebsfrieden, sondern schädige auch den Ruf des Unternehmens. Ein Festhalten am Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei ihr aufgrund der Schwere der Vorwürfe nicht zumutbar. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis durch drei Abmahnungen vorbelastet gewesen sei sowie durch die vom Kläger initiierte Kontrollbegehung durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Die Beklagte hat für den Fall der Klagestattgabe beantragt, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 3.500,00 € nicht übersteigen sollte, aufzulösen.

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29.10.2021 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst wurde. Es hat die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verurteilt und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, ein Fehlverhalten, welches geeignet sein könnte, eine Kündigung zu rechtfertigen, liege nicht vor. Der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass er sich mit seinen Problemen an die von der Franchisegeberin eingerichtete E-Mail-Adresse wenden könne. Der der E-Mail beigefügte Klageentwurf enthalte Rechtsansichten des Klägers und spiegele dessen emotionale Belastung wieder. Er habe nicht die Öffentlichkeit gesucht und mit der Klage auch nicht darauf abgezielt, den Ruf der Beklagten zu schädigen. Er habe gehofft, mit Unterstützung des Franchisegebers die ihm seiner Meinung nach zustehenden Ansprüche und Rechte ohne Klage durchsetzen zu können. Dies stelle keinen schwerwiegenden vorsätzlichen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Loyalitätspflicht dar. Das Schreiben und der Klageentwurf seien nicht geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

Der Auflösungsantrag sei zurückzuweisen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er hinter dem Konzept der Beklagten stehe und auch zu deren Produkten. Nach seinem erstinstanzlichen Obsiegen stehe dem Kläger ein Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu.

Gegen dieses ihr am 02.03.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 01.04.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 02.05.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Hierzu führt die Beklagte an, das erstinstanzliche Urteil werde nicht von den Entscheidungsgründen getragen und sei aus rechtlichen wie tatsächlichen Erwägungen fehlerhaft. Es gehe unzutreffend davon aus, dass das klägerische Verhalten bereits „an sich“ nicht zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeignet sei und ersetze die eigentlich gebotene umfassende Interessenabwägungen durch Mutmaßungen und Fehleinschätzungen. Die Tatsache, dass sich der Kläger in der genannten Form an den Franchisegeber – also einen externen Dritten und die vermeintlich höhere Instanz – gewandt habe, stelle sich bereits als illoyales Verhalten ihr gegenüber dar. Das sei geeignet, den Betriebsfrieden und die Arbeitsabläufe zu stören und sei rufschädigend. Der Kläger habe auch vorsätzlich gehandelt, weil es ihm nämlich gerade darauf angekommen sei, externen Druck auf sie auszuüben. Dies sei unzulässig. Der Kläger habe nicht etwa unbesonnene Erklärungen gegenüber Dritten abgegeben, deren Konsequenzen er nicht durchdacht hatte oder zu denen er sich habe spontan hinreißen lassen. Er gehe vielmehr planvoll und koordiniert vor, sei sich der Bedeutung seiner Wortwahl sehr bewusst gewesen. Die von ihm erhobenen Vorwürfe und der Inhalt der E-Mails suggeriere eine erhebliche Diskriminierung ausländischer Mitarbeiter und könne den Eindruck erwecken, als würde sie systematisch kriminelle Rechtsverstöße begehen. Diese wahrheitswidrigen Behauptungen müsse kein Arbeitgeber sanktionslos hinnehmen. Der Kläger habe versucht, einen ihm nicht zustehenden Vorteil durch unzulässige Drohung zu erreichen und verletze so bereits seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht, die es verbiete, die andere Seite unzulässig unter Druck zu setzen. Es sei von einem steuerbaren Verhalten des Klägers auszugehen und nach der Erfolglosigkeit der ausgesprochenen Abmahnungen anzunehmen, dass eine Verhaltensänderung nicht zu erwarten gewesen sei. Unter Berücksichtigung der verhältnismäßig kurzen Vertragsdauer und den signifikanten Vorbelastungen sei es ihr auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen, am Arbeitsverhältnis festzuhalten. Ihr Gastronomiekonzept setze nicht nur eine kollegiale Zusammenarbeit zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern voraus. Auch die Zubereitung der Gerichte erfolge in einem offenen Küchenbereich. Alle Störungen im Ablauf seien für die Kollegen wie die Gäste unmittelbar wahrzunehmen. Aus der Gesamtschau werde deutlich, dass der Kläger sie verpflichtet sehen wolle, seine Vorstellungen des Unternehmens und der Unternehmensführung umzusetzen. Dies lasse eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht erwarten. Die von dem Vordergericht gewürdigte Verbundenheit zu den Produkten und zum Unternehmenskonzept ermöglichten noch keine störungsfreie weitere Zusammenarbeit im Übrigen. Soweit das Vordergericht rüge, dass keine zusätzlichen greifbaren Tatsachen zur Begründung des Auflösungsantrages vorgetragen seien, sei einem entsprechenden Antrag auf Schriftsatznachlass nicht entsprochen worden.

