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Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen

Häufige Kurzerkrankungen: Rechtsstreit um Kündigung wirft Fragen auf

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz, wonach die krankheitsbedingte Kündigung eines Anlagenbedieners mit häufigen Kurzerkrankungen sozial ungerechtfertigt ist. Die Kündigung scheiterte an unzureichenden Nachweisen für Betriebsablaufstörungen und einer mangelnden Substantiierung der wirtschaftlichen Belastungen durch den Arbeitgeber. Des Weiteren wurde die langjährige Betriebszugehörigkeit und die soziale Situation des Klägers in die Entscheidung einbezogen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 Sa 115/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung des Arbeitsgerichts Mainz: Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz.
  2. Soziale Ungerechtfertigkeit der Kündigung: Die Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen des Anlagenbedieners wurde als sozial ungerechtfertigt angesehen.
  3. Unzureichende Nachweise für Betriebsablaufstörungen: Der Arbeitgeber konnte keine konkreten Betriebsablaufstörungen durch die Fehlzeiten des Klägers nachweisen.
  4. Mangelnde Substantiierung wirtschaftlicher Belastungen: Die vom Arbeitgeber behaupteten wirtschaftlichen Belastungen waren nicht ausreichend belegt.
  5. Lange Betriebszugehörigkeit des Klägers: Die über 26 Jahre andauernde Betriebszugehörigkeit des Klägers wurde in der Urteilsfindung berücksichtigt.
  6. Betrachtung der sozialen Situation des Klägers: Die Unterhaltspflichten und familiäre Situation des Klägers spielten eine Rolle in der Entscheidung.
  7. Fehlende konsistente Krankheitsgeschichte: Es fehlte eine konstante Krankheitsgeschichte, die eine negative Gesundheitsprognose rechtfertigen würde.
  8. Berücksichtigung von Arbeitsplatzbedingungen: Die Arbeitsplatzbedingungen und deren potenzielle Auswirkungen auf die Gesundheit des Klägers wurden ebenfalls betrachtet.

Kündigungsschutz bei häufigen Kurzerkrankungen

In der Arbeitswelt zählt die Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund häufiger Kurzerkrankungen zu den besonders sensiblen und rechtlich anspruchsvollen Themen. Solche Fälle werfen nicht nur Fragen hinsichtlich der Gesundheitsprognose des betroffenen Mitarbeiters auf, sondern berühren auch das Spannungsfeld zwischen betrieblichen Interessen und dem Schutz des Einzelnen. Im Mittelpunkt steht dabei, inwieweit Kurzerkrankungen als Kündigungsgrund herangezogen werden können und welche Rolle dabei die Betriebsablaufstörungen spielen.

Das Arbeitsrecht sieht vor, dass eine Kündigung wegen Kurzerkrankungen nur unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt ist. Wichtig ist hierbei, dass eine sorgfältige Prüfung der individuellen Situation des Mitarbeiters und der Auswirkungen auf den Betrieb erfolgt. Zentrale Aspekte sind hierbei die negative Gesundheitsprognose und die Frage, ob die Fehlzeiten zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf oder zu unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen führen. Gerichte, wie das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht, sind in solchen Fällen gefordert, eine ausgewogene Entscheidung zu treffen, die sowohl den Interessen des Arbeitgebers als auch den Schutzrechten des Arbeitnehmers Rechnung trägt.

Die nachfolgenden Ausführungen bieten eine detaillierte Analyse eines solchen Falles, in dem das Landesarbeitsgericht eine Entscheidung über die Wirksamkeit einer Kündigung aufgrund häufiger Kurzerkrankungen trifft. Dieses Urteil liefert wichtige Erkenntnisse für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen und verdeutlicht die Komplexität arbeitsrechtlicher Bewertungen in solchen Konstellationen. Lassen Sie uns nun einen genaueren Blick auf die Details dieses interessanten und lehrreichen Falles werfen.

Die Rolle der Gesundheitsprognose in Kündigungsfällen: Der Fall 8 Sa 115/22

Die Kündigung eines langjährigen Mitarbeiters aufgrund häufiger Kurzerkrankungen rückt die Bedeutung der Gesundheitsprognose im Arbeitsrecht in den Fokus. Im vorliegenden Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz, Aktenzeichen 8 Sa 115/22, ging es um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung, die aufgrund wiederholter Krankheitsfälle eines Anlagenbedieners ausgesprochen wurde. Der Kläger, seit 1995 im Unternehmen und mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 4.196,65 Euro, war verheiratet und Vater von drei Kindern. Die detaillierte Auflistung seiner Fehlzeiten zwischen 2017 und 2021 zeigte eine signifikante Anzahl von Ausfalltagen, die jedoch nicht ausschließlich auf Arbeitsunfälle zurückzuführen waren.

Betriebsablaufstörungen und wirtschaftliche Belastungen als Kündigungsgründe

Die Argumentation der Beklagten stützte sich sowohl auf Betriebsablaufstörungen als auch auf wirtschaftliche Belastungen durch die Fehlzeiten des Klägers. In der Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat und in den geführten Gesprächen im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements wurden sowohl die krankheitsbedingten Ausfallzeiten als auch potenzielle betriebliche Ursachen thematisiert. Die Beklagte führte hierbei an, dass die Vertretung des Klägers zu organisatorischen Herausforderungen und zusätzlichen Kosten geführt habe, insbesondere da mehrere Mitarbeiter zur Übernahme der Tätigkeiten des Klägers angelernt werden mussten.

Kritische Würdigung der Kündigungsgründe und Interessenabwägung

Das Arbeitsgericht stellte in seiner Entscheidung fest, dass eine negative Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt erforderlich sei, um eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Dabei müssten objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Das Gericht sah diese Voraussetzung als nicht erfüllt an und wog die Interessen beider Parteien ab. Hierbei spielten die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers, sein Alter, seine Unterhaltspflichten sowie die Frage der Betriebsablaufstörungen und der wirtschaftlichen Belastungen eine wesentliche Rolle.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und wies die Berufung der Beklagten zurück. Es wurde festgehalten, dass die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt und daher rechtsunwirksam sei. Die detaillierte Analyse der Fehlzeiten, die Betrachtung der Auswirkungen auf den Betriebsablauf und die finanziellen Aspekte sowie die umfassende Interessenabwägung führten zu dem Schluss, dass die Kündigung unverhältnismäßig und damit nicht gerechtfertigt war.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Kriterien bestimmen die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung?

Die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung wird durch mehrere Kriterien bestimmt.

1. Negative Gesundheitsprognose: Es muss eine negative Prognose hinsichtlich der zukünftigen Gesundheit des Arbeitnehmers vorliegen. Dies kann durch einen hohen Krankenstand (mindestens 1/3 Krankheitstage in 3 Jahren) belegt werden.

2. Erhebliche betriebliche Beeinträchtigung: Die Krankheit des Arbeitnehmers muss zu einer erheblichen Störung der Arbeitsleistung führen. Die betriebliche Beeinträchtigung muss besonders schwer sein.

