Skip to content

Verhältnismäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung

Verlorene Verhältnismäßigkeit: Kündigung trotz Unwirksamkeit wegen zerstörten Vertrauens

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied im Fall Az.: 4 Sa 559/22, dass die Kündigung des Klägers durch den Beklagten nicht sozial gerechtfertigt war, da sie unverhältnismäßig erschien. Trotz schwerwiegender Pflichtverletzungen des Klägers hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dennoch wurde das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten aufgelöst, da eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten war. Dem Kläger wurde eine Abfindung zugesprochen. Das Verhalten des Klägers vor und nach der Kündigung trug zur Eskalation bei, was die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Sa 559/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Kündigung des Klägers war unverhältnismäßig und daher nicht sozial gerechtfertigt.
  • Eine Abmahnung hätte als milderes Mittel ausgereicht.
  • Trotz der Unwirksamkeit der Kündigung wurde das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten aufgelöst.
  • Der Kläger erhielt eine Abfindung.
  • Das Verhalten des Klägers trug wesentlich zur Entscheidung der Auflösung bei.
  1. Die Kündigung war aufgrund von Verhältnismäßigkeitsmängeln nicht sozial gerechtfertigt.
  2. Eine vorherige Abmahnung hätte als milderes Mittel gegenüber der Kündigung in Betracht kommen sollen.
  3. Das Arbeitsverhältnis wurde dennoch auf Antrag des Arbeitgebers aufgelöst.
  4. Dem Kläger wurde eine Abfindung zugesprochen.
  5. Das Verhalten des Klägers vor und nach der Kündigung hat zur Entscheidung der Auflösung beigetragen.
  6. Die Eskalation zwischen den Parteien machte eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar.
  7. Das Arbeitsgericht hat strenge Anforderungen an die Auflösungsgründe gestellt.
  8. Die Gesamtumstände führten zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz der Unwirksamkeit der Kündigung.

Grenzen der verhaltensbedingten Kündigung

Die verhaltensbedingte Kündigung ist ein weitreichender Eingriff in das Arbeitsverhältnis. Sie setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat und diese Verletzung so schwerwiegend ist, dass dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist. Dabei muss der Arbeitgeber jedoch das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachten: Die Kündigung darf nur das letzte Mittel sein, wenn mildere Maßnahmen wie eine Abmahnung oder eine Versetzung nicht ausreichen, um das Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu korrigieren.

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist eine komplexe Aufgabe, bei der verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssen, wie die Schwere des Fehlverhaltens, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und die bisherige Beanstandungsfreiheit des Arbeitnehmers. In diesem Spannungsfeld zwischen den Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers spielen die Gerichte eine wichtige Rolle. Sie überprüfen die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls und setzen so Grenzen für die Möglichkeiten des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen zu beenden.

Wenn Sie Fragen zum Thema unrechtmäßiger Kündigung aufgrund eskalierenden Mitarbeiterverhalten haben, fordern Sie noch heute Ihre kostenlose Ersteinschätzung an.

Verhaltensbedingte Kündigung im Fokus des Landesarbeitsgerichts Köln

Das Landesarbeitsgericht Köln hatte über die Verhältnismäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung zu entscheiden, die einem wissenschaftlichen Leiter und Geschäftsführer eines eingetragenen, gemeinnützigen Vereins ausgesprochen wurde. Der Kläger, seit 1998 im Dienst des Beklagten und mit einem Grad der Behinderung von 50, wurde vorgeworfen, durch sein Verhalten den Betriebsfrieden massiv gestört zu haben. Dies führte zu einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung, deren Rechtmäßigkeit das Gericht nun zu prüfen hatte.

Eskalation im Arbeitsverhältnis: Eine Chronik der Vorfälle

Die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Beklagten eskalierte über einen längeren Zeitraum, beginnend mit einer gescheiterten Mediation im Jahr 2019 und einer Mitarbeiterbefragung, die den Kläger betraf. Die Situation verschärfte sich weiter durch die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer während seiner Krankheitsphase und die nachfolgende Kommunikation des Klägers, die teils schwere Vorwürfe gegen den Vorstand des Vereins enthielt. Die Kommunikation reichte von der Weiterleitung interner E-Mails bis hin zu Beschwerden über vermeintliche Rechtsverstöße und mangelnde Führungskompetenz. Der Kläger behauptete unter anderem, der Zugriff auf sein E-Mail-Konto durch den Vorstandsvorsitzenden stelle eine strafrechtlich relevante Handlung dar.

Gerichtliche Auseinandersetzung und Urteilsfindung

Das Arbeitsgericht Aachen gab der Klage des Klägers zunächst statt, indem es die Kündigung als sozial ungerechtfertigt bewertete. Das Landesarbeitsgericht Köln wurde jedoch auf Berufung des Beklagten hin tätig und musste eine umfassende Bewertung der Sachlage vornehmen, insbesondere die Frage, ob die Kündigung als letztes Mittel (ultima ratio) verhältnismäßig war.

Die Abwägung der Interessen und das Gerichtsurteil

In seiner Entscheidung berücksichtigte das Landesarbeitsgericht Köln die Schwere der vorgeworfenen Pflichtverletzungen, das Ausmaß des Verschuldens des Klägers, die Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie die vorherige störungsfreie Zusammenarbeit. Das Gericht stellte fest, dass eine vorherige Abmahnung als milderes Mittel hätte eingesetzt werden müssen, um dem Kläger die Möglichkeit zur Verhaltensänderung zu geben. Zudem spielten das Alter und die Schwerbehinderung des Klägers sowie die fehlende Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements eine Rolle in der Urteilsfindung.

Fazit: Keine Kündigung ohne vorherige Abmahnung

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung unverhältnismäßig und somit sozial ungerechtfertigt war. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Abmahnung als notwendige Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung und betont die Notwendigkeit einer fairen und rechtlich einwandfreien Handhabung von Konflikten im Arbeitsverhältnis.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird die Verhältnismäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung bewertet?

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist eine Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die aufgrund eines Fehlverhaltens oder einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers ausgesprochen wird. Sie setzt voraus, dass der Arbeitnehmer gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat. Die Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Kündigung folgt strengen Kriterien und ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft.

Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung

Pflichtverletzung: Der Arbeitnehmer muss eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt haben. Dies kann beispielsweise unentschuldigtes Fehlen, Arbeitsverweigerung, Diebstahl oder ähnliches Fehlverhalten sein.

  • Verschulden: Die Pflichtverletzung muss dem Arbeitnehmer vorwerfbar sein. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung vorsätzlich oder fahrlässig begangen haben muss.
  • Negative Prognose: Es muss die begründete Annahme bestehen, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft sein Verhalten nicht ändern wird.
  • Vorherige Abmahnung: In der Regel muss der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung wegen des gleichen oder eines gleichartigen Verhaltens wirksam abgemahnt worden sein. Die Abmahnung dient dazu, dem Arbeitnehmer sein Fehlverhalten vor Augen zu führen und ihm die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu ändern.
  • Interessenabwägung: Vor Ausspruch der Kündigung muss eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien erfolgen. Dabei wird geprüft, ob die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der sozialen Folgen für den Arbeitnehmer verhältnismäßig ist.

Verhältnismäßigkeit

Die Verhältnismäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung ist gegeben, wenn sie das letzte Mittel („ultima ratio“) darstellt. Das bedeutet, dass alle milderen Mittel, wie beispielsweise eine Abmahnung, erfolglos geblieben sind oder im konkreten Fall offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Die Kündigung muss also notwendig sein, um das Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu unterbinden und die betrieblichen Interessen zu schützen.

Zusammenfassend ist eine verhaltensbedingte Kündigung nur dann verhältnismäßig und damit rechtmäßig, wenn sie auf einer schwerwiegenden und vorwerfbaren Pflichtverletzung des Arbeitnehmers beruht, eine negative Zukunftsprognose besteht, der Arbeitnehmer zuvor erfolglos abgemahnt wurde, und eine sorgfältige Interessenabwägung zu dem Ergebnis führt, dass keine milderen Mittel zur Verfügung stehen.

Welche Rolle spielt das Vorhandensein oder Fehlen von Abmahnungen bei der Beurteilung einer Kündigung?

Das Vorhandensein oder Fehlen von Abmahnungen spielt bei der Beurteilung einer Kündigung eine zentrale Rolle. Eine Abmahnung ist im Arbeitsrecht von hoher Bedeutung, da sie als Voraussetzung für die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen dient. Sie hat eine Dokumentations-, Rüge- und Warnfunktion. Die Warnfunktion steht dabei im Vordergrund, da die Abmahnung nicht als Sanktion für erfolgte Pflichtverletzungen gedacht ist, sondern künftigen Pflichtverletzungen vorbeugen soll.

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist nur gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig ist. In der Regel ist eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nur in Ausnahmefällen zulässig. Eine Abmahnung ist in der Regel erforderlich, um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu ändern.

Es gibt jedoch Situationen, in denen eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung wirksam sein kann. Dies ist der Fall, wenn im Voraus erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten nach Ausspruch der Abmahnung nicht ändern wird oder wenn die Pflichtverletzung so schwer wiegt, dass dem Arbeitgeber auch die erstmalige Hinnahme nicht zuzumuten ist.

In der Regel wird eine Abmahnung erforderlich sein, nur in Ausnahmefällen – etwa bei einem sehr schwerwiegenden Verstoß des Arbeitnehmers – kann eine Abmahnung vor der Kündigung entbehrlich sein. Ohne vorherige Abmahnung ist eine verhaltensbedingte Kündigung so gut wie immer unzulässig.

