Ein Head Greenkeeper forderte die Auszahlung von 105 Plusstunden; der Arbeitgeber stellte daraufhin die Beweispflicht bei Stundenkonten infrage. Die jahrelange, vorbehaltlose Ausweisung des Guthabens verschob die Darlegungslast jedoch auf die Seite des Arbeitgebers.
Übersicht:
- Arbeitszeitkonto nach Kündigung: Wann der Arbeitgeber die Beweispflicht für den Saldo trägt
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Muss der Arbeitgeber mein Arbeitszeitguthaben bei Kündigung auszahlen, wenn es nicht schriftlich vereinbart war?
- Wer trägt die Beweislast, wenn der Arbeitgeber den Saldo meines Arbeitszeitkontos nachträglich anzweifelt?
- Was tun, wenn mein Arbeitgeber die Richtigkeit der eigenen Arbeitszeit-Aufzeichnungen plötzlich bestreitet?
- Wann gilt mein auf dem Stundenkonto ausgewiesenes Guthaben als rechtsverbindlich anerkannt?
- Wie erfolgt die Endabrechnung des Arbeitszeitkontos nach meiner Kündigung und wann muss sie erfolgen?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 6 SLa 164/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
- Datum: 06.05.2025
- Aktenzeichen: 6 SLa 164/24
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitszeitkonto, Urlaubsabgeltung, Lohnansprüche
- Das Problem: Ein ehemaliger Mitarbeiter forderte vom Arbeitgeber die Auszahlung eines Guthabens von 105,10 Überstunden und die Bezahlung von Resturlaub. Der Arbeitgeber weigerte sich und behauptete, das über Jahre geführte Stundenkonto sei nicht vereinbart und die Stundenerfassung fehlerhaft.
- Die Rechtsfrage: Muss ein Arbeitgeber ein über lange Zeit ohne Vorbehalt geführtes Stundenkonto auszahlen, auch wenn er nachträglich die Richtigkeit der Stunden bestreitet?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht bestätigte die Zahlungspflicht, da das Konto aufgrund der langjährigen, vorbehaltlosen Ausweisung als stillschweigend vereinbart galt. Der Arbeitgeber konnte die Unrichtigkeit des Saldos nicht konkret und schlüssig belegen.
- Die Bedeutung: Arbeitgeber, die Arbeitszeitkonten führen und die Salden den Mitarbeitern ohne Vorbehalt übergeben, müssen deren Guthaben im Streitfall als verbindlich anerkennen. Der Arbeitgeber trägt dann die Beweispflicht, wenn er diese Salden später bestreiten will.
Arbeitszeitkonto nach Kündigung: Wann der Arbeitgeber die Beweispflicht für den Saldo trägt
Ein Vierteljahrhundert im selben Job, unzählige Stunden erfasst auf der Stempeluhr, ein Arbeitszeitkonto mit einem soliden Plus – und dann, nach der eigenen Kündigung, der Paukenschlag: Der Arbeitgeber will das Guthaben nicht auszahlen und bestreitet plötzlich die Richtigkeit seiner eigenen, jahrelang geführten Aufzeichnungen.

Dieser Konflikt zwischen einem Head Greenkeeper und seinem langjährigen Arbeitgeber führte zu einer grundlegenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 06.05.2025, Az.: 6 SLa 164/24). Das Urteil beleuchtet eine entscheidende Frage: Wer muss was beweisen, wenn nach Jahren der stillschweigenden Einigkeit über ein Stundenkonto plötzlich Streit entbrennt?
Was war genau passiert?
Die Geschichte beginnt mit einem Arbeitsverhältnis, das von Beständigkeit geprägt war. Seit dem 1. Juli 1998, also über 25 Jahre, war der Mann als Head Greenkeeper für das Unternehmen tätig. Seine Arbeitszeit wurde minutengenau mit einer Stempeluhr erfasst. Auf dieser Basis führte der Arbeitgeber seit mindestens 2002 für ihn ein monatliches „Stunden/Urlaubskonto“. Diese Übersicht listete nicht nur die geleisteten Stunden und den Urlaubsanspruch auf, sondern wies auch eine Differenz aus, die in einem laufenden Saldo fortgeschrieben wurde – ein klassisches Arbeitszeitkonto.
