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Personenbedingte Kündigung – unzureichende Einladung zum BEM

Betriebliches Eingliederungsmanagement: Wann Kündigungen unwirksam sind – Urteil aus Braunschweig

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat entschieden, dass die Kündigung eines Mitarbeiters aufgrund personenbedingter Gründe nicht wirksam ist, da die Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) unzureichend war. Der Kläger, ein Verlader/Verpacker/Kranfahrer, behielt trotz häufiger Krankheitsausfälle sein Anrecht auf die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses unter unveränderten Bedingungen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beklagten auferlegt, und der Streitwert wurde auf 11.291,32 EUR festgesetzt.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Arbeitsverhältnis wird durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet.
  • Der Kläger wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterbeschäftigt.
  • Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, da sie nicht auf soliden personenbedingten Gründen basiert.
  • Die Beklagte hat das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) nicht ordnungsgemäß durchgeführt.
  • Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  • Die falsche Anhörung des Betriebsrats und die unzureichende Einladung zum bEM waren wesentliche Fehler.
  • Die Erkrankungen des Klägers rechtfertigen keine negative Gesundheitsprognose.
  • Die Kündigung ist unverhältnismäßig und daher unwirksam.

Eine personenbedingte Kündigung ist oft der letzte Ausweg für Arbeitgeber, wenn ein Mitarbeiter aufgrund gesundheitlicher Probleme seiner Tätigkeit nicht mehr nachkommen kann. Doch nicht immer ist eine solche Kündigung rechtskonform. Insbesondere das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) spielt hier eine wichtige Rolle. In diesem Artikel erfahren Sie, warum eine unzureichende Einladung zum BEM eine personenbedingte Kündigung unwirksam machen kann und worauf Arbeitgeber achten müssen.

Kündigung auf dem Prüfstand: Das Arbeitsgericht Braunschweig entscheidet

In einem aufsehenerregenden Fall vor dem Arbeitsgericht Braunschweig stand die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung im Mittelpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung. Der Kläger, ein langjährig beschäftigter Verlader, Verpacker und Kranfahrer, sah sich mit einer Kündigung durch seinen Arbeitgeber konfrontiert, die er als sozial ungerechtfertigt erachtete. Auslöser der rechtlichen Streitigkeiten waren wiederholte Krankheitsfälle des Klägers, die den Arbeitgeber zu dem Schritt veranlassten, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

Zwischen Krankheit und Kündigung: Ein Arbeitnehmer im Clinch

Der Kläger, dessen Berufsweg beim beklagten Unternehmen im Dezember 2017 begann, hatte seitdem mehrfache krankheitsbedingte Ausfälle zu verzeichnen. Besonders hervorzuheben sind dabei ein Arbeitsunfall auf dem Weg zur Arbeit sowie eine psychische Belastungssituation infolge des Todes der Mutter, die zu längeren Fehlzeiten führten. In Reaktion auf diese Fehlzeiten bot der Arbeitgeber dem Kläger mehrfach die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) an, welche jedoch ohne Reaktion des Klägers blieben. Eine daraufhin ausgesprochene Kündigung zum 31.08.2022 bildete den Ausgangspunkt für die gerichtliche Auseinandersetzung.

Die rechtlichen Weichenstellungen des Arbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht Braunschweig stellte fest, dass die Kündigung des Klägers sozial ungerechtfertigt sei. In seiner Urteilsbegründung legte das Gericht dar, dass für eine krankheitsbedingte Kündigung eine negative Gesundheitsprognose, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen sowie eine abschließende Interessenabwägung erforderlich sind. Im vorliegenden Fall konnte jedoch keine negative Gesundheitsprognose festgestellt werden, da die Erkrankungen des Klägers als ausgeheilt galten und somit keine zukünftigen erheblichen Fehlzeiten zu erwarten waren.

Betriebliches Eingliederungsmanagement als Dreh- und Angelpunkt

Ein wesentlicher Kritikpunkt in der Argumentation des Gerichts war das vom Arbeitgeber nicht ordnungsgemäß durchgeführte betriebliche Eingliederungsmanagement. Die Einladungen zum bEM erfüllten nicht die gesetzlichen Anforderungen, insbesondere fehlten hinreichende Informationen über das Verfahren und die Verwendung von Gesundheitsdaten. Diese Mängel führten dazu, dass die Kündigung als unverhältnismäßig bewertet wurde.

Zusammengefasst steht das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig exemplarisch für die strengen Anforderungen, die an eine personenbedingte Kündigung gestellt werden. Arbeitgebern wird damit aufgezeigt, dass eine sorgfältige Prüfung und Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften unerlässlich sind, insbesondere wenn es um die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements geht.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was sind die Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte personenbedingte Kündigung?

Eine personenbedingte Kündigung ist eine Form der ordentlichen Kündigung, bei der der Grund für die Kündigung in der Person des Arbeitnehmers liegt. Das bedeutet, dass die Kündigung nicht aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers erfolgt, sondern aufgrund von Umständen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat. Für eine sozial gerechtfertigte personenbedingte Kündigung müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Diese Voraussetzungen sind in der Rechtsprechung und im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) festgelegt.