Eine verhaltensbedingte oder außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung ist nur in bestimmten Fällen rechtens, wie zum Beispiel bei Diebstahl am Arbeitsplatz oder schwerem Missbrauch einer Vollmacht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Vorhandensein oder Fehlen von Abmahnungen bei der Beurteilung einer Kündigung entscheidend ist. Eine Abmahnung dient als Warnung und gibt dem Arbeitnehmer die Chance, sein Verhalten zu ändern. Nur in bestimmten Ausnahmefällen kann eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung wirksam sein.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 9 KSchG (Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht): Ermöglicht auf Antrag einer Partei die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und Festlegung einer Abfindung, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für eine der Parteien unzumutbar ist. Im Urteil wurde entschieden, das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten aufzulösen, da eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten war.
  • § 102 BetrVG (Mitbestimmung bei Kündigungen): Betrifft die Notwendigkeit der Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung. Obwohl nicht direkt im Text erwähnt, ist dieser Paragraph relevant, da er grundlegende Prozeduren vor Ausspruch einer Kündigung definiert.
  • § 626 BGB (Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund): Erlaubt eine außerordentliche Kündigung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes. Im Kontext des Urteils wurde darauf hingewiesen, dass für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht die strengen Voraussetzungen des § 626 BGB erfüllt sein müssen, sondern dass es auf das Fehlen einer Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ankommt.
  • § 167 SGB IX (Betriebliches Eingliederungsmanagement): Verpflichtet den Arbeitgeber, bei längerer Krankheit eines Arbeitnehmers Maßnahmen zur Wiedereingliederung zu prüfen. Im Urteil wurde kritisiert, dass der Beklagte dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist.

Diese Paragraphen bilden die rechtliche Grundlage für die Beurteilung des Falls und die Entscheidungsfindung des Gerichts hinsichtlich der Unwirksamkeit der Kündigung und der anschließenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 4 Sa 559/22 – Urteil vom 16.05.2023

I) Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 01.03.2022 – 4 Ca 583/21 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

1) Es wird festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und dem Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 23.02.2021 zum 30.09.2021 aufgelöst worden ist.

2) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II) Auf Antrag des Beklagten vom 06.02.2023 wird das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2021 aufgelöst.

III) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 96.600 Euro brutto zu zahlen.

IV) Die Kosten der ersten Instanz trägt der Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

V) Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

Die Parteien streiten um eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Beklagten, einen Weiterbeschäftigungsantrag sowie um einen in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellten Auflösungsantrag des Beklagten.

Gemäß Arbeitsvertrag vom 17.09.1998 ist der am 1960 geborene Kläger bei dem Beklagten, der ausschließlich der Auszubildenden mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 01.10.1998 als wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer tätig. Auf Blatt 484 ff. der Akte wird verwiesen.

Seine zuletzt bezogene Bruttomonatsvergütung belief sich auf ca. 6.000 Euro. Er weist einen Grad der Behinderung von 50 auf.

Der Beklagte ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein. Er betreibt eine von 40 biologischen Stationen in N -W . Zweck des Vereins ist nach seiner Satzung die Unterstützung und Förderung des Schutzes, der Pflege und der Entwicklung von Natur und Landschaft gemäß §§ 1 und 2 Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen (LGNW) als Grundlage für eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt in enger Zusammenarbeit mit der Unteren Landschaftsbehörde, dem ehrenamtlichen Naturschutz und der Land- und Forstwirtschaft. Seine Organe sind die Mitgliederversammlung, der Vorstand und ein gegebenenfalls einzurichtender Beirat. Zu den 7 stimmberechtigten Mitgliedern gehören der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland – Landesverband N e.V. (BUND), der Naturschutzbund Deutschland – Kreisverband A e.V. (NABU), die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt N e.V. (LNU), der Arbeitskreis Naturschutz S e.V., der Waldbauernverband N e.V., die Kreisbauernschaft A e.V. und die S A . Gemäß Satzung obliegt der Mitgliederversammlung die Berufung und Abberufung des Geschäftsstellenleiters.

Das Arbeitsverhältnis gestaltete sich spätestens seit dem Jahr 2018 nicht mehr störungsfrei. Ab dem 23.01.2019 fand eine Mediation unter der Leitung der Mediatorin Frau A statt. Sie wurde als „gescheitert“ beendet.

Im April 2019 führte der Beklagte eine Mitarbeiterbefragung betreffend den Kläger durch.

Im Jahr 2019 war der Kläger insgesamt an 184 Tagen, im Jahr 2020 an 110 Tagen und im Jahr 2021/2022 insgesamt 165 arbeitsunfähig erkrankt.

Zum 01.07.2018 wurde Herr M zum stellvertretenden Geschäftsstellenleiter ernannt.

Per Mail vom 18.06.2019 informierte der damalige Vorstandsvorsitzende den Kläger darüber, dass nach langer Diskussion die Mitgliederversammlung am Vortag den Vorstand beauftragt habe, mit einem Arbeitsrechtler die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer und die Möglichkeiten einer Kündigung abzustimmen und ein entsprechendes Konzept bis zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im September 2019 vorzulegen.

Der Kläger leitete diese Mail an alle beim Beklagten Beschäftigte weiter.

In der Zeit vom 21.06.2019 bis zum 30.06.2019 befand sich der Kläger im Erholungsurlaub. Ab dem 01.07.2019 erkrankte er arbeitsunfähig. Während dieser Zeit wurde er mit Schreiben des Beklagten vom 18.10.2019 als Geschäftsführer abberufen, nachdem Entsprechendes im Rahmen der Mitgliederversammlung vom 17.10.2019 beschlossen worden war.

Der Kläger wurde in der Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit mehrfach aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass die dienstlichen Schriftstücke und Mails an seine Vertreter weitergeleitet werden. Auch eine Abwesenheitsnotiz sollte eingerichtet werden. Dieser Bitte kam er nicht nach. Der damalige Vorstandsvorsitzende Herr W beauftragte daraufhin ein IT-Unternehmen mit der Einrichtung eines entsprechenden Abwesenheitsassistenten bzw. der Weiterung der dienstlichen Mails.

Wegen dieser Maßnahme nahm der Kläger Kontakt zur Staatsanwaltschaft auf, um die strafrechtliche Relevanz überprüfen zu lassen. Nach einer Anhörung des damaligen Vorstandsvorsitzenden durch das Polizeipräsidium A wegen des Verdachts der Urkundenfälschung wurde das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt.

Vor der Abberufung als Geschäftsführer wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 13.10.2019 per Entwurf an einen Vertreter eines Mitglieds des Trägervereins, Herrn F . Dieses Schreiben war adressiert an Herrn W , den damaligen Vorstandsvorsitzenden. Auszugsweise hieß es hierbei wie folgt:

„…Ebenso verstärkt sich mein Gefühl, dass es sich hierbei um Mobbing handelt.

Im Rahmen des Coachings sind die eigentlichen Probleme in der Station nicht angegangen, sondern die Interessen einiger weniger Mitarbeiter in den Vordergrund gerückt. Der Coach hat sich als absolut unqualifiziert herausgestellt und die Situation in der Station extrem verschlechtert. Dies hat auch Herr W so gesehen. Später wurde mir mitgeteilt, dass Ergebnisse einer Befragung sogar manipuliert und sogar vom Coach an Mitarbeiter weiter berichtet wurden.

Weiterhin werden – schon seit Jahren – Gesetze und „Fürsorgepflichten“, die Arbeitgeber umzusetzen hat, ignoriert. Insbesondere ein Vorsitzender, der selbst Arbeitgeber war, sollte sich mit den grundlegenden Pflichten eines Arbeitgebers auskennen.

Der Vorsitzende hat nach meiner Kenntnis, während meiner Krankschreibung versucht Zugriff auf meinen E-Mail-Account zu bekommen, was allerdings von den jeweiligen Administratoren abgelehnt wurde. Würde dieses umgesetzt, wäre sofort ein Straftatbestand vorhanden! Inwieweit der Versuch oder eine „Anstiftung“ dazu schon ein Rechtsbruch darstellt, kann ich nicht beurteilen.

Der Vorsitzende hat ohne Rückfrage und ohne meine Erlaubnis meinen Abwesenheitsassistenten geändert. Statt der Mitteilung, dass ich von „Datum“ bis „Datum“ abwesend bin (etc.), wurde in dem neuen Text mitgeteilt, dass alle geschäftlichen Mails an eine andere Adresse zu senden seien, “ damit wird sichergestellt, das Ihr Anliegen von mir und meinen Vertretern diese Mails bearbeitet wird“. Im Anschluss erfolgt meine Signatur. Meine Abwesenheitszeit an sich wird nicht mehr mitgeteilt und wurde gelöscht. Es wird also suggeriert, dass ich diesen Text selbst verfasst habe. Inwieweit hier ggf. eine Art „Urkundenfälschung“ vorliegt, kann ich ebenfalls nicht beurteilen.

Ich kann mittlerweile überhaupt nicht nachvollziehen, dass der Trägerverein es zulässt, dass aus meiner Sicht permanent gegen die Satzung verstoßen wird, das gesetzliche Vorschriften nicht eingehalten werden und, dass einer der besten Biostationen in N durch fehlenden Sachverstand zerstört wird. Die klaren Strukturen und Abläufe, die es 18 Jahre gab, sind völlig zerstört worden.

Für mich muss ich weiterhin feststellen, dass ich keinerlei Fehlverhalten, weder rechtlich noch sonst wie, bei mir sehe, und, dass der Verein ebenfalls keine Gründe für ein Fehlverhalten und einer Kündigung findet.“

Auf Blatt 40 ff. der Akte wird verwiesen.

Ab dem 20.04.2020 nahm der Kläger nach Genesung seine Tätigkeit wieder auf.

Am 27.04.2020 verschickte der Kläger eine Mail an die Mitarbeiter des Beklagten, um über seine Sicht zu informieren. Darin hieß es unter anderem wie folgt:

„Wie versprochen teile ich euch heute etwas mehr zur aktuellen Situation und zum letzten Jahr mit. Die Information soll dazu dienen, dass die Lügen, Gerüchte und Spekulationen im Team aufhören, alle zumindest ein gleiches Grundwissen haben und die Probleme im Haus möglichst schnell beendet werden.