Die von dem Kläger in seinen E-Mails u.a. an die Franchisegeberin gegen die Beklagte erhobenen Vorwürfe als bloße Hilferufe, verbunden mit dem Wunsch, die Marke L. nicht schädigen zu wollen, darzustellen, lasse sich mit der ausdifferenzierten Wortwahl nicht in Einklang bringen. Die von dem Kläger verwendete Begrifflichkeit und die wiederholten Bezüge zu strafbaren Handlungen belegten exakt das Gegenteil. Bereits seine Ausführungen in der E-Mail vom 24.10.2021: „Ich möchte sie versichern, dass ich die Klage vor das Arbeitsgericht schicke und sie sich neben anderen Verstößen für den Menschenhandel verantworten werden.“ sei als rechtswidriges Inaussichtstellen eines Übels zu qualifizieren und nicht lediglich ein bloßer Hilferuf eines verzweifelten Arbeitnehmers.

Die mehrfach in Bezug genommene Maschine (Kronen-Maschine/Käsehobel) sei nicht defekt und sei dies auch nie gewesen. Sie sei auch nicht unsachgemäß repariert worden. Neben dem Unfall des Klägers habe es einen weiteren Arbeitsunfall mit dieser Maschine gegeben, bei dem sich ein Arbeitnehmer – ebenfalls durch Fehlbedienung – geschnitten habe. Mehr Unfälle habe es seit Eröffnung des Restaurants nicht gegeben. Der Kläger sei darüber hinaus wie alle Mitarbeiter geschult und an allen von ihm zu verwendenden Geräten eingewiesen worden.

Die Beklagte trägt zum Auflösungsantrag vor, dass Gründe gegeben seien, die eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht erwarten ließen. Diese lägen u.a. darin, dass sich der Kläger im Nachgang zur streitbefangenen Entscheidung, also nunmehr im sicheren Wissen darum, dass es sich bei der Franchisegeberin um einen Dritten handele, mit E-Mail vom 25.03.2022 an sie gewandt hat, um sie über Aus- und Fortgang des Verfahrens zu informieren. Aus dieser E-Mail (Anlage B 8, Bl. 344, 345 d.A.) werde deutlich, dass hier keine Hilferufe, sondern massive Einflussnahmen erfolgen sollen. Auch die durch den Kläger vor dem Arbeitsgericht erhobene weitere Klage, nicht nur gegen sie, sondern gegen alle leitenden Mitarbeiter (D. W., M. B., S. N.) zur Inanspruchnahme auf Schadenersatz wegen Mobbing, Beleidigung und unwirksamer Kündigung spreche gegen eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit.

Die Beschäftigung des Klägers im Prozessbeschäftigungsverhältnis gestalte sich ebenfalls überaus belastend für sie und ihre leitenden Mitarbeiter. Der Kläger verfasse umfängliche E-Mails, die durchgängig die Betriebsleitung und deren Kompetenz in Frage stellten. Diese seien belehrend und überheblich bei vordergründig vorgetragener Sorge um das Unternehmen. Deren Auswirkungen auf den Betriebsfrieden und die Betriebsabläufe seien evident. Der respektlose Umgang des Klägers mit seinen Vorgesetzten und das Herabqualifizieren von Kollegen erschwerten die tägliche Zusammenarbeit. In dem ihr am 05.07.2022 per E-Mail zugeleiteten achtseitigen Schreiben zur „Klagebegründung“ im Rahmen der Berufung habe er ihr mitgeteilt, dass er sein Arbeitsverhältnis für eine Straftat halte und dieses Schreiben weiter zur Staatsanwaltschaft gehen sollte.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund, Az. 2 Ca 250/21, vom 15.02.2022 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger und Berufungsbeklagte.