Voraussetzungen für eine sozial gerechtfertigte personenbedingte Kündigung

  • Negative Zukunftsprognose: Es muss eine negative Prognose hinsichtlich der zukünftigen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers vorliegen. Das bedeutet, dass aufgrund der bisherigen Entwicklung davon ausgegangen werden muss, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft seine Arbeitsleistung nicht oder nur eingeschränkt erbringen kann.
  • Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Die Einschränkungen des Arbeitnehmers müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn durch häufige Krankheit des Arbeitnehmers der Arbeitsablauf gestört wird oder zusätzliche Kosten entstehen.
  • Interessenabwägung: Es muss eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Belangen des Arbeitnehmers und den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers stattfinden. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Kündigung muss als letztes Mittel (Ultima Ratio) angesehen werden, d.h., es dürfen keine milderen Mittel (wie z.B. eine Umsetzung oder eine Änderungskündigung) zur Verfügung stehen, um die Beeinträchtigungen zu beseitigen.
  • Anhörung des Betriebsrats: Vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber den Betriebsrat anhören, sofern ein solcher im Unternehmen existiert. Der Betriebsrat hat dann die Möglichkeit, innerhalb einer Woche zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen.

Typische Gründe für eine personenbedingte Kündigung

  • Langandauernde oder häufige Krankheit: Wenn ein Arbeitnehmer so häufig oder so lang krank ist, dass keine positive Prognose hinsichtlich seiner zukünftigen Arbeitsfähigkeit gestellt werden kann.
  • Fehlende Arbeitserlaubnis: Bei ausländischen Arbeitnehmern kann der Verlust oder das Fehlen einer notwendigen Arbeitserlaubnis ein Grund für eine personenbedingte Kündigung sein.
  • Verlust von notwendigen Qualifikationen: Wenn ein Arbeitnehmer die für seine Tätigkeit erforderlichen Qualifikationen oder Zertifikate verliert.

Es ist wichtig zu beachten, dass eine personenbedingte Kündigung nicht als Sanktion für vergangenes Verhalten dient, sondern zukünftige unzumutbare Belastungen des Arbeitgebers vermeiden soll. Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an die Begründung einer solchen Kündigung, um die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen.

Wie wird eine negative Gesundheitsprognose im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung festgestellt?

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Sie fällt unter die Kategorie der personenbedingten Kündigung, bei der nicht das Verhalten des Arbeitnehmers, sondern Umstände, die in seiner Person liegen, den Kündigungsgrund darstellen. Im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung sind dies die gesundheitlichen Probleme des Arbeitnehmers, die ihn daran hindern, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Für die Wirksamkeit einer solchen Kündigung müssen drei Hauptvoraussetzungen erfüllt sein:

1. Negative Gesundheitsprognose: Es muss zum Zeitpunkt der Kündigung objektiv zu erwarten sein, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig seine Arbeitsleistung aufgrund von Krankheit nicht oder nur eingeschränkt erbringen kann. Dies beinhaltet, dass mit weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang gerechnet werden muss.

2. Erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen: Die krankheitsbedingten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers führen. Dies kann beispielsweise durch Betriebsablaufstörungen oder durch hohe Entgeltfortzahlungskosten der Fall sein.

3. Interessenabwägung: Schließlich muss eine Abwägung der Interessen beider Parteien, also des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers, erfolgen. Dabei wird geprüft, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände zumutbar ist oder nicht. Hierbei spielt auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine Rolle, d.h., es muss geprüft werden, ob mildere Mittel als eine Kündigung, wie beispielsweise eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, in Betracht kommen.

Es ist wichtig zu beachten, dass eine vorherige Abmahnung bei krankheitsbedingten Kündigungen in der Regel nicht erforderlich ist, da es sich um keine verhaltensbedingte, sondern um eine personenbedingte Kündigung handelt. Zudem ist der Zeitpunkt der Kündigung entscheidend für die Beurteilung der negativen Gesundheitsprognose; Ereignisse nach Zugang der Kündigung werden nicht berücksichtigt.

Arbeitnehmer, die von einer krankheitsbedingten Kündigung betroffen sind, haben die Möglichkeit, innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht einzureichen, um die Wirksamkeit der Kündigung überprüfen zu lassen.

Welche Rolle spielt das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM) bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Kündigung?

Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) spielt eine wichtige Rolle bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Kündigung, insbesondere wenn es um krankheitsbedingte Kündigungen geht. Das BEM ist ein Instrument, das darauf abzielt, den Arbeitsplatz von Mitarbeitern, die längere Zeit krank sind, zu erhalten und krankheitsbedingte Kündigungen zu vermeiden.

Bedeutung des BEM im Kündigungsschutzprozess

  1. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Das BEM ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eine Kündigung ist unwirksam, wenn sie durch mildere Mittel, die im Rahmen des BEM identifiziert werden könnten, vermieden werden kann.
  2. Beweislastumkehr: Fehlt ein BEM oder wurde es fehlerhaft durchgeführt, kann dies im Kündigungsschutzprozess zu einer Umkehr der Beweislast führen. Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass die Kündigung auch bei einem ordnungsgemäß durchgeführten BEM erfolgt wäre.
  3. Präventive Maßnahme: Das BEM soll dazu beitragen, krankheitsbedingte Kündigungen möglichst zu vermeiden, indem es feststellt, welche Maßnahmen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes beitragen können.
  4. Interessenabwägung: Bei der Interessenabwägung im Rahmen einer Kündigung muss der Arbeitgeber darlegen, dass keine milderen Mittel als die Kündigung zur Verfügung stehen. Hierbei ist das BEM von zentraler Bedeutung, da es dazu dient, solche milderen Mittel zu identifizieren.
  5. Dokumentation: Wenn ein BEM durchgeführt wurde, muss der Arbeitgeber im Kündigungsprozess darlegen, dass das BEM ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Andernfalls droht die Unwirksamkeit der Kündigung.