Diese Informationen sind ausschließlich für die im Verteiler befindlichen Mitarbeiter der B station. Jede Weitergabe, auch von Teilen der Mail und in jeglicher Form untersage ich ausdrücklich. Ich weise darauf hin, dass bei Verstößen ggf. arbeitsrechtliche Schritte bis hin zur sofortigen Kündigung eingeleitet werden.

Da der Vorsitzende weitestgehend die Kommunikation verweigert, aus meiner Sicht die Satzung, Rechtsvorschriften, Datenschutz etc. missachtet, habe ich auch wenig Hoffnung auf eine schnelle Lösung. Die Mitglieder im Trägerverein haben auf mehrfache Anschreiben und der Bitte, den Vorgängen endlich mal ein Ende zu machen („egal wie“), überhaupt nicht geantwortet.

..“

Auf Blatt 53 f. der Akte wird verwiesen.

Mit Schreiben vom 08.05.2020 wandte sich der Kläger an die Mitglieder des Beklagten, in dem er sich über die beschlossene Abberufung als Geschäftsführer, die Vorgehensweise des Vorsitzenden sowie über den Mitarbeiter Herrn L beschwerte. Darin hieß es auszugsweise wie folgt:

„… Ich bitte die MGV, den Vorsitzenden mitzuteilen oder anzuweisen, dass er rechtssichere Dienstanweisungen geben muss, die ggf. Über einen Anwalt geprüft werden müssen. Der Vorsitzende erteilt mir, als mein Vorgesetzter, immer wieder Dienstanweisungen. Diese sind zum einen rechtlich sehr fragwürdig und aus meiner Sicht teilweise sittenwidrig.

Die Dienstanweisungen zeigen, dass der Vorsitzende die laufenden Geschäfte und Tätigkeiten einer B station weiterhin nicht versteht. Das Dienstanweisungen, z.B. vom Stellvertreter, als schikanös bezeichnet wurden, habe ich ihnen schon mitgeteilt.

Ich bitte die MGV, den Vorsitzenden mitzuteilen und anzuweisen, dass er Satzung, Vorschriften, Gesetze – insbesondere die Arbeitnehmerrechte und die Fürsorgepflicht für seine Angestellten – einhält.

Aus meiner Sicht hat Herr W immer wieder gegen die Satzung verstoßen.

Ich möchte ihnen auch einen Ausschnitt aus den Problemen in der B station mitteilen und ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich hierbei teilweise um Vermutungen meinerseits handelt. Da sie ausschließlich intern dem Trägerverein mitgeteilt werden, ist mir das möglich und ggf. sogar meine Pflicht.

Sie alle kennen und schätzen den Mitarbeiter D L . Viele halten ihn für einen wichtigen, unverzichtbaren Mitarbeiter der Station. Aus Sicht des Geschäftsführers und auch vieler Mitarbeiter, zeigt sich jedoch ein anderes Bild.

D L macht seit Jahren nur, was ihm „Spaß“ macht oder was er für richtig und wichtig hält. Dabei ist er sehr emotional, was bedeutet, dass er regelmäßig „schreiend“ durch die Flure läuft und sich über Behörden aufregt oder über gelungenes freut.

In Besprechungen ist er, auch das können alle Mitarbeiter bestätigen, ein extremer Störfaktor, da er oft nicht zuhört, Dinge nicht versteht und kategorisch Vorschriften (Gesetze, Verordnungen etc.) ablehnt, die ihm nicht passen. Regelmäßig wird er dabei, auch durch die Kollegen, aufgefordert zuzuhören und zu akzeptieren.

Sein aggressives und ungebührliches „Verhalten“ ist mittlerweile landesweit bekannt.“

Auf Blatt 35 ff. der Akte wird verwiesen.

Am 08.06.2020 sollte ein Gespräch für ein betriebliches Eingliederungsmanagement stattfinden. Der Beklagte sagte dieses ab und stellte den Kläger an jenem 08.06.2020 frei.

Mit Mailschreiben des Klägers vom 14.06.2020 an die Fraktionsvorsitzenden der S A formulierte der Kläger unter anderem wie folgt:

„Seit fast einem Jahr (!) versuche ich mit den Mitgliedern des Trägervereins ins Gespräch zu kommen. Niemand hat bisher auf meine Briefe oder Mails geantwortet. In zwei von mir telefonisch erbetenen Gesprächen wurde meinen Ausführungen zugestimmt und Unterstützung signalisiert. Seitdem wird die Kommunikation wieder verweigert.

Meine Hinweise, dass der Vorsitzende immer wieder

– gegen die Satzung verstößt

– den Datenschutz nicht einhält

– gegen Arbeitnehmerrechte verstößt

– und Arbeitgeberpflichten nicht einhält

wurden und werden ignoriert.

Ein Arzt empfand dieses Vorgehen gegen mich sogar als „korrupt und mafiös“. Ich empfinde dieses Verhalten als menschenverachtend. Nach meinem Empfinden wird vorsätzlich und mit Willkür meine Gesundheit und meine Existenz zerstört.

…“

Auf Blatt 55 ff. der Akte wird verwiesen.

Am 08.07.2020 fasste die Mitgliederversammlung den Beschluss zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger.

Am 23.07.2020 stellte der Beklagte beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung. Per Bescheid vom 08.02.2021 erklärte das LVR-Inklusionsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung, vgl. Blatt 12 der Akte.

Mit Schreiben vom 23.02.2021 kündigte der Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich und fristgerecht zum 30.09.2021.

Mit Schreiben vom 02.03.2022 – einen Tag nach dem erstinstanzlichen Kammertermin – schrieb der Kläger an den damaligen Vorstandsvorsitzenden eine Mail unter anderem folgenden Inhalts:

„sehr gerne möchte ich Ihnen persönlich die Entscheidung des Gerichts im Kündigungsschutzprozess mitteilen. Insbesondere, da der Vorsitzende nach den beiden Kammerterminen in dieser Woche in den Urlaub fährt.

Mehrere Dinge sind mir vom letzten Gerichtstermin, mehr als erschreckend, in Erinnerung geblieben:

1. Bis zum Schluss wurden immer neue Unwahrheiten vorgetragen und wie schon so oft, direkt mit den eigenen Anlagen widerlegt. Inwieweit das Gericht dies als möglichen Prozessbetrug verfolgen wird, kann ich nicht beurteilen.

2. Die Vehemenz mit der Vorsitzende auf einen Vergleich gedrängt hat, auf ein schriftliches Angebot verwiesen hat, dass mir gar nicht zugestellt wurde, ist unglaublich. Insbesondere, wenn ein solcher Vergleich, als Vorschlag des Gerichts, kurz zuvor vom Arbeitgeber ebenso vehement abgelehnt wurde.

3. Dass ein Vorsitzender in der Verhandlung darauf hinweist, dass ich zudem in eine B station zurückkäme, in der die gleichen Probleme seit 3 Jahren immer noch vorhanden seien, spricht für sich selbst.

4. Letztendlich spricht der Vorsitzende von einem „Krieg“ zwischen mir und dem Verein. In etwa hieß es so: „Wollen Sie wirklich diesen Krieg weiterführen? Es sind immer noch dieselben Personen im Vorstand und es sind dieselben Mitglieder im Verein.

Inwieweit sich die B station in ihrer Existenz noch retten lässt, kann ich nur bedingt beurteilen. Noch einmal! Ihr eigener Rechtsanwalt P hat mit seinen Hinweisen auf die „Bilanzfälschung“, den Ausgaben ohne Gegenleistung und anderen Hinweisen recht. Das gefährdet die Gemeinnützigkeit und ist so erst einmal nicht mehr Rückgängig zu machen. Hinzu kommen etliche weitere Verstöße, die ohne aktives zutun zu Strafverfolgungen und persönlicher Haftung führen können.

…“

Auf Blatt 724 der Akte wird verwiesen.

Per Mail vom 10.08.2022 an den Trägerverein des Beklagten formulierte der Kläger unter anderem wie folgt:

„Es ist erstaunlich, dass der BUND-N , die vielen Rechtsverstöße ihrer Vertreter im Trägerverein, die auch von der Staatsanwaltschaft und dem Arbeitsgericht bestätigt wurden, hinnimmt und unterstützt.

Eine Handlung, wenn sie dann so umgesetzt wird, die ich auch erneut als Mobbing empfinde. Insbesondere, wenn den Mitarbeitern mitgeteilt wird, dass, wenn ich dem nicht Folge, dies als Arbeitsverweigerung betrachtet wird. Erneut werden hier aus meiner Sicht auch meine Persönlichkeitsrechte missachtet.“

Auf Blatt 742 der Akte wird verwiesen.

Per Mail vom 24.10.2022 an den Trägerverein sowie an die Verbände auf Landesebene lautete es unter anderem wie folgt:

„… Seit 2019 habe ich sie immer wieder auf Rechtsverstöße aufmerksam gemacht. Dies erfolgte direkt über meinen Anwalt und sogar über die Anwälte der B station. Die Staatsanwaltschaft und das Arbeitsgericht haben die Rechtsverstöße bestätigt.

In der Zeit meiner kurzen Tätigkeit habe ich mit vielen Mitarbeitern gesprochen, die mir etliche Beschwerden zur kommissarischen Geschäftsleitung und dem Vorstand bzw. Vorsitzenden mitgeteilt haben.“

Auf Blatt 747 der Akte wird verwiesen

Per Mail vom 10.11.2022 an den Vorstandsvorsitzenden Herrn T äußerte sich der Kläger über den kommissarischen Geschäftsstellenleiter Herrn M unter anderem wie folgt:

„Mit Ihrer Zustimmung wurde das Projekt Herrn M übertragen, der die Arbeit verweigert hat. Herr M hat zudem erneut Fristen versäumen lassen, Mails der Bezirksregierung (10.10., 27.10.) selbst Mahnschreiben nicht beantwortet einfach liegen gelassen….. ich glaube, ich hatte den Trägerverein schon auf die Konsequenzen ihrer Anordnung hingewiesen. Allen Mitarbeitern im Haus ist bekannt, dass Herr M wochen- oder monatelang Fristsachen nicht bearbeitet, nicht erreichbar ist, nicht antwortet etc. Mir irgendwelche Akten hinzulegen, sich dann in den Urlaub zu begeben, ist bei Herrn M fast schon Standard. Ich habe das Gefühl, dass die Arbeitsverweigerung von Herrn M , seine Versäumnisse, den Schaden den er der B station zufügt, seine katastrophale Leistung und vieles mehr dem Vorstand egal sind.“

Nach einem Disput am 14.11.20222 zwischen dem Kläger und Herrn M formulierte der Kläger noch am gleichen Tage eine Mail an die bei dem Gespräch ebenfalls anwesende Mitarbeiterin Frau L sowie Herrn M mit unter anderem folgenden Inhalt:

„Hallo C ,

hier kommen folgende Anordnungen, die du persönlich und ohne Zuarbeit, Mithilfe umzusetzen hast. Ein delegieren verbiete ich. Ich glaube, so hat es Herr T auch immer formuliert.