3. Interessenabwägung: Es muss eine Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers stattfinden. Bei dieser Abwägung muss die Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber besser begründet werden als die des Arbeitnehmers.

4. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung sollte der Arbeitgeber ein BEM durchführen. Obwohl dies keine notwendige Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung ist, ist es für Arbeitgeber sehr schwer, eine krankheitsbedingte Kündigung vor Gericht durchzusetzen, ohne ein BEM durchgeführt zu haben.

5. Anhörung des Betriebsrats: Vor jeder krankheitsbedingten Kündigung muss der Betriebsrat angehört werden (§ 102 Abs. 1 BetrVG).

Es ist zu beachten, dass eine Krankheit als solche keinen Kündigungsgrund darstellt. Eine Kündigung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Zudem ist eine Abmahnung bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht erforderlich, da es sich bei Erkrankungen nicht um ein Verhalten handelt, das einfach abgestellt werden könnte.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 115/22 – Urteil vom 24.01.2023

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 17.02.2022, Az.: 5 Ca 530/21, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen.

Der am 20. November 1969 geborene Kläger ist seit dem 25. Januar 1995 gegen ein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.196,65 Euro bei der Beklagten als Anlagenbediener beschäftigt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. In der Lohnsteuerkarte des Klägers sind zwei unterhaltsberechtigte Kinder vermerkt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Vollzeitarbeitnehmer. Es gibt einen Betriebsrat.

Im Zeitraum von 2017 bis zum 21. Oktober 2021 kam es zu folgenden, im Berufungsverfahren zwischen den Parteien unstreitigen (vgl. Bl. 255 dA) Fehlzeiten des Klägers:

Randnummer Jahr    Fehltage Fehltage ohne Arbeitsunfälle Fehltage ohne Arbeitsunfälle mit Lohnfortzahlung

2017    30,3   14    14

2018   74,8   74,8   69,8

2019   63,42 30,75 10,75

2020   51,37 34,27 34,27

2021   52,23 41,23  41,23

2017 fehlte der Kläger ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Fehlzeiten an insgesamt 14 Arbeitstagen wie folgt:

Fehlzeiten Fehltage

27.03. bis 03.04.2017 6

02.08. bis 04.08.2017 3

25.10. bis 29.20.2017 5

2018 fehlte der Kläger ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Fehlzeiten an insgesamt 74,8 Arbeitstagen wie folgt:

Fehlzeiten Fehltage

11.01.bis 13.01.2018 3

17.01. bis 21.01.2018 5

11.05. bis 15.05.2018 5

03.08. 2018 0,8

04.08.2018 1

29.08. bis 23.09.2018 20

28.09.2018 1

24.10. bis 26.10.2018 3

12.11. bis 31.12.2018 36, davon 5 ohne Entgeltfortzahlung

2019 fehlte der Kläger ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Fehlzeiten an insgesamt 30,75 Arbeitstagen wie folgt:

Fehlzeiten Fehltage

01.01. bis 30.01.2019 20, alle ohne Entgeltfortzahlung

04.03. bis 05.03.2019 2

10.04.2019 1

09.05. bis 12.05.2019 4

13.05.2019 0,75

14.05. bis 19.05.2019 3

2020 fehlte der Kläger ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Fehlzeiten an insgesamt 34,27 Arbeitstagen wie folgt:

Fehlzeiten Fehltage

16.02.2020 0,97

17.02. bis 28.02.2020 8

13.03.2020 0,77

07.05. bis 15.05.2020 5

30.06.bis 03.07.2020 4

18.09.2020 1

06.10.2020 1

21.10.2020 0,53

22.10. bis 03.11.2020 10

2021 fehlte der Kläger ohne die durch Arbeitsunfälle bedingten Fehlzeiten bis zum 21. Oktober 2021 an insgesamt 41,23 Arbeitstagen wie folgt:

Fehlzeiten Fehltage

07.04. bis 18.04.2021 10

19.04.2021 0,4

20.04. bis 16.05.2021 18

11.08.2021 0,83

12.08. bis 17.08.2021 3

05.10. bis 18.10.2021 9

Mit Schreiben vom 24. Juni 2016, 10. Juli 2019 sowie 6. August 2021 lud die Beklagte den Kläger zu Gesprächen im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (im Folgenden: bEM) gem. § 84 SGB IX am 1. Juli 2017, am 20. August 2019 und am 26. August 2021 ein (vgl. Bl. 34, Bl. 38 sowie Blatt 42 dA). Der Kläger nahm an den Gesprächen teil, worüber die Beklagte jeweils ein hier in Bezug genommenes Protokoll anfertigte (vgl. Protokoll vom 1. Juli 2016, Blatt 36 f., Protokoll vom 20. August 2019, Bl. 40 f. sowie Protokoll vom 26. August 2021, Blatt 44 f. dA).

Mit am gleichen Tag dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden übergebenem Schreiben vom 21. Oktober 2021 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung des Klägers an, wobei die Anzahl der Kinder im Rahmen der Anhörung mit „2“ angegeben wurde. Auf die Betriebsratsanhörung nebst Anlagen wird Bezug genommen (Bl. 46 – 66 dA). Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 26. Oktober 2021 (Bl. 67 f. dA).

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung zum 31. Mai 2022 aus (Bl. 9 dA.). Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner beim Arbeitsgericht am 3. November 2021 eingegangenen und der Beklagten am 9. November 2021 zugestellten Klage.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die jeweilige Höhe der Lohnfortzahlungskosten sei unsubstantiiert vorgetragen. Die Auflistung der Fehlzeiten sei fehlerhaft. Im Kündigungszeitpunkt hätten keine objektiven Tatsachen vorgelegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten ließen. Er entbinde seine Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht.

Soweit seine Fehlzeiten nicht durch Betriebsunfälle bedingt gewesen seien, hätten sie 2017 aus einer Lumboischialgie und einer Fingerfraktur hergerührt. Die Arbeitsunfähigkeiten im Jahr 2018 seien durch eine akute Infektion der oberen Atemwege, akute Rhinopharyngitis, Lumboischialgie, Gelenkschmerzen in der Schulter, Schmerzen im Bereich des Oberbauchs sowie sonstige Meniskusschädigungen verursacht worden. Die Fehlzeiten in 2019 seien bedingt gewesen durch Meniskusschädigungen, Lumboischialgie, Krankheiten der Zähne und des Zahnhalteapparates und akute Sinusitis maxillaris sowie akute Tonsillitis. Hintergrund der Fehlzeiten in 2020 seien Übelkeit und Erbrechen, Kreuzschmerzen, Gastroenteritis, Synkope und Kollaps sowie akute Infektionen der oberen Atemwege gewesen. Die Fehlzeiten aus 2021 hätten aus einer akuten Infektion der oberen Atemwege, Osteochondrose der Wirbelsäule, Skoliose, Kreuzschmerz und aus einer mittelgradigen depressiven Episode hergerührt. Sämtliche Krankheitsursachen seien ausgeheilt. Die letzte Arbeitsunfähigkeit, welche auch die längste Abwesenheit beinhalte, sei auf eine depressive Episode zurückzuführen, weil er wegen einer Erkrankung an Covid an der Überführung des Leichnams seines Vaters in die Türkei nicht habe teilnehmen können.

