Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Frühpensionierung: Wann zählt das Wort des Chefs per E-Mail wirklich? Bundesarbeitsgericht stärkt Arbeitnehmerrechte
- Worum ging es im Kern? Der Fall der Fluglotsin Sabine K.
- Die Wende durch Corona und eine folgenreiche E-Mail
- Die Vorgeschichte: Der Weg durch die Instanzen
- Die Knackpunkte vor dem Bundesarbeitsgericht
- Das Verdikt aus Erfurt: Aufhebung und Zurückverweisung
- Die Argumente des BAG – Klartext für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
- Mehr als nur ein Einzelfall: Die Bedeutung des Urteils
- Konsequenzen und Praxistipps für Sie
- Wie geht es weiter im Fall der Fluglotsin? Der Blick nach vorn
- Häufig gestellte Fragen zum Thema Arbeitgeberzusagen und Gleichbehandlung nach dem BAG-Urteil
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet dieses Urteil jetzt genau für mich, wenn mein Chef mir etwas Wichtiges per E-Mail verspricht?
- Mein Arbeitgeber hat eine Zusage mit dem Hinweis „wenn keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen“ gemacht. Was bedeutet das nach diesem Urteil für mich?
- Wann kann ich mich als Arbeitnehmer auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, wenn Kollegen Vorteile erhalten, ich aber nicht?
- Was ist das Wichtigste, das ich als Arbeitnehmer aus dem Urteil zur Fluglotsin mitnehmen sollte?
- Die Fluglotsin Sabine K. hat ja vor dem Bundesarbeitsgericht nicht direkt gewonnen. Was muss jetzt passieren, damit sie vielleicht doch noch ihr ungekürztes Übergangsgeld bekommt?
- Das digitale Wort zählt: BAG-Urteil stärkt Verbindlichkeit von Chef-Zusagen

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Was bedeutet das konkret? Zusagen Ihres Arbeitgebers, auch per E-Mail oder informell, können rechtlich bindend sein und Ihnen Ansprüche verschaffen.
- Das betrifft alle Arbeitnehmer, denen vom Arbeitgeber freiwillige Leistungen oder Vorteile in Aussicht gestellt werden.
- Arbeitgeber können sich nicht einfach von solchen Zusagen lösen, auch wenn sie im Nachhinein „betriebliche Gründe“ anführen.
- Beruft sich Ihr Arbeitgeber auf „betriebliche Gründe“, um eine zugesagte Leistung zu verweigern, muss er diese Gründe konkret für Ihre spezifische Situation und zum Zeitpunkt der Zusage beweisen.
- Werden vergleichbare Kollegen besser behandelt und erhalten die zugesagte Leistung, Sie aber nicht, muss der Arbeitgeber dafür einen sachlichen Grund haben. Willkürliche Ungleichbehandlung ist unzulässig.
- Im konkreten Fall (Frühpensionierung einer Fluglotsin) muss nun ein niedrigeres Gericht neu entscheiden und prüfen, ob die genannten betrieblichen Gründe oder eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung vorlagen.
- Bewahren Sie schriftliche Zusagen Ihres Arbeitgebers gut auf und hinterfragen Sie unklare oder scheinbar unfaire Entscheidungen.
Quelle: Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 29. April 2025, Az. 9 AZR 39/24
Frühpensionierung: Wann zählt das Wort des Chefs per E-Mail wirklich? Bundesarbeitsgericht stärkt Arbeitnehmerrechte
Ein unerwartetes Angebot zur Frühpensionierung, eine E-Mail vom Chef, die Hoffnung macht, und am Ende doch Enttäuschung – ein Szenario, das viele Arbeitnehmer kennen oder fürchten. Genau darum ging es in einem richtungsweisenden Fall vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Das Urteil (Az. 9 AZR 39/24 vom 29. April 2025) hat weitreichende Folgen dafür, wie verbindlich Zusagen von Arbeitgebern sind und wann sich Mitarbeiter auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen können. Für Sie als Arbeitnehmer könnte dieses Urteil bares Geld und Klarheit in unsicheren Zeiten bedeuten.