Zum 31. Juli 2023 kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis. Kurz zuvor hatte er seinen Resturlaub angetreten und mitgeteilt, dass er danach nicht mehr zur Arbeit erscheinen werde. Als es zur Endabrechnung kam, eskalierte die Situation. Der Arbeitnehmer forderte die Auszahlung seines Guthabens auf dem Arbeitszeitkonto, das zuletzt 105,10 Plusstunden aufwies. Außerdem verlangte er die Abgeltung für eine erhebliche Anzahl an nicht genommenen Urlaubstagen.
Der Arbeitgeber weigerte sich zu zahlen. Seine Argumentation: Man habe nie förmlich ein Arbeitszeitkonto vereinbart. Die monatlichen Übersichten seien lediglich eine Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung gewesen, keine rechtsverbindliche Anerkennung. Mehr noch, der Arbeitgeber zweifelte nun die Korrektheit der Daten an. Er warf dem Arbeitnehmer vor, Stempelkarten eigenmächtig handschriftlich verändert zu haben, und verwies auf diverse Unstimmigkeiten. Der Fall landete vor dem Arbeitsgericht Trier, das dem Arbeitnehmer in weiten Teilen recht gab. Dagegen legte der Arbeitgeber Berufung beim Landesarbeitsgericht ein.
Welche rechtlichen Prinzipien standen im Zentrum?
Um die Entscheidung des Gerichts nachzuvollziehen, muss man zwei zentrale juristische Konzepte verstehen: das Arbeitszeitkonto und die damit verbundene Beweislast.
Ein Arbeitszeitkonto ist mehr als nur eine reine Zeiterfassung. Es ist eine Vereinbarung, die es ermöglicht, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit von der vertraglich geschuldeten abweichen zu lassen. Plusstunden werden als Guthaben angesammelt, Minusstunden als Schulden. Eine solche Vereinbarung muss nicht zwingend schriftlich erfolgen. Sie kann auch stillschweigend (Konkludent) zustande kommen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Jahre hinweg ein solches System praktizieren.
Die Darlegungs- und Beweislast regelt, wer vor Gericht welche Tatsachen vortragen und beweisen muss. Im Normalfall eines Streits um Überstundenvergütung liegt diese Last beim Arbeitnehmer. Er muss detailliert nachweisen, an welchen Tagen er auf Anweisung des Arbeitgebers welche Überstunden geleistet hat – eine oft hohe Hürde. Die entscheidende Frage in diesem Fall war jedoch, ob diese Regel auch dann gilt, wenn der Arbeitgeber selbst über Jahre hinweg ein Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto ausgewiesen hat.
Warum entschied das Gericht zugunsten des Arbeitnehmers?
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Arbeitgebers zurück und bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz. Die Richter zerlegten die Argumente des Arbeitgebers in einer klaren und nachvollziehbaren Kette von logischen Schritten.
Gab es überhaupt ein verbindliches Arbeitszeitkonto?
Der Arbeitgeber behauptete, es habe nie eine formelle Vereinbarung gegeben. Das Gericht sah das anders. Es stellte fest, dass die jahrelange Praxis eine klare Sprache sprach. Die Dokumente hießen explizit „Stunden/Urlaubskonto“. Sie wurden dem Arbeitnehmer monatlich ausgehändigt. Vor allem aber wurde das System gelebt: Im Sommer angefallene Überstunden konnten im Winter „abgefeiert“ werden. Diese gelebte betriebliche Praxis war für das Gericht der entscheidende Beweis dafür, dass die Parteien stillschweigend ein Arbeitszeitkonto vereinbart hatten. Die bloße Behauptung des Arbeitgebers, es habe keine Vereinbarung gegeben, konnte die erdrückenden Beweise der eigenen jahrelangen Praxis nicht entkräften.
Warum zählte der vom Arbeitgeber selbst ausgewiesene Stundensaldo?
Dies war der Kernpunkt des Rechtsstreits. Der Arbeitgeber argumentierte, selbst wenn es ein Konto gäbe, sei der Saldo falsch und der Arbeitnehmer müsse jede einzelne Plusstunde beweisen. Das Gericht folgte dieser Logik nicht und verwies auf eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (u.a. BAG, 24.09.2003 – 10 AZR 640/02).