Der Kläger beantragt, die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der Kläger meint, das einzige in Betracht kommende Verhalten, welches als Pflichtverletzung zu werten sein könnte, stellten die E-Mails an den Franchisegeber dar, mit denen er seine von ihm empfundene Ungerechtigkeit kundgetan habe. Hierin sei jedoch kein illoyales Verhalten zu sehen. Der Franchisegeber habe extra eine E-Mail-Adresse eingerichtet, an welches sich Mitarbeiter und Kunden bei Problemen wenden können. Hierdurch habe er sich Unterstützung bei den ihn betreffenden Problemen erhofft. Eine Störung des Betriebsfriedens sei nach den E-Mails nicht eingetreten, eine Rufschädigung ebenso wenig. Er habe zum Zeitpunkt des Verfassens der E-Mails keine Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei der Franchisegeberin um eine dritte Person handeln könnte. Er habe sich nicht versucht, durch seine E-Mails irgendeinen Vorteil durch eine unzulässige Drohung zu verschaffen. Eine Drohung sei seinen E-Mails gerade nicht zu entnehmen. Es handele sich lediglich um eine Schilderung seiner Rechtsansichten. Er erkläre in ihnen vielmehr ausdrücklich seine Verbundenheit zu L. und betone, dass es eine Freude für ihn sei, für L. zu arbeiten und welche Verbundenheit er zu den Produkten empfinde. Er habe auch nicht vorsätzlich gehandelt und in schwerwiegender Weise gegen arbeitsvertragliche Loyalitätspflichten verstoßen. Es fehle an einer einschlägigen Abmahnung. Seine Beschwerde beim LAGUS sei legitim, da er unstreitig zwei Arbeitsunfälle an dem gleichen Arbeitsgerät gehabt und hieraus resultierende Verletzungen erlitten habe. Er gehe davon aus, dass die Beklagte ihrer Pflicht zur regelmäßigen Überprüfung der Arbeitsgeräte nicht nachgekommen sei. Das Gerät sei unsachgemäß von Herrn N. repariert worden.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Klägervertreter beantragt, ihm Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der Beklagten vom 09.08.2022 zu gewähren.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften, die erstinstanzliche Entscheidung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist erfolgreich. Das Urteil des Arbeitsgerichts war abzuändern und die Klage abzuweisen, weil die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2021 das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 29.10.2021 beendet hat. Diese Kündigung ist wirksam, denn es liegt ein sie tragender wichtiger Grund vor, welcher es der Beklagten nach der durchzuführenden Interessenabwägung unmöglich gemacht hat, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht kein Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 und 2, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO). Sie ist daher zulässig.

II.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, da die Kündigung vom 29.10.2021 das Arbeitsverhältnis wirksam außerordentlich beendet hat.

1. Die Kündigung vom 29.10.2021 gilt nicht bereits gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der Kläger hat diese ihm am 29.10.2021 zugestellte Kündigung mit der am 01.11.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage rechtzeitig innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist (§ 4 Satz 1 KSchG) angegriffen.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam, muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG (§ 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG) innerhalb von drei Wochen nach deren Zugang Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Wird die Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt die Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen die ihm am 29.10.2021 zugegangene Kündigung ist innerhalb der Drei-Wochen-Frist der §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1, 7 KSchG am 01.11.2021 beim Arbeitsgericht eingegangen.

2. Es liegt ein wichtiger Grund für diese außerordentliche Kündigung vor (§ 626 Abs. 1 BGB) und auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt.

a)

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Sodann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 597/16 – Rn. 13, juris; BAG, Urteil vom 07.07.2005 – 2 AZR 581/04 – Rn. 19, juris). Als „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung geeignete Gründe kommen neben der Verletzung der vertraglichen Hauptpflichten auch die erhebliche Verletzung von Nebenpflichten in Betracht. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, kann je nach den Umständen des Einzelfalles und unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung ein erheblicher, ein die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers vorliegen (BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 20, juris).