Worum ging es im Kern? Der Fall der Fluglotsin Sabine K.
Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand Sabine K. (Name geändert), eine erfahrene Fluglotsin, geboren 1970 und seit 1991 bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigt. Wie viele in ihrer Branche hatte sie die Möglichkeit, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen und ein sogenanntes Übergangsgeld zu beziehen. Grundlage hierfür war der „Tarifvertrag über die Übergangsversorgung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Fluglotsen“ (kurz: ÜVersTV-Lotsen).
Der ursprüngliche Plan und die tariflichen Hürden
Nach diesem Tarifvertrag konnten Fluglotsen ab dem 52. Lebensjahr und nach mindestens 15 Dienstjahren Übergangsgeld erhalten. Frau K. erfüllte diese Bedingungen. Allerdings sah § 5 ÜVersTV-Lotsen eine Kürzung vor: Wer das Übergangsgeld vor dem 55. Lebensjahr in Anspruch nimmt, muss für jeden Monat einen Abschlag von 0,3 % hinnehmen. Frau K. kündigte ihren vorzeitigen Ruhestand zum 1. Januar 2023 an – noch bevor sie 55 Jahre alt war. Die DFS berechnete ihr Übergangsgeld daher mit dieser Kürzung, was für Frau K. einen monatlichen Abzug von 986,83 Euro bedeutet hätte.
Hintergrund: Wie berechnet sich der monatliche Abzug?
Die Angabe, dass die monatliche Kürzung von 0,3 % zu einem Abzug von 986,83 Euro monatlich führte, ist so im Sachverhalt des Urteils dokumentiert. Es ist aher wichtig zu verstehen, wie diese Zahlen zusammenhängen;
Die 0,3 % sind nicht direkt als ein Betrag von 986,83 Euro zu verstehen. Die Regelung funktioniert folgendermaßen:
- Gemäß § 5 Abs. 2 des „Tarifvertrags über die Übergangsversorgung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Fluglotsen“ (ÜVersTV-Lotsen) wird das Übergangsgeld für jeden Monat, den es vor Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,3 % gekürzt.
- Dieser Satz von 0,3 % wird mit der Anzahl der Monate multipliziert, die die Klägerin das Übergangsgeld vor ihrem 55. Geburtstag bezogen hat. Dies ergibt einen Gesamtprozentsatz für die Kürzung. Wenn eine Person beispielsweise 30 Monate vor dem 55. Lebensjahr in den Ruhestand geht, beträgt die Gesamtkürzung 30 Monate * 0,3 %/Monat = 9 %.
- Dieser resultierende Gesamtprozentsatz wird dann auf das volle monatliche Übergangsgeld angewendet, das der Klägerin zugestanden hätte, wenn sie erst mit Vollendung des 55. Lebensjahres in den Ruhestand getreten wäre (dieses volle Übergangsgeld beträgt gemäß § 5 Abs. 1 ÜVersTV-Lotsen 70 % der Bemessungsgrundlage ). Das Ergebnis dieser Berechnung ist der tatsächliche monatliche Kürzungsbetrag in Euro.
- Die konkret genannten 986,83 Euro stellen diesen endgültigen monatlichen Kürzungsbetrag für die Klägerin dar. Dieser Betrag ergibt sich also aus der Anwendung der oben beschriebenen Regel auf ihre individuelle Situation (d.h. die spezifische Anzahl der Monate ihres Vorruhestands und die Höhe ihres individuellen Anspruchs auf das volle Übergangsgeld).
Die Wende durch Corona und eine folgenreiche E-Mail
Dann kam die COVID-19-Pandemie und mit ihr massive Einbrüche im Flugverkehr. Die DFS reagierte und schloss mit der Gewerkschaft den „Tarifvertrag zum bedarfsgerechten Personaleinsatz in Pandemie-Zeiten“ (Corona TV 2.0), der am 1. Januar 2021 in Kraft trat. Dieser neue Tarifvertrag schuf in § 4 eine attraktive Möglichkeit: Zwischen 2022 und 2024 konnten Fluglotsen im gegenseitigen Einvernehmen auch zwischen dem 52. und 55. Lebensjahr in den Ruhestand gehen – und zwar ohne die sonst übliche Kürzung des Übergangsgeldes, vorausgesetzt, es standen keine betrieblichen Gründe entgegen.