Die Richter stellten klar: Weist ein Arbeitgeber über einen langen Zeitraum auf den Lohnabrechnungen oder in Kontomitteilungen ein Arbeitszeitguthaben vorbehaltlos aus, so stellt er diesen Saldo gewissermaßen „streitlos“. Es handelt sich rechtlich gesehen um ein Anerkenntnis. Damit kehrt sich die Beweislast um. Nicht mehr der Arbeitnehmer muss die Richtigkeit des Saldos beweisen, sondern der Arbeitgeber muss nun substanziiert darlegen und beweisen, warum sein eigener, zuvor bestätigter Saldo falsch sein soll. Man spricht hier von einer gestuften Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer muss nur das Bestehen des Kontos und den ausgewiesenen Saldo darlegen. Gelingt ihm das, ist der Arbeitgeber am Zug.
Reichten die Zweifel des Arbeitgebers aus, um den Saldo zu kippen?
Der Arbeitgeber versuchte, seiner neuen Beweislast nachzukommen, indem er auf diverse Unregelmäßigkeiten auf den Stempelkarten verwies: handschriftliche Korrekturen, doppelte Stempelvorgänge oder Arbeitszeiten zu ungewöhnlichen Randzeiten. Doch das Gericht befand diese Einwände als nicht ausreichend substanziiert.
Der Arbeitnehmer hatte plausible Erklärungen für diese Phänomene geliefert: Die Stempelkarten seien von minderer Qualität gewesen, handschriftliche Nachträge seien gängige Praxis gewesen, und als Head Greenkeeper mit freier Zeiteinteilung habe er auch außerhalb üblicher Zeiten gearbeitet. Der Arbeitgeber hatte diese Erklärungen nicht widerlegt. Entscheidend war für das Gericht, dass der Arbeitgeber nicht konkret aufzeigte, wie die von ihm monierten einzelnen Unstimmigkeiten den gesamten Saldo von 105,10 Stunden auf null reduzieren oder ins Negative verkehren sollten. Pauschale Zweifel an der eigenen Buchführung reichten nicht aus, um ein jahrelang bestätigtes Guthaben nachträglich zu entwerten. Der Anspruch auf Abgeltung der 105,10 Stunden in Höhe von 2.362,65 Euro brutto (105,10 h x 22,48 €/h) wurde daher bestätigt.
Was war mit dem umfangreichen Urlaubsanspruch?
Auch hier scheiterte der Arbeitgeber, allerdings aus einem prozessualen Grund. Um in einer Berufung erfolgreich zu sein, muss man sich in der Berufungsbegründung konkret mit den Argumenten des erstinstanzlichen Urteils auseinandersetzen (§ 520 Abs. 3 ZPO). Genau das hatte der Arbeitgeber in Bezug auf die vom Arbeitsgericht Trier berechnete Urlaubsabgeltung versäumt. Seine Begründung war in diesem Punkt zu pauschal. Das Landesarbeitsgericht erklärte die Berufung in diesem Teil daher für unzulässig und musste den Anspruch inhaltlich gar nicht mehr prüfen.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Dieser Fall liefert über den Einzelfall hinaus wertvolle Erkenntnisse für die Praxis von Arbeitszeitkonten. Er macht deutlich, dass administrative Routinen im Arbeitsalltag erhebliche rechtliche Konsequenzen haben können.
Die erste und wichtigste Lehre ist die Macht der Dokumentation. Ein vom Arbeitgeber geführtes und dem Arbeitnehmer regelmäßig ausgehändigtes Arbeitszeitkonto ist weit mehr als nur eine Information. Es ist ein rechtlich relevantes Dokument. Indem ein Arbeitgeber einen Saldo ohne Vorbehalt ausweist, schafft er Vertrauen und eine Beweislage, an die er sich später halten lassen muss. Ein nachträgliches Bestreiten der eigenen Aufzeichnungen ist nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich und erfordert einen detaillierten, lückenlosen Gegenbeweis.
