Skip to content

Verhaltensbedingte Kündigung durch Arbeitgeber

Arbeitsrechtsfall: Kündigung durch Arbeitgeber aus K. nach Konflikten ungerechtfertigt

Im vorliegenden Fall ging es um eine verhaltensbedingte Kündigung, die der Arbeitgeber aufgrund von Leistungsmängeln und dem Verhalten der Klägerin aussprach; das Arbeitsgericht Stuttgart entschied jedoch, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt war.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 26 Ca 947/14 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Kündigung der Arbeitgeberin wurde als sozial ungerechtfertigt betrachtet und somit für unwirksam erklärt.
  • Entschädigungsansprüche der Klägerin im Rahmen des AGG wurden abgelehnt, da die Voraussetzungen nicht erfüllt waren.
  • Die Klägerin war in ihrer Klage hinsichtlich des Bestandsschutzes erfolgreich, während ihre Entschädigungsanforderungen und die Widerklage der Beklagten abgewiesen wurden.
  • Kosten des Rechtsstreits wurden entsprechend dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens aufgeteilt.
  • Die Entscheidung über die Klageerweiterung nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde als unzulässig erachtet.
  • Die Zulassung einer gesonderten Berufung erfolgte nicht.

Kündigung wegen Fehlverhaltens – Was ist erlaubt?

Eine verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber kann ausgesprochen werden, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten gravierend verletzt hat. Hierbei muss es sich um erhebliche Pflichtverstöße handeln, die den Bestand des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar machen.

Oftmals stehen Verhaltensweisen wie Unpünktlichkeit, mangelnde Leistung, Verstöße gegen Weisungen oder Verletzung von Nebenpflichten im Raum. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren definiert, unter welchen Voraussetzungen solche Verhaltensweisen eine Kündigung rechtfertigen können. Je schwerwiegender die Pflichtverletzung, desto eher ist eine Kündigung gerechtfertigt.

Haben Sie ähnliche Erfahrungen mit einer verhaltensbedingten Kündigung gemacht? Lassen Sie sich jetzt unverbindlich von einem erfahrenen Anwalt zu Ihren Möglichkeiten beraten und erfahren Sie, wie Sie sich gegen eine ungerechtfertigte Entlassung wehren können. Ersteinschätzung anfordern.

➜ Der Fall im Detail


Verhaltensbedingte Kündigung: Ein kontroverser Arbeitsrechtsfall

Im Zentrum des Falles steht eine verhaltensbedingte Kündigung einer Sachbearbeiterin im Vertrieb, die seit dem 25. November 2013 für ihr Unternehmen in K. tätig war.

Kündigung wegen unangemessener Äußerungen
Kündigung wegen unangemessener Äußerungen: Gericht kippt Entscheidung! (Symbolfoto: StockLite /Shutterstock.com)

Die Auseinandersetzung entzündete sich nach einem Vorfall während einer Schulungsveranstaltung im März 2014, bei dem ein Kollege der Klägerin gegenüber unangemessene Bemerkungen machte. Trotz späterer Entschuldigung des Kollegen und einer Abmahnung durch den Arbeitgeber eskalierte die Situation weiter. Nach mehreren Gesprächen über die Leistungen der Klägerin und deren Kündigung im Mai 2014, fand sich die Sachlage im Zentrum eines rechtlichen Streits wieder, der letztendlich vor dem Arbeitsgericht Stuttgart verhandelt wurde.

Die Urteilsfindung des Arbeitsgerichts Stuttgart

Das Gericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom Oktober 2014 nicht aufgelöst wurde. Die Entscheidung beruhte auf der Feststellung, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt war. Insbesondere fehlte es an einer vorherigen Abmahnung, die der Klägerin deutlich gemacht hätte, dass ihr Verhalten zur Kündigung führen könnte. Zudem waren die vorgebrachten Leistungsmängel nicht ausreichend belegt und eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts der Klägerin wurde ebenfalls thematisiert.

Diskriminierungsvorwürfe und AGG-Ansprüche

Ein weiterer Aspekt des Falls war die Behauptung der Klägerin, sie sei aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden, was sich insbesondere in den Gesprächen mit ihrem Vorgesetzten und der Art und Weise der Kündigung widerspiegelte. Die Klägerin machte zudem Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Das Gericht wies diese Ansprüche jedoch zurück, da es keinen hinreichenden Beweis für eine Diskriminierung sah.

Die Rolle des Betriebsrats und des Integrationsamts

Im Laufe des Verfahrens wurde deutlich, dass der Betriebsrat und das Integrationsamt eine Rolle spielten. Vor der zweiten Kündigung im Oktober 2014 holte der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamts ein, da die Klägerin zwischenzeitlich einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden war. Diese formellen Schritte waren notwendig, um eine Kündigung rechtlich durchsetzen zu können.

Fazit: Ein komplexer Fall mit mehreren Dimensionen

Der Fall zeigt die Komplexität arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen auf, insbesondere wenn es um verhaltensbedingte Kündigungen und Diskriminierungsvorwürfe geht. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart betont die Bedeutung einer korrekten Prozedur vor Ausspruch einer Kündigung und setzt ein Zeichen gegen die ungerechtfertigte Benachteiligung am Arbeitsplatz. Gleichzeitig illustriert der Fall die Notwendigkeit, alle relevanten Aspekte, einschließlich des Verhaltens der Beteiligten und der internen Kommunikation, gründlich zu prüfen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wie können sich Arbeitnehmer gegen eine verhaltensbedingte Kündigung wehren?

Arbeitnehmer, die eine verhaltensbedingte Kündigung erhalten haben, können verschiedene Schritte unternehmen, um sich dagegen zu wehren. Die wichtigsten Maßnahmen umfassen:

  • Prüfung der Kündigungsvoraussetzungen: Zunächst sollte geprüft werden, ob die Kündigung den rechtlichen Anforderungen entspricht. Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt in der Regel ein schuldhaftes Fehlverhalten des Arbeitnehmers voraus und muss verhältnismäßig sein. Oft ist eine vorherige Abmahnung erforderlich.
  • Einspruch einlegen: Arbeitnehmer können gegen die Kündigung Widerspruch einlegen, wenn sie der Meinung sind, dass die Begründung für das vertragswidrige Verhalten fehlt oder nicht gerechtfertigt ist.
  • Kündigungsschutzklage erheben: Innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung kann eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die Rechtmäßigkeit der Kündigung überprüfen zu lassen.
  • Beteiligung des Betriebsrats: In Unternehmen mit einem Betriebsrat muss dieser vor einer verhaltensbedingten Kündigung informiert und angehört werden. Tut der Arbeitgeber das nicht, kann die Kündigung unwirksam sein.
  • Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht: Es ist ratsam, sich von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten zu lassen. Dieser kann die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage einschätzen und bei den weiteren Schritten unterstützen.
  • Prüfung einer möglichen Abfindung: Obwohl bei einer verhaltensbedingten Kündigung in der Regel keine Abfindung vorgesehen ist, kann in der Praxis oft im Rahmen einer Einigung oder eines Vergleichs vor Gericht eine Abfindung ausgehandelt werden.
  • Überprüfung der Abmahnung: Falls vor der Kündigung eine Abmahnung erfolgt ist, sollte diese auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Eine fehlerhafte oder ungerechtfertigte Abmahnung kann die Basis der Kündigung schwächen.
  • Sonderkündigungsschutz beachten: Bestimmte Arbeitnehmergruppen genießen einen besonderen Kündigungsschutz, z.B. Schwangere, Schwerbehinderte oder Betriebsratsmitglieder. In solchen Fällen gelten zusätzliche Anforderungen für eine wirksame Kündigung.