1. Du hast Präsenzpflicht und bist somit an 5 Tagen in der B . ÜA ist bis auf weiteres gestrichen. Gleiches gilt für neue Urlaubsanträge.

Wie du wissen wirst, werde ich Ablehnungen als Arbeitsverweigerung betrachten müssen. Werden die Anweisungen vom Vorsitzenden zurückgenommen, werden ggf. sofort Zwangsgelder fällig.

Leider muss ich nun genauso vorgehen, wie der Vorsitzende.“

Auf Blatt 741 der Akte wird verwiesen.

Per Mail vom 21.11.2022 formulierte der Kläger gegenüber dem Trägerverein wie folgt:

„… Für die letzte Woche habe ich dem kommissarischen Leiter verschiedener Anweisungen gegeben. Ich gehe davon aus, dass er keine davon erfüllt hat. Ich kann jedenfalls nichts erkennen.

Wann werden sie endlich handeln und dem ein Ende machen? Es ist für mich kaum zu ertrage, dass alles was ich aufgebaut habe, so zerstört wird.“

Auf Blatt 755 f. der Akte wird verwiesen.

Etwa 5 Stunden nach dieser Mail ging an die gleichen Adressaten eine erneute Mail des Klägers ein. Darin hieß es wie folgt:

„… Herr T verweigert erneut „Urlaubstage“, obwohl diese seitens des Arbeitgebers nicht bezahlt werden. Seine Mitteilung, dass die Urlaubstage mit der Freistellung verrechnet wurden bzw. worden seien, ist so falsch.“

Auf Blatt 757 f. der Akte wird verwiesen.

Der Kläger änderte ohne Rücksprache seinen Titel auf der Homepage des Beklagten, indem er den Titel „Geschäftsführer“ einfügte und die Funktion bei den kommissarisch bestellten Geschäftsstellenleitern und des stellvertretenden Geschäftsführers entfernen ließ. Auch nach entsprechender Aufforderung machte er dies nicht rückgängig.

Im Rahmen eines Kammertermins vor dem Arbeitsgericht Aachen – 5 Ca 865/22 – am 12.01.2023 äußerte der Kläger auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin, was er erreichen wolle, dass er „wolle, dass der Vorstand geht“.

Der Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 31.08.2022 (2x), 19.09.2022 und 02.11.2022 (3 x) ab.

Der Vorstandsvorsitzende erstattete Strafanzeige gegen den Kläger, woraufhin der Kläger mit Schriftsatz vom 13.03.2023 unter anderem wie folgt ausführte:

„Der Vorstandsvorsitzende hat Strafanzeige gegen den Kläger gestellt. Die Akte kennen wir bisher noch nicht, jedoch besteht jedoch immer die Gefahr bei einer solchen Strafanzeige, dass das hiesige Verfahren gegen den Anzeigenerstatter zu einem Bumerang wird und er sich dann in einem weiteren Strafverfahren einer falschen Verdächtigung aussetzen muss.

Dies entscheidet aber nicht der Kläger, sondern die Staatsanwaltschaft A .“

Auf Blatt 801 der Akte wird verwiesen.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die streitgegenständliche Kündigung vom 23.02.2021 allein deswegen nicht sozial gerechtfertigt sein könne, weil sich der Beklagte im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit dem Aktenzeichen 2 Ca 1716/20 in einer Kammersitzung am 19.11.2020 verpflichtet habe, vor dem 01.02.2021 von der Kündigungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen.

Der Kläger hat den Inhalt der Mitarbeiterbefragung mit Nichtwissen bestritten. Seiner Kenntnis nach hätten ohnehin nur 50 % der Belegschaft teilgenommen.

Er habe sich zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Vorstand des Beklagten beleidigend geäußert. Insbesondere habe er nie behauptet, dass das Verhalten mafiös und von Korruption gezeichnet sei.

Auch die Arbeit habe er nicht verweigert. Nicht nachvollziehbar sei, was ihm überhaupt konkret als Arbeitsverweigerung vorgeworfen werde.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass er die arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt und Betriebsgeheimnisse nicht offenbart habe. Auch Verstöße gegen das Datenschutzgesetz lägen nicht vor.

Dass das Strafverfahren, welches er selber nicht eingeleitet habe, nicht nach § 170 Absatz 2 StPO, sondern nach § 153 StPO eingestellt worden sei, spreche für sich.

Soweit der Beklagte ihm Unregelmäßigkeiten in der Buchführung für die Jahre 2016-2019 vorwerfe, hat der Kläger darauf verwiesen, dass die Bilanzen von verschiedenen Prüfern nicht beanstandet worden seien und die Bilanz im Jahr 2019 infolge seiner Erkrankung nicht von ihm erstellt worden sei.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass ihm ferner ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Falle seines Obsiegens zustehe.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen ihm und dem Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung vom 23.02.2021 zum 30.09.2021 aufgelöst werden wird, sondern über den 30.09.2021 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht;

2. den Beklagten zu verurteilen, ihn im Falle des Obsiegens in 1. Instanz zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Geschäftsleiter der B Station A zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von TV-L 13/5 weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Ansicht vertreten, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial gerechtfertigt sei.

Auf einer Teamsitzung am 04.12.2018 habe der Kläger im Zuge einer Auseinandersetzung mit mehreren Mitarbeitern provoziert und mit Entlassungen gedroht. Die Auswertung einer im Anschluss eingeholten Mitarbeiterbefragung habe ergeben, dass etwa 50 % der Mitarbeiter ihm gegenüber eine sehr kritische Einstellung hätten.

Mit Schreiben vom 08.05.2020 an die Mitglieder des Beklagten habe der Kläger den Mitarbeiter Herrn L persönlich angegriffen und die Mitglieder dazu aufgefordert, den Vorstandsvorsitzenden bezüglich seiner diversen Vergehen und Unzulänglichkeiten zurechtzuweisen.

Mit Schreiben vom 13.10.2019 an einen Vertreter eines Mitglieds des Trägervereins habe der Kläger schwere Beschuldigungen gegen den Vorsitzenden erhoben und eindeutig falsche Darstellungen der Faktenlage vorgenommen.

Der Beklagte hat behauptet, dass der Kläger die Geschäftsführungsaufgaben seit Anfang des Jahres 2019 nicht mehr in ausreichendem Maße wahrgenommen habe. Eine seit Jahren geplante Einarbeitung von Stellvertretern sei nicht erfolgt.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger gegen den Datenschutz verstoßen und die Privatsphäre von Mitarbeitern des Beklagten verletzt habe. Er hat behauptet, dass in einem im September 2003 eröffneten Mailsink-Konto alle eingehenden und ausgehenden Mails aufgelaufen seien. Am 08.06.2020 habe der Beklagte festgestellt, dass der Kläger vollen Zugriff auf die E-Mail Konten von vier Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern sowie auf das E-Mail Konto der Praktikanten habe.

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Strafanzeige gegen den Vorsitzenden des Vorstands gestellt habe, obwohl der zugrunde liegende Sachverhalt strafrechtlich nicht relevant sei.

Aufgrund einer nicht korrekten Buchführung seien zudem die Bilanzen der Jahre 2016-2019 inhaltlich falsch. Der Kläger sei allein für die Buchführung in Abstimmung mit dem Steuerberater zuständig gewesen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass eine Abmahnung nicht geeignet gewesen wäre, das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien wieder herzustellen. Jedenfalls der Vorwurf hinsichtlich der nicht korrekten Buchführung und Erstellung der Bilanzen reiche aus, um das Arbeitsverhältnis fristgerecht und ohne Ausspruch einer Abmahnung zu beenden.

Es sei zudem keine Zusage gemacht worden, vor dem 01.02.2021 keine Kündigung auszusprechen. Selbst im Falle einer solchen Zusage wäre dies nicht relevant, da die streitgegenständliche Kündigung – unstreitig – hiernach zugegangen sei.

Mit Urteil vom 01.03.2022 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, im Wesentlichen mit folgender Begründung:

Die streitgegenständliche Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt. Der Beklagte begründe die ordentliche Kündigung vom 23.02.2021 mit einer Vielzahl von verhaltensbedingten Vorwürfen aus dem Zeitraum der Jahre 2018 bis 2020/21, die weder jeweils für sich noch in ihrer Gesamtbetrachtung einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen könnten.

Der Beklagte werfe dem Kläger vor, durch sein Verhalten den Betriebsfrieden zu stören. Pauschal und schlagwortartig wiedergegebene angebliche Vorwürfe von anderen Mitarbeitern würden den Anforderungen an die arbeitgeberseitige Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess nicht gerecht. Der Sachvortrag des Beklagten zu einem angeblichen Fehlverhalten des Klägers erschöpfe sich in Pauschalitäten, ohne auch nur einen einzigen konkreten Sachverhalt nach Ort, Zeitpunkt, beteiligten Personen, Inhalt darzustellen. Der Beklagte übersehe, dass der Kläger nicht gehalten sei, an einer arbeitgeberseitig und somit einseitig angestrebten Änderung und/oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitzuwirken. Vielmehr hätte es die dem Arbeitgeber obliegende Fürsorge- und Rücksichtnahmepflicht geboten, eine Konfliktlösung mittels der zur Verfügung stehenden Instrumente im Bereich der Personalführung zu erreichen. Weitere Maßnahmen neben dem abgebrochenen Teamcoaching seien nicht vorgetragen worden.