Die Beklagte habe nicht ausreichend substantiiert zu Betriebsablaufstörungen und ihrer wirtschaftlichen Belastung vorgetragen. Für seine Vertretung hätten keine Mitarbeiter angelernt werden müssen, weil die Mitarbeiter E., F., G., H., I., J. und K. ihn alle schon vertreten hätten und seine Maschine bedienen könnten.

Die Beklagte könne die drei bEM-Gespräche nicht zu ihrer Entlastung heranziehen. Die Einladungen zu den bEM-Gesprächen seien fehlerhaft gewesen. Es sei in keiner der Einladungen ausgeführt, dass er jederzeit seine Zustimmung zur Teilnahme widerrufen könne. Die Datenschutzerklärung sei nicht umfassend genug. Er bestreite, dass die Beklagte die Gesundheitsdaten getrennt von der Personalakte in einer sogenannten Beiakte für Gesundheitsdaten aufbewahre. Den Einladungsschreiben sei nicht zu entnehmen, dass die Beteiligung der Interessenvertretungen an den bEM-Gesprächen nur auf Wunsch des Arbeitnehmers erfolge und er die Zustimmung hierzu jederzeit widerrufen könne. Im Übrigen hätte er den Einladungsschreiben nicht entnehmen können, dass er eigene Vorschläge einbringen könne.

Außerdem bestreite er hinsichtlich des Inhalts der bEM-Gespräche, dass die Reparatur der Absauganlage 2020 abgeschlossen worden sei. Er bestreite mit Nichtwissen, dass die „2500er Absaugung“ angeschlossen sei. Auch seien auf der ASA-Sitzung nicht die Reparatur-Zeit und evtl. Möglichkeiten für eine Überbrückung angesprochen worden. Fitnessstudios seien auch in der Pandemie offen gewesen. Die Beklagte habe nicht ausreichend zu möglichen Atemschutzmaßnahmen vorgetragen.

Die Beklagte habe im Rahmen der Interessenabwägung nicht berücksichtigt, dass er Alleinversorger einer fünfköpfigen Familie sei und das Arbeitsverhältnis 22 Jahre beanstandungslos geführt worden sei. Sein ältester Sohn sei 24 Jahre alt und habe erst in der 5. KW des Jahres 2022 seine Ausbildung abgeschlossen. Bis dahin sei er von ihm versorgt worden.

Er bestreite eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung. Der Sachverhalt sei in der Betriebsratsanhörung fehlerhaft dargestellt worden, da dort dieselbe Tabelle mit den Fehltagen und Lohnfortzahlungskosten dargestellt sei, die sich nach seinem Vortrag nun als fehlerhaft erweise. Auch sei er drei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Er bestreite mit Nichtwissen, dass der Betriebsratsvorsitzende im Urlaub gewesen sei, als das Anhörungsschreiben an den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden übergeben worden sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.10.2021 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, das Arbeitsverhältnis werde durch die ordentliche Kündigung vom 29. Oktober 2021 sein Ende finden. Seit dem Jahr 2017 sei es beim Kläger zu erheblichen Fehlzeiten aufgrund von Arbeitsunfähigkeit gekommen. Hinsichtlich der aufgeführten Fehltage seien teilweise auch Wochenendtage als Arbeitstage miteinbezogen worden, weil an diesen Tagen im Betrieb gearbeitet worden sei und der Kläger in der entsprechenden Schicht gearbeitet hätte (vgl. die eingereichten Kopien der Schichtpläne, Bl. 114 – 126 dA). Im Jahr 2020 sei der Kläger vom 20. März 2020 bis zum 12. Juni 2020 an insgesamt 22 Tagen in Kurzarbeit gewesen.

Die Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Vergangenheit begründeten eine negative Gesundheitsprognose (Beweisangebot: Sachverständigengutachten). Sie bestreite die vom Kläger für die einzelnen Fehlzeiten aufgeführten Diagnosen und seine Behauptung, alle dargestellten Krankheiten seien ausgeheilt, mit Nichtwissen.

Durch die häufigen (Kurz-) Erkrankungen des Klägers komme es zu Störungen im Betriebsablauf, die nicht mehr kalkulierbar seien. Die Arbeit des Klägers als Anlagenbediener müssten seine Kollegen mitübernehmen. Aufgrund von Personalengpässen würde die Anlagenverfügbarkeit leiden und Kunden ggf. verspätet beliefert. Der Betriebsfrieden werde in Folge der sich wiederholenden Vertretungsnotwendigkeiten erheblich gestört, zumal die Ausfallzeiten aufgrund der häufigen Kurzerkrankungen nicht kalkulierbar seien. Mehrere Kollegen hätten angelernt werden müssen, um eine Vertretung zu gewährleisten.

Daneben komme es zu kündigungsrelevanten wirtschaftlichen Beeinträchtigungen. Die Lohnfortzahlungskosten beliefen sich für die Jahre 2017 bis 2021 (ohne Arbeitsunfälle) auf insgesamt 43.556,74 € brutto.

Geeignete leidensgerechte Arbeitsplätze, auf denen der Kläger weniger krankheitsbedingt fehlen würde, seien nicht vorhanden. Die durchgeführten bEM-Verfahren hätten ergeben, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten nicht auf betrieblichen Ursachen beruhten und somit keine milderen Mittel zur Verfügung stünden, die erheblichen Fehlzeiten des Klägers zukünftig zu verhindern. Der Kläger habe im ersten bEM-Gespräch am 1. Juli 2016 bestätigt, dass kein Zusammenhang zwischen seinem Arbeitsplatz und seinen Fehlzeiten bestehe. Im zweiten bEM-Gespräch am 20. August 2019 habe er mitgeteilt, dass an der Anlage die Absaugung defekt und es in den Sommermonaten zu heiß an den Anlagen sei. Außerdem würde es ihm helfen, psychisch wieder voll belastbar zu sein, wenn er für mindestens vier, statt nur drei Wochen Urlaub machen könne. Es sei vereinbart worden, dass die Absauganlage repariert werden solle. Dies sei Mitte Oktober 2019 abgeschlossen worden. Die Arbeitsunfähigkeitstage seien danach nicht besser geworden Auch habe man vereinbart, den Anschluss der Absaugung an der 2500er zu prüfen. Dies sei 2020 erledigt worden. Die Reparaturen hätten auf der nächsten ASA-Sitzung nicht mehr angesprochen werden müssen, weil bei der nächsten Sitzung die Anlage schon installiert gewesen sei. Es sei vereinbarungsgemäß geprüft worden, ob Atemschutzmaßnahmen möglich seien. Diese seien aber nicht durchführbar. Bei den Tätigkeiten an den Pressen sei wegen der Hitze das Tragen einer Atemschutzmaske nicht möglich. Auch während der Pandemie-Zeit seien die Arbeitnehmer an den Pressen von der Tragepflicht befreit gewesen. Der Kläger sei über Fitnessstudios und das AOK-Programm informiert worden. Aufgrund der Corona-Pandemie sei eine Teilnahme des Klägers allerdings nicht möglich gewesen. In dem bEM-Gespräch am 26. August 2021 habe der Kläger mitgeteilt, dass keine wechselseitigen Auswirkungen zwischen den gesundheitlichen Einschränkungen und seinem Arbeitsplatz bestünden. Als Maßnahme sei vereinbart worden, dass ein automatischer Türschließer in dem Bereich angebracht werde, um Durchzug zu vermeiden. Der automatische Türschließer sei in Auftrag gegeben worden, die Beklagte habe im Oktober 2021 aber noch auf einen Termin bei der ausführenden Firma gewartet. Die im bEM vereinbarten Maßnahmen hätten zu keiner Verbesserung hinsichtlich der Fehlzeiten geführt.