Ebenso stellen grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, Kündigungsgründe „an sich“ dar. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen (BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 418/01 – Rn. 23, juris). Im groben Maße unsachliche Angriffe, die u.a. zur Untergrabung der Position des Vorgesetzten oder des Arbeitgebers führen können, muss der Arbeitgeber nicht hinnehmen (BAG, Urteil vom 01.06.2017 – 6 AZR 720/15 – Rn. 49, juris; BAG, Urteil vom 02.04.1987 – 2 AZR 418/86 – Rn. 30, juris). Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je unüberlegter sie erfolgt (BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 22, juris; BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08 – Rn. 17, juris; BAG, Urteil vom 17.02.2000 – 2 AZR 972/98 – Rn. 15, juris). Schmähkritik genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17 – Rn. 7, juris) nicht den Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Eine Schmähung ist eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung im Vordergrund steht. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BAG, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 87, juris). Für eine bewusst falsche Tatsachenbehauptung kann sich ein Arbeitnehmer nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BAG, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 93, juris).

Nach Anwendung vorgenannter höchstrichterlicher Grundsätze liegt ein Fehlverhalten des Klägers gegenüber der Beklagten sowie seinen Vorgesetzten vor, welches einen Kündigungsgrund „an sich“ bildet. Der Kläger hat am 23.10.2021 eine E-Mail an L. P. R. gesandt mit dem Anhang einer später beim Arbeitsgericht eingereichten Klage. In dieser hat er der Geschäfts- und Betriebsleitung in vielen Fällen vertragswidriges Handeln sowie Gesetzesverstöße vorgeworfen, die Verletzung seiner grundlegenden Arbeitnehmerrechte, Gesundheit, Würde und Menschenrechte. Unter Ziffer 6. der Überschrift „Ungleichbehandlung und Mobbing“ hat der Kläger u.a. behauptet, zwei Kollegen von ihm hätten ein Jahr lang die 5-fache Gehaltserhöhung erhalten, er jedoch nicht. Dies sehe er als Altersdiskriminierung gegenüber den Kollegen an. Der Kläger hat darauf verwiesen, dass er zwei Mal einen Arbeitsunfall mit derselben kaputten Maschine gehabt habe, mit der sich mindestens drei andere Kollegen verletzt hätten und sich die Geschäftsleitung nie darum gekümmert habe, diese Maschine zu reparieren. Außerdem wirft der Kläger der Beklagten Verletzung der Unantastbarkeit der Wohnung, Benachteiligung wegen sozialer und ethnischer Herkunft vor, dass das Verhalten der Geschäftsleitung Elemente der Ausbeutung aufweise, dass sie seine Würde verletze und seine Arbeitskraft ausbeute gemäß § 233 StGB. In der am 24.10.2021 an L. P. R. sowie den Betrieb der Beklagten gesandten E-Mail hält der Kläger der Beklagten Menschenhandel vor.

Damit hat der Kläger gegenüber der Geschäftsleitung bzw. der Beklagten schwerwiegende Vorwürfe, u.a. Begehung von Gesetzesverstößen und von schweren Straftaten erhoben. Es handelt sich nicht um einen einzigen Vorwurf, sondern um eine Vielzahl, in mehreren Emails und der Klageschrift. Die Erhebung dieser Vorwürfe erfolgte nicht nur gegenüber der Beklagten selbst, sondern auch gegenüber Beschäftigten des Franchisegebers sowie dem Arbeitsgericht. Sie erfolgte in mehrfacher Form und betrifft verschiedene Bereiche. Damit liegen schwerwiegende Ehrverletzungen vor, die der Kläger auf keinerlei Tatsachenvortrag stützt bzw. stützen kann. Der Kläger hat die Beklagte sowie die Geschäftsleitung in deren Betrieb der Begehung von Straftaten bezichtigt sowie der Diskriminierung aus sozialen oder ethnischen Gründen bzw. wegen des Alters. Bereits damit liegen im groben Maße unsachliche Angriff vor, welche die Beklagte, soweit ihre Person betroffen ist, nicht hinnehmen muss und gegen die sie, soweit die Geschäftsleitung bzw. die Betriebsleiterin Frau B. angegriffen wird, zu deren Schutz eingreifen darf bzw. eingreifen muss. Ebenso muss die Beklagte den erhobenen Vorwurf der Ausbeutung und des Menschenhandels nicht auf sich beruhen lassen und ihn reaktionslos hinnehmen. Für den Vorhalt einer defekten Maschine und einer Gesundheitsgefährdung ihrer Beschäftigten, für einen Arbeitsunfall verantwortlich zu sein, bringt der Kläger keinerlei konkreten Tatsachenvortrag und da das LUNG diesbezüglich keinerlei Beanstandungen erhoben hat, erscheint jeglicher Vorwurf in diese Richtung ebenfalls unberechtigt. Gleiches gilt, soweit der Kläger der Beklagten eine Verletzung der Unantastbarkeit seiner Wohnung vorhält, ohne irgendeine konkrete Handlung oder ein pflichtwidriges Unterlassen der Beklagten zu bezeichnen, welches einen derartigen Vorwurf stützen bzw. auch nur ansatzweise als berechtigt erscheinen lassen könnte. Damit sind die Grenzen zur unzulässigen Schmähkritik überschritten. Es geht dem Kläger allein um die Diffamierung der Beklagten und ihrer Betriebsleitung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften wie z.B. Menschenhandel stellt eine grobe Beleidigung dar. Irgendeine sachliche Auseinandersetzung liegt nicht vor. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, welche die klägerischen Äußerungen als Kritikausübung und die erhobenen Vorhalte als lediglich überzogen qualifizieren lassen könnten. Der Kläger hat mit Erhebung dieser Vorwürfe seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beklagten im groben Ausmaß verletzt.