Soweit der Beklagte das Schreiben des Klägers vom 08.05.2020 zur Darstellung des Fehlverhaltens heranziehe, sei ein solches nicht zu erkennen. Die Mitgliederversammlung sei als Organ des Beklagten und als Entscheidungsträger in personellen Angelegenheiten zuständig, zumal der Kläger hierauf sogar verwiesen worden sei. Die Kritik des Klägers möge konfrontativ und unbequem gewesen sein. Hierbei handele es sich jedoch um die Wahrnehmung berechtigter Eigeninteressen. Die gebotene Sachlichkeit bleibe gewahrt, der Ton des Schreibens verlasse die notwendige Sozialadäquanz nicht.

Soweit der Kläger die Arbeitnehmer per Mail vom 27.04.2020 über die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung mit dem Beklagten unterrichtet habe, könne dieser Sachverhalt zur Kündigung nicht mehr herangezogen werden, da der Beklagte diesen Vorgang bereits ermahnt habe und nicht vorgetragen worden sei, dass der Kläger einen vergleichbaren Pflichtenverstoß begangen habe.

Auch der Umstand, dass sich der Kläger wegen des erfolgten Zugriffs auf sein Mailpostfach an die Staatsanwaltschaft gewandt habe, könne die streitgegenständliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht rechtfertigen. Der Kläger habe weder wissentlich unwahre noch leichtfertig falsche Angaben gemacht. Von der Strafverfolgung sei zudem auch nur wegen der Geringfügigkeit der Schuld abgesehen worden und nicht, weil der Vorstandsvorsitzende das Opfer einer falschen Verdächtigung geworden sei. Zudem habe der Kläger das Verhalten zuvor gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden beanstandet.

Der Kläger habe seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht auf die Interessen des Beklagten auch nicht durch die Inhalte der Schriftstücke vom 08.05.2020 und 14.06.2020 verletzt. Den vom Beklagten eingereichten Anlagen könne keine Äußerung entnommen werden, die grobe Beleidigungen des Vorstandsvorsitzenden enthalten würden. Die Äußerungen fielen überwiegend in den Schutzbereich des Art. 5 GG. Eine Formalbeleidigung des Vorstandsvorsitzenden des Beklagten sei nicht ersichtlich. Dem ausdrücklichen Wortlaut der Äußerungen des Klägers nach gebe dieser explizit durch Kenntlichmachung seine persönliche Meinung, sein persönliches Empfinden oder die subjektive Meinung oder das subjektive Empfinden dem Kläger nahestehender Personen (z.B. Arzt) wieder oder kennzeichne diese als Zitate. Er mache sich die Aussagen Dritter erkennbar nicht zu Eigen. Dies sei von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt. Nicht zu verkennen sei, dass die Wortwahl polemisch und aggressiv ausfalle. Die Grenzen sozialadäquater Kommunikation überschreite der Kläger letztlich aber nicht. Allenfalls die vom Kläger erhobenen Vorwürfe des Lügens des Vorstandsvorsitzenden oder der in einem anderen Schreiben erhobene Vorwurf des Mobbings könnten bei unterstellter Unwahrheit gegebenenfalls nicht vom Schutzbereich des Art. 5 GG gedeckt sein. Denn bewusst unwahre falsche Tatsachenbehauptungen sowie reine Schmähkritik seien vom Schutz des Art. 5 Absatz 1 GG nicht mehr erfasst. Nach Ansicht des Gerichts seien die getätigten Äußerungen jedenfalls nicht als grobe Beleidigungen zu bewerten, die mit Blick auf die Gesamtsituation in Anbetracht des langjährigen und bis dato ohne jegliche Abmahnung gebliebenen Beschäftigungsverhältnisses eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung zulassen würden.

Zuletzt sei eine Arbeitsverweigerung nicht hinreichend konkret genug vorgetragen worden. Es fehle zudem an einer kündigungsrelevanten Beharrlichkeit des Klägers. Offenbar habe es der Beklagte im Arbeitsverhältnis bislang durchgehend versäumt, das angebliche Fehlverhalten deutlich zu beanstanden. Soweit der Beklagte dem Kläger schließlich Unregelmäßigkeiten in der Bilanzerstellung seit dem Jahr 2014 im Sinne einer Schlechtleistung vorwerfe, sei auch dieser Vorwurf nicht geeignet, die streitgegenständliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu tragen. Gehe man von der Richtigkeit der Feststellungen und Ausführungen des beauftragten Steuerberaters und Wirtschaftsprüfer aus, könnte den Kläger allenfalls der Vorwurf der fahrlässigen Verletzung der ihm obliegenden Sorgfaltspflichten treffen. Eine solche Pflichtverletzung müsse nach dem im Kündigungsrecht geltenden Ultima-ratio-Prinzip zunächst abgemahnt werden.

Des Weiteren könne der vom Beklagten erhobene Vorwurf der Verletzung des Datenschutzes und der Privatsphäre der Mitarbeiter die streitgegenständliche Kündigung nicht rechtfertigen. Es sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, welches konkrete Fehlverhalten dem Kläger zur Last gelegt werde. Wann, wo, gegenüber welcher konkreten Person durch welche Handlung oder Unterlassung der Kläger gegen die gesetzlichen Vorgaben des Datenschutzes verstoßen und/oder die Privatsphäre von Mitarbeitern verletzt habe, sei nicht zu erkennen. Allein bestehende Zugriffsmöglichkeiten auf übermittelte oder verarbeitete Daten seien im Rahmen der Datenüberwachung und Datenadministration nicht mit einem Datenmissbrauch gleichzusetzen.

Eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht sei ebenso wenig erkennbar.

Die einzelnen Kündigungsgründe würden auch in ihrer Gesamtheit das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht derart belasten, dass eine Fortsetzung nicht zumutbar sei. Auch wenn der Kläger im Termin zur streitigen Verhandlung am 01.03.2022 eine gewisse Starrheit offenbart habe, ließe dies den Rückschluss nicht zu, dass er zu keiner sachlichen Auseinandersetzung in der Lage sei.

Daher sei auch dem Weiterbeschäftigungsbegehren des Klägers stattzugeben, da ein überwiegendes Interesse des Beklagten an der Nichtbeschäftigung nicht mehr erkennbar sei.

Gegen das dem Beklagten am 05.07.2022 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 20.07.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die er am 26.09.2022 innerhalb der bis zum 26.09.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die streitgegenständliche Kündigung sei sozial gerechtfertigt.

Das Schreiben des Klägers vom 14.06.2020 stelle eine grobe Beleidigung dar. Hiermit wende er sich gezielt an die Vertreter der Fraktionen in der S A , die stimmberechtigte Mitglieder des Beklagten seien und die politische Öffentlichkeit darstellten. Der Kläger mache sich zudem eine vermeintliche Äußerung eines Arztes zu Eigen. Ein schlimmeres Schmähurteil des Arbeitgebers könne man in der politischen Öffentlichkeit gar nicht abgeben. Der Kläger spreche dem Vorsitzenden seines Arbeitsgebers im Grunde jede Menschlichkeit ab und unterstelle ausschließlich Vorsatz und Willkür im Umgang mit ihm selbst. Dies sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht mehr sozialadäquat. Hierbei handele es sich auch nicht um ein Augenblicksversagen, da das Schreiben zu Hause in relativer Ruhe am Sonntag, 14.06.2020, um 17:51 Uhr verfasst worden sei. Das Arbeitsgericht verkenne völlig die Dimension und die Eskalationsbereitschaft des Klägers. Es sei nicht mehr vorstellbar, mit einem Arbeitnehmer vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, der das Vorgehen des Arbeitgebers als korrupt und mafiös bezeichne. Aus Sicht des Beklagten sei der Kläger mit der damaligen „nur“ ordentlichen Kündigung letzten Endes gut bedient.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis, welches sich seit dem Jahr 2013 als nicht mehr störungsfrei gestalte, jedenfalls antragsgemäß aufzulösen sei. Der Kläger störe den Betriebsfrieden, beleidige den Vorstand und weigere sich, seiner Arbeitsleistung nachzugehen. Er verletze seine arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflichten, verstieße gegen den Datenschutz und die Privatsphäre von Mitarbeitern. Er stelle eine unberechtigte Strafanzeige gegen den Vorsitzenden und verletzte seine arbeitsvertraglichen Pflichten, indem er die Buchführung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe.

Bis zum heutigen Tage sei der Kläger der bereits im Jahr 2013 von der damaligen Vorstandsvorsitzenden geäußerten Bitte, einen Stellvertreter einzuarbeiten, nicht nachgekommen. Sämtliche Personalvorschläge habe er mit Inkompetenz der Mitarbeiter, fehlendem Zahlenverständnis, mangelndem Durchblick und Unverständnis für Planungsaufgaben zu Unrecht abgetan. Dies habe dazu geführt, dass den Vertretern bei krankheitsbedingten Abwesenheiten des Klägers die Bearbeitung der Aufgaben extrem schwergefallen sei.

Zudem habe er versucht, eine Art Parallelführung aufzubauen, indem er Aufgaben des Vorstandes übernommen und ohne Absprache Vorgänge geändert habe.