Die Einladungen zu den bEM-Gesprächen seien nicht fehlerhaft erfolgt. Das Gesetz mache keine Vorgaben dafür, wie ein Einladungsschreiben zum betrieblichen Eingliederungsmanagement gestaltet werden müsse. Die durch die Rechtsprechung ständig erhöhten Anforderungen an den Arbeitgeber fänden im Gesetz keinerlei Grundlage und seien schon deshalb abzulehnen, weil selbst ein gänzlich unterlassenes bEM nicht zur Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung führe und der Arbeitgeber lediglich darlegen müsse, dass und warum ein bEM objektiv nutzlos gewesen wäre.

Sie habe im Rahmen der Interessenabwägung das Alter des verheirateten Klägers und die beiden ihr aus den Angaben für die Lohnsteuer bekannten Unterhaltspflichten gegenüber seinen Kindern nicht verkannt. Bei der Abwägung seien aber auch die Fehlzeiten und die damit verbundenen nicht mehr tragbaren betrieblichen Beeinträchtigungen mit einzubeziehen gewesen. Weitere Überbrückungsmaßnahmen seien ihr nicht zumutbar. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Zeitraum bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze noch mehr als 15 Jahre andauern würde. Die Parteien hätten kein beanstandungsfreies Arbeitsverhältnis geführt. Sie habe den Kläger mit Schreiben vom 24. März 2000, vom 19. Dezember 2003 und vom 27. Juni 2014 abgemahnt und mit Schreiben vom 16. Juli 1996 und vom 6. September 2001 ermahnt.

Die Übergabe des Betriebsratsanhörungsschreibens sei an den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden erfolgt, da die Betriebsratsvorsitzende vom 13. bis zum 20. Oktober 2021 im Urlaub gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die hier ergänzend in Bezug genommene Entscheidung (Bl. 153 ff. dA) zusammengefasst wie folgt begründet:

Vorliegend stütze die Beklagte die soziale Rechtfertigung der Kündigung auf personenbedingte Gründe infolge häufiger (Kurz-) Erkrankungen. Bei häufigen (Kurz-) Erkrankungen sei eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssten im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen (1. Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten müssten außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes festzustellen sei (2. Stufe). Diese Beeinträchtigungen könnten sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung (3. Stufe) sei schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen.

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers seien die seitens der Beklagten dargestellten Krankheitszeiten in Bezug auf Zeitpunkt und Dauer substantiiert dargestellt worden. Dabei komme es auf durch Arbeitsunfälle verursachte Fehlzeiten nicht an, denn die Beklagte habe ausdrücklich dargetan, dass sie sich zur Begründung der Kündigung nicht auf solche Fehlzeiten berufe. Soweit der Kläger den Umfang der Fehlzeiten bestritten habe, weil in die Berechnung der Fehlzeiten auch Samstage und Sonntage einberechnet worden sind, habe die Beklagte durch Vorlage der Schichtpläne belegt, dass der Kläger für diese Tage eingeteilt war. Durch die Darstellung der Fehlzeiten sei eine negative Gesundheitsprognose des Klägers indiziert. Der Kläger habe die Indizwirkung der Fehlzeiten insoweit ausreichend erschüttert, als er vorgetragen habe, dass, bezogen auf den Kündigungszeitpunkt, keine objektiven Tatsachen mehr vorgelegen hätten, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang hätten befürchten lassen und die ihn behandelnden Ärzte von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat. Dem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der negativen Gesundheitsprognose müsse die Kammer aber nicht nachgehen. Maßgeblich hierfür sei die Prüfung der krankheitsbedingten Kündigung in der 2. sowie 3. Stufe. Als erheblich und damit geeignet als Kündigungsgrund würde erachtet, wenn über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren in jedem Jahr Entgeltfortzahlungskosten für mehr als sechs Wochen zu gewähren seien und aufgrund der negativen Prognose anzunehmen sei, dieser Zustand werde sich nicht ändern. In der Regel sei ein Zeitraum von drei Jahren für eine tragfähige Prognose erforderlich. Ausgehend hiervon sei festzustellen, dass in den Kalenderjahren 2017 und 2019 nicht für mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten war. Im Jahr 2018 sei dagegen über den 6-Wochenzeitraum hinaus an 39,8 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2020 an 4,27 Arbeitstagen und im Jahr 2021 an 11,23 Arbeitstagen Entgeltfortzahlung zu leisten gewesen.

Soweit sich die Beklagte darüber hinaus auf betriebliche Ablaufstörungen berufe, sei der Sachvortrag unsubstantiiert. Zwar sei nachvollziehbar, dass bei einem krankheitsbedingten Ausfall des Klägers die Arbeit von einem Kollegen übernommen werden müsse. Inwiefern aber konkret dadurch Personalengpässe entstanden sind, habe die Beklagte nicht dargestellt. Insbesondere fehlten auch jegliche Ausführungen dazu, inwiefern durch die Fehlzeit des Klägers die Anlagenverfügbarkeit gelitten habe und ob und wenn ja, welcher Kunde im Hinblick auf welchen Engpass verspätet oder gar nicht beliefert werden konnte. Auch die Behauptung, der Betriebsfrieden werde infolge der sich wiederholenden Vertretungsnotwendigkeiten erheblich gestört, möge in der Theorie stimmen können. Ob vorliegend im konkreten Fall durch welche konkreten Ereignisse der Betriebsfrieden betroffen gewesen sein soll, bleibe aber auch hier von der Beklagten unkommentiert. Insbesondere im Hinblick darauf, dass die Beklagte aufgrund der Größe ihres Betriebes eine Personalreserve vorhalten dürfte, ggf. auch mit Leiharbeitsfirmen zusammen arbeite und womöglich – coronabedingt – Kurzarbeit angemeldet habe, halte es die Kammer für erforderlich, dass die behaupteten Betriebsablaufstörungen konkret dargestellt würden.