Es ist wichtig, schnell zu handeln, insbesondere wegen der Dreiwochenfrist für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage. Eine professionelle rechtliche Beratung kann entscheidend sein, um die eigenen Rechte effektiv zu verteidigen.

Inwiefern spielt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bei Kündigungen eine Rolle?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) spielt bei Kündigungen eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es um den Schutz vor Diskriminierung geht. Das AGG zielt darauf ab, Benachteiligungen aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Im Kontext von Kündigungen wird das AGG relevant, wenn die Kündigung auf einem dieser Diskriminierungsgründe basiert oder wenn ein Arbeitnehmer geltend macht, aufgrund eines dieser Merkmale ungerechtfertigt gekündigt worden zu sein.

Relevanz des AGG bei Kündigungen

  • Diskriminierungsschutz: Das AGG schützt Arbeitnehmer vor Diskriminierungen bei Kündigungen. Eine Kündigung, die auf einem der im AGG genannten Gründe basiert, kann rechtswidrig sein.
  • Beweislastumkehr: Im Falle einer Diskriminierungsklage wegen einer Kündigung sieht das AGG eine Beweislastumkehr vor. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber beweisen muss, dass keine Diskriminierung vorlag und die Kündigung auf sachlichen Gründen basierte.
  • Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche: Arbeitnehmer, die aufgrund einer diskriminierenden Kündigung benachteiligt wurden, können Anspruch auf Entschädigung oder Schadensersatz haben. Dies kann neben der Unwirksamkeit der Kündigung stehen.

Schutzmechanismen für Arbeitnehmer

  • Recht auf Gleichbehandlung: Arbeitnehmer haben das Recht, bei Kündigungen gleichbehandelt zu werden. Diskriminierende Kündigungen sind rechtswidrig und können angefochten werden.
  • Möglichkeit der Klageerhebung: Betroffene können Klage beim Arbeitsgericht erheben, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Kündigung diskriminierend war. Hierbei können sie sich auf das AGG berufen.
  • Beratung und Unterstützung: Verschiedene Institutionen, wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) oder die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, bieten Beratung und Unterstützung für Betroffene von diskriminierenden Kündigungen.

Anwendungsbereiche des AGG

Das AGG kommt insbesondere in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Kündigung auf einem der im Gesetz genannten Diskriminierungsgründe beruht. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund seines Alters, seiner sexuellen Identität oder seiner ethnischen Herkunft gekündigt wird, ohne dass dafür sachliche Gründe vorliegen. Zusammenfassend bietet das AGG einen wichtigen rechtlichen Rahmen, um Arbeitnehmer vor diskriminierenden Kündigungen zu schützen. Es ermöglicht Betroffenen, gegen ungerechtfertigte Kündigungen vorzugehen und gegebenenfalls Entschädigung oder Schadensersatz zu fordern.

Wie wirkt sich eine Schwerbehinderung auf das Kündigungsverfahren aus?

Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen in Deutschland einen besonderen Schutz vor Kündigungen. Dieser Schutz ist im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geregelt und soll sicherstellen, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nur unter strengen Voraussetzungen und nach einem speziellen Verfahren erfolgen kann.

Besondere Schutzrechte für schwerbehinderte Arbeitnehmer

  • Zustimmung des Integrationsamtes: Bevor ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen kann, muss er die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Das Integrationsamt prüft, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist und ob möglicherweise Alternativen zur Kündigung bestehen, wie eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz oder eine Umschulung.
  • Erhöhter Kündigungsschutz: Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen einen erhöhten Kündigungsschutz. Dies bedeutet, dass eine Kündigung nur aus besonders gravierenden Gründen zulässig ist. Der Arbeitgeber muss nachweisen, dass die Kündigung unumgänglich ist und dass alle zumutbaren Alternativen ausgeschöpft wurden.
  • Längere Kündigungsfristen: Für die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer gelten in der Regel längere Kündigungsfristen. Dies gibt dem Arbeitnehmer mehr Zeit, sich auf die Veränderung einzustellen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten.

Zusätzliche Schritte im Kündigungsverfahren

  • Anhörung des Betriebsrats: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung anzuhören und dabei die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers anzugeben. Der Betriebsrat kann der Kündigung widersprechen, was den Kündigungsschutz weiter stärkt.
  • Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt: Der Arbeitgeber muss einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt stellen. In diesem Antrag müssen die Gründe für die Kündigung dargelegt und nachgewiesen werden, dass eine Weiterbeschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht möglich ist.
  • Möglichkeit der Stellungnahme für den Arbeitnehmer: Der schwerbehinderte Arbeitnehmer hat das Recht, sich zu dem Antrag des Arbeitgebers beim Integrationsamt zu äußern. Dies gibt ihm die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge darzulegen und gegebenenfalls gegen die Kündigung vorzugehen.
  • Entscheidung des Integrationsamtes: Das Integrationsamt trifft eine Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers. Wird die Zustimmung erteilt, kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen. Wird sie verweigert, bleibt das Arbeitsverhältnis bestehen.

Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer stellt sicher, dass Kündigungen nur als letztes Mittel und unter strengen Voraussetzungen erfolgen können. Arbeitgeber müssen ein spezielles Verfahren einhalten und die Zustimmung des Integrationsamtes einholen. Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben zudem das Recht, sich im Verfahren zu äußern und gegen die Kündigung vorzugehen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 1 KSchG (Allgemeiner Kündigungsschutz): Regelt die Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Kündigungen und schützt Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen. Der Fall bezieht sich direkt darauf, da die Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss.
  • § 15 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz): Ansprüche bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot. Im Fall relevant wegen der Diskriminierungsvorwürfe und Entschädigungsansprüche.
  • § 7 KSchG (Besondere Kündigungsschutzvorschriften für schwangere Frauen und Eltern in Elternzeit): Schutz vor Kündigung für bestimmte Personengruppen. Im Kontext der Diskussion um Diskriminierung und Kündigungsschutz relevant, obwohl nicht direkt im Fall erwähnt, aber im Zusammenhang mit AGG relevant.
  • § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz): Anhörung des Betriebsrats vor Kündigungen. Wichtig für den Fall, da die Rolle des Betriebsrats bei der Kündigung thematisiert wurde.
  • § 3 AGG (Benachteiligungsverbot): Definiert, was unter einer Benachteiligung zu verstehen ist und ist relevant für den Diskriminierungsvorwurf im Fall.
  • § 4 KSchG (Anrufung des Arbeitsgerichts): Regelt die Frist und das Verfahren zur Geltendmachung des Kündigungsschutzes. Für den Fall relevant, da die Kündigung angefochten wurde.


Das vorliegende Urteil

ArbG Stuttgart – Az.: 26 Ca 947/14 – Urteil vom 15.04.2015

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2014 nicht zum 30. November 2014 aufgelöst wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Widerklage wird abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 74% und die Beklagte 26% zu tragen.

5. Der Streitwert wird auf 41.503,71 Euro festgesetzt.

6. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch über eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers bezüglich gezahlter Urlaubsvergütung.

Die am …19… geborene, geschiedene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin trat zum 25. November 2013 in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten am Standort K. als „Sachbearbeiterin Vertrieb“ ein. Das Arbeitsentgelt betrug zuletzt 2.406,00 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden.