Zwischen der damaligen Vorstandsvorsitzenden Frau T und dem Kläger sei es zu massiven Schwierigkeiten gekommen, nachdem diese einen Antrag des Klägers, ganz überwiegend von zu Hause aus zu arbeiten, abgelehnt habe. Zuletzt sei eine Kommunikation nur noch über den stellvertretenden Vorsitzenden möglich gewesen. Betriebsöffentlich habe der Kläger mitgeteilt, dass er sich bei der derzeitigen Zusammensetzung des Vorstandes nicht in der Lage sehe, seine Aufgaben hinsichtlich aktuell anstehender Projekte nachzukommen. Die damalige Vorstandsvorsitzende habe aus diesen Gründen nach fast 20 Jahren nicht mehr kandidiert. Auch die erste Stellvertreterin Frau K sei aufgrund unüberbrückbarer Differenzen mit dem Kläger zum 30.06.2018 zurückgetreten. Der seit dem 24.04.2017 gewählte zweite Vorstandsvorsitzende Herr W sei aufgrund des Verhaltens des Klägers nach über 5 Jahren von seinem Amt zurückgetreten, nachdem er der Lüge bezichtigt und zu Unrecht ein Strafantrag gegen ihn gestellt worden sei. Eine Arbeit auf sachlicher Ebene sei nicht mehr möglich gewesen.

Auch der nunmehr dritte Vorsitzende Herr T sei nicht mehr bereit, mit dem Kläger zusammen zu arbeiten. Der Kläger habe auch mit ihm immer wieder Streitigkeiten, indem er unwahre Tatsachen über ihn verbreite und ihn in der Betriebsöffentlichkeit herabwürdige. Er führe zudem die Anweisungen des Vorstandsvorsitzenden nicht ordnungsgemäß oder gar nicht durch. Die eigenmächtige Änderung des Titels auf der Webseite sei als Beispiel genannt.

Der gesamte Vorstand werde zurücktreten, wenn der Kläger das vorliegende Verfahren gewinnen sollte. Dies hätte zur Folge, dass der Beklagte aufgelöst werden würde, weil aufgrund der aktuellen Situation niemand mehr bereit wäre, das Amt zu übernehmen. Alle Mitarbeiter müssten sodann entlassen werden. Sofern der Kläger im Rahmen der Gerichtsverhandlung vom 12.01.2023 geäußert habe, dass er wolle, dass der gesamte Vorstand gehe, müsse ihm klar sein, dass er über die Besetzung des Vorstandes nicht entscheiden könne.

Die beiden kommissarischen Geschäftsstellenleiter Herr M und Herr K hätten den Beklagten während der krankheitsbedingten Abwesenheit des Klägers gut geführt, was ihm nicht gefallen habe. Im Jahr 2019 habe er Herrn M angesprochen und ihm gegenüber geäußert, er solle aufhören, die B station am Laufen zu halten, weil der Kläger sonst seine Forderungen gegenüber dem Vorstand nicht durchsetzen könne. Seit seiner Rückkehr versuche der Kläger laut Aussage der beiden kommissarischen Geschäftsstellenleiter sie in einem schlechten Licht darzustellen und ihren Ruf zu beschädigen. Auf die Mail des Klägers vom 10.11.2022 an den Vorstandsvorsitzenden werde beispielhaft verwiesen. Stattdessen hätten sich die kommissarischen Geschäftsstellenleiter vielmehr darüber beschwert, dass der Kläger seine zentralen Aufgaben der Geschäftsleitung vernachlässige und diese delegiere.

Diese Haltung habe der Kläger auch nach dem gewonnenen Kündigungsschutzprozess nicht abgelegt. Mit Schreiben vom 02.03.2022 habe er nachgelegt. Sein Disput am 14.11.2022 mit Herrn M sowie die anschließend formulierte Mail verdeutlichten, dass er grundlos schikaniere. Der Kläger sei nicht fähig, in einem Team mit anderen Arbeitnehmern auf gleicher Ebene zusammenzuarbeiten.

Der Kläger verbreite auch öffentlich unwahre Tatsachen über den Beklagten. Auf das Mailschreiben vom 10.08.2022 werde verwiesen. Auch die im Rahmen seiner Mail vom 24.10.2022 an den Trägerverein geäußerte Behauptung, es habe etliche Beschwerden zur kommissarischen Leitung und dem Vorstand gegeben, sei falsch. Beschwerden seien dem Beklagten nicht bekannt.

Zudem geht der Beklagte von einem versuchten Prozessbetrug des Klägers in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Aachen, 5 Ca 865/22, aus, da er anführe, ab dem 01.03.2022 arbeitsfähig zu sein, obwohl das Attest des Dipl. Psychologen N Sch vom 16.03.2022 eine rezidivierende depressive Störung attestiere.

Bereits seit dem Jahr 2019 vernachlässige der Kläger seine Arbeitsleistung. Er habe gegenüber dem Vorstand ausgeführt, dass er „Dienst nach Vorschrift“ mache.

Dass auch die Mitarbeiter nicht mehr mit dem Kläger zusammenarbeiten wollten, ergebe sich aus der Umfrage, die im Zuge der Mediation im Jahr 2019 durchgeführt worden sei. Hier hätten insgesamt 50 % der Mitarbeiter gegenüber dem Kläger eine sehr kritische Einstellung geäußert. Beispielhaft sei hier der Vorfall A K zu nennen. Der Vorstand habe den Kläger gebeten, zu klären, wie Herr K weiter beschäftigt werden könne und ob es nicht sinnvoll sei, ihm vorzuschlagen, bereits jetzt abschlagsfrei in Rente zu gehen und in Form einer Beratertätigkeit weiter beschäftigt zu werden. Der Vorstand habe den Kläger darauf hingewiesen, dass es bei Ablehnung des Vorschlages zu einer Kündigung kommen könne, die jedoch vermieden werden solle. In dem daraufhin anstehenden Mitarbeitergespräch zwischen dem Kläger, dem Vorstandsvorsitzenden sowie Herrn K habe der Kläger sodann behauptet, dass er nicht nachvollziehen könne, dass der Vorsitzende ihn wenige Tage zuvor beauftragt habe, die Leistungsfähigkeit von Herrn K zu kontrollieren, obwohl dieser nun gekündigt werden solle, wenn er das Angebot nicht annehme. Damit habe der Kläger wahrheitswidrig behauptet, dass der Vorstandsvorsitzende dem Mitarbeiter kündigen wolle, wenn er das Angebot nicht annehme. Dies sei jedoch zu keinem Zeitpunkt geäußert worden. Vielmehr sei um ein bestimmtes Vorgehen gebeten worden, um die Kündigung zu vermeiden.

Aufgrund des klägerischen Verhaltens habe eine Mitarbeiterin ihre Arbeitsstunden von 160 auf 64 Stunden reduziert, um zur B station in D zu wechseln. Der Mitarbeiter Herr B habe das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten bereits gekündigt, weil der Kläger in einem Gespräch mitgeteilt habe, dass er nichts von seinen Kartierarbeiten halte und er ihn auch nicht als geeignet für die Mitarbeit in Projekten halte.

Der Beklagte beantragt,

1) das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 01.03.2022 zum Aktenzeichen 4 Ca 583/21 abzuändern;

2) die Klage abzuweisen;

3) für den Fall der Zurückweisung der Berufung, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 72.000 Euro nicht überschreiten sollte, aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

1) die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;

2) den Auflösungsantrag abzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft seine erstinstanzlichen Ausführungen und führt ergänzend aus:

In dem Schreiben vom 14.06.2020 sei keine Beleidigung zu erkennen. Der Kläger habe mit diesem Schreiben letztendlich zu erreichen versucht – nachdem er sämtliche Möglichkeiten der Kommunikation mit dem Beklagten ausgeschöpft habe – dem rechtswidrigen Verhalten des Vorsitzenden des Beklagten Einhalt zu gewähren. Dies sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, zumal der Kläger in seinem Schreiben vom 14.06.2020 seine Auffassung auch begründe. Insofern könne das Herauszitieren von Behauptungen ohne Kenntnis des gesamten Kontextes den seitens des Beklagten aufgestellten Vorwurf nicht begründen. Das Zitat eines Therapeuten habe er sich nicht zu Eigen gemacht. Er selbst habe dem Beklagten nicht unterstellt, mafiös und korrupt zu sein. Die Behauptung des Beklagten, er habe das Schreiben in Ruhe zu Hause gefertigt, sei anmaßend, da das Schreiben unmittelbar nach seiner Freistellung und dem damit verbundenen Hausverbot verfasst worden sei. Die Ausdrucksweise sei mithin sozial adäquat. Nach Ansicht des Klägers reiche die Berufungsschrift zudem nicht aus, um eine Berufung zu begründen.

Der Auflösungsantrag sei zurückzuweisen. Mit 60 Jahren sei er noch sehr weit vom Rentenalter entfernt. Eine Auflösung wäre für ihn wirtschaftlich ruinierend. Hinzu komme der Rufschaden, den er erleiden würde. Der Beklagte vergesse zu erwähnen, dass der Kläger die B Station 20 Jahre erfolgreich aufgebaut und geführt habe. Bei der Abwägung dürfe ebenfalls nicht übersehen werden, dass der Kläger – unstreitig – einen Grad der Behinderung von 50 aufweise. Ebenfalls anzumerken sei in diesem Zusammenhang, dass der Kläger rechtswidrig nicht mehr als Geschäftsstellenleiter eingesetzt worden sei und sowohl der vorherige als auch der jetzige Vorsitzende arbeitsrechtliche Rechtsverstöße begangen hätten. Auf das unterbliebene BEM-Gespräch sowie die seit Mitte 2019 verweigerten Gespräche werde insofern verwiesen. Auch das Verhalten des Beklagten nach Abschluss der ersten Instanz sei zu bewerten, nachdem der Beklagte die ausgeurteilte Weiterbeschäftigung und Gehaltszahlungen verweigert habe. Dem Kläger sei nichts Anderes übriggeblieben, als Arbeitslosengeld im Rahmen der Gleichwohlgewährung zu beantragen. Gegenüber der Krankenkasse habe der Beklagte das Urteil der 4. Kammer akzeptiert, nicht jedoch gegenüber dem Kläger.

Die Entscheidung, den Kläger aus dem Arbeitsverhältnis zu entfernen, habe der Vorsitzende im Alleingang unter Zuhilfenahme vertrauter Personen getroffen. Der Entschluss sei nicht vom gesamten Verein getragen worden. Der Kläger habe nicht den Betriebsfrieden gestört, sondern sich gegen Angriffe des Vorstandes gewehrt.