Konsequenzen eines fehlenden oder fehlerhaften BEM

  • Erhöhte Darlegungs- und Beweislast: Der Arbeitgeber muss aufwändig beweisen, dass keine Möglichkeiten für eine Weiterbeschäftigung bestehen, wenn kein BEM durchgeführt wurde.
  • Unwirksamkeit der Kündigung: Eine Kündigung kann für unwirksam erklärt werden, wenn das BEM nicht durchgeführt wurde und mildere Mittel zur Vermeidung der Kündigung möglich gewesen wären.

Zusammenfassend ist das BEM ein wesentlicher Bestandteil der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Es dient dazu, die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu prüfen und mildere Mittel als die Kündigung zu finden. Ein fehlendes oder fehlerhaftes BEM kann die Rechtsposition des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess erheblich schwächen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz): Bestimmt die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes, insbesondere die Mindestanzahl der Arbeitnehmer im Betrieb.
  • § 1 Abs. 2 KSchG: Definiert die soziale Rechtfertigung einer Kündigung, die unter anderem bei personenbedingten Gründen vorliegen kann, hier spezifisch bei krankheitsbedingten Kündigungen.
  • § 138 Abs. 2 ZPO (Zivilprozessordnung): Regelung zur Beweislast, speziell im Kontext der Darlegung von Umständen, die eine negative Gesundheitsprognose betreffen.
  • § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch): Verpflichtet den Arbeitgeber, bei längerer Krankheit des Arbeitnehmers ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.
  • § 102 Abs. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz): Regelung zur Anhörung des Betriebsrats vor jeder Kündigung, einschließlich der Mitteilung der Kündigungsgründe an den Betriebsrat.
  • Art. 9 Abs. 1 DS-GVO (Datenschutz-Grundverordnung): Spezifiziert die Bedingungen für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, einschließlich Gesundheitsdaten, im Kontext des betrieblichen Eingliederungsmanagements.


Das vorliegende Urteil

ArbG Braunschweig – Az.: 2 Ca 173/22 – Urteil vom 29.11.2022

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.06.2022 nicht beendet wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verlader/Verpacker/Kranfahrer weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert wird auf 11.291,32 EUR festgesetzt.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Der Kläger ist am 00.00.1960 geboren und seit dem 16.12.2017 als Verlader/Verpacker/Kranfahrer zuletzt mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 2.822,83 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden auf Basis des Arbeitsvertrages vom 13.12.2017 (Bl. 5 ff. d. A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, bei der Beklagten beschäftigt.

Der überwiegend als Kanzelkranfahrer eingesetzte Kläger war seit Beschäftigungsbeginn mehrfach erkrankt. Wegen der genauen krankheitsbedingten Fehltage des Klägers in den Jahren 2018-2022 wird auf die Aufstellung der Beklagten im Rahmen ihres klageerwidernden Schriftsatzes vom 13.09.2022 (Bl. 35 d. A.) und die Aufstellung gemäß Anlage B1 (Bl. 39 f. d. A.) Bezug genommen. Wegen der Hintergründe der Erkrankungen wird auf die Ausführung des Klägers im Rahmen seines Schriftsatzes vom 12.10.2022 (Bl. 60 ff. d. A.) sowie auf die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung der Krankenkasse (Bl. 70 ff. d. A.) Bezug genommen.

Dem Kläger wurde von der Beklagten mehrfach angeboten, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, zuletzt zweimal im Jahr 2022 mit Schreiben vom 17.01.2022 (Bl. 49 ff. d. A.) und 19.04.2022 (Bl. 52 ff. d. A.). Auf beide Einladungsschreiben erfolgte jeweils keine Reaktion.

Der Betriebsrat wurde mit Schreiben vom 13.06.2022 (Bl. 55 ff. d. A.) zur Kündigung des Klägers angehört. Er teilte mit Schreiben vom 15.06.2022 (Bl. 56 d. A.) mit, dass er keine Stellungnahme abgibt.

Mit Schreiben vom 23.06.2022 (Bl. 13 d. A.), welches dem Kläger am 27.07.2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2022.