Für den Betrieb der Beklagten in K. ist ein Betriebsrat gewählt; nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.

Vom 3. bis 5. März 2014 nahm die Klägerin an einer Schulungsveranstaltung der Beklagten im Werk eines Lieferanten teil. Zu den Teilnehmern gehörte ua. auch der Kollege der Klägerin, Herr R. Am Abend des 4. März 2014 fand ein gemeinsames Abendessen mit mehreren Kollegen statt. Auf dem Weg zum Lokal führten die Klägerin und deren Kolleginnen bzw. Kollegen Gespräche, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Jedenfalls äußerte der Kollege Herr R gegenüber der Klägerin „Hast Du eigentlich einen Freund? Weil: Dich muss man mal wieder richtig durchvögeln (Beklagte: ‚durchschrubben‘), damit Du mal wieder entspannter bist“. Für diese Äußerung entschuldigte sich Herr R später bei der Klägerin. Mit Schreiben vom 7. Juli 2014 mahnte die Beklagte Herrn R wegen des Vorfalls vom 4. März 2014 ab.

Am 15. April 2014 führte der Vorgesetzte der Klägerin, Herr E, mit dieser ein Gespräch, wobei streitig ist, welche weiteren Personen in welchem zeitlichen Umfang an diesem Gespräch beteiligt waren. Gegenstand des Gesprächs waren die bisherigen Leistungen der Klägerin. Ob Herr E im Laufe des Gesprächs Verständnis für Herrn R zum Ausdruck brachte, ist zwischen den Parteien streitig.

Am 20. Mai 2014 führte Herr E erneut ein Gespräch mit der Klägerin, in dessen Verlauf er der Klägerin eröffnete, die Beklagte habe sich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin entschlossen. Am Ende des Gesprächs übergab Herr E der Klägerin eine Kopie eines Kündigungsschreibens vom 20. Mai 2014, mit der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2014 erklärt wurde. Nach dem 20. Mai 2014 erkrankte die Klägerin arbeitsunfähig. Das Originalkündigungsschreiben gab die Beklagte am Folgetag als Abholeinschreiben zur Post. Ob die Klägerin durch eine Benachrichtigung der Post AG von der Lagerung eines an sie adressierten Schreibens unterrichtet wurde ist zwischen den Parteien streitig. Nachdem die Klägerin das Schreiben nicht abgeholt hatte, ging das Kündigungsschreiben als Rückläufer am 23. Juni 2014 bei der Beklagten ein, die daraufhin die Kündigung an die Klägerin erneut versendete. Das Originalkündigungsschreiben ging der Klägerin am 26. Juni 2014 zu.

Bereits am 10. Juni 2014 machte die Klägerin den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses mit der an das Arbeitsgericht Stuttgart gerichteten Klage geltend.

Nachdem der Gütetermin vom 2. Juli 2014 ohne vergleichsweise Einigung geendet hatte, forderte die Beklagte die Klägerin „zur Vermeidung von Verzugsfolgen“ auf, die Arbeit ab Freitag, den 4. Juli 2014 aufzunehmen (Schreiben vom 3. Juli 2014). Die Klägerin arbeitete daraufhin im Zeitraum 7. bis 14. Juli 2014. Ab dem 15. Juli 2014 erkrankte die Klägerin erneut arbeitsunfähig.

Im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 zahlte die Beklagte an die Klägerin Urlaubsentgelt, nachdem die Klägerin bereits lange zuvor für diesen Zeitraum Urlaub beantragt hatte. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegen für diesen Zeitraum nicht vor.

Nachdem die Klägerin mit Bescheid vom 1. Juli 2014 (rückwirkend zum 9. Mai 2014) einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden ist, beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 1. August 2014 beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Oktober 2014 zum 30. November 2014.

Die Klägerin meint zunächst, die Kündigung vom 20. Mai 2014 sei am Maßstab des Kündigungsschutzgesetztes zu messen, da sich die Klägerin keinen vor dem 26. Juni 2014 liegenden Zugangszeitpunkt für das Kündigungsschreiben entgegenhalten lassen müsse. In jedem Fall sei die Kündigung vom 20. Mai 2014 deshalb unwirksam, weil die Kündigung die Klägerin wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteilige. Die Benachteiligung ergebe sich daraus, dass Herr R nach seiner Äußerung vom 4. März 2014 die Klägerin – auch gegenüber Herrn E – schlecht gemacht habe. Herr E seinerseits habe sich am 15. April 2014 gegenüber der Klägerin in der Weise geäußert, dass sie sich in Herrn R hineinversetzen solle; dieser habe schließlich keine Freundin; wie sie sich denn fühlen würde, wenn sie jemand abweise. Sie solle Herrn R verstehen und einfach einen lockeren Umgang an den Tag legen. Er erwarte ohnehin von ihr, dass sie an sich arbeite und Kunden und Kollegen einfach ein bisschen mehr um den Finger wickle. Die Klägerin trägt daher vor, Kündigungsgrund seien nicht – wie die Beklagte behaupte – Leistungsmängel, sondern letztlich die Zurückweisung des Kollegen R und die Beschwerden der Klägerin über dessen Verhalten. Das Arbeitsverhältnis bestehe ohnehin fort, nachdem die Klägerin – ohne Abschluss einer wirksamen Vereinbarung zur Prozessbeschäftigung – tatsächlich wieder gearbeitet habe. Was die Kündigung vom 29. Oktober 2014 anbelange, so sei diese Kündigung sozial nicht gerechtfertigt.

Die Beklagte meint im Wesentlichen, die Kündigung vom 20. Mai 2014 sei nicht am Kündigungsschutzgesetz zu messen, da ein früherer Zugang des Schreibens wegen Zugangsvereitelung anzunehmen sei. Insbesondere im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014, auf dessen gesamten Inhalt Bezug genommen wird, führt die Beklagte aus, Grund für die Kündigung vom 20. Mai 2014 seien ausschließlich Fehlleistungen der Klägerin, zunehmende Kundenbeschwerden und Probleme in der Teamarbeit. Im Gespräch vom 15. April 2014 sei der Vorfall vom 4. März 2014 nicht thematisiert worden, insb. nachdem Herr R in einem Telefonat vom 7. März 2014 sein Verhalten gegenüber Herrn E offenbart und mitgeteilt habe, sich bei der Klägerin entschuldigt zu haben und Herr E Herrn R schon wegen dessen Äußerung gerügt habe. Keinesfalls habe Herr E Verständnis für Herrn R bzw. dessen Verhältnis gezeigt. Im Gespräch vom 15. April 2014 habe dieser lediglich im geschäftlichen Zusammenhang geäußert, er erwarte von der Klägerin, dass sie Kunden besser „um den Finger wickle“. Die Klägerin stelle Äußerungen von Herrn E in einem völlig falschen Zusammenhang dar; ein irgendwie diskriminierendes Verhalten sei Herrn E nicht vorzuwerfen.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 32.500,00 Euro wegen der im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 zu den Vorfällen am 4. März und 15. April 2014 aufgestellten Behauptungen geltend, die sie mit der am 13. Februar 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung auch gerichtlich gegenüber der Beklagten verfolgt.