Dabei ist es dem Kläger verwehrt, sich zur Berechtigung dieser Vorwürfe auf fehlende Kenntnis, dass er mit den Emails einen Dritten einbezogen hat, fehlende Sprachkenntnisse oder übermäßige Erbringung von Arbeitsleistungen zu berufen.

Die Bezeichnung der Beklagten in der Email vom 23.10.2021 als seine Arbeitgeberin, dieselbe Bezeichnung in dem beigefügten Klageentwurf, der Ausspruch, der „Marke L.“ nicht schädigen zu wollen, die Bezugnahme auf seinen Arbeitsvertrag mit XX S., deuten sehr wohl darauf hin, dass es dem Kläger bewusst war, dass es sich bei L. P. R. um eine Dritte Person handelt. Jedenfalls hat er damit unstreitig eine über der Beklagten stehende Instanz anrufen wollen, damit diese in seinem Sinne auf die Beklagte einwirkt. Dies hatte er bereits zuvor durch die Einschaltung des LUNG erfolglos versucht. Obgleich ihm aufgrund der durch das LUNG unterbliebenen Beanstandung vor Augen geführt wurde, dass jedenfalls nach Ermittlung des LUNG zur Erhebung von Vorwürfen gegenüber der Beklagten keine Veranlassung bestand, hat er dennoch die zuvor dargestellten Vorhalte gegenüber der Beklagten bzw. der Betriebsleitung getätigt. Damit ist das klägerische Verhalten als umso gravierender zu bewerten.

Zudem ist es dem Kläger verwehrt, sich auf fehlende Sprachkenntnisse zu berufen. Dies zum einen, weil es sich nicht um einen einmalig verwandten Ausdruck handelt, der versehentlich erfolgte, sondern die Worte „Ausbeutung der Arbeitskraft“, „vertragswidrig gehandelt“, „gegen das Gesetz verstoßen“, „Gesundheit und Menschenwürde verletzt“, „grundlegende Arbeitnehmerrechte, Gesundheit, Würde und Menschenrechte verletzt“, „nie darum gekümmert es zu reparieren“, „Wohnung unantastbar“, „Benachteiligung wegen Soziale und Ethnische Herkunft“, „Menschenhandel“ teilweise im Kontext mit der Nennung von Gesetzesnormen genutzt werden. Es scheint dem Kläger durchaus bewusst zu sein, welche Worte er wählt, denn in seiner Klage setzt er neben die Wortwahl bestimmte Paragrafenbezeichnungen, die sich auf seine Wortwahl beziehen, wie z.B. § 233 StGB zur Ausbeutung der Arbeitskraft. Dies deutet vielmehr auf eine gezielte Verwendung hin. Zum anderen sollte gerade wenn Sprachkenntnisse unzureichend sind, Zurückhaltung geboten sein und besondere Aufmerksamkeit darauf verwandt werden, nicht aus Unkenntnis ehrverletzende Behauptungen in einem Umfang wie vorliegend geschehen aufzustellen, sodass mangelnde Sprachkenntnisse vorliegend nicht geeignet sind, als Rechtfertigungen für hier begangene Pflichtverletzungen herangezogen werden zu können.