Der Kläger behauptet, die von der Beklagten herangezogenen Fehlzeiten rechtfertigten keine negative Prognose. Ab dem 15.02.2021 sei er infolge eines Sturzes 22 Arbeitstage arbeitsunfähig gewesen, nachdem er auf dem Weg zur Frühschicht beim Einstieg ins Auto auf Schnee bzw. Eis vom Bordstein gerutscht und gestürzt sei. Dabei habe er sich eine Verstauchung und Zerrung im Kniebereich sowie Prellungen im Handgelenk zugezogen. Diese Verletzungen seien folgenlos ausgeheilt. Bei der Ausfallzeit aufgrund des Sturzes handele sich es sich um eine offenkundige einmalige Gesundheitsstörung. Am 26. und 27.04.2021 sei er in der Frühschicht tätig gewesen. Ausweislich der Aufstellung der Krankenkasse habe an diesem Tag keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Die längere Erkrankung im Februar/März 2022 wegen somatofor- mer Störung und emotionaler Belastung sei eine offenkundige einmalige Gesundheitsstörung vor dem Hintergrund, dass seine Mutter schwer erkrankt und innerhalb kürzester Zeit verstorben sei. Alle weiteren Erkrankungen sein ausgeheilt. Seit dem 16.06.2022 sei er wegen einer Gesundheitsbeeinträchtigung im Bereich des linken Knies arbeitsunfähig erkrankt. Am 29.06.2022 sei er jedoch erfolgreich operiert worden und das Knie mit einer Endoprothese (künstliches Kniegelenk) versorgt worden. Er habe sich anschließend einer Rehabilitationsmaßnahme unterzogen. Mit der Entlassung sei ein Antrag auf trainingstherapeutische Reha-Nachsorge gestellt worden. Hierdurch werde die Muskulatur wiederaufgebaut, um die Arbeitsfähigkeit nachhaltig wiederherzustellen. Betriebsablaufstörungen seien seitens der Beklagten nicht hinreichend vorgetragen worden. Es sei nicht ersichtlich, wie sich die von der Beklagten dargestellten Entgeltfortzahlungskosten für die entsprechenden Zeiträume konkret zusammensetzen. Um die vereinbarte monatliche Arbeitszeit im Schichtsystem der Beklagten zu erreichen, müssten zusätzlich sogenannte Verfügungsschichten geleistet werden. Diese Schichten dienten regelmäßig dazu, Kollegen, die urlaubs- oder krankheitsbedingt ausfallen, zu vertreten. Im Betrieb der Beklagten würden regelmäßig Leiharbeitnehmer beschäftigt. Diese würden nicht nur kurzfristig zu Vertretungssituationen angefordert. Insgesamt seien Störung der betrieblichen Abläufe nicht erkennbar bzw. nicht auf seine krankheitsbedingten Ausfallzeiten zurückzuführen. Es sei zu berücksichtigen, dass er bereits 62 Jahre alt ist und der Arbeitsmarkt für ihn deshalb nahezu verschlossen. Zudem habe er bei der Beklagten wiederholt sowohl seine Vorgesetzten als auch eine Vertretung darum gebeten, ihm für die langen Laufwege ein Fahrrad zur Verfügung gestellt zu stellen, um sein Knie zu entlasten. Dies sei mehrfach zugesagt, jedoch nicht umgesetzt worden. Damit hätten Ausfallzeiten vermieden werden können. Vorliegend seien dem Betriebsrat im Anhörungsschreiben falsche Daten zu den Krankheitstagen mitgeteilt worden. Sowohl nach dem Vortrag der Beklagten als auch nach der Bescheinigung der Krankenkasse habe der Kläger im Jahr 2019 an 26 Arbeitstagen gefehlt und nicht – wie im Anhörungsschreiben mitgeteilt – an 59 Tagen.

Der Kläger vertritt im Rahmen der von ihm am 11.07.2022 erhobenen Klage die Auffassung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam. Lohnfortzahlungskosten allein könnten eine krankheitsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Einladung des Klägers zum bEM. In dem als B4 vorgelegte Einladungsschreiben fehle der Hinweis, dass es sich um ein ergebnisoffenes Verfahren handelt, bei dem der Kläger auch eigene Vorschläge einbringen könne. Zudem fehle die Mitteilung, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und insbesondere inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Des Weiteren fehle in dem Einladungsschreiben der notwendige Hinweis, dass der Betriebsrat – das Einverständnis des Klägers vorausgesetzt – hinzuzuziehen ist bzw. die Unterrichtung darüber, dass von der Beteiligung des Betriebsrates auch abgesehen werden kann. Die Betriebsratsanhörung sei aufgrund der falsch mitgeteilten Fehlzeiten nicht ordnungsgemäß erfolgt.

Der Kläger hat zuletzt noch beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.06.2022 nicht beendet wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verla- der/Verpacker/Kranfahrer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Fehlzeiten des Klägers seit dem Jahr 2018 deuteten darauf hin, dass mit weiteren erheblichen Fehlzeiten zu rechnen sei und ließen lediglich eine negative Gesundheitsprognose zu. Mit einer Wiederkehr an den Arbeitsplatz sei laut Auskunft der Prozessvertreterin im Gütetermin in absehbarer Zukunft nicht zu rechnen da der Kläger sich einer OP unterziehen müsse und noch eine Rehabilitationsmaßnahme bevorstehe. Inwieweit der Kläger danach einsetzbar sei, sei äußerst fraglich. Sie sei infolge der Ausfallzeiten des Klägers 2019 mit Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 5.615,25 € (inklusive Arbeitgeberanteil), 2020 mit 5.090,85 €, 2021 mit 12.492,50 € und 2022 mit 12.868,78 € belastet gewesen. Insoweit wird auf den von der Beklagten vorgelegten Entgeltabrechnungsbeleg (Bl. 41 d. A.) Bezug genommen.