Die Klägerin behauptet, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 diskriminierten die Klägerin mittelbar. Insbesondere mit dem Sachvortrag, das Gespräch am 15. April 2014 habe nicht mit dem laut Klageschrift behaupteten Inhalt stattgefunden, die Klägerin erfinde das Gespräch, habe sich die Beklagte unangemessen mit der Thematik vom 4. März und 15. April 2014 auseinandergesetzt und die Klägerin diskriminiert. Anstatt die Vorgänge zu prüfen, habe sich die Beklagte dem prozessualen Vorbringen der Klägerin verschlossen und sei lediglich den Sachverhaltsdarstellungen der Herren R und E gefolgt. Durch dieses Vorgehen und unter Missachtung der Verpflichtungen aus §§ 12, 13 AGG habe sich die Beklagte selbst mittelbar diskriminierend verhalten. Die Beklagte dränge die Klägerin von der Opfer- in die Täterrolle; der Klägerin stehe daher eine angemessene Entschädigung in Höhe einer Bruttojahresvergütung zu.

Im Kammertermin vom 20. Februar 2015 haben die Parteien einen Teilvergleich mit dem folgenden Inhalt geschlossen:

1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Mai 2014 zum 30. Juni 2014 aufgelöst wird. Die Parteien sind sich vielmehr darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt über den 30. Juni 2014 hinaus fortbesteht.

2. Die beklagte Partei verpflichtet sich, an die klagende Partei als Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 4. Juli 2014 einen Betrag in Höhe von 217,39 EUR brutto zu bezahlen.

3. Damit sind Entgeltansprüche der klagenden Partei im Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 4. Juli 2014 erledigt.

Die Klägerin beantragt daraufhin:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 nicht zum 30. November 2014 aufgelöst wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung nach Rechtsauffassung des Gerichts, mindestens jedoch 32.500,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins seit Klagezustellung zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt:

1. Die Klage abzuweisen.

2. Die Klägerin zur Rückzahlung des für die Zeit vom 4. August bis 22. August 2014 erhaltenen Urlaubsentgelts in Höhe von 1.785,71 Euro brutto zu verurteilen.

Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet im Wesentlichen, Grund für die Kündigung vom 29. Oktober 2014, zu der der Betriebsrat am 28. Oktober 2014 angehört worden sei, seien Leistungsmängel der Klägerin im Zeitraum 7. bis 14. Juli 2014, die Diskriminierungsvorwürfe der Klägerin gegenüber Herrn E und Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin. Was Fehlleistungen im Zeitraum 7. bis 14. Juli 2014 anbelange, so habe die Klägerin beispielsweise zu einem Vorgang (Auftrags-Nr. 30824174, Fa. S) zu einer Position des Lieferauftrags eine falsche Artikel-Nr. ermittelt, beim Lieferanten statt „ab Lager“ bestellt und eine falsche Stückzahl angegeben; der Retourenauftrag sei ebenfalls falsch bearbeitet worden (an „Industrie“ statt „ans Lager“ zurückgesandt und die Retoure „mit Abholschein“ statt „Retouren-Auftrag über SAP“). In einer Email vom 29. April 2014 an Herrn Kx von der Fa. Si zeige die Klägerin unstreitig einen Erfassungsfehler an; nicht nachvollziehen könne die Beklagte, weshalb die Klägerin Herrn Kx in der Email duze. Beim Auftrag der Fa. Br vom 7. Juli 2014 habe die Klägerin den Auftrag falsch erfasst, weshalb eine Kollegin und ein Lagerarbeiter viel Zeit investiert hätten, um eine korrekte Lieferung zu gewährleisten. Am 9. Juli 2014 habe die Klägerin auf die Bitte einer Kollegin, bei der Auftragserfassung zu helfen, geantwortet, keine Zeit zu haben, obwohl die Auftragserfassung hohe Priorität habe. Zudem habe die Klägerin die Anweisung „Erfassung des Angebots wie gespeichert“ nicht befolgt; beim Angebot 10115712 HN habe die Klägerin entgegen dieser Anweisung den Kunden angerufen und einen eigenen Kalkulationsrabatt bestimmt. Im Übrigen stelle die Klägerin Behauptungen zum Gespräch vom 15. April 2014 auf, die nicht stimmten. Auch halte die Klägerin an ihrem Vortrag fest, von Herrn E – trotz Aufklärung und Stellungnahme durch diesen – diskriminiert worden zu sein. Was die Widerklage betreffe, so sei die Klägerin mit Ausnahme des Zeitraums vom 7. bis 14. Juli 2014 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, wenn auch die Klägerin für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Die Beklagte gehe davon aus, dass durchgehend Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Probleme als Grunderkrankung bestanden habe, wie die Diagnose aus der Erstbescheinigung vom 15. Juli 2014 nahelege. Wenn die Klägerin aber arbeitsunfähig gewesen sei, habe sie keinen Entgeltanspruch, insb. keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Überschreitung des 6-Wochen-Zeitraums.

Im Kammertermin vom 20. Februar 2015 haben die Parteien einen widerruflichen Vergleich geschlossen, den die Klägerin innerhalb der vereinbarten Frist widerrufen hat. Für den Fall des Widerrufs hat das Gericht die Bestimmung eines Verkündungstermins von Amts wegen angeordnet, der mit Verfügung vom 26. März 2015 auf den 15. April 2015 bestimmt wurde.

Mit Schriftsatz vom 26. März 2015 beantragt die Klägerin erweiternd,

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine weitere angemessene Entschädigung nach Rechtsauffassung des Gerichts, mindestens jedoch 48.750,00 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins seit Klagezustellung zu bezahlen.

Die Klägerin behauptet insoweit im Wesentlichen, sie sei durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 mittelbar diskriminiert worden, weil die Beklagte ihre Kündigung vom 29. Oktober 2014 ua. mit dem Vorwurf, sie habe ihrem Vorgesetzten – zu Unrecht – diskriminierendes Verhalten vorgeworfen, begründet wurde. Durch den unangemessenen Umgang mit der Thematik und unter Verstoß gegen die Pflichten aus §§ 12, 13 AGG habe die Beklagte die Klägerin mittelbar diskriminiert.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 2. Juli 2014 und 20. Februar 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage hat nur hinsichtlich des Bestandsschutzantrags Erfolg. Die Widerklage war insgesamt abzuweisen.

I.

Die Klage ist nur hinsichtlich des Feststellungsbegehrens begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet nicht durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 zum 30. November 2014. Der Klägerin steht die geforderte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 32.500,00 Euro nicht zu. Die Klageerweiterung um eine weitere Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist unzulässig.

1. Die allein noch im Streit stehende Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2014 ist nicht sozial gerechtfertigt und daher unwirksam.

a) Die Kündigung gilt zunächst nicht bereits nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, denn die Klägerin hat die Kündigung rechtzeitig innerhalb der 3-Wochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen. Die Klägerin hat insbesondere bereits mit der ursprünglichen Klageschrift einen sog. „Schleppnetzantrag“, dh. allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO gestellt, der auch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 erfasste. Die Klägerin hat darüber hinaus gesondert innerhalb der 3-Wochenfrist einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG in Bezug auf die Kündigung vom 29. Oktober 2014 gestellt.

b) Die Kündigung vom 29. Oktober 2014 ist am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, welches nach seinen persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen Anwendung findet (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG); die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, insb. nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt.

aa) Eine Kündigung ist durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden (vgl. BAG 27. September 2012 – 2 AZR 811/11 – Rn. 16, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 81).