Zweitens verdeutlicht das Urteil eindrücklich die Umkehr der Beweislast. Die sonst so hohe Hürde für Arbeitnehmer, Überstunden nachzuweisen, wird durch ein etabliertes Arbeitszeitkonto quasi umgedreht. Der ausgewiesene Saldo dient als starkes Indiz, das der Arbeitgeber entkräften muss. Die Botschaft des Gerichts ist klar: Wer ein System zur Arbeitszeiterfassung betreibt und die Ergebnisse kommuniziert, kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, wenn ihm die Ergebnisse nicht mehr gefallen.
Schließlich zeigt der Fall, dass im Recht nicht nur zählt, was man sagt, sondern auch, wie man es sagt. Der Umstand, dass ein wesentlicher Teil der Forderung – die Urlaubsabgeltung – aufgrund eines Formfehlers in der Berufungsbegründung bestätigt wurde, ist eine Mahnung. Prozessuale Vorschriften sind kein bloßer Formalismus, sondern das Gerüst, das ein faires und geordnetes Verfahren sicherstellt. Wer diese Regeln missachtet, kann auch mit einem potenziell starken Argument in der Sache scheitern.
Die Urteilslogik
Die jahrzehntelange Praxis der Arbeitszeiterfassung bindet den Arbeitgeber und definiert die Beweispflicht bei Streitigkeiten über den Saldo eines Arbeitszeitkontos neu.
- Betriebliche Praxis etabliert Verbindlichkeit: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Jahre hinweg ein System der Zeiterfassung pflegen und fortlaufende Salden fortschreiben, begründen sie stillschweigend ein rechtsverbindliches Arbeitszeitkonto.
- Vorbehaltlose Ausweisung kehrt die Beweislast um: Weist der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum ein Stundenkonto-Guthaben ohne Vorbehalt aus, erkennt er diesen Saldo rechtlich an, sodass nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber die Unrichtigkeit des Guthabens beweisen muss.
- Widerlegung erfordert detaillierte Darlegung: Um einen selbst anerkannten Stundensaldo nachträglich zu widerlegen, muss der Arbeitgeber substantiierte und konkrete Gegenbeweise vorlegen; pauschale Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Buchführung entkräften das Guthaben nicht.
Administrative Routinen im Arbeitsalltag schaffen demnach selbst ohne formelle Unterschrift rechtlich bindende Tatsachen, von denen sich der Arbeitgeber später nur schwer lösen kann.
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Experten Kommentar
Viele Arbeitgeber vergessen, dass jede Lohnabrechnung oder Stundenübersicht ein rechtliches Dokument ist, nicht nur eine interne Rechenübung. Wer über Jahre ein Stundenkonto führt und den Saldo vorbehaltlos ausweist, schafft damit ein juristisches Anerkenntnis. Die Botschaft des Gerichts ist knallhart: Hören Sie auf, pauschal die Richtigkeit der eigenen Buchhaltung zu bezweifeln, nur weil das Arbeitsverhältnis endet. In solchen Fällen kippt die Beweislast, und es wird für den Arbeitgeber praktisch unmöglich, dem ausscheidenden Mitarbeiter das Guthaben noch zu verweigern.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Muss der Arbeitgeber mein Arbeitszeitguthaben bei Kündigung auszahlen, wenn es nicht schriftlich vereinbart war?
Ja, der Arbeitgeber muss das Guthaben auch ohne einen förmlichen Vertrag auszahlen. Die Auszahlungspflicht hängt nicht von einer schriftlichen Unterschrift ab. Entscheidend ist die jahrelange, gelebte betriebliche Praxis im Unternehmen. Gerichte erkennen an, dass ein Arbeitszeitkonto auch durch eine stillschweigende Vereinbarung (konkludent) entstanden sein kann.
Ein Arbeitszeitkonto gilt als konkludent vereinbart, wenn es über einen längeren Zeitraum hinweg aktiv geführt und praktiziert wurde. Hierbei spielt die regelmäßige Dokumentation durch den Arbeitgeber die zentrale Rolle. Wenn dieser dem Mitarbeiter monatlich Übersichten aushändigte, die explizit einen fortlaufenden Saldo oder ein „Stunden/Urlaubskonto“ auswiesen, liegt eine Vereinbarung vor. Die nachträgliche Behauptung des Chefs, es gäbe keine formelle Regelung, kann die Beweislage der eigenen jahrelangen Praxis nicht entkräften.