Soweit die I. Instanz dem Kläger zugutegehalten hat, dass er sich bei der L. P. R. lediglich gemeldet hat, um ihm bei der Beklagten verwehrte Hilfe zu erhalten, hätte der Kläger nicht die von ihm verwandten Formulierungen verwenden müssen. Diese sind nicht erforderlich, um eine Hilfe wegen angeblich zu viel abgeforderter Arbeitszeit erlangen zu können. Dazu hätte es ausgereicht, sachlich und ohne Übertreibungen Tatsachen zu benennen, darzustellen an welchen Tagen wieviel Arbeitszeit abverlangt wurde. Dies ist jedoch unterblieben. Stattdessen benutzt der Kläger pauschales Vorbringen sowie pauschale Behauptungen, die geeignet sind, die Beklagte sowie ihre Betriebsleitung zu diskreditieren. Allein die Auffassung des Klägers, von ihm werde überobligatorisch Arbeit abverlangt, rechtfertigt keinerlei Ehrverletzung der Beklagten bzw. derer Geschäftsleitung, keinerlei Unterstellung der Begehung schwerwiegender Straftaten oder der Diskriminierung wegen Alters, der sozialen oder ethnischen Herkunft.

b)

Mit diesem Verhalten des Klägers liegt nicht nur ein Kündigungsgrund an sich vor, sondern aufgrund dieser Verhaltensweise ist es der Beklagten auch ohne Ausspruch einer vorherigen Abmahnung unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist aufrechtzuerhalten. Es ist deshalb unerheblich, ob den ausgesprochenen Abmahnungen rechtliche Wirksamkeit zukommt.

Entgegen der klägerischen Auffassung ist die außerordentliche Kündigung vom 29.10.2021 nicht unverhältnismäßig, weil ihr keine weitere Abmahnung vorausgegangen ist. Vielmehr musste die Beklagte den Kläger vor Ausspruch dieser Kündigung nicht abmahnen. Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist zwar grundsätzlich davon auszugehen, dass sein zukünftiges Verhalten bereits durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer entsprechenden Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allerdings u.a. dann nicht, wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 09.11.2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 24, juris; BAG, Urteil vom 23.10.2008 – 2 AZR 483/07 – Rn. 36, juris; BAG, Urteil vom 19.04.2002 – 2 AZR 186/11 – Rn. 22 m.w.N., juris).

Das trifft vorliegend zu. Der Kläger konnte bereits aufgrund der in den E-Mails gegenüber der Beklagten bzw. ihrer Geschäftsleitung erhobenen Vorwürfe nicht mehr ernsthaft damit rechnen, die Beklagte werde sein Verhalten tolerieren. Der Kläger hat durch seine Vorwürfe vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass er über kein Vertrauen mehr in ein gedeihliches Miteinander verfügt und sich für berechtigt hält, die Beklagte sowie ihre Betriebsleitung mit äußerst schweren Vorwürfen zu überziehen sowie eine höhere Instanz oder das LUNG einzuschalten, um eine Einwirkung auf die Beklagte zu erzielen. Die Beschuldigungen des Klägers sind pauschal und leichtfertig erhoben. Damit hat der Kläger nicht nur das Ansehen der Beklagten schwerwiegend verletzt, sondern zudem zu verstehen gegeben, die Beklagte und ihre Betriebsleitung verdienten keinen Respekt, es sei vielmehr gerechtfertigt, sie mit den von ihm genutzten Worten in ihrer Ehre zu verletzen. Die von dem Kläger benutzten Formulierungen stellen sich als derart schwerwiegende Verhaltensweisen dar, dass objektiv und zudem für den Kläger erkennbar nicht von einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit der Parteien ausgegangen werden kann. Bei derartig schwerwiegenden Vertragsverletzungen ist vielmehr vom Erfordernis der Abmahnung abzusehen und regelmäßig davon auszugehen, das pflichtwidrige Verhalten habe das für das Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauen auf Dauer zerstört (vgl. BAG, Beschluss vom 10.02.1999 – 2 ABR 31/98 – Rn. 24, juris; BAG, Urteil vom 21.06.2001 – 2 AZR 30/00 – Rn. 47, juris). Ein Arbeitnehmer kann nicht erwarten, dass sein Arbeitgeber Beleidigungen des Arbeitgebers bzw. seiner Repräsentanten unter einer Bedrohung, auch wenn sie erstmalig geschehen, hinnimmt. Die Bedrohung des Arbeitgebers ist vielmehr eine derart schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht, dass sie auch ohne vorherige Abmahnung zur Kündigung rechtfertigen kann (BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 20, juris; LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.07.2003 – 12 Sa 690/03 – Rn. 7, juris). Vorliegend hat der Kläger in der E-Mail vom 24.10.2021 der Beklagten gedroht, dass „sie sich neben anderen Verstößen für den Menschenhandel verantworten“ müsse.