(1) Für eine verhaltensbedingte (ordentliche wie außerordentlich) Kündigung gilt dabei das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen (vgl. BAG 26. November 2009 – 2 AZR 751/08 – Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5). Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227 ff.; Schlachter, NZA 2005, 433, 436). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung, d.h. aufgrund objektiver Umstände geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragsverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (vgl. BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – aaO.; 19. April 2007 – 2 AZR 180/06 – AP BGB § 174 Nr. 20; KR-Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB, Rn. 266; vHH/L/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 498, 512). Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BAG 12. Januar 2006 – 2 AZR 21/05 – NZA 2006, 917 ff; Schlachter, NZA 2005, 433 ff.). Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. BAG 27. September 2012 – 2 AZR 811/11 – Rn. 16, aaO). Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann (vgl. BAG 19. April 2007 – 2 AZR 160/06 – aaO) oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des – auch entsprechenden einmaligen – Verhaltens durch den Arbeitgeber offenkundig ausgeschlossen ist (vgl. BAG 19. April 2012 – 2 AZR 258/11 – Rn. 15, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 15. November 2001 – 2 AZR 605/00 – BAGE 99, 331). Eine frühere, unwirksame Kündigung kann die Funktion einer Abmahnung dann erfüllen, wenn der Kündigungssachverhalt feststeht und die Kündigung aus anderen Gründen – zB wegen fehlender Abmahnung – für unwirksam erachtet worden ist (vgl. BAG 31. August 1989 – 2 AZR 13/89 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 23 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 32).

(2) Im Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Die Vertragsverletzung ist vom Arbeitgeber anhand von Tatsachen konkret darzulegen. Pauschale Erklärungen und Tatsachenwertungen, wie „schludrige Arbeitsweise“, „häufiges Zuspätkommen“, reichen nicht aus (vgl. KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 412; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 207). Sofern Abmahnungen erfolgt sind, hat der Arbeitgeber diese vorzutragen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitnehmer zu beweisen, dass diese Abmahnungen wirksam, dh. insbesondere berechtigt waren (vgl. vHH/L/Krause KSchG § 1 Rn. 560). Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (vgl. BAG 21. Mai 1992 – 2 AZR 10/92 – BAGE 70, 262; 18. Oktober 1990 – 2 AZR 204/90 – zu II 3 a der Gründe, RzK I 10h Nr. 30).

bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze kann die Beklagte die Kündigung weder erfolgreich auf Leistungsmängel noch den Umstand, die Klägerin werfe Herrn E ein tatsächlich nicht vorliegendes diskriminierendes Verhalten vor, stützen. Soweit die Beklagte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin angibt, liegt jedenfalls kein Pflichtenverstoß im Arbeitsverhältnis vor.

(1) Nach vorheriger Abmahnung kann eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mit der geschuldeten Qualität oder Quantität erfüllt (vgl. BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 14, BAGE 125, 257; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 278; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 128; HaKo-KSchR/Zimmermann 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 387; KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 448; HWK/Quecke 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 239; AR/Kaiser 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 50).

(a) Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen. Dem Arbeitnehmer ist es allerdings nicht gestattet, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach freiem Belieben zu bestimmen. Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten (vgl. BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 15, aaO; 11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 – Rn. 90, BAGE 109, 87; APS/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rn. 278a; KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 448; Friemel/Walk NJW 2005, S. 3669 ff.; Maschmann NZA-Beilage 1/2006, S. 13, 15; aA vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 684; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 15. Aufl. § 131 Rn. 48).

(b) Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Leistungsmängeln sowie für eine zuvor erfolgte Abmahnung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber. Die einzelnen Leistungsmängel hat er dabei so konkret wie möglich zu bezeichnen, und zwar unter Aufzeigung der jeweiligen Pflichtwidrigkeiten sowie unter Darlegung der einzelnen Fehler. Durch pauschale Werturteile über die von einem Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung genügt der Arbeitgeber der ihm obliegenden Darlegungslast grundsätzlich nicht. Zu einem schlüssigen Vortrag gehört vielmehr die Darlegung, worin das Versagen des Arbeitnehmers im Einzelnen besteht, welche Minder-, Fehl- oder Schlechtleistungen ihm zur Last zu legen sind und welche Mängel in der fachlichen oder persönlichen Qualifikation vorliegen (vgl. BAG 15. August 1984 – 7 AZR 228/82 – zu II 5 b der Gründe, BAGE 46, 163; KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 449). Dabei ist auch der herangezogene Vergleichsmaßstab substantiiert vorzutragen. Das Gericht muss in die Lage versetzt werden, selbständig feststellen zu können, ob bzw. dass eine nicht mehr zu tolerierende Fehlerquote vorliegt. Die lediglich allgemeine Beschreibung fehlerhafter Arbeitsleistungen genügt diesen prozessualen Anforderungen nicht (vgl. APS/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rn. 281).

(aa) Es ist daher zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt der Arbeitgeber aber lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten. Da der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber hier weitere Umstände darlegen (vgl. BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 546/06 – Rn. 22, aaO). Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber bei vorgeworfener qualitativer Minderleistung näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt (vgl. BAG 17. Januar 2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 22, aaO; LAG Schleswig-Holstein 24. Februar 2010 – 6 Sa 399/09 – NZA-RR 2010, 466 ff.; LAG Köln 07. August 2009 – 4 Sa 1394/08 -; Friemel/Walk NJW 2010, 1557 ff.). In diesem Zusammenhang muss der Arbeitgeber die Vergleichsgruppe transparent, d.h. nachvollziehbar darlegen. Die dabei einbezogenen Mitarbeiter müssen hinsichtlich ihrer Qualifikation, Berufserfahrung und hinsichtlich der Bedingungen, unter denen sie ihre Arbeit erbringen, vergleichbar sein. Schließlich kann ein längerfristiges Überschreiten der durchschnittlichen Fehlerquote nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber seinen Angaben einen längeren Referenzzeitraum nachvollziehbar zugrunde legt (vgl. Friemel/Walk NJW 2010, 1557, 1559 f.).

(bb) Genügt der Arbeitgeber diesen Maßstäben, ist es Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen, gegebenenfalls das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten und/oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Trägt der Arbeitnehmer derartige Umstände nicht vor, gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO (vgl. BAG 11. Dezember 2003 – 2 AZR 667/02 – Rn. 92, aaO; HaKo-KSchR/Zimmermann § 1 KSchG Rn. 389; Maschmann NZA-Beilage 1/2006, S. 13, 18).

(c) Unabhängig davon, dass die Beklagte nach diesen Maßstäben schon ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, als sie teilweise auch nur vorgetragen hat, die Klägerin habe einen „Auftrag falsch erfasst“, was für eine substantiierte Darlegung von Schlechtleistungen nicht genügt und nicht im Ansatz aufgezeigt, dass die Fehler der Klägerin zu einer nicht mehr tolerierbaren Fehlerquote geführt haben, fehlt es in jedem Fall an einer der Kündigung vorausgehenden Abmahnung. Die der Klägerin vorgeworfenen Schlechtleistungen stellen ein typisches Verhalten dar, bei dem grundsätzlich davon auszugehen ist, dass bereits der Ausspruch einer Abmahnung ausgereicht hätte, um dem Risiko künftiger gleichgelagerter Pflichtverletzungen zu begegnen. Dies gilt auch, soweit die Beklagte behauptet, die Klägerin habe mit dem Hinweis auf „keine Zeit“ die Übernahme von Tätigkeiten abgelehnt bzw. sich unangemessen gegenüber Kunden (duzen) verhalten. Eine Abmahnung war vorliegend auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte bereits zuvor eine unwirksame Kündigung (vom 20. Mai 2014) ausgesprochen hätte und diese mit Leistungsmängeln in der gerichtlichen Auseinandersetzung begründet hat. Zum Einen ging die Beklagte bei der Kündigung vom 20. Mai 2014 davon aus, keine Gründe – mangels Erfüllung der Wartezeit – angeben zu müssen. Der Kündigungssachverhalt stand daher – für die Klägerin erkennbar – nicht fest, sondern war lediglich Gegenstand des Beklagtenvortrags. Zum Anderen ist die Kündigung vom 20. Mai 2014 auch nicht unwirksam. Vielmehr haben sich die Parteien auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 30. Juni 2014 hinaus im Teilvergleich vom 20. Februar 2014 verständigt. Die Kündigung vom 20. Mai 2014 kann daher nicht – als unwirksame Kündigung – die Funktion einer Abmahnung erfüllen. Mit anderen Worten: durch die Kündigung vom 20. Mai 2014 war die Klägerin nicht hinsichtlich ihres Leistungsverhaltens abmahnungsgleich gewarnt.