Infolge der längeren und häufigen Abwesenheitszeiten des Klägers mit der damit verbundenen Nicht-Planbarkeit seines Einsatzes seien betriebliche Abläufe nachhaltig gestört. Sämtliche Arbeitsplätze seien lediglich mit einer Arbeitskraft besetzt. Ein Mitarbeiterpool, aus dem Mitarbeiter bei unplanbaren Abwesenheiten einspringen können, bestehe nicht. Der Kläger sei als Kranfahrer einem bestimmten Kran zugeordnet, der nach Vorgabe des Auftraggebers stets zu besetzen sei. Die Versetzung von Mitarbeitern aus anderen Schichten zur Verstärkung sei schwierig bis unmöglich, besonders ohne Planungszeiten. Zudem treten bei einer Versetzung an anderer Stelle fehlschichten auf, sodass Umsatzverluste entstünden. Bei Abwesenheit müsse die Beklagte zu einem nicht unerheblichen Teil auf Leiharbeitnehmer zurückgreifen, was zu erheblichen höheren Kosten führe. Der Einsatz von Leiharbeitern sei in Nacht- und Wochenendschichten nicht möglich, da die Entleiher hier nicht erreichbar seien. Erschwerend komme hinzu, dass diverse Mitarbeiter auch nicht alle nötigen Qualifikationen besäßen und auch erst angelernt werden müssten. Wegen der einzelnen Vertretungsmaßnahmen wird auf das von der Beklagten als Anlage B3 vorgelegte Anlagenkonvolut (Bl. 42 ff. d. A.) Bezug genommen. Die Mehrkosten für die Arbeitnehmerüberlassung für die jeweiligen Fehlzeiten habe im Jahr 2019 insgesamt 1396,72 € betragen, im Jahr 2020 429,76 € und 2022 644,64 €. Es komme hinzu, dass der Kläger sich in der Vergangenheit jeweils lediglich für einen kurzen Zeitraum arbeitsunfähig gemeldet hat und seine Meldepflicht teilweise nicht einhält. Mangels Reaktion des Klägers auf die Einladungen zum bEM-Verfahren habe keine Möglichkeit bestanden, nach milderen Mitteln zu suchen. Im Rahmen einer Interessenabwägung würden die betrieblichen Interessen an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen.

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Klage ist begründet.

I. Die Kündigung der Beklagten vom 23.06.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wirksam aufgelöst. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt.

1) Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG sind vorliegend unstreitig erfüllt.

2) Die Beklagte kann sich zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht mit Erfolg auf personenbedingte Gründen Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG berufen. Die Kündigung ist nicht aus krankheitsbedingten Gründen gerechtfertigt.

a) Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe in der Person des Arbeitnehmers bedingt ist. Dabei ist die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG, Urt. v. 13.05.2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 12, juris; v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16, juris; LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 10.02.2022 – 17 Sa 57/21 – Rn. 36; Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Aufl., 2023, § 1 KSchG, Rn. 110 ff. – jew. m. w. Nachw.) in drei Stufen zu prüfen:

aa) Zunächst ist auf der ersten Stufe eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, wobei er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann genügt, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er sodann die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; LAG Hamburg, Urt. v. 20.11.2019 – 2 Sa 30/18 – Rn. 86, juris).

bb) Die prognostizierten, erheblichen Fehlzeiten sind jedoch nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen (vgl. etwa BAG, Urt. v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15, juris; LAG Hamburg, Urt. v. 20.11.2019 – 2 Sa 30/18 – Rn. 86, juris).

cc) Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; v. 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15; v. 01.03.2007 – 2 AZR 217/06 – Rn. 15).

b) Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen ist die Kündigung unwirksam.

aa) Auf Basis der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers kann bereits keine negative Prognose für die Zukunft getroffen werden.

(1) Für die Feststellung einer solchen negativen Prognose fehlt es vorliegend an einem ausreichenden Referenzzeitraum in Bezug auf erhöhte Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers bis einschließlich zum Jahr 2020 unter dem für eine krankheitsbedingte Kündigung maßgeblichen Wert von 30 Krankheitstagen pro Kalenderjahr bewegten. Erst ab dem 15.02.2021 weist der Kläger darüberhinausgehende Krankheitszeiten auf. Damit beträgt der Referenzzeitraum der Beklagten für erhöhte Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers bis zum Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung am 28.06.2022 weniger als 1,5 Kalenderjahre. Ein Abweichen von dem vom Bundesarbeitsgericht grundsätzlich als maßgeblich angesehenen dreijährigen Referenzzeitraum nach unten kommt jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BAG, Urt. v. 25.04.2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 23, juris; v. 23.01.2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 32, juris; LAG Düsseldorf Urt. v. 17.05.2022 – 14 Sa 825/21 – Rn. 50, juris; LAG Hamburg, Urt. v. 20.11.2019 – 2 Sa 30/18 – Rn. 86, juris; Denecke, in: Gallner/Mestwerdt/Nägele, Kündigungsschutzrecht, 7. Aufl., 2021, § 1 KSchG, Rn. 555; Kiesche, jurisPR-ArbR 45/2022 Anm. 4). Vorliegend hat die Beklagte keine besonderen Gründe vorgetragen, die eine Verkürzung des Referenzzeitraums zur Feststellung einer negativen Prognose rechtfertigen könnten. Solche Gründe sind auch sonst nicht ersichtlich.

(2) Überdies hat der Kläger in Bezug auf verschiedene Erkrankungszeiträume ab dem 15.02.2021 unbestritten vorgetragen, dass die Krankheiten, welche die Arbeitsunfähigkeitszeiträume verursacht haben, jeweils folgenlos ausgeheilt sind. Dies gilt insbesondere für die Verstauchung und Zerrung im Kniebereich aufgrund eines Sturzes im Februar 2021 sowie für die somatoforme Störung und emotionale Belastung, welche Krankheitszeiten im Zeitraum Februar/März 2022 verursacht hat. Auch darüber hinaus hat der Kläger behauptet, dass alle weiteren Erkrankungen aus dem Referenzzeitraum folgenlos ausgeheilt sind. Damit können diese Krankheiten nicht mehr zum Beleg einer negativen Zukunftsprognose herangezogen werden (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 Rn. 17; v. 01.03.2007 – 2 AZR 217/06 – Rn. 17; v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 – Rn. 20, jew. zit. n. juris; LAG Düsseldorf Urt. v. 17.05.2022 – 14 Sa 825/21 – Rn. 39, juris; Oetker, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 23. Aufl., 2023, Rn. 124).