Für Mitarbeiter wie Frau K., die ihre Entscheidung bereits vor dem Corona TV 2.0 getroffen hatten, war das bitter. Sie sollten leer ausgehen. Um, wie es hieß, „verständlichen Unmut zu vermeiden“, verschickte die Leitung des DFS-Centers M, wo Frau K. tätig war, am 8. April 2021 eine E-Mail. Darin teilte sie mit, dass die Geschäftsführung entschieden habe, die neue, günstigere Regelung des ungekürzten Übergangsgeldes auch auf diejenigen anzuwenden, die ihren vorzeitigen Ruhestand bereits vor dem Corona TV 2.0 vereinbart hatten. Bedingung war auch hier: Es durften keine betrieblichen Gründe entgegenstehen.
Der Streit entbrennt: Ungleichbehandlung im Fokus
Die DFS bot die ungekürzte Frühpensionierung nach dem Corona TV 2.0 tatsächlich einigen Fluglotsen an, vor allem in Bereichen mit ausreichender Personalkapazität. Im Center M wurden die Angebote für die Einsatzberechtigungsgruppe (EBG) West, zu der Frau K. im weiteren Sinne gehörte (sie war in der EBG Approach tätig), jedoch auf ältere Jahrgänge beschränkt. Vier Kollegen von Frau K. aus der EBG West, ebenfalls Jahrgänge 1970 und 1971, die wie sie ihren Ruhestand vor dem Corona TV 2.0 angekündigt hatten, erhielten das ungekürzte Übergangsgeld. Frau K. jedoch nicht.
Sie fühlte sich ungerecht behandelt und klagte. Ihre Argumente: Die E-Mail vom 8. April 2021 sei eine verbindliche Zusage (eine sogenannte Gesamtzusage) gewesen. Zudem sei die unterschiedliche Behandlung eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Die Vorgeschichte: Der Weg durch die Instanzen
Bevor der Fall das Bundesarbeitsgericht erreichte, hatte bereits das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) am 20. Dezember 2023 (Az. 18 Sa 1743/22) darüber entschieden. Das LAG gab Frau K. Recht, wenn auch die genauen Details der Begründung für die spätere BAG-Entscheidung nicht im Vordergrund standen. Entscheidend ist: Die DFS legte gegen das Urteil des LAG erfolgreich Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Eine Revision bedeutet, dass das höchste deutsche Arbeitsgericht prüft, ob die Vorinstanz das Recht korrekt angewendet hat. Es findet keine neue Beweisaufnahme statt.
Die Knackpunkte vor dem Bundesarbeitsgericht
Das BAG musste sich mit zwei zentralen juristischen Fragenkomplexen auseinandersetzen, die für viele Arbeitsverhältnisse relevant sind:
1. Die E-Mail als bindendes Versprechen?
War die E-Mail der DFS vom 8. April 2021 eine rechtlich bindende Gesamtzusage für ein ungekürztes Übergangsgeld an alle Mitarbeiter, die ihren Frühruhestand bereits vor dem Corona TV 2.0 angekündigt hatten? Eine Gesamtzusage ist eine Erklärung des Arbeitgebers an alle Arbeitnehmer oder eine bestimmte Gruppe, mit der er freiwillig zusätzliche Leistungen verspricht.
Eng damit verbunden war die Frage, wie die Bedingung „keine betrieblichen Belange entgegenstehen“ auszulegen ist. Was genau sind solche Belange? Und – ganz wichtig – welcher Zeitpunkt ist für deren Bewertung maßgeblich? Wer muss beweisen, dass solche Gründe vorliegen oder eben nicht?