Im Hinblick auf die im 3. Prüfungsschritt vorzunehmende Interessenabwägung gelange die Kammer vor dem Hintergrund der obigen Feststellungen zu dem Ergebnis, dass der Beklagten die wirtschaftliche Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten, zumindest zurzeit, noch zumutbar seien. Bei der personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen habe eine Abwägung der gegenseitigen Vertragsinteressen zu erfolgen. Dabei sei unter anderem zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betrieblichen Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen sei, ob der Arbeitgeber eine personennahe Reserve vorhalte und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Lohnfortzahlungskosten aufzuwenden hatte; ferner seien das Alter, die Betriebszugehörigkeit, Familienstand und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Ob die finanziellen Belastungen vom Arbeitgeber noch zu tragen seien, hänge insbesondere von der Dauer des ungestörten Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab.

Dass die Fehlzeiten des Klägers (ohne die durch Betriebsunfälle verursachten Fehlzeiten) durch die Arbeitsbedingungen mitverursacht worden seien, lasse sich dem Sachvortrag des Klägers nicht entnehmen. Soweit die Parteien in den jeweiligen bEM-Gesprächen Maßnahmen beschlossen haben, die die Bedingungen am Arbeitsplatz ändern sollen, sei aus den Stellungnahmen der Parteien nicht deutlich geworden, dass das Nichtvorhandensein oder bisherige Unterlassen der Maßnahmen ursächlich für die Fehlzeiten des Klägers geworden ist. Insbesondere sei in dem jeweiligen Protokoll über die bEM-Gespräche festgehalten worden, dass keine wechselseitigen Auswirkungen der gesundheitlichen Einschränkungen und der Tätigkeit am Arbeitsplatz bestehen würden. Die Beklagte habe auch nachvollziehbar dargestellt, dass die Entgeltfortzahlungskosten für das Jahr 2018, 2020 und 2021 erheblich seien. Allerdings nehme vor allen Dingen das Jahr 2018 übermäßig Anteil an den Kosten. Seitdem seien die Entgeltfortzahlungskosten wieder gefallen. Im Übrigen überschritten die Entgeltfortzahlungskosten für die Jahre 2017 und 2019 nicht den zumutbaren Sechswochenzeitraum. Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen durch Ablaufstörungen seien nicht feststellbar. Dem gegenüberzustellen sei die Betriebszugehörigkeit des Klägers von über 26 Jahren. Es lägen keine Hinweise darauf vor, dass der Kläger mit Ausnahme der im Verfahren dargestellten Jahre bereits früher erhebliche Fehlzeiten aufgewiesen habe, so dass zumindest in Bezug auf krankheitsbedingte Fehlzeiten von einem vor 2018 wenig oder gar nicht belasteten Arbeitsverhältnis ausgegangen werde. Zwar werde der Kläger die gesetzliche Altersgrenze erst 2036 erreichen, so dass noch eine 15jährige Betriebszugehörigkeit zu erwarten sei, in der zukünftig Fehlzeiten anfallen könnten. Allerdings müsse der bisherige Verlauf nicht erwarten lassen, dass ein rapider Fehlzeitenanstieg bevorstehe. Vor dem Hintergrund der Unterhaltspflichten des Klägers gegenüber seiner Ehefrau und im Kündigungszeitpunkt drei unterhaltspflichtigen Kindern, komme die Kammer zum Ergebnis, dass der Kläger höheren sozialen Schutz verdiene.

Das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 17. Februar 2022 ist der Beklagten am 12. April 2022 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 5. Mai 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und die Berufung mit am 11. Juli 2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag (innerhalb der durch Beschluss vom 23. Mai 2022 auf den 13. Juli 2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist) begründet.

Zur Begründung der Berufung wiederholt die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag, nimmt ihn in Bezug und trägt darüber hinaus nach Maßgabe der Berufungsbegründungsschrift zusammengefasst wie folgt vor:

Die Behauptung des Klägers, sein Sohn habe in der 5. KW 2022 seine Ausbildung abgeschlossen, werde bestritten. Laut Meldung des Finanzamtes sei der Kläger ab dem 1. Januar 2021 nur noch für zwei Kinder unterhaltspflichtig gewesen.

Der Kläger habe auch in den Jahren vor 2017 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten aufgewiesen. Im Jahr 1996 62,21 Arbeitstage, im Jahr 1997 61 Arbeitstage, im Jahr 1998 39 Arbeitstage, im Jahr 1999 56 Arbeitstage, im Jahr 2000 65,57 Arbeitstage, im Jahr 2001 95,51 Arbeitstage, im Jahr 2002 bis einschließlich 3. Januar 2003 86,89 Arbeitstage, davon 84,89 Arbeitstage bis zum 31. Dezember 2002, im Jahr 2003 26,69 Arbeitstage ab dem 1. Januar 2003, im Jahr 2004 19 Arbeitstage, im Jahr 2005 55 Arbeitstage, im Jahr 2006 55,84 Arbeitstage, im Jahr 2007 20,94 Arbeitstage, im Jahr 2008 50 Arbeitstage, im Jahr 2010 46,08 Arbeitstage, im Jahr 2011 51,73 Arbeitstage, im Jahr 2012 49,57 Arbeitstage, im Jahr 2013 38,67 Arbeitstage, im Jahr 2014 80,90 Arbeitstage, im Jahr 2015 42,10 Arbeitstage und im Jahr 2016 41 Arbeitstage. Im Jahr 2009 habe er sich an 125 Tagen in Kurzarbeit befunden. Wegen der genauen Daten der einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeiträume wird auf die im Berufungsbegründungsschriftsatz enthaltene Tabelle verwiesen (Bl. 213 – 216 dA).

Die häufigen Kurzerkrankungen des Klägers verursachten nicht nur wirtschaftliche Belastungen, sondern auch Betriebsablaufstörungen. Um die Vertretung des Klägers zu gewährleisten, hätten extra die Kollegen J. und F. angelernt werden müssen. Herr E. sei nochmal ausführlicher geschult worden. Vom 13. auf den 14. Dezember 2021 habe Herr F. zu einer Nachtschicht kommen müssen, weil der Kläger kurzfristig ausgefallen war. Soweit der Kläger ausgeführt habe, welche Mitarbeiter ihn im Krankheitsfall vertreten hätten und die Maschine bedienen könnten, gelte folgendes: Herr G. könne die Anlage nicht bedienen. Herr L. sei auf einer anderen Schicht eingesetzt. Herr K. könne die Anlage nicht umbauen. Es sei schlicht denklogisch, dass durch den Ausfall eines Anlagebedieners betriebliche Ablaufstörungen entstünden. Auch wenn sie gezwungen sei, Leiharbeitnehmer zur Überbrückung von Personalengpässen einzusetzen, sei dies eine Störung im Betriebsablauf. Für ungeplante Krankheitsausfälle müssten – anders als beim Urlaub- mehr potentielle Vertretungskräfte vorgehalten werden. Die Auffassung des Arbeitsgerichts würde sie dazu zwingen, für den Fall, dass Mitarbeiter ausfallen, nicht nur die organisatorischen Maßnahmen zu ergreifen, dass die Produktion aufrechterhalten werden kann, sondern auch noch für mögliche spätere Kündigungsschutzprozesse derartige Maßnahmen zu dokumentieren, was wiederum mit erheblichem zusätzlichem Aufwand verbunden wäre. Sie führe über derartige Maßnahmen nicht Buch. Wenn durch den kurzfristigen Ausfall des Klägers kein Schichttausch möglich gewesen und kein Vertreter anwesend gewesen sei, habe die Anlage stillgestanden. Wegen der Übersicht über Zeiträume des Stillstandes wird auf die Tabelle im Schriftsatz der Beklagten vom 12. Dezember 2022 (Bl. 264 f. dA) verwiesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 17. Februar 2022, Az.: 5 Ca 530/21, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil unter Verweis auf sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt darüber hinaus zusammengefasst wie folgt vor:

Für ihn sei eine positive Gesundheitsprognose anzustellen. Die Krankheitstage aus den Jahren 1996 – 2016 seien irrelevant. Maßgeblich sei ein Zeitraum von drei bis maximal vier Jahren. Außerdem habe die Beklagte für diese Krankheitszeiträume mit ihm weder ein bEM durchgeführt, noch irgendwelche Maßnahmen ergriffen. Die damaligen Erkrankungen seien allesamt ausgeheilt.

Es habe wegen ihm kein Kollege überobligatorische Mehrarbeit leisten müssen. Der Arbeitgeber müsse Personalreserven vorhalten. Die Anlage, die er bediene sei noch nie im Stillstand gewesen. Sie sei mit oder ohne ihn dauerhaft im Einsatz.

Er sei drei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Sein ältester Sohn habe seine Ausbildung zunächst nicht bestanden und in die Nachprüfung gemusst. Erst im Juli 2022 habe er die Prüfung bestanden und seine Ausbildung abgeschlossen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 24. Januar 2023 vorgetragen, das Fehlen des zwischenzeitlich vorhandenen automatischen Türschließers sei ein Problem gewesen, da er in großer Hitze arbeite und dann kalte Luft von außen reingekommen sei. Die Absauganlage funktioniere immer noch nicht richtig. Es sei schwer in den Dämpfen von den Fetten zu arbeiten.

Die Beklagte hat bestritten, dass die ehemals defekte Absauganlage zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Mitarbeiter geführt habe. Für den Fall, dass es für die Entscheidung im Berufungsverfahren auf die Reparatur oder den Zustand der Absauganlage ankomme, hat sie um Schriftsatznachlass gebeten.

Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst.b und c ArbGG statthaft und form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat mit ausführlicher Begründung zutreffend angenommen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2021 nicht beendet worden ist. Die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und deswegen rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1, 2 KSchG).

1.

Das Kündigungsschutzgesetz findet gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs.1 KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Der Kläger hat innerhalb der Frist der §§ 4, 7 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben.

2.

Die ordentliche krankheitsbedingte Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und deswegen rechtsunwirksam. Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG.

a)

Bei der Prüfung der krankheitsbedingten Kündigung vom 29. Oktober 2021 ist von den Grundsätzen auszugehen, die der zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen entwickelt hat (vgl. nur BAG 22. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 15 ff.) Auch wenn sich einzelne Krankheitsphasen über mehrere Wochen erstreckten, liegt angesichts der Vielzahl der in Rede stehenden Krankheitsbilder und des häufigen Wechsels von Krankheits- und Arbeitsphasen nicht der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vor.

Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen (zweite Stufe). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe) (st. Rspr. zuletzt BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 125/21 – Rn. 11; 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 19, BAGE 162, 327; 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 27, BAGE 147, 162).

Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 17 mwN).

Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, wenn die Arbeitsunfähigkeitszeiten – wie hier, den Angaben des Klägers zufolge – auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert. Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen – etwa Erkältungen – ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu, wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB eine Operation) ergriffen wurden (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 20, BAGE 150, 117).

Für die Erstellung einer Prognose, mit welchen wirtschaftlichen Belastungen der Arbeitgeber aufgrund künftiger krankheitsbedingter Ausfallzeiten des Arbeitnehmers zu rechnen hat, ist vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ein (vergangenheitsbezogener) Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen (vgl. BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 125/21 – Rn. 16; 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 23, BAGE 162, 327). Die Prognose muss eine erhebliche künftige Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses ergeben. Die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers muss in einem Maß unterschritten sein, dass es ihm unzumutbar ist, über die Dauer der Kündigungsfrist hinaus an dem (unveränderten) Arbeitsverhältnis festzuhalten (vgl. BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 125/21 – Rn. 17).

Für die Beurteilung der zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen sind vor allem Entgeltfortzahlungskosten gemäß §§ 3, 4 EFZG im Referenzzeitraum beachtlich (st. Rspr., vgl. BAG 16. Februar 1989 – 2 AZR 299/88 – zu B III der Gründe, BAGE 61, 131). Sie sind Ausdruck einer Störung des Synallagmas zwischen der Arbeitsleistung auf der einen und der vereinbarten Vergütung auf der anderen Seite. Soweit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geschuldet ist, steht der allein für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers versprochenen laufenden Vergütung kein Pendant gegenüber. Dieser Belastung können Arbeitgeber sich nicht durch abweichende Regelungen „entziehen“ (§ 12 EFZG) (BAG 22. Juli 2021 – 2 AZR 125/21 – Rn. 18).

Eine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers liegt – vorbehaltlich einer Interessenabwägung auf der dritten Stufe – vor, wenn prognostisch die zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Kosten jährlich insgesamt den Betrag übersteigen, der gemäß §§ 3, 4 EFZG als Entgeltfortzahlung für sechs Wochen geschuldet ist (vgl. BAG vom 22. Juli 2021 – 2 AZR 125/21 – Rn. 22; 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 36, BAGE 162, 327).

Im Rahmen der Interessenabwägung können für den Arbeitnehmer ua. streiten die Dauer seiner zunächst störungsfreien Betriebszugehörigkeit, eine betriebliche (ggf. sogar schuldhafte) Veranlassung der die Fehlzeiten bedingenden Erkrankungen, sein Lebensalter, mögliche Unterhaltspflichten sowie schlechte Arbeitsmarktchancen. Gegen den Arbeitnehmer kann ua. sprechen, dass er – unter Einschluss der mit Entgeltfortzahlung belasteten Fehltage – insgesamt keine nennenswerte Arbeitsleistung mehr erbringt (vgl. BAG 12. Januar 2006 – 2 AZR 242/05 – Rn. 27) bzw. seine Arbeitsleistung kaum noch wirtschaftlich sinnvoll zu planen ist und/oder dass das in seinem Kernbereich gestörte Arbeitsverhältnis bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze noch über einen langen Zeitraum fortzusetzen wäre (und sich damit die Entgeltfortzahlungskosten „über die Jahre“ aufaddierten). Hingegen fällt die Interessenabwägung nicht in jedem Fall zugunsten des Arbeitnehmers aus, solange er dem Arbeitgeber in Zukunft voraussichtlich zu deutlich mehr als der Hälfte seiner Gesamtarbeitszeit zur Verfügung stehen wird (BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 –Rn. 40, BAGE 162, 327 zur außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers).