(2) Die Klägerin hat durch ihren prozessualen Vortrag, der die Behauptung einschließt, von Herrn E diskriminiert worden zu sein, nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen.

(a) Einen die ordentliche bzw. – je nach den Umständen des Einzelfalls – fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. (grobe) Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (vgl. BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 – 2 AZR 400/05 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer – auch unternehmensöffentlich – Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 240 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 43). Die Meinungsfreiheit muss regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 – 1 BvR 1751/12 – Rn. 15, NJW 2013, 3021; BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 36, EzA KSchG § 9 nF Nr. 65; 7. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – Rn. 17, BAGE 138, 312). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – Rn. 15, aaO mwN). Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (vgl. BAG 10. Oktober 2002 – 2 AZR 418/01 – zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1).

(b) Danach liegt im prozessualen Vortrag der Klägerin keine die Kündigung rechtfertigende üble Nachrede oder aber eine Beleidigung ihres Vorgesetzten Herrn E.

(aa) Zu berücksichtigen ist, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren – etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst – durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 – 2 AZR 482/09 – Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 24, NZA 2014, 1258 mit Hinweis auf BVerfG 11. April 1991 – 2 BvR 963/90 – zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – aaO). Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren überschreiten nur in Ausnahmefällen die Grenzen des aufgrund der Meinungsfreiheit Zulässigen. Gegen Prozessbehauptungen kann nur dann rechtlich vorgegangen werden, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich die Mitteilung als missbräuchlich darstellt (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 – 1 BvR 1751/12 – Rn. 20, NJW 2013, 3021; BAG 31. Juli 2014 – 2 AZR 434/13 – Rn. 20; 24. März 2011 – 2 AZR 674/09 – Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 67 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 62). Die bloße „Unangemessenheit“ und „Unnötigkeit“ der Äußerung reichen dafür nicht aus (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 – 1 BvR 1751/12 – aaO). Im Übrigen gilt: wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit seinen Gegner zum Einlenken veranlassen will (vgl. BAG 8. Mai 2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 29, aaO). Eine Schmähkritik liegt erst dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 – 1 BvR 1751/12 – Rn. 15, aaO; BAG 29. August 2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 36, EzA KSchG § 9 nF Nr. 65; 7. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – Rn. 17, BAGE 138, 312).

(bb) Bei dem prozessualen Vorbringen der Klägerin, mit dem sie – für den Fall der Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Kündigung vom 20. Mai 2014 – die Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 7 Abs. 1, 3, 1 AGG darzulegen suchte, handelt es sich weder um einen Vortrag, dessen Unhaltbarkeit auf der Hand lag, was auch die Beklagte nicht behauptet, noch um eine Schmähkritik des Vorgesetzten. Die Klägerin hat – nach ihrem Erleben – die Vorgänge vom 4. März, 15. April und das Kündigungsgespräch vom 20. Mai 2014 geschildert. Ob sich diese Schilderung – ggf. im Wege einer Beweisaufnahme – als zutreffend erwiesen hätten, ist unerheblich, jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin – erkennbar – völlig unhaltbare Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat. Die Äußerungen in den klägerischen Schriftsätzen stellen auch keine Schmähkritik dar, vielmehr eine an der Sache „Unwirksamkeit der Kündigung“ orientierte Schilderung des von der Klägerin wahrgenommenen Sachverhalts.

2. Keinen Erfolg hat die Klage aber hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Entschädigung iHv. mindestens 32.500,00 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG.

a) Die Klage ist allerdings insoweit zulässig.

aa) Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens (§ 15 Abs. 2 AGG) wegen einer behaupteten Benachteiligung durch den Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014, nicht ein Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung durch die Kündigung vom 20. Mai 2014 (ein solcher wäre nach § 15 Abs. 4 AGG verfallen).

bb) Der Antrag ist auch nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichend bestimmt. Insbesondere durfte die Klägerin die Höhe der Forderung in das Ermessen des Gerichts stellen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG). Erforderlich ist allein, dass der Kläger – wie vorliegend durch die Klägerin geschehen – Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG 13. Oktober 2011 – 8 AZR 608/10 – Rn. 16 mwN, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16).

b) Die Klage ist aber unbegründet. Der Klägerin steht keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.

aa) Für die Klägerin als Arbeitnehmerin der Beklagten ist der persönliche Anwendungsbereich des AGG (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG) eröffnet. Die Beklagte ist als Arbeitgeberin iSv. § 6 Abs. 2 AGG passivlegitimiert und der Entschädigungsanspruch ist rechtzeitig iSv. § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

bb) Ein Entschädigungsanspruch steht der Klägerin aber deshalb nicht zu, weil der Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot iSv. § 7 AGG im sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 2 AGG) voraussetzt, an dem es vorliegend fehlt. § 15 Abs. 2 AGG enthält nur eine Rechtsfolgenregelung. Für die Voraussetzungen ist auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen

(1) Bereits der sachliche Anwendungsbereich des AGG ist im Falle von Aufstellen von Tatsachenbehauptungen und dem Äußern von Rechtsansichten in einem gerichtlichen Verfahren nicht eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn über Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis gestritten wird.

(a) Nach § 2 Abs. 1 AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ua. unzulässig in Bezug auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg (Nr. 1) und die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg (Nr. 2).

(aa) Nach Nr. 1 wird der vorvertragliche Kontakt wie auch die Vertragsschlusssituation in den Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots einbezogen, also die Vertragsanbahnungsphase, die dem Zugang zu jeder Form von selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit vorausgeht (vgl. ErfK/Schlachter § 2 AGG Rn. 4). Auch die Stellen(neu)besetzung nach Auslauf einer Befristung gehört zum „Zugang“ (vgl. BGH 23. April 2012 – II ZR 163/10 – Rn. 20, BGHZ 193, 110).

(bb) Unter den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG sind alle Umstände zu verstehen, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (vgl. BAG 20. März 2012 – 9 AZR 529/10 – Rn. 12, BAGE 141, 73). Entlassungsbedingungen im Sinne der Norm sind alle Bedingungen, die das „Ob“ und „Wie“ der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses regeln (vgl. BAG 6. April 2011 – 7 AZR 524/09 – Rn. 14, AP AGG § 10 Nr. 1). § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG umfasst damit den gesamten Inhalt des Arbeitsverhältnisses einschließlich dessen Beendigung (vgl. Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 9). Als „Maßnahmen“ sind sämtliche Anordnungen des Arbeitgebers, also beispielsweise Weisungen, einseitige Leistungsbestimmungen, Versetzungen und Umsetzungen zu betrachten (vgl. BAG 22. Januar 2009 – 8 AZR 906/07 – Rn. 32, BAGE 129, 181).