2. Gleiches Recht für alle? Der Gleichbehandlungsgrundsatz
Hatte die DFS den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, indem sie vier anderen Fluglotsen in einer ähnlichen Situation das ungekürzte Übergangsgeld gewährte, Frau K. aber nicht? Der Gleichbehandlungsgrundsatz, der sich aus Artikel 3 des Grundgesetzes ableitet, besagt vereinfacht, dass ein Arbeitgeber Arbeitnehmer in vergleichbaren Situationen nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandeln darf, insbesondere bei freiwilligen Leistungen. Hier musste geklärt werden, ob Frau K. und die vier begünstigten Kollegen wirklich vergleichbar waren und ob die DFS triftige Gründe für die unterschiedliche Behandlung hatte.
Das Verdikt aus Erfurt: Aufhebung und Zurückverweisung
Das Bundesarbeitsgericht fällte am 29. April 2025 eine klare Entscheidung, die im Tenor des Urteils so lautet:
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 20. Dezember 2023 – 18 Sa 1743/22 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das bedeutet: Das Urteil des Landesarbeitsgerichts, das Frau K. Recht gegeben hatte, ist hinfällig. Der Fall ist aber nicht endgültig für Frau K. verloren. Das BAG hat ihn zur erneuten Prüfung an das Hessische Landesarbeitsgericht zurückgegeben. Dieses muss nun unter Beachtung der Rechtsauffassung des BAG neu entscheiden.
Die Argumente des BAG – Klartext für Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Lehrstück darüber, wie sorgfältig Arbeitgeber kommunizieren müssen und welche Rechte Arbeitnehmer daraus ableiten können.
Die E-Mail als bindendes Versprechen: Eine Gesamtzusage mit Haken
Das BAG stellte klar: Die E-Mail der DFS vom 8. April 2021 war tatsächlich eine rechtlich bindende Gesamtzusage. Arbeitgeber können sich also nicht einfach hinter der Formulierung „rein juristisch besteht keine Verpflichtung“ verstecken, wenn der Rest der Mitteilung einen klaren Leistungswillen erkennen lässt. Solche Zusagen können Arbeitsverträge ergänzen und Ansprüche begründen.
Allerdings, so das BAG, war diese Zusage an eine Bedingung geknüpft: Das ungekürzte Übergangsgeld sollte nur gewährt werden, wenn dem Frühruhestand keine „betrieblichen Belange“ entgegenstanden – ähnlich wie es auch im Corona TV 2.0 geregelt war. Entscheidend sei, ob das Ausscheiden des Mitarbeiters im personalwirtschaftlichen Interesse der DFS lag.
„Betriebliche Belange“ – keine pauschale Ausrede
Hier wurde das BAG sehr konkret und traf wichtige Festlegungen, die die Position von Arbeitnehmern stärken:
- Maßgeblicher Zeitpunkt: Für die Beurteilung, ob betriebliche Gründe gegen den ungekürzten Frühruhestand sprachen, ist der Zeitpunkt des Zugangs der E-Mail bei den Mitarbeitern, also der 8. April 2021, entscheidend. Nicht spätere Entwicklungen oder Prognosen.
- Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitgeber: Die DFS als Arbeitgeberin muss darlegen und beweisen, dass zum Stichtag 8. April 2021 konkrete betriebliche Gründe in der spezifischen Einsatzberechtigungsgruppe von Frau K. (EBG Approach) vorlagen, die einen ungekürzten Frühruhestand verhindert hätten. Es reicht nicht, pauschal auf Personalmangel zu verweisen. Der Arbeitgeber muss eine tatsachenbasierte Prognose des Personalbedarfs und -bestands für die konkrete EBG der Klägerin vorlegen, die zeigt, dass ihr Ausscheiden bis zur Vollendung ihres 55. Lebensjahres zu einer Unterdeckung geführt hätte.
Genau hier sah das BAG einen Fehler des Landesarbeitsgerichts: Es hatte versäumt, die notwendigen Tatsachen festzustellen, ob zum relevanten Zeitpunkt solche spezifischen betrieblichen Gründe bezüglich Frau K.s Einsatzbereich vorlagen.