b)

Im vorliegenden Fall ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass die Beklagte zwar auf der ersten Stufe zum Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose ausreichend substantiiert vorgetragen hat, die Kündigung aber auf der zweiten Stufe daran scheitert, dass die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen hat, dass die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Unterstellt, die Beklagte habe auch insoweit ausreichend vorgetragen, kommt die Berufungskammer – wie das Arbeitsgericht – im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung auf der dritten Stufe zu dem Ergebnis, dass die zu erwartenden Beeinträchtigungen von der Beklagten noch hinzunehmen sind. Einer Beweiserhebung durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es daher nicht.

aa)

Hinsichtlich des auf erster Stufe ausreichenden Beklagtenvortrags wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG (sh. Seiten 11 – 15 des Urteils, Bl. 163 – 167 dA).

bb)

Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass der Vortrag der Beklagten im Hinblick auf die Prognose erheblicher Betriebsablaufstörungen nicht ausreicht, um die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Auch unter Berücksichtigung des Beklagtenvortrags im Berufungsverfahren kommt die Berufungskammer zu keinem anderen Ergebnis.

Dem Arbeitsgericht ist darin zuzustimmen, dass der nur pauschal Betriebsablaufstörungen behauptende Sachvortrag der Beklagten in der ersten Instanz unsubstantiiert war.

Auch im Berufungsverfahren ist hinsichtlich der Störung des Betriebsfriedens ein über die bloße Behauptung derselben hinausgehender Vortrag nicht erfolgt. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, vom 13. auf den 14. Dezember 2021 habe Herr F. zu einer Nachtschicht kommen müssen, weil der Kläger kurzfristig ausgefallen war, reicht die Schilderung der einmaligen Belastung eines Kollegen nicht aus, um eine Störung des Betriebsfriedens oder andere Betriebsablaufstörungen darzutun.

Nicht ausreichend ist auch der Hinweis der Beklagten auf die durch den Ausfall eines Anlagebedieners „denklogisch“ entstehenden betrieblichen Ablaufstörungen. Der Umstand, dass die möglichen Ausfallzeiten zu Vertretungsbedarf und ggf. zu Verzögerungen im Betriebsablauf führen, ist nicht außergewöhnlich. Dies liegt in der Natur der Sache und macht als solches der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar (BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 33, BAGE 147, 162). Auch der Umstand, dass die Beklagte den Einsatz des Klägers aufgrund seiner möglichen krankheitsbedingten Fehlzeiten in Zukunft nur noch eingeschränkt planen kann, reicht dafür nicht aus (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 26, BAGE 162, 327). Zwar hat die Beklagte – grundsätzlich zutreffend – behauptet, für ungeplante Krankheitsausfälle müssten mehr potentielle Vertretungskräfte vorgehalten werden als für Urlaubsvertretungen, diesen vom Kläger bestrittenen Vortrag hat sie aber nicht quantifiziert oder durch auf den konkreten Fall des Klägers bezogene Angaben untermauert.

Auch zur künftigen Entstehung von Personalengpässen hat die Beklagte jedenfalls nicht substantiiert vorgetragen. Hinsichtlich der möglichen künftigen Vertretung des Klägers wegen andauernden Auftretens weiterer Kurzerkrankungenist nachvollziehbar, dass bei einem krankheitsbedingten Ausfall des Klägers die Arbeit von Kollegen übernommen werden muss. Es kann auch unterstellt werden, dass diese Kollegen für die Übernahme extra geschult werden mussten. Nach der von der Beklagten behaupteten Durchführung dieser Schulungen in der Vergangenheit, ist jedoch für die Zukunft zunächst kein weiterer Ressourcenaufwand durch die Schulung zusätzlicher Mitarbeiter auf dem Arbeitsplatz des Klägers zu erwarten, bzw. ist solches nicht vorgetragen. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten stehen für die Vertretung zumindest die Herren J., F. und H. zur Verfügung.

Hinsichtlich des rein vergangenheitsbezogenen Vortrags der Beklagten zum Anlagenstillstand lässt sich der Übersicht über die Zeiträume des Stillstandes im Schriftsatz der Beklagten vom 12. Dezember 2022 (Bl. 264 f. dA) weder entnehmen, für welchen Zeitraum die Anlage stillgestanden hat (für Minuten, Stunden oder für den ganzen Tag?), noch, ob und wenn ja welche Folgen der Anlagenstillstand für die Beklagte gehabt hat oder in Zukunft haben könnte. Es bleibt unklar, ob es dadurch beispielsweise zu Produktionsausfälle, Umsatzeinbußen oder verärgerten Kunden gekommen ist, oder ob die Ausfälle anderweitig kompensiert werden konnten.

cc)

Die Beklage beruft sich für die Rechtfertigung der Kündigung in zweiter Stufe auch ohne Erfolg auf die von ihr prognostizierten wirtschaftlichen Belastungen. Die wirtschaftlichen Belastungen in der Vergangenheit lassen nicht die Prognose einer erheblichen künftigen Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses zu. Die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers wird voraussichtlich nicht in einem Maß unterschritten sein, dass es ihm unzumutbar ist, über die Dauer der Kündigungsfrist hinaus an dem (unveränderten) Arbeitsverhältnis festzuhalten.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war in den Kalenderjahren 2017 und 2019 nicht für mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung zu leisten. Im Jahr 2018 war dagegen über den 6-Wochenzeitraum hinaus an 39,8 Arbeitstagen, im Kalenderjahr 2020 an 4,27 Arbeitstagen und im Jahr 2021 an 11,23 Arbeitstagen Entgeltfortzahlung zu leisten.

Ausgehend von dem fast fünfjährigen Referenzzeitraum, den die Beklagte für die Begründung der Kündigung gewählt hat, reichen diese Fehlzeiten nicht aus für die Prognose erheblicher betrieblicher Belastungen durch Entgeltfortzahlungsansprüche, die den Betrag überschreiten, der gemäß §§ 3, 4 EFZG als Entgeltfortzahlung für sechs Wochen zu zahlen ist.Lediglich in drei nicht aufeinanderfolgenden Jahren (2018, 2020, 2021) musste Entgeltfortzahlung für mehr als sechs Wochen geleistet werden. Dabei war das Jahr 2018 für die Beklagte am belastendsten. Im Jahr 2019 fiel die Entgeltfortzahlungspflicht deutlich unter die 6-Wochen-Grenze, um in den darauffolgenden Jahren wieder anzusteigen.