(3) Soweit die Beklagte im Rahmen der Kammerverhandlung vom 29.11.2022 die Behauptung aufgestellt hat, zumindest die Kniebeschwerden des Klägers beruhten auf einer nicht ausgeheilten Grunderkrankung, ist der damit verbundene Vortrag nicht ausreichend, um eine negative Zukunftsprognose in Bezug auf erhöhte Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers in der Zukunft festzustellen. Insbesondere hat die Beklagte nicht näher dargetan, welche konkreten Krankheitszeiten sie aufgrund ihrer Behauptung für eine Negativprognose überhaupt noch als maßgeblich erachtet. Nachdem der Kläger im Rahmen seiner Replik eine Aufstellung über seine Krankheitszeiten sowie die Krankheitsursachen im Referenzzeitraum vorgelegt hatte, wäre es der Beklagten möglich gewesen, ihren Sachvortrag im Hinblick auf die für sie noch maßgeblichen Arbeitsunfähigkeitszeiträume des Klägers zu konkretisieren. Mangels eines entsprechenden substantiierten Sachvortrags ist es für das Gericht weder nachvollziehbar noch überprüfbar, auf Grundlage welcher Tatsachen sich vorliegend eine Negativprognose in Bezug auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers ergeben soll. Vor diesem Hintergrund liefe das von der Beklagten zum Beweis angebotene Sachverständigengutachten auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantritt hinaus (vgl. insoweit u. a. BAG, Urt. v. 21.01.2014 – 3 AZR 362/11 – AP Nr. 43 zu § 1 BetrAVG Auslegung; v. 13.11.2012 – 3 AZR 557/10 – AP Nr. 39 zu § 1 BetrAVG Auslegung; LAG Niedersachsen, Urt. v. 03.11.2009 – 13 Sa 1497/08 – zit. n. juris).

(4) Insgesamt liegen vorliegend keine ausreichenden Anhaltspunkte vor, welche die Prognose erhöhter Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers in der Zukunft belegen könnten.

bb) Unabhängig von der Feststellung einer negativen Prognose kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass die streitgegenständliche Kündigung verhältnismäßig ist.

(1) Eine auf Gründe in der Person des Arbeitnehmers gestützte Kündigung ist unverhältnismäßig, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht iSv § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Solche Maßnahmen können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, es dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung zu ermöglichen, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch künftige Fehlzeiten auszuschließen oder zumindest signifikant zu verringern (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 13, juris; LAG Baden-Württemberg Urt. v. 10.2.2022 – 17 Sa 57/21 – Rn. 38, juris).

Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich zwar im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich zunächst auf die Behauptung beschränken, für den Arbeitnehmer bestehe keine andere – seinem Gesundheitszustand entsprechende – Beschäftigungsmöglichkeit. War der Arbeitgeber jedoch gem. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX zur Durchführung eines bEM verpflichtet und ist er dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein bEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 13, juris; LAG Baden-Württemberg Urt. v. 10.02.2022 – 17 Sa 57/21 – Rn. 39, juris).

Ein tatsächlich nicht durchgeführtes bEM kann sich als Versuch eines ordnungsgemäß durchgeführten bEM erweisen, wenn der Arbeitgeber hinreichend die Initiative dazu ergriffen hat (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32, juris; LAG Düsseldorf Urt. v. 17.05.2022 – 14 Sa 825/21 – Rn. 80, juris; LAG Nürnberg, Urt. v. 18.02.2020 – 7 Sa 124/19 – BeckRS 2020, 11989, Rn. 95 ff.). Der Arbeitgeber verletzt seine Pflichten aus § 167 Abs. 2 SGB IX nicht, wenn er den Prozess anstößt und dem Arbeitnehmer die Ziele des bEM und die beabsichtigte Datenverarbeitung aufgezeigt hat, aber der derart informierte Arbeitnehmer sich auf das freiwillige bEM-Verfahren nicht einlässt.

Vom Vorliegen der notwendigen Kenntnisse kann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat (vgl. zur Initiative nach § 84 Abs. 2 SGB IX aF BAG 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32; v. 24.03.2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 32). Der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX hinausgeht. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als personenbezogene Daten besonderer Kategorie iSv Art. 9 Abs. 1 DS-GVO – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (vgl. BAG, Urt. v. 17.04.2019 – 7 AZR 292/17 – Rn. 38, juris; LAG Düsseldorf Urt. v. 17.05.2022 – 14 Sa 825/21 – Rn. 82, juris; zur Initiative nach § 84 Abs. 2 SGB IX aF und zu § 3 BDSG aF BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32, juris; vgl. a. Gutzeit, in: BeckOK Sozialrecht, Stand: 01.03.2022, § 167 SGB IX, Rn. 12).

(2) Die Beklagte war seinerzeit nach § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM durchzuführen. Der Kläger war innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen wiederholt arbeitsunfähig. Dafür kommt es auf die Gesamtheit der Fehltage und nicht darauf an, ob einzelne durchgehende Krankheitsperioden den Zeitraum von sechs Wochen überschritten. Die Durchführung eines bEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer eine Behinderung vorliegt (vgl. BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 2, juris).