Die Vorkommnisse mit Frau T seien unzutreffend. Der Kläger bestreitet diese. Dass Frau T nicht mehr als Vorstandsvorsitzende kandidiert habe, sei nicht auf den Kläger zurückzuführen, sondern habe andere Gründe.

Herr W s Verhalten sei von dem unendlichen Wunsch geprägt gewesen, sich vom Kläger zu trennen, obwohl es hierfür überhaupt keinen Grund gegeben habe. Da Herr W ohnehin nicht mehr beim Beklagten arbeite, könne der Auflösungsantrag hierauf nicht gestützt werden.

Der aktuelle Vorstandsvorsitzende, Herr T , schlage nun in die gleiche Kerbe. Es werde versucht, den Kläger wirtschaftlich auszuhungern, indem man behaupte, der Kläger sei nach wie vor krank. Mitarbeiter würden von ihm vor dem Kläger gewarnt, obwohl sich der Kläger stets nur gewehrt habe. Richtig sei daher, dass der Kläger wünsche, dass der jetzige Vorstand durch einen mit Vernunft agierenden Vorstand ersetzt werde. So sei dem Kläger zugetragen worden, dass der Vorstand ersetzt werde, wenn dieser Prozess beim LAG Köln verloren ginge.

Falsch sei auch, dass der Kläger den kommissarischen Geschäftsstellenleiter Herrn M nicht eingearbeitet habe. Beide kommissarischen Geschäftsstellenleiter seien jedoch vom Vorstandsvorsitzenden W negativ beeinflusst und dahingehend instruiert worden, auf Wünsche des Klägers nicht ohne Weiteres einzugehen. Dass der Kläger aufgrund dieser Situation gereizt gewesen sei, müsse nachvollziehbar sein.

Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt unwahre Tatsachen verbreitet. Rechtsverstöße seien zum einen durch das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen festgestellt worden und zum anderen im Rahmen des Strafverfahrens durch Einstellung nach § 153 StPO.

Der Beklagte verliere völlig die Realität, wenn er nunmehr dem Kläger versuchten Prozessbetrug in dem Verfahren 5 Ca 865/22 vorwerfe. Hiervon könne keine Rede sein, da die behandelnden Ärzte ihn gesundgeschrieben hätten.

Der Kläger vernachlässige nach seiner Rückkehr die Arbeitsleistung nicht. Hier müsse berücksichtigt und bewertet werden, dass er seit der erzwungenen Weiterbeschäftigung keinen Zugang zu notwendigen Dokumenten habe. Sein Büro sei nur spartanisch eingerichtet, die EDV habe am Anfang überhaupt nicht, später nur rudimentär funktioniert.

Gänzlich unkonkret sei der Vorwurf, Mitarbeiter hätten mit ihm eine Auseinandersetzung gehabt. Ein Vorfall aus 2018 könne jedenfalls nicht für den aktuellen Auflösungsantrag herangezogen werden. Es werde bestritten, dass Mitarbeiter des Beklagten derzeit sehr unzufrieden seien.

Alle nunmehr ausgesprochenen Abmahnungen seien streitig und daher nicht geeignet, einen Auflösungsantrag zu begründen. Hinsichtlich der durch den Vorstandsvorsitzenden gegen den Kläger gestellten Strafanzeige sei der Sachverhalt noch nicht bekannt. Jedoch bestehe immer die Gefahr bei einer solchen Anzeige, dass dieses Verfahren zu einem Bumerang gegen den Anzeigenerstatter werde und sich dieser sodann einem weiteren Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung aussetzen müsse.

Die mit dem Auflösungsantrag vorgetragenen Tatsachen seien allesamt bereits im Kündigungsschutzverfahren vorgetragen worden und hätten bereits hier nicht zu einer Wirksamkeit der Kündigung geführt. Gleiches müsse nun für die begehrte Auflösung gelten. Der Kläger könne sich hervorragend vorstellen, wieder Leiter der B Station zu werden.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich der Sitzungsprotokolle abgegebenen Erklärungen und erteilten rechtlichen Hinweise ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und teilweise begründet. Auf seinen Antrag hin war das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

I) Die Berufung des Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 ZPO am 20.07.2022 gegen das am 05.07.2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der verlängerten zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet worden.

Zwar hat sich der Beklagte innerhalb der Berufungsbegründung nur mit einem Kündigungsgrund befasst und alle weiteren, erstinstanzlich noch vorgetragenen Gründe nicht erwähnt. Dies stellt sich jedoch als unproblematisch dar.

Der Berufungskläger muss sich in der Berufungsbegründung mit den Gründen des angefochtenen Urteils einzelfallbezogen auseinandersetzen (ErfK/Koch, ArbGG § 66 Rn. 14; BeckOK ArbR/Klose ArbGG § 66 Rn. 11). Dabei muss die Rechtsmittelbegründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Hierzu genügt es grundsätzlich, wenn sich die Berufungsbegründung mit einem einzelnen, den gesamten Streitgegenstand betreffenden Streitpunkt befasst und ihn in ausreichendem Maße behandelt (BAG vom 28.05.2009, 2 AZR 223/08). Hat sich das klagestattgebende Urteil mit mehreren unterschiedlichen Einwendungen des Beklagten auseinandergesetzt, genügt es, wenn der Beklagte in seiner Berufung nur die Erwägungen zu einer der Einreden angreift (BeckOK ArbR/Klose ArbGG § 66 Rn. 11 mwN.).

So verhielt es sich hier:

Würde das Berufungsgericht der in der Berufung geäußerten Rechtsansicht des Beklagten folgen, wäre die streitgegenständliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig.

II) Die Berufung des Beklagten ist hinsichtlich des erstinstanzlichen Feststellungsantrages jedoch unbegründet. Richtigerweise hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 23.02.2021 sein Ende gefunden hat.

1) Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.

a) Der Feststellungsantrag ist zulässig. Insbesondere ergibt sich das Feststellungsinteresse aus den §§ 4,7 KSchG.

b) Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 23.02.2021 beendet.

Die Kündigung des Beklagten galt nicht gemäß §§ 4 Satz 1, 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Denn der Kläger, der sich auf die Anwendbarkeit des KSchG nach den §§ 1,23 KSchG berufen konnte, griff die Kündigung innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang durch Erhebung der Kündigungsschutzklage gerichtlich an.

Die Kündigung war sozial nicht gerechtfertigt. Der im Rahmen der Berufungsbegründung herangezogene Sachverhalt führte zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.

Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung unter anderem dann, wenn sie nicht durch Gründe, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist, § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG.

Eine derartige verhaltensbedingte Kündigung wird regelmäßig in zwei Prüfungsschritten überprüft: Im Rahmen eines ersten Schrittes ist zu überprüfen, ob das dem Kläger vorgeworfene Verhalten an sich geeignet ist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund zu begründen. Im Falle der Bejahung erfolgt eine Interessenabwägung im Einzelfall.

aa) Das dem Kläger in diesem Zusammenhang vorgeworfene Verhalten war an sich geeignet, den Ausspruch einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung zu rechtfertigen.

Nach § 241 Absatz 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG vom 08.05.2014, 2 AZR 249/13; LAG Nürnberg vom 11.01.2019, 4 Sa 131/16).

Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar. In diesem Fall kann sich der Arbeitnehmer sodann nicht erfolgreich auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 Absatz 1 GG berufen (BAG vom 10.10.2002, 2 AZR 418/01).

Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze.

In der Regel verlangt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. Nur ausnahmsweise tritt die Meinungsfreiheit bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde anderer antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, zurück, ohne, dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (BVerfG vom 02.11.2020, 1 BvR 2727/19).

Eine Schmähung oder Schmähkritik liegt nur vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausführliche Kritik ist noch keine Schmähung, denn gerade Kritik darf auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt ausfallen (BVerfG vom 30.05.2018, 1 BvR 1149/17; BVerfG vom 02.11.2020, 1 BvR 2727/19). Entscheidend ist, dass die Aussage letztlich nur die Personen gravierend verletzt (BVerfG vom 19.05.2020, 1 BvR 2397/19; BVerfG vom 02.11.2020, 1 BvR 2727/19).

Ähnlich eng ist die Formalbeleidigung im verfassungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Sie liegt vor bei nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen Schimpfwörtern (BVerfG vom 14.06.2019, 1 BvR 2433/17; BVerfG vom 02.11.2020, 1 BvR 2727/19). Entscheidend ist die kontextunabhängige, gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit. Wer Personen mit solchen Begriffen bezeichnet, bedient sich gerade ihrer Funktion, verächtlich zu machen, um einen Menschen unabhängig von sachlichen Anliegen herabzusetzen (BVerfG vom 19.05.2020,1 BvR 2397/19; BVerfG vom 02.11.2020, 1 BvR 2727/19).

Der Kläger konnte sich – zumindest teilweise – hinsichtlich seiner Äußerungen vom 14.06.2020 nicht mehr auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Absatz 1 GG) berufen.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 14.06.2020 an die S A , einem stimmberechtigten Mitglied des Beklagten. Darin stellte er die Tatsachenbehauptung auf, dass der Vorsitzende „immer wieder gegen die Satzung verstößt, den Datenschutz nicht einhält, gegen Arbeitnehmerrechte verstößt und Arbeitgeberpflichten nicht einhält“. Sämtliche dieser Tatsachenbehauptungen wurden zu keinem Zeitpunkt konkretisiert. Ihr Wahrheitsgehalt ist damit nicht dargelegt.

Entscheidend ist jedoch, dass der Kläger im Anschluss eine Formalbeleidigung verwendet, die erkennbar allein das Ziel hat, die Person des damaligen Vorsitzenden verächtlich zu machen. Der Kläger formulierte wörtlich:

„Ein Arzt empfand dieses Vorgehen gegen mich sogar als „korrupt und mafiös“. Ich empfinde dieses Verhalten als menschenverachtend. Nach meinem Empfinden wird vorsätzlich und mit Willkür meine Gesundheit und meine Existenz zerstört.“

Mit dieser Äußerung verließ der Kläger den Bereich, der von Art. 5 Absatz 1 GG gedeckt ist. Dies gilt jedenfalls in Kombination der Begriffe „korrupt“ und „mafiös“. Beide Worte sind – erst recht in ihrer Addition – geprägt davon, die Person des Vorsitzenden des Beklagten gegenüber einem stimmberechtigten Mitglied abzuwerten und zu beleidigen.