Die Beweisführung stützt sich hauptsächlich auf die Dokumente, die der Arbeitgeber selbst erstellt hat. Konkret: Zeigen Sie auf, dass Sie Plusstunden tatsächlich nutzen konnten, beispielsweise durch das „Abfeiern“ ganzer Tage oder Wochen. Diese gelebte Nutzung des Arbeitszeitkontos zusammen mit den monatlichen Saldenübersichten stellt einen starken Beweis dar. Sie müssen dann nicht jede einzelne Überstunde neu belegen, sondern nur die Existenz des Kontos und den ausgewiesenen positiven Saldo darlegen.
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Wer trägt die Beweislast, wenn der Arbeitgeber den Saldo meines Arbeitszeitkontos nachträglich anzweifelt?
Sie müssen nicht befürchten, jede einzelne Minute nachweisen zu müssen, wenn Ihr Arbeitgeber den Saldo anzweifelt. Sobald das Unternehmen über Jahre hinweg ein Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto ohne jeden Vorbehalt auswies, kehrt sich die Beweislast um. Dieses regelmäßige und vorbehaltlose Ausweisen wirkt rechtlich als Anerkenntnis der geleisteten Stunden durch den Arbeitgeber selbst.
In einem normalen Streit um Überstunden müssten Sie als Arbeitnehmer tatsächlich jede Minute detailliert belegen. Bei einem etablierten Arbeitszeitkonto gilt jedoch die gestufte Beweislast. Sie erfüllen Ihre Pflicht bereits dadurch, dass Sie das Bestehen des Kontos und den ausgewiesenen positiven Endsaldo darlegen. Dies macht das Guthaben vor Gericht gewissermaßen „streitlos“ und überträgt die Verpflichtung, die Unrichtigkeit zu beweisen, auf Ihren Arbeitgeber.
Der Arbeitgeber muss nun diesen Saldo entkräften, indem er einen lückenlosen und substanziierten Gegenbeweis liefert. Pauschale Behauptungen oder allgemeine Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Buchführung reichen dafür nicht aus. Er muss vielmehr detailliert darlegen, welche konkreten Fehler er wann gemacht hat und wie diese Abweichungen den gesamten ausgewiesenen Saldo rechnerisch auf null reduzieren.
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Was tun, wenn mein Arbeitgeber die Richtigkeit der eigenen Arbeitszeit-Aufzeichnungen plötzlich bestreitet?
Wenn der Arbeitgeber ein jahrelang bestätigtes Arbeitszeitguthaben plötzlich anzweifelt, ist das frustrierend. Ihre primäre Aufgabe ist es, die Beweislast korrekt zu verteilen. Sie müssen die pauschalen Zweifel Ihres Arbeitgebers nicht widerlegen. Fordern Sie ihn stattdessen formal dazu auf, seine Anschuldigungen konkret zu quantifizieren. Gerichte akzeptieren keine allgemeinen Verweise auf Unregelmäßigkeiten, um den gesamten Saldo zu kippen.
Der Arbeitgeber kann den ausgewiesenen Saldo nicht einfach durch allgemeine Behauptungen entwerten. Da das Guthaben zuvor als anerkannt galt, kehrt sich die Beweislast um. Der Arbeitgeber muss nun einen substanziierten Gegenbeweis führen. Er muss detailliert darlegen, wie die von ihm monierten einzelnen Unstimmigkeiten – zum Beispiel handschriftliche Korrekturen oder doppelte Stempelungen – den Gesamtstundensaldo rechnerisch auf null oder ins Negative verkehren.
Lassen Sie sich nicht in die Falle locken, jede einzelne Stunde neu zu begründen. Liefert der Arbeitgeber beispielsweise keine schlüssige Rechnung, erklären Sie systembedingte Unregelmäßigkeiten, etwa wenn handschriftliche Nachträge gängige Praxis waren. Ihr Ziel ist es, zu zeigen, dass die Einwände des Arbeitgebers nicht ausreichend fundiert sind, da sie lediglich allgemeine Zweifel an der eigenen, jahrelangen Buchführung darstellen.