Gleiches Recht für Gleiche? Der Gleichbehandlungsgrundsatz unter der Lupe
Auch zum Gleichbehandlungsgrundsatz äußerte sich das BAG differenziert. Es widersprach der einfachen Schlussfolgerung, Frau K. habe allein deshalb Anspruch, weil vier andere Fluglotsen das ungekürzte Geld erhielten.
Das BAG erkannte an, dass die DFS durch die unterschiedliche Behandlung Gruppen gebildet hatte. Der Kernpunkt sei aber: Beruhte die Entscheidung, den vier Kollegen das ungekürzte Übergangsgeld zu gewähren – möglicherweise entgegen der eigenen Kriterien der DFS für Angebote nach dem Corona TV 2.0 (z.B. Altersgrenzen, Personalsituation ab 2025) – auf sachlichen Gründen oder war sie willkürlich?
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verlange nicht, alle immer identisch zu behandeln. Aber wenn ein Arbeitgeber freiwillige Leistungen gewährt, muss er die Leistungsvoraussetzungen so festlegen, dass niemand aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen wird.
Das Landesarbeitsgericht muss nun prüfen, ob die DFS von ihren eigenen Richtlinien (aus dem Corona TV 2.0 oder der Gesamtzusage) ohne sachliche Rechtfertigung abgewichen ist, als sie den vier Kollegen die Leistung gewährte. Wenn ja, und Frau K. sich in einer vergleichbaren Situation befindet, könnte sie Anspruch auf die gleiche Behandlung haben.
Mehr als nur ein Einzelfall: Die Bedeutung des Urteils
Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat eine Signalwirkung, die weit über den konkreten Fall der Fluglotsin hinausgeht. Es verdeutlicht mehrere wichtige Aspekte im Arbeitsrecht.
Vorher vs. Nachher: Klarere Linien für Zusagen und Gleichbehandlung
Vor diesem Urteil herrschte oft Unsicherheit darüber, wie verbindlich informelle Mitteilungen wie E-Mails von Arbeitgebern sind, insbesondere wenn sie von Tarifverträgen oder bestehenden Regelungen abweichen. Auch die Berufung auf „betriebliche Gründe“ war für Arbeitgeber oft ein Weg, gewährte Vorteile wieder einzuschränken, ohne dies im Detail belegen zu müssen.
Nach diesem Urteil hat das BAG die Spielregeln präzisiert:
- E-Mails können bindende Gesamtzusagen sein: Arbeitgeber müssen sich bewusst sein, dass auch formlose Mitteilungen Rechtsansprüche begründen können. Die Formulierung „um Unmut zu vermeiden“ kann als Indiz für einen Leistungswillen gewertet werden.
- „Betriebliche Gründe“ müssen konkret und belegt sein: Arbeitgeber können sich nicht mehr pauschal auf betriebliche Erfordernisse berufen. Sie tragen die Beweislast und müssen zum relevanten Stichtag nachweisen, dass spezifische Gründe gegen die Leistungsgewährung für den konkreten Mitarbeiter sprachen.
- Gleichbehandlung erfordert konsistentes Handeln: Weicht ein Arbeitgeber von seinen selbst gesetzten Regeln zugunsten einzelner Mitarbeiter ab, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt ist, öffnet er die Tür für Ansprüche anderer vergleichbarer Mitarbeiter.
Das Spielfeld: Arbeitsrechtliche Zusagen und Gleichbehandlung kurz erklärt
Eine Gesamtzusage im Arbeitsrecht ist eine an alle Arbeitnehmer oder eine abgrenzbare Gruppe gerichtete Erklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen (z.B. Weihnachtsgeld, zusätzliche Urlaubstage, hier das ungekürzte Übergangsgeld) erbringen zu wollen. Sie wird Inhalt des Arbeitsvertrags, ohne dass der einzelne Arbeitnehmer sie ausdrücklich annehmen muss (§ 151 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – spricht hier von einer Annahme ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat).