(b) Die Klägerin macht eine Benachteiligung durch einen prozessualen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 geltend. Hierbei handelt es sich nicht um Bedingungen für den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) oder um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Durch den Vortrag in einem Schriftsatz zu einem geführten Prozess beeinflusst die Beklagte die Bedingungen der Prozessführung und die Umstände, die das Gericht für die Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat, nicht aber die Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (eine Kündigung wird mit ihrem Zugang wirksam; für die gerichtliche Entscheidung kommt es auf diesen Zeitpunkt an) oder die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Durch die Erhebung der Klage ist zwischen den Parteien vielmehr ein Prozessrechtsverhältnis begründet worden, welches die Beziehungen der Parteien untereinander, aber auch zum Gericht verknüpft und aus dem sich Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten, eine allgemeine Prozessförderungspflicht, Wahrheits- und Vollständigkeitspflichten, eine allgemeine Redlichkeitspflicht und ein prozessuales Missbrauchsverbot ergeben (vgl. Zöller/Vollkommer 30. Aufl. Einleitung Rn. 52 ff.). Macht eine Partei unzutreffende oder nicht vollständige Ausführungen etc., so knüpft das Prozessrecht hieran Folgen. Das Prozessrechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur und von der Privatrechtsbeziehung, über die gestritten wird, zu trennen (vgl. HK-ZPO/Saenger 5. Aufl. Einführung Rn. 90; Musielak ZPO 11. Aufl. Einleitung Rn. 56; MüKo-ZPO/Rauscher 4. Aufl. Einleitung Rn. 30). Die Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 betreffen insb. den über die Kündigung vom 20. Mai 2014 geführten Rechtsstreit. Die Beklagte stellt hierin Tatsachenbehauptungen auf und äußert Rechtsansichten. Es geht mithin nicht um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen oder Entlassbedingungen, sondern um Ausführungen zur Rechtsverteidigung in einem geführten Prozess; nur das Prozessrechtsverhältnis, nicht aber das Arbeitsverhältnis ist insoweit betroffen. Das AGG soll nicht das geltende Prozessrecht verändern, weil die Parteien über ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis im Anwendungsbereich des AGG streiten.

(2) Aber selbst wenn man annehmen wollte, das Arbeitsverhältnis strahle über die in ihm statuierten Nebenpflichten auch in das Prozessrechtsverhältnis hinein, mit der Folge, dass auch für Äußerungen in einem Arbeitsgerichtsprozess der sachliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet sei, muss das Begehren der Klägerin scheitern, weil ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§§ 7 Abs. 1, 3 AGG) nicht vorliegt. Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 stellen keine Benachteiligung iSv. § 3 AGG dar.

(a) Die Klägerin hat weder eine unmittelbar noch eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG durch die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 erfahren.

(aa) Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Ein Arbeitnehmer erfährt nicht bereits dann eine „weniger günstige Behandlung“ iSv. § 3 Abs. 1 AGG, wenn er objektiv anders als ein anderer, das Merkmal nach § 1 AGG tragender Arbeitnehmer behandelt wird (vgl. BAG 25. Februar 2010 – 6 AZR 911/08 – Rn. 25, BAGE 133, 265). Ob eine Benachteiligung vorliegt oder nicht, bestimmt sich objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 29). Die „weniger günstige Behandlung“ kann in der Versagung einer Chance im Bewerbungsverfahren (vgl. BAG 23. August 2012 – 8 AZR 285/11 – Rn. 22, AP AGG § 3 Nr. 9 = EzA AGG § 7 Nr. 2), der Ablehnung eines Vertragsschlusses, im Diktieren ungünstiger Vertragsbedingungen oder einer Kündigung (vgl. BAG 12. Dezember 20132 – 8 AZR 838/12 – Rn. 21, NZA 2014, 722), aber auch in rein faktischen Vorgängen, wie bspw. dem Ausschluss von der Internetnutzung, liegen. Insgesamt geht es um ein negatives Betroffensein (vgl. Däubler/Betzbach-Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 16). Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (vgl. BAG 26. Juni 2014 – 8 AZR 547/13 – Rn. 28, ZTR 2014, 731).

(bb) Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist letztlich ein Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots der unmittelbaren Diskriminierung, weshalb auch eine konkrete Betroffenheit vorausgesetzt ist (vgl. BAG 14. November 2013 – 8 AZR 997/12 – Rn. 37, AP AGG § 15 Nr. 16 = EzA AGG § 7 Nr. 3). Die Benachteiligten müssen von der mittelbaren Benachteiligung konkret betroffen sein bzw. es muss eine hinreichend konkrete Gefahr bestehen, dass den Betroffenen im Vergleich zu Angehörigen anderer Personengruppen ein besonderer Nachteil droht (vgl. Adomeit/Mohr § 3 Rn. 125; Däubler/Bertzbach-Schrader-Schubert § 3 Rn. 51).

(cc) Danach hat die Klägerin keinen Nachteil im vorgenannten Sinne durch die Ausführungen der Beklagten in deren Schriftsatz erfahren. Die Ausführungen der Beklagten, dh. der „Streit um das Recht“ – konkret: über die Frage, ob die Kündigung der Beklagten vom 20. Mai 2014 die Klägerin iSv. § 7 Abs. 1 AGG benachteiligte, stellen nicht ihrerseits Benachteiligungen iSv. § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 2 AGG dar.

(aaa) In ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 stellt die Beklagte Tatsachenbehauptungen auf und äußert Rechtsansichten, die ihrerseits Grundlage für eine Entscheidung durch das Gericht bilden sollen. Hierdurch wird auf die Rechtsposition der Klägerin im Arbeitsverhältnis nicht eingewirkt. Weder entsteht ein Nachteil hierdurch noch droht ein solcher. Die Ausführungen sollen lediglich die Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung bilden, wobei das Gericht für eine Entscheidung an die Prozessordnung und die (Justiz-)Grundrechte gebunden ist und die Entscheidung unter Würdigung aller Umstände (§ 286 ZPO) zu treffen hat. Eine Benachteiligung kann nur in dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis, etwa im Ausspruch einer diskriminierenden Kündigung, liegen, nicht aber in den Ausführungen beim gerichtlichen Streit über das Arbeitgeberhandeln. Mit anderen Worten: diskriminierend kann allenfalls die Kündigung vom 20. Mai 2014 gewesen sein, nicht das Vorbringen der Beklagten im Prozess, dass dem nicht so gewesen ist.

(bbb) Für das gefundene Ergebnis spricht ganz klar auch die gesetzgeberische Konzeption, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche mit einer Ausschlussfrist (§ 15 Abs. 4 AGG) zu verknüpfen, die zu laufen beginnt, wenn der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Die Ausschlussfrist könnte ihren Zweck, schnell Rechtssicherheit über das Bestehen von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche herbeizuführen, nicht erfüllen, läge in der Rechtsverteidigung zu einem bestimmten, als diskriminierend beschriebenen Verhalten bzw. Sachverhalt wiederum seinerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG, mit der Folge, dass erneut eine Ausschlussfrist zu laufen begönne. Die Negierung eines Verhaltens als „diskriminierend“ würde so zu einer immer neue Ausschlussfristen auslösenden Kaskade, mit der Folge der „Unverfallbarkeit“ eines Entschädigungsbegehrens wegen eines in der Vergangenheit liegenden Sachverhalts. Dies widerspricht der gesetzgeberischen Konzeption und zeigt, dass ein Negieren einer Diskriminierung nicht seinerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG darstellen kann.