Ob ein Arzt – oder wie im Rahmen der Berufung behauptet: Ein Therapeut – diese Aussage tatsächlich getroffen hat, ist hierbei nicht relevant. Ebenfalls nicht relevant ist der Umstand, dass der Kläger diese Aussage vermeintlich zitiert und erst im Anschluss seine eigene Meinung kundtut. Bei einer Gesamtbetrachtung muss davon ausgegangen werden, dass durchaus der Eindruck vermittelt werden soll, auch der Kläger teile diese Auffassung. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb der Kläger die Meinung eines Dritten kundtun und wiedergeben sollte, wenn er sich von dieser distanzieren möchte.

Nähere Ausführungen hierzu waren jedoch entbehrlich. Denn die streitgegenständliche Kündigung ließ sich im Ergebnis auch nicht auf diese Pflichtverletzung stützen.

bb) Der Ausspruch der Kündigung war unverhältnismäßig.

Bei dieser Prüfung sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen. BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 651/13; BAG vom 23.10.2014, 2 AZR 865/13).

Im Rahmen dieser Abwägung überwogen die Interessen des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses:

Der schwerbehinderte Kläger war zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung 60 Jahre alt. Sein Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten bestand seit dem 17.09.1998, mithin seit fast 23 Jahren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger noch nie eine Abmahnung erhalten.

Auch die Begleitumstände, welche zur Pflichtverletzung führten, waren zu berücksichtigen:

Der Kläger war seit dem Jahr 2019 in jedem einzelnen Jahr länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Der gesetzlichen Verpflichtung nach § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, kam der Beklagte dennoch zu keinem Zeitpunkt nach. Im Gegenteil: Gerade an dem Tag, an dem ein solches Gespräch erstmalig stattfinden sollte, wurde der Kläger freigestellt. Ihm wurde Hausverbot erteilt. Die streitgegenständliche Mail versandte der Kläger nur eine Woche später, also offenbar noch im Eindruck dieser Maßnahme.

Zu Gunsten des Klägers waren also nicht nur sein Alter, seine Schwerbehinderung, der lange Bestand des Arbeitsverhältnisses und das Fehlen von Abmahnungen zu berücksichtigen, sondern auch, dass der Beklagte durch sein in der Tat vertragswidriges Verhalten seinen Beitrag dazu geleistet hatte, dass sich der Kläger nachvollziehbar in einer Extremsituation befand.

All diese Umstände führten dazu, dass die – vorhandene – Pflichtverletzung des Klägers trotz ihrer Schwere hätte abgemahnt werden müssen.

Die Abmahnung ist grundsätzlich bei Störungen im Verhaltens- und Leistungsbereich vorher auszusprechen. In einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise muss der Arbeitgeber seine Beanstandungen vorbringen und den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfalle sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Entbehrlich ist eine Abmahnung dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden durfte (vgl. BAG AP-Nr. 9 zu § 1 KSchG „Verhaltensbedingte Kündigung“). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer gar nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten sowie dann, wenn die Pflichtverletzung derart erheblich ist, dass dem Arbeitnehmer auch ohne Abmahnung hätte klar sein müssen, dass sein Verhalten vom Arbeitgeber nicht geduldet wird (BAG vom 09.06.2001, 2 AZR 381/10; LAG Rheinland-Pfalz vom 08.06.2006, 4 Sa 231/06).

Beide Ausnahmefälle lagen hier nicht vor:

Es erschien zwar nicht fernliegend, die Entgleisung des Klägers als eine solche Pflichtverletzung anzusehen, bei der hätte klar sein müssen, dass diese vom Vertragspartner nicht akzeptiert wird. Dass der Vorstandsvorsitzende als Repräsentant des Beklagten die Bezeichnung als „korrupt“ und „mafiös“ gegenüber einem stimmberechtigten Mitglied nicht akzeptieren wird, lag in der Tat auf der Hand. Dennoch nahm die Kammer nach Abwägung aller Umstände und Besonderheiten des vorliegenden Falles im Ergebnis an, dass es dem Beklagten dennoch zumutbar gewesen wäre, auch diese Pflichtverletzung abzumahnen. Der Kläger wurde ohne rechtliche Grundlage freigestellt. Das zugesagte BEM-Gespräch wurde kurzfristig abgesagt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen des § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX vorlagen. Dem Kläger wurde Hausverbot erteilt. Dies rechtfertigt die Pflichtverletzung nicht; sie wird dadurch aber verständlicher. Darüber hinaus ging der Kläger möglicherweise tatsächlich davon aus, dass seine Ausführungen vom Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Absatz 1 GG gedeckt sein könnten. Dass diese Rechtsansicht nicht gänzlich fernliegend sein kann, verdeutlicht bereits die erstinstanzliche Entscheidung.

Dieser Umstand in Kombination dazu, dass sich der Beklagte – wie dargelegt – ebenfalls vertrags- und gesetzeswidrig verhalten hatte, führte zur abschließenden Bewertung der Kammer, dass die Schwere der Pflichtverletzung nicht ausreichend war, um eine verhaltensbedingte Kündigung als sozial gerechtfertigt anzusehen, obwohl der Kläger zuvor nicht abgemahnt worden war.

Ebenso wenig handelte es sich hierbei um eine Pflichtverletzung, bei der völlig ausgeschlossen erschien, dass der Ausspruch einer Abmahnung die notwendige Warnfunktion erfüllen könnte. Der Kläger hatte zuvor noch nie eine Abmahnung erhalten, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Ausspruch einer solchen Abmahnung dazu geführt hätte, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt sein Handeln überdacht hätte. Dass der Kläger geäußert haben könnte, sein Verhalten ohnehin nicht zu ändern, trug der Beklagte nicht vor.

Im Ergebnis war die streitgegenständliche Kündigung daher als sozial nicht gerechtfertigt anzusehen. Die Berufung war insoweit unbegründet.

2) Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung war hingegen abzuweisen. Insofern war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben.

Außerhalb der Regelung des § 102 Absatz 5 BetrVG hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertragsrechtlichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Außer im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG Großer Senat vom 27.02.1985, GS 1/84).

Richtigerweise hat das Arbeitsgericht angenommen, dass derartige zusätzliche Umstände zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung nicht ersichtlich waren.

Nunmehr stellt sich dies jedoch anders dar, da – was noch auszuführen sein wird – dem Auflösungsantrag stattzugeben war. Damit überwog das Beschäftigungsinteresse zum Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Entscheidung nicht mehr.

3) Auf Antrag des Beklagten war das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG). Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen (§ 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG).

Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte (§ 9 Abs. 2 KSchG) KSchG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag (BAG vom 30.09.1976, 2 AZR 402/75).

Der Antrag des Arbeitgebers ist, anders als der des Arbeitnehmers, ein in der Regel echter Hilfsantrag , über den nur entschieden wird, wenn der Arbeitgeber mit seinem Klageabweisungsantrag unterliegt (ErfK/ Kiel, § 9 KSchG Rn. 12).

Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers unterliegt anderen Anforderungen als der Antrag des Arbeitnehmers. Er setzt – wie bereits dargestellt – nach § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG voraus, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine angemessene Abfindung zu zahlen, ist darin gerechtfertigt, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu Unrecht und gegen seinen Willen verliert (BVerfG vom 12.5.1976, 1 BvL 31/73; BAG vom 15.02.1973, 2 AZR 16/72). Dabei ist das Kündigungsschutzgesetz – worauf der Kläger dem Grunde nach durchaus zu Recht hinweist – in seiner grundsätzlichen Konzeption als Bestandsschutz- und nicht als Abfindungsgesetz ausgestaltet. § 9 KSchG durchbricht diesen Grundsatz, wenn eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht (BT-Drs. 1/2090, 13). Deshalb sind an die Auflösungsgründe nach § 9 Absatz 1 KSchG strenge Anforderungen zu stellen (BAG vom 29.08.2013, 2 AZR 419/12), ohne dass dazu die Voraussetzungen der Unzumutbarkeit im Sinne von § 626 BGB erfüllt sein müssen. Beruft sich der Arbeitgeber auf Auflösungsgründe, die mit den Kündigungsgründen im Zusammenhang stehen, muss er zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, weshalb ein konkreter Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung selbst nicht zu begründen vermag, so beschaffen sein soll, dass er eine weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lässt (BAG vom 23.06.2005, 2 AZR 256/04). Der Auflösungsgrund muss dabei die widerspruchsfreie Entscheidung des Gerichts ermöglichen, dass die vom Arbeitgeber vorgetragenen Gründe die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, obwohl diese für eine Kündigung nicht ausreichend sind (BVerfG vom 2 2.10.2004, 1 BvR 1944/01; ErfK/Kiel, § 9 KSchG Rn. 12).

Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers angelegt sein. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage am Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG vom 16.12.2021, 2 AZR 356/21; ErfK/Kiel KSchG § 9 Rn. 13)

Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit ist umso weniger zu erwarten, je höher die Position des Arbeitnehmers im Betrieb ist (ErfK/Kiel KSchG § 9 Rn. 13).

a) Hiernach war das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten aufzulösen, obwohl die streitgegenständliche Kündigung sozialwidrig war und die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente nicht ausreichend waren, um einen Beendigungstatbestand annehmen zu müssen. Gerade das Verhalten des Klägers nach Obsiegen in der ersten Instanz und nach seiner Rückkehr in den Betrieb führte dazu, dass die Kammer einen Auflösungsgrund annahm.

Entgegen der Auffassung des Klägers war es keineswegs allein der Beklagte, der zur Eskalation der Situation beigetragen hatte. Richtigerweise verwies er zwar darauf, dass es der Beklagte war, der zu Beginn der