Ausgehend von einem Referenzzeitraum von drei Jahren, war die Beklagte ebenfalls nicht über den gesamten Zeitraum mit übermäßigen Entgeltfortzahlungskosten belastet. Lediglich in den letzten zwei Jahren vor Ausspruch der Kündigung war die 6-Wochen-Frist überschritten. Das gilt unabhängig davon, ob auf die Kalenderjahre 2019, 2020 und 2021 (bis zum 21 Oktober) oder auf die Zeiträume 21. Oktober 2018 – 20. Oktober 2019, 21. Oktober 2019 – 20. Oktober 2020 und 21. Oktober 2020 – 20. Oktober 2021 abgestellt wird. Bei letzterer Betrachtung fallen in den maßgeblichen Zeitraum zwar insgesamt mehr krankheitsbedingte Fehltage, im Zeitraum vom 21. Oktober 2019 – 20. Oktober 2020 wird mit 23,74 entgeltfortzahlungspflichtigen Arbeitstagen der 6-Wochenzeitraum jedoch nicht erreicht.

dd)

Selbst, wenn man – entgegen den Ausführungen unter II 2 b cc – annehmen wollte, die Beklagte habe mit ihrem Vortrag den Anforderungen an die Darlegung des Kündigungsgrundes auf der zweiten Stufe Genüge getan, ist die Kündigung gleichwohl sozial ungerechtfertigt. Die Kündigung ist jedenfalls unverhältnismäßig.Bei der Abwägung der Interessen beider Parteien ist die Kammer unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorrangig wirtschaftlichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind.

Zu Gunsten der Beklagten hat die Kammer in Rechnung gestellt, dass angesichts des Alters des Klägers ein Ende des Arbeitsverhältnisses wegen Eintritt in das Rentenalter erst in 15 Jahren zu erwarten steht. Zu berücksichtigen sind auch die teils deutlichen Belastungen der Beklagten durch frühere Krankheitszeiten des Klägers. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Arbeit des Klägers nach dem eigenen Vortrag der Beklagten unfallgeneigt zu sein scheint. So fielen im von der Beklagten gewählten Referenzzeitraum insgesamt 77,07 Tage krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach Arbeitsunfällen an. Die Beklagte hat für die Krankheitszeiten vor 2016 dennoch nicht zwischen Arbeitsunfällen und anderen Erkrankungen differenziert. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Krankheitszeiten und auch die vorgetragenen Entgeltfortzahlungszeiträume zwar erheblich sind, aber keine anwachsende Tendenz aufzeigen. Nach besonders belastenden Jahren, wie 2001 und 2002, sind 2003 und 2004 beispielweise keine über die 6-Wochen-Frist hinausgehenden Zahlungen vorgetragen. In den Jahren 2014 und 2015 ist zwar eine Überschreitung dieses Entgeltfortzahlungsrahmens vorgetragen, diese geht jedoch mit je knapp über 40 Tagen Entgeltfortzahlung nicht sehr weit über den Sechswochenzeitraum hinaus. Hier gilt, was das Arbeitsgericht für den von der Beklagten gewählten Referenzzeitraum festgestellt hat: Der bisherige Verlauf lässt nicht erwarten lassen, dass ein rapider Fehlzeitenanstieg bevorsteht.

Nicht zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen ist nach Ansicht der Kammer, dass die Beklagte den Kläger nach eigenem Vortrag mit Schreiben vom 24. März 2000, vom 19. Dezember 2003 und vom 27. Juni 2014 abgemahnt und mit Schreiben vom 16. Juli 1996 und vom 6. September 2001 ermahnt hat. Zum einen ist fraglich, ob eine Belastung des Arbeitsverhältnisses durch Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers im Rahmen der Interessenabwägung nach Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung überhaupt Berücksichtigung finden kann. Zum anderen liegen die Er- und Abmahnungen so lange zurück, dass sie schon deswegen nicht in die Interessenabwägung einzustellen sind. Letztlich belegen sie, dass die Arbeitsleistung und die Vertragstreue des Klägers in den letzten acht Jahren keine Beanstandung gefunden haben. Hinzu kommt, dass zwischen der letzten und der vorletzten Abmahnung mehr als zehn Jahre erneut beanstandungsfreien Ablaufs des Arbeitsverhältnisses gelegen haben.

Für den Kläger sprechen vor Allem die langjährige Betriebszugehörigkeit von über 26 Jahren und die bei allen Fehlzeiten doch immer noch nur eingeschränkte Störung des Austauschverhältnisses durch zu erwartende Entgeltfortzahlungsverpflichtungen. Der Kläger wird der Beklagten in Zukunft voraussichtlich zumindest ¾ seiner Gesamtarbeitszeit zur Verfügung stehen.

Zu Gunsten des Klägers hat die Kammer auch berücksichtigt, dass sich aus dem Vortrag der Beklagten zu den von ihr veranlassten bEM-Gesprächen – anders als die Beklagte meint – nicht der Schluss ziehen lässt, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten überhaupt nicht in Zusammenhang mit betrieblichen Ursachen stehen, sondern vielmehr deutlich wird, dass der Kläger bei der Beklagten eine gesundheitlich belastende Tätigkeit ausübt.

Der Kläger hat zwar im ersten bEM Gespräch am 1. Juli 2016 bestätigt, dass kein Zusammenhang zwischen seinem Arbeitsplatz und seinen Fehlzeiten bestehe. Im Gespräch am 20. August 2019 kamen die Parteien jedoch überein, Maßnahmen im Hinblick auf die Reparatur der Absauganlage und zu Atemschutzmaßnahmen zu prüfen. Die Klägerin hat selbst vorgetragen, dass letzteres überhaupt nicht möglich ist und ersteres Mitte Oktober 2019 abgeschlossen wurde.

Auch ohne Berücksichtigung des neuen Vortrags des Klägers im Kammertermin am 24. Januar 2023 ist damit unstreitig, dass die Absauganlage wenigstens im Jahr 2019 zeitweise kaputt war. Auch wenn sich die Reparatur der Anlage nicht auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers ausgewirkt haben mag, zeigt die Vereinbarung der Reparatur im bEM-Gespräch doch, dass ein Zusammenhang zwischen Arbeitssituation und Krankheitsanfälligkeit nicht ausgeschlossen worden ist.

Außerdem hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass wegen der Hitze bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit an der Presse das Tragen einer Atemschutzmaske nicht möglich ist. Im bEM-Gespräch am 26. August 2021 hielten die Parteien fest, dass „in dem Bereich“ ein automatischer Türschließer angebracht werde, um Durchzug zu vermeiden. Die Beklagte hat vorgetragen, dass diese Maßnahme erst nach der Kündigung umgesetzt werden konnte. Da es vorliegend um die soziale Rechtfertigung einer auf allgemeine Krankheitsanfälligkeit gestützten Kündigung geht, kann weder die gesundheitlich belastende Arbeitssituation bei einer Tätigkeit in großer Hitze noch der zumindest im Jahr 2021 nicht optimale Schutz vor Zugluft ganz unberücksichtigt bleiben.

Schließlich ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigten, dass er im Kündigungszeitpunkt mindestens drei Personen (Ehefrau und zwei Kinder) gegenüber zum Unterhalt verpflichtet war. Hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Ehefrau hat die Beklagte im vorliegenden Verfahren weder erst- noch zweitinstanzlich Einwände erhoben.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

 

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