(ccc) Schließlich spricht auch die gesetzgeberische Konzeption, in § 16 AGG ein Maßregelungsverbot zu schaffen, der es dem Arbeitgeber verbietet, Beschäftigte wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem 2. Abschnitt des AGG oder der Weigerung, eine gegen den 2. Abschnitt des AGG verstoßende Anweisung auszuführen, zu benachteiligen, gegen die Annahme, Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten über die Frage einer Benachteiligung könnten ihrerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG sein. An § 16 AGG wird deutlich, dass der Gesetzgeber zwar „Benachteiligungen“ wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG verbietet, gleichzeitig aber die „Benachteiligung“ iSv. § 16 AGG eine andere Qualität hat, als eine Benachteiligung iSv. § 3 AGG und nicht bedeutungsgleich (vgl. ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 16 AGG Rn. 2), sondern wie in § 612a BGB zu verstehen ist (vgl. Voigt in: Scheusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 16 Rn. 4). Dementsprechend ist auch das Rechtsfolgensystem von § 16 AGG ausgestaltet. Benachteiligungen iSv. § 16 AGG sind unwirksam, können aber keine Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG auslösen (vgl. Däubler/Bertzbach-Deinert § 16 Rn. 36; AR/Kappenhagen § 17 AGG Rn. 4; MüKo-BGB/Thüsing 6. Aufl. § 16 AGG Rn. 16). Ein Vorbringen bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über eine Benachteiligung iSv. § 3 AGG (insb. Tatsachenbehauptungen) kann folglich allenfalls eine Maßregelung iSv. § 16 AGG, nicht aber eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG sein.

(b) Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 sind schließlich auch keine Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 bzw. keine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG.

(aa) Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG liegt auch dann vor, wenn von einer Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG auszugehen ist. Dabei ist die Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Die Würdeverletzung und ein „feindliches Umfeld“ – als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ – müssen für die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 3 AGG kumulativ vorliegen (vgl. BAG 17. Oktober 2013 – 8 AZR 742/12 – Rn. 41, AP AGG § 15 Nr. 15 = EzA AGG § 3 Nr. 8). Weder behauptet die Klägerin, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 beinhalteten eine Würdeverletzung und dienten der Schaffung eines „feindlichen Umfelds“. Selbiges ist auch nicht ansatzweise ersichtlich. Die Tatsachenbehauptungen gehen nicht über das zur Rechtsverteidigung notwendige Maß hinaus, ein Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG ist nicht gegeben.

(bb) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – Rn. 17; 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 18, aaO; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt § 3 Rn. 150); einer Wiederholungsgefahr bedarf es nicht (vgl. Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert § 3 Rn. 77). Ob ein Verhalten sexuell bestimmt ist, beurteilt sich aus der Sicht eines objektiven Beobachters (vgl. Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt § 3 Rn. 151; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 21). Auch die Klägerin behauptet nicht ansatzweise, der Schriftsatz der Beklagten vom 6. Oktober 2014 enthalte Ausführungen, die eine sexuelle Belästigung darstellten. Ein sexuell bestimmtes Verhalten, dh. sexuell bestimmte Ausführungen sind dem Schriftsatz nicht zu entnehmen.

3. Nicht zu entscheiden war über die Klageerweiterung vom 26. März 2015, mit der die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.7500,00 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG erstrebt. Die Klageerweiterung ist unzulässig.

a) Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro zu verurteilen, ist deshalb unzulässig, weil Sachanträge, wie sich aus dem Zusammenhang der Bestimmungen des § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2 und § 297 ZPO ergibt, spätestens in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (vgl. BGH 27. Oktober 2011 – III ZR 235/10 – Rn. 2; 19. März 2009 – IX ZB 152/08 – Rn. 8 mwN, NJW-RR 2009, 853; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 296a Rn. 2a). Mangels Antragstellung in mündlicher Verhandlung durfte über die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Klageerweiterung nicht entschieden werden (vgl. BGH 19. März 2009 – IX 152/08 – Rn. 9, aaO; aA BGH 12. Mai 1992 – XI ZR 251/91 – NJW-RR 1992, 1085: Klageabweisung möglich).

b) Das Gericht hatte die mündliche Verhandlung auch nicht wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO). Die Kammer hat geprüft, ob Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 ZPO gegeben sind oder ob nach dem Ermessen des Gerichts (§ 156 Abs. 1 ZPO) die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. Gründe iSv. § 156 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte, insb. unter Berücksichtigung der Konzentrationsmaxime hat die Kammer das ihr eingeräumte Ermessen iSd. Nichteröffnung iSv. § 156 Abs. 1 ZPO ausgeübt.

II.

Die Widerklage ist zulässig, insbesondere ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Beklagte Zahlung an sich verlangt. Der Widerklageantrag ist jedoch unbegründet. Der Beklagten steht ein auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützter Anspruch zur Rückzahlung der gewährten Urlaubsvergütung iHv. 1.785,71 Euro wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu. Vielmehr bildet der der Klägerin unstreitig für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 gewährte Urlaub den Rechtsgrund (§§ 11, 7 BUrlG) für das Behaltendürfen iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist irrelevant, ob die Klägerin im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 arbeitsunfähig war oder nicht; auch § 9 BUrlG ändert hieran nichts.

1. § 9 BUrlG will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaubsanspruch verliert. Allerdings besteht ohne ärztliches Attest kein Nachgewährungsanspruch, wie sich eindeutig aus dem Wortlaut von § 9 BUrlG ergibt. Einerseits wird so ein Missbrauch zulasten des Arbeitgebers verhindert, andererseits wird dem Arbeitnehmer ermöglicht, auf eine Nachgewährung zu verzichten, indem kein Attest vorgelegt wird. Verlangt der Arbeitnehmer keine Nachgewährung durch Vorlage eines Attests, behält er für die Dauer des Urlaubs seine (Urlaubs-)Vergütung als Arbeitsentgelt, während ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ggf. nicht bestünde (vgl. ErfK/Gallner § 9 BUrlG Rn. 5; Powietzka/Rolf BUrlG § 9 Rn. 23).

2. Die Klägerin hat für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 kein ärztliches Attest vorgelegt und klargestellt, keine Nachgewährung zu begehren. Damit verbleibt es bei dem der Klägerin gewährten Urlaub und der ihr gewährten Vergütung, auch wenn sie im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 arbeitsunfähig gewesen sein sollte.

B.

Nachdem die Klägerin und Beklagte jeweils nur zum Teil obsiegt haben, waren die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens verhältnismäßig zu teilen, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 92 Abs. 1 ZPO.

C.

Die Festsetzung des Urteilsstreitwerts beruht auf § 61 Abs. ArbGG, für den Bestandsschutzantrag liegen drei Bruttomonatsvergütungen (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GKG) und im Übrigen die bezifferten Zahlungsanträge der Klage (Entschädigungsbegehren iHv. 32.500,00 Euro) bzw. Widerklage zugrunde. Nicht zu addieren war der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Antrag auf Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro (vgl. Zöller/Greger § 296a Rn. 2a aE).

D.

Nachdem Gründe iSv. § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen, ist noch ausgesprochen, dass eine gesonderte Berufungszulassung nicht erfolgt (§ 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG).

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!