Der Kläger hat auch bezüglich der von ihm verwandten Wortwahl keinerlei Reue oder Entschuldigung erkennen lassen. Dies korrespondiert mit dem ihm gegenüber in der Abmahnung vom 31.08.2021 erhobenen Vorwurf. Auch hierzu hat der Kläger im Termin der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz geäußert, dass dies der Ton sei, in welchem man sich während der Arbeit bei der Beklagten unterhalte. Der Kläger sieht deswegen keinerlei Veranlassung zur Entschuldigung gegenüber dem betroffenen Mitarbeiter oder seiner Vorgesetzten. Gerade wenn er jedoch nicht die Absicht verfolgt hatte, dass die Vorgesetzte seine Äußerung wahrnimmt, hätte eine Entschuldigung bei ihr nahegelegen. Eine solche ist jedoch nicht erfolgt, stattdessen hält der Kläger der Beklagten in diesem Zusammenhang vor, mit zweierlei Maß zu reagieren. Unter diesen Umständen ist die Beklagte zurecht von der Prognose ausgegangen, eine gedeihliche Zusammenarbeit sei auch nach Ausspruch einer weiteren Abmahnung nicht zu erwarten. Der Kläger hat sich nicht einsichtsfähig gezeigt, geht nicht davon aus, dass er Grenzen überschritten hat, fühlt sich nach wie vor im Recht. Vor diesem Hintergrund bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich nach einer Abmahnung verbal anders und mit der gebotenen Wertschätzung gegenüber der Beklagten und seinen Vorgesetzten verhalten hätte.

Auch die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der sozialen Situation des Klägers fällt zu seinen Lasten aus. Eine langjährige Betriebszugehörigkeit kann der Kläger nicht aufweisen, sondern er ist lediglich seit März 2019, also zum Zeitpunkt der Kündigung seit etwa zweieinhalb Jahren beschäftigt gewesen. Anhaltpunkte dafür, dass er aufgrund seines Lebensalters Schwierigkeiten haben wird, auf dem Arbeitsmarkt neu Fuß zu fassen, sind nicht ersichtlich. Die derzeitige wirtschaftliche Situation lässt vielmehr erwarten, dass die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses kurzfristig möglich ist. Unterhaltspflichten bestehen zwar, es ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kläger die Belastungen des Arbeitsverhältnisses durch sein eigenes Verhalten hervorgerufen und dabei seine Unterhaltsverpflichtungen selbst in den Hintergrund gestellt hat. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung, der fehlenden klägerischen Einsicht und der der Beklagten gegenüber ihren übrigen Mitarbeitern gemäß § 241 Abs. 2 BGB obliegenden Schutzpflicht war der Beklagten eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar.

c)

Schließlich ist auch die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, wonach eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen kann. Die Beklagte hat von den E-Mails des Klägers am 24.10.2021 bzw. 25.10.2021 Kenntnis erlangt. Die dem Kläger am 29.10.2021 ausgesprochene Kündigung, noch am 29.10.2021 zugegangen, liegt innerhalb der Zwei-Wochen-Frist.

Die außerordentliche Kündigung vom 29.10.2021 ist danach rechtswirksam. Sie hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang beendet.

3. Weil das Arbeitsverhältnis bereits aufgrund der außerordentlichen Kündigung beendet worden ist, erlangt die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung keine Bedeutung. Ebenso fällt der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag der Beklagten nicht zur Entscheidung an.

Nach allem war die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und die Klage abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.

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