(3) Die ordnungsgemäße Durchführung eines Verfahrens über ein bEM ergibt sich nicht aus den von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen. Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen hat die Beklagte ihre Obliegenheit zur Durchführung eines bEM im Sinne von § 167 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß erfüllt.

(a) In Ansehung der von der Beklagten vorgelegten Einladungsschreiben zum bEM fehlt es an einem Hinweis darauf, dass der Kläger darüber bestimmen kann, ob zu dem bEM-Verfahren der Betriebsrat bzw. ein Betriebsratsmitglied hinzugezogen werden soll.

(aa) Der Arbeitgeber muss bei der Durchführung des bEM eine bestehende betriebliche Interessenvertretung hinzuziehen, wenn der Arbeitnehmer hiermit einverstanden ist. Ein ohne Hinzuziehung der betrieblichen Interessenvertretung durchgeführtes bEM st nur dann ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer regelkonform um Zustimmung zur Durchführung eines bEM ersucht und der Arbeitnehmer seine Zustimmung unter der Maßgabe erteilt hat, der Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung werde nicht zugestimmt (vgl. BAG, Urt. v. 17.04.2019 – 7 AZR 292/17 – Rn. 41, juris).

(bb) Die Beklagte hat trotz ausdrücklicher rüge durch den Kläger nicht dargelegt, den Kläger regelkonform um Zustimmung zur Durchführung eines bEM unter Beteiligung des Betriebsrats als der zuständigen betrieblichen Interessenvertretung ersucht und den Kläger dabei insbesondere auf ihr Recht hingewiesen zu haben, zwischen der Durchführung eines bEM mit und ohne Beteiligung des Betriebsrats zu wählen. Die Formulierung aus dem Einladungsschreiben, wonach „wir (Personalabteilung, Betriebs-bzw. Fuhrparkleitung und Betriebsrat) gern gemeinsam mit Ihnen nach Möglichkeiten suchen, wie ihre Rückkehr an den Arbeitsplatz gesundheitsförderlich begleitend unterstützt werden kann“, stellt im Zusammenhang mit dem Hinweis, dass an diesem Gespräch – wenn der Kläger es wünscht, „(neben uns) ihr direkter Vorgesetzter, eine Person ihres Vertrauens, der betriebsärztliche Dienst, gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung, die Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie ein Vertreter der Personalabteilung teilnehmen können“, die Möglichkeit des Klägers, sich gegen eine Beteiligung des Betriebsrats im bEM-Verfahren auszusprechen, nicht ausreichend klar. Da die Beklagte den im Einladungsschreiben in Bezug genommenen Antwortbogen nicht vorgelegt hat, ist nicht erkennbar, ob sich die gebotene Auswahloption für den Kläger hieraus ergibt.

(b) Überdies erfüllt das Einladungsschreiben nach Auffassung der erkennenden Kammer nicht die gesetzlichen Anforderungen an die datenschutzrechtlichen Hinweise in Bezug auf des bEM- Verfahren gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX. Im Einladungsschreiben wird lediglich ausgeführt:

„Alle weiteren Informationen, die wir zu Ihrem Gesundheitszustand erhalten, behandeln wir selbstverständlich vertraulich und werden sie in einer gesonderten BEM-Akte, die getrennt von der Personalakte aufbewahrt wird, verwahren. Die Mitglieder des BEM- Teams wurden auf die Wahrung des Datengeheimnisses verpflichtet. Eine Weitergabe an Gesundheitsdaten an Dritte, zum Beispiel Rehabilitationseinrichtungen, erfolgt nur nach vorheriger Zustimmung durch Sie.“

Die vorgenannten Ausführungen lassen insgesamt offen, welche Gesundheitsdaten vom Kläger zu welchem genauen Zweck im Rahmen des bEM-Verfahrens erhoben werden sollen und wer Zugriff auf diese Daten haben soll. Weder wird der Begriff des „BEM-Teams“ definiert, noch wird klargestellt, welche konkreten Personen, insbesondere auf Arbeitgeberseite, Zugriff auf die bEM-Daten erhalten sollen. Insbesondere die im Einladungsschreiben nicht einmal angedeutete Zweckbindung der Datenerhebung stellt sowohl nach der DS-GVO als auch nach dem BDSG eine zentrale und wesentliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DS-GVO dar.

(4) Die Fehlerhaftigkeit des bEM-Verfahrens führt vorliegend im Ergebnis zur Unverhältnismäßigkeit der Kündigung.

(a) Nachdem ein bEM erforderlich war, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es dazu hätte beitragen können, neuerliche Krankheitszeiten bezogen auf den maßgeblichen Prognosezeitpunkt des Zugangs der Kündigung zumindest zu vermindern und so das Arbeitsverhältnis zu erhalten (vgl. BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 37; LAG Baden-Württemberg Urt. v. 10.02.2022 – 17 Sa 57/21 – Rn. 47, juris).