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein fundamentaler Pfeiler des Arbeitsrechts. Er wurzelt im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Er verbietet dem Arbeitgeber, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, bei begünstigenden Maßnahmen ohne sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln. Es geht darum, Willkür zu verhindern.
Konsequenzen und Praxistipps für Sie
Das Urteil hat sehr konkrete Auswirkungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
„Was heißt das für mich als Arbeitnehmer?“
- Lesen Sie E-Mails vom Chef genau: Ankündigungen von Vorteilen, auch wenn sie formlos per E-Mail kommen oder mit vagen Bedingungen versehen sind, können bindend sein. Heben Sie solche Mitteilungen gut auf.
- Achten Sie auf Ungleichbehandlung: Wenn Kollegen in vergleichbarer Position Vorteile erhalten, die Ihnen verwehrt werden, fragen Sie nach den Gründen. Eine Ungleichbehandlung ohne sachliche Rechtfertigung kann einen Anspruch begründen.
- „Betriebliche Gründe“ nicht einfach akzeptieren: Wenn Ihr Arbeitgeber eine zugesagte Leistung mit Verweis auf „betriebliche Gründe“ verweigert, haken Sie nach. Der Arbeitgeber ist in der Pflicht, diese Gründe konkret zu benennen und zu beweisen. Das BAG hat den relevanten Zeitpunkt für die Beurteilung (Zugang der Zusage) und die spezifische Betrachtung Ihrer Situation (Ihre Abteilung/Gruppe) betont.
- Dokumentieren Sie Fälle von Begünstigungen: Wenn Sie Kenntnis davon erlangen, dass andere Mitarbeiter in ähnlicher Situation bessergestellt wurden, versuchen Sie, dies zu dokumentieren (z.B. Namen, Zeitpunkte, Art der Begünstigung). Dies kann für einen Gleichbehandlungsanspruch wichtig sein.
- Suchen Sie rechtzeitig Rat: Wenn Sie unsicher sind oder sich ungerecht behandelt fühlen, konsultieren Sie einen Fachanwalt für Arbeitsrecht. Dieser kann prüfen, ob Ihnen Ansprüche zustehen.
Dieser Fall zeigt, dass es sich lohnen kann, für seine Rechte zu kämpfen, auch wenn der Arbeitgeber zunächst abblockt. Die Hürden für Arbeitgeber, sich aus einmal gemachten Zusagen herauszuwinden oder Mitarbeiter willkürlich ungleich zu behandeln, sind durch die Rechtsprechung des BAG höher geworden.
„Was bedeutet das für Arbeitgeber?“
Für Arbeitgeber ergeben sich aus dem Urteil klare Handlungsanweisungen:
- Vorsicht bei der Kommunikation: Jede Mitteilung, die Leistungen in Aussicht stellt, sollte sorgfältig formuliert und juristisch geprüft sein, um unbeabsichtigte Gesamtzusagen zu vermeiden.
- Bedingungen klar definieren: Wenn Leistungen an Bedingungen geknüpft werden (z.B. „betriebliche Gründe“), sollten diese so konkret wie möglich gefasst sein.
- Entscheidungen sorgfältig dokumentieren: Insbesondere wenn von allgemeinen Regeln abgewichen oder Leistungen selektiv gewährt werden, müssen die sachlichen Gründe für die Differenzierung detailliert dokumentiert werden.
- Konsistenz wahren: Einmal aufgestellte Kriterien für Leistungen sollten konsequent angewendet werden. „Ausnahmen“ können schnell zu Präzedenzfällen für Gleichbehandlungsansprüche werden.
- Personalplanung und -bedarf präzise analysieren: Wenn „betriebliche Belange“ als Argument dienen sollen, muss dies durch fundierte, nachvollziehbare Analysen des Personalbedarfs für spezifische Bereiche und Zeiträume untermauert werden können.
Wie geht es weiter im Fall der Fluglotsin? Der Blick nach vorn
Der Fall von Sabine K. ist bislang nicht abgeschlossen. Das Hessische Landesarbeitsgericht muss nun erneut verhandeln und entscheiden. Dabei hat es die rechtlichen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zu beachten.