Antworten Sie dem Arbeitgeber schriftlich, dass Sie auf dem ausgewiesenen Saldo bestehen und ihn zur detaillierten Darlegung der Saldo-Reduktion auffordern.
Wann gilt mein auf dem Stundenkonto ausgewiesenes Guthaben als rechtsverbindlich anerkannt?
Ihr Guthaben gilt als rechtsverbindlich anerkannt (Anerkenntnis), wenn Ihr Arbeitgeber den Saldo regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg ausweist. Entscheidend ist dabei, dass diese Mitteilungen keinen schriftlichen Vorbehalt enthalten. Solche offiziellen Dokumente aus der Buchhaltung oder HR sind gerichtsfeste Beweismittel, an denen der Vorgesetzte nachträglich nur schwer rütteln kann.
Durch die wiederholte und vorbehaltlose Ausweisung des positiven Saldos schafft der Arbeitgeber Vertrauen in dessen Richtigkeit. Diese Praxis stellt den ausgewiesenen Saldo juristisch gesehen „streitlos“. Der Arbeitgeber signalisiert damit, dass er die fortlaufenden Überstunden erfasst und ihre Existenz über Jahre hinweg akzeptiert hat. Das Bundesarbeitsgericht sieht darin eine vertrauensschaffende Praxis, die der Arbeitnehmer gegen spätere Angriffe nutzen kann.
Der Arbeitgeber kann die Anerkenntnis-Wirkung nur durch einen klar formulierten Vorbehalt verhindern. Diese Klausel müsste auf den Stundenübersichten oder Lohnabrechnungen deutlich lesbar platziert sein. Fehlt ein Vermerk wie „Angaben ohne Gewähr“ oder ein Hinweis auf die Unverbindlichkeit der Zahlen, tritt die Beweislastumkehr ein. Der Arbeitnehmer muss dann nur den ausgewiesenen Saldo belegen, nicht jede einzelne Stunde neu nachweisen.
Prüfen Sie die Ihnen zugesandten Übersichten systematisch auf Fußnoten oder Kleingedrucktes, um das Fehlen eines Vorbehalts als wichtigen Beweis zu dokumentieren.
Wie erfolgt die Endabrechnung des Arbeitszeitkontos nach meiner Kündigung und wann muss sie erfolgen?
Nach der Kündigung können Sie Plusstunden nicht mehr „abfeiern“; das gesamte Guthaben wird stattdessen in Geld umgewandelt. Der Arbeitgeber rechnet den Saldo zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab. Die Auszahlung erfolgt in der Regel mit der letzten Lohnzahlung. Sie erhalten den Betrag als Bruttolohn, der regulär versteuert wird.
Die Endabrechnung ist ein Abgeltungsanspruch, der den angesammelten Saldo rechnerisch liquidiert. Multiplizieren Sie dafür die angesammelten Plusstunden einfach mit Ihrem aktuellen Bruttostundenlohn. Parallel dazu muss der Arbeitgeber auch Ihren nicht genommenen Resturlaub auszahlen. Diese Gesamtansprüche müssen Sie nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses klar und formal korrekt einfordern.
Der wichtigste Punkt ist die Einhaltung prozessualer Vorgaben, insbesondere vertraglicher oder tariflicher Ausschlussfristen. Diese Fristen sind oft sehr kurz und verlangen die Geltendmachung der Forderung innerhalb weniger Monate nach Fälligkeit. Wenn Sie diese Vorgaben ignorieren, verfällt Ihr Anspruch auf das Guthaben, selbst wenn dieses inhaltlich korrekt ist. Konkret bestätigte das Gericht beispielsweise den Anspruch auf Abgeltung von 105,10 Stunden im Wert von 2.362,65 Euro brutto, weil der Arbeitnehmer fristgerecht gehandelt hatte.
Berechnen Sie Ihren gesamten Abgeltungsanspruch sofort und senden Sie dem Arbeitgeber zur Sicherung Ihrer Rechte ein formelles Forderungsschreiben per Einschreiben mit einer kurzen Zahlungsfrist.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Anerkenntnis
Anerkenntnis beschreibt die rechtliche Handlung, bei der eine Partei einen bestimmten Anspruch oder Sachverhalt als wahr und verbindlich akzeptiert. Durch ein Anerkenntnis wird der Sachverhalt „streitlos“ gestellt, was dem Begünstigten vor Gericht die Beweisführung wesentlich erleichtert, da der Gegner die bestrittene Tatsache nicht mehr belegen muss.