(b) Hat der Arbeitgeber nicht gänzlich davon abgesehen, ein bEM anzubieten, sind ihm dabei oder bei der weiteren Durchführung aber Fehler unterlaufen, ist für den Umfang seiner Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können. Der Arbeitgeber kann geltend machen, dass die Durchführung eines bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeitigen können. Für die objektive Nutzlosigkeit trägt er die Darlegungs- und Beweislast. Dazu muss er umfassend und konkret vortragen, weshalb weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Darüber hinaus muss er dartun, dass künftige Fehlzeiten auch nicht durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Arbeitnehmer im Verfahren auf eine bestimmte Umgestaltungsmaßnahme, Beschäftigungsalternative oder Hilfe bzw. Leistung des Rehabilitationsträgers beruft. Da der Arbeitgeber die primäre Darlegungslast für die Nutzlosigkeit eines bEM trägt, muss vielmehr er von sich aus zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten oder zur Nutzlosigkeit anderer, ihm zumutbarer Maßnahmen vortragen. Allerdings gilt dies nur im Rahmen des ihm Möglichen und des nach den Umständen des Streitfalls Veranlassten. Das heißt, der Arbeitgeber hat von sich aus alle vernünftigerweise in Betracht kommenden – und vom Arbeitnehmer gegebenenfalls bereits außergerichtlich genannten Alternativen – zu würdigen und, soweit ihm aufgrund seines Kenntnisstands möglich, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen weder eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen noch die Beschäftigung auf einem anderen – seinem Gesundheitszustand entsprechenden – Arbeitsplatz noch eine Maßnahme des Rehabilitationsträgers in Betracht kommt. Dabei ist eine Abstufung seiner Darlegungslast vorzunehmen, falls ihm die Krankheitsursachen unbekannt sind (st. Rspr, vgl. z. B. BAG, Urt. v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21 – Rn. 42, m. w. Nachw.; LAG Düsseldorf Urt. v. 17.05.2022 – 14 Sa 825/21 – Rn. 65, juris; LAG Baden-Württemberg Urt. v. 10.02.2022 – 17 Sa 57/21 – Rn. 48, juris).

(c) Die Beklagte hat die sich aus der nicht ordnungsgemäßen Durchführung des bEM-Verfahrens ergebenden gesteigerten Anforderungen an ihre Darlegungslast betreffend die Verhältnismäßigkeit der Kündigung vorliegend nicht erfüllt. Sie hat ihrerseits nicht konkret behauptet und im Einzelnen begründet, warum auch bei ordnungsgemäßer Durchführung des bEM-Verfahrens keine Maßnahmen gefunden worden wären, die zu einer Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers hätten führen können. Auf den konkreten Einwand des Klägers, er habe vor dem Ausspruch der Kündigung mehrfach vergeblich um die Bereitstellung eines Fahrrades in seiner Abteilung gebeten, um sein Knie zu entlasten, ist die Beklagte nicht eingegangen.

cc) Schließlich erscheint vorliegend die wirksame Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG fraglich.

(1) Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen, § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Eine Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, die ohne Anhörung ausgesprochen wurde oder wenn der Arbeitgeber der Unterrichtungspflicht nicht richtig nachgekommen ist (vgl. BAG, Urt. v. 07.05.2020 – 2 AZR 678/19 – Rn. 14, juris; v. 27.09.2001 – 2 AZR 236/00 – Rn. 57, juris, m. w. Nachw.).

Der Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert (vgl. BAG, Urt. v. 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 43, juris). Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (vgl. BAG, Urt. v. 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 43, juris). Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, „bloß“ objektive Fehlinformation führt dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. näher BAG, Urt. v. 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 1, juris LAG Düsseldorf Urt. v. 17.05.2022 – 14 Sa 825/21 – Rn. 93).

(2) Unstreitig ist die erfolgte Betriebsratsanhörung fehlerhaft erfolgt, soweit die Beklagte dem Betriebsrat für das Jahr 2019 59 Fehltage des Klägers mitgeteilt hat, wohingegen er tatsächlich nur an 26 T agen gefehlt hat. Da für die Bewertung der den Betriebsrat vorgetragenen Tatsachen im Hinblick auf die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung gemäß der vorstehenden Ausführungen insbesondere maßgeblich ist, ob der Kläger in einem erheblichen Referenzzeitraum eine 30 Krankheitstage pro Jahr übersteigende Anzahl an Fehltagen aufgewiesen hat, handelt es sich bei der dem Betriebsrat fehlerhaft mitgeteilten Informationen um eine erhebliche Tatsache. Auch auf die ausdrückliche Rüge des Klägers in Bezug auf die Betriebsratsanhörung hat die Beklagte ihrerseits nicht dargetan, dass es sich insoweit lediglich um eine versehentliche Fehlinformation des Betriebsrates gehandelt hat bzw. dass der Betriebsrat anderweitig korrekt informiert worden ist.

II. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung hat auch der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers Erfolg.

1. Der Arbeitnehmer kann verlangen, vorläufig weiterbeschäftigt zu werden, wenn er ein stattgebendes Urteil im Kündigungsschutzprozess erlangt hat und die Interessen des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung die des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung übersteigen (vgl. hierzu insb. BAG, Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; ausf. zu den Voraussetzungen Koch, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Aufl., 2021, § 102 BetrVG, Rn. 185 ff.).

2. Aufgrund der festgestellten Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung kann der Kläger vorliegend seinen Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzrechtsstreits wirksam geltend machen. Besondere Gründe, die einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, hat die Beklagte nicht geltend gemacht; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Beklagte trägt als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits.

Die Streitwertfestsetzung im Urteil erfolgt gemäß §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3, 5 ZPO. Der Streitwert entspricht der Höhe einer Quartalsvergütung für den Kündigungsschutzantrag, § 42 Abs. 2 S. 1 GKG, zuzüglich der Höhe einer weiteren Bruttomonatsvergütung für den Weiterbeschäftigungsantrag.

Gründe für eine besondere Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 2 a), Abs. 3 ArbGG sind durch die Parteien nicht vorgetragen und auch nicht aufgrund sonstiger Umstände ersichtlich.

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