Die Hauptaufgaben für das Landesarbeitsgericht
Das LAG Hessen wird sich insbesondere mit folgenden Punkten auseinandersetzen müssen:
- Prüfung der betrieblichen Gründe bezüglich Frau K.: Das Gericht muss klären, ob am Stichtag 8. April 2021 tatsächlich konkrete betriebliche Gründe in Frau K.s Einsatzbereich (EBG Approach im Center M) vorlagen, die es rechtfertigten, ihr das ungekürzte Übergangsgeld trotz der Gesamtzusage vorzuenthalten. Die DFS muss hierfür stichhaltige Beweise liefern, dass Frau K.s Ausscheiden die Personalkapazität in ihrer spezifischen Rolle bis zur Vollendung ihres 55. Lebensjahres beeinträchtigt hätte.
- Analyse des Gleichbehandlungsgrundsatzes (falls betriebliche Gründe vorlagen): Sollte das Gericht zum Schluss kommen, dass betriebliche Gründe gegen Frau K. sprachen, muss es den Gleichbehandlungsanspruch prüfen:
- Waren die vier begünstigten Kollegen aus der EBG West wirklich in einer vergleichbaren Situation wie Frau K.?
- Hatte die DFS sachliche, rechtfertigende Gründe für die Besserstellung dieser vier Kollegen, oder war die Differenzierung willkürlich, insbesondere angesichts der von der DFS selbst genannten Kriterien (Personalbedarf ab 2025, Altersgrenzen in der EBG West)?
Abhängig von diesen Feststellungen könnte Frau K. das ungekürzte Übergangsgeld doch noch zugesprochen bekommen. Die klare Linie des BAG, insbesondere zur Beweislast des Arbeitgebers und zur Notwendigkeit sachlicher Gründe bei Ungleichbehandlung, dürfte ihre Position im neu aufgerollten Verfahren stärken. Es ist auch denkbar, dass die Parteien angesichts der BAG-Entscheidung versuchen werden, sich außergerichtlich zu einigen.
Nachfolgend beantworten wir einige der häufigsten Fragen, die sich aus unserem Artikel zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts über Frühpensionierung, Arbeitgeberzusagen per E-Mail und den Grundsatz der Gleichbehandlung ergeben.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Arbeitgeberzusagen und Gleichbehandlung nach dem BAG-Urteil
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet dieses Urteil jetzt genau für mich, wenn mein Chef mir etwas Wichtiges per E-Mail verspricht?
Mein Arbeitgeber hat eine Zusage mit dem Hinweis „wenn keine betrieblichen Gründe dagegen sprechen“ gemacht. Was bedeutet das nach diesem Urteil für mich?
Wann kann ich mich als Arbeitnehmer auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, wenn Kollegen Vorteile erhalten, ich aber nicht?
Was ist das Wichtigste, das ich als Arbeitnehmer aus dem Urteil zur Fluglotsin mitnehmen sollte?
Die Fluglotsin Sabine K. hat ja vor dem Bundesarbeitsgericht nicht direkt gewonnen. Was muss jetzt passieren, damit sie vielleicht doch noch ihr ungekürztes Übergangsgeld bekommt?
Das digitale Wort zählt: BAG-Urteil stärkt Verbindlichkeit von Chef-Zusagen
Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist mehr als ein Einzelfall. Es unterstreicht: Auch scheinbar formlose digitale Kommunikation vom Chef kann handfeste Rechtsansprüche für Arbeitnehmer begründen. Arbeitgeber können sich nicht pauschal auf „betriebliche Gründe“ berufen, sondern müssen diese konkret belegen – eine wichtige Stärkung.
Für Arbeitnehmer bedeutet dies vor allem: Aufhorchen bei Zusagen und kritisch nachfragen, wenn Vorteile vorenthalten werden. Der Rechtsweg, wie im Fall der Fluglotsin, kann trotz seiner Länge Klarheit und Gerechtigkeit bringen, wenn es um die Anerkennung von Zusagen und den Grundsatz der Gleichbehandlung geht.