Beispiel: Das Gericht wertete die jahrelange, vorbehaltlose Ausweisung des positiven Stundensaldos durch den Arbeitgeber in den monatlichen Übersichten als Anerkenntnis des Arbeitszeitguthabens.
Arbeitszeitkonto
Ein Arbeitszeitkonto ist eine spezifische Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die es erlaubt, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit von der vertraglich geschuldeten Zeit temporär abweichen zu lassen. Dieses System dient der Flexibilisierung des Arbeitsalltags, indem Über- oder Minusstunden gesammelt und zu einem späteren Zeitpunkt ausgeglichen werden, um Arbeitsspitzen zu bewältigen und Freizeitausgleich zu ermöglichen.
Beispiel: Obwohl keine schriftliche Vereinbarung existierte, sah das Landesarbeitsgericht das monatlich geführte „Stunden/Urlaubskonto“ aufgrund der gelebten betrieblichen Praxis als stillschweigend vereinbartes Arbeitszeitkonto an.
Darlegungs- und Beweislast
Juristen nennen die Darlegungs- und Beweislast die Verpflichtung, vor Gericht konkrete Tatsachen vorzutragen und anschließend die Richtigkeit dieser Tatsachen durch Beweismittel zu belegen. Dieses Prinzip ist essenziell für ein geordnetes Verfahren, da es festlegt, welche Partei welche Behauptung beweisen muss, um ihre Klage oder Verteidigung erfolgreich durchzusetzen.
Beispiel: Im normalen Streit um Überstundenvergütung trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für jede einzelne geleistete Zusatzstunde, eine oft hohe Hürde.
Gestufte Darlegungs- und Beweislast
Die Gestufte Darlegungs- und Beweislast ist ein arbeitsrechtliches Konzept, das die Beweisführung in zwei Schritte unterteilt, wodurch die übliche Beweishürde für den Arbeitnehmer reduziert wird. Sie greift, wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner eigenen Dokumentation bereits einen Saldo ausgewiesen hat; der Arbeitnehmer muss dann nur diesen Saldo darlegen, bevor die Beweislast an den Arbeitgeber zurückfällt.
Beispiel: Weil der Arbeitgeber jahrelang ein Guthaben bestätigt hatte, musste der Arbeitnehmer im Rahmen der gestuften Darlegungs- und Beweislast lediglich das Bestehen des Arbeitszeitkontos und den Endsaldo präsentieren.
Konkludent
Als konkludent bezeichnen Rechtsexperten ein Handeln, das durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebracht wird, ohne dass die Parteien eine ausdrückliche, schriftliche oder mündliche Erklärung abgegeben haben. Dieses Prinzip ermöglicht die rechtliche Anerkennung von Vereinbarungen, die durch eine etablierte Praxis im Arbeitsalltag entstanden sind und auf gegenseitigem Vertrauen basieren.
Beispiel: Das Arbeitszeitkonto galt als konkludent vereinbart, da der Head Greenkeeper die Plusstunden im Winter tatsächlich „abfeiern“ konnte und die monatlichen Übersichten das Guthaben auswiesen.
Substantiierter Gegenbeweis
Der Substantiierte Gegenbeweis ist die Anforderung an eine Partei, eine Behauptung nicht nur pauschal zu bestreiten, sondern dies mit detaillierten Fakten und spezifischen Beweismitteln zu untermauern. Der Gesetzgeber fordert dies, um zu verhindern, dass Ansprüche durch vage Zweifel zu Fall gebracht werden, und um eine faire und präzise gerichtliche Überprüfung zu gewährleisten.
Beispiel: Das Landesarbeitsgericht forderte vom Arbeitgeber einen substanziierten Gegenbeweis, der detailliert darlegen musste, wie die monierten Unstimmigkeiten den gesamten Stundensaldo von 105,10 Stunden rechnerisch entwerteten.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 SLa 164/24 – Urteil vom 06.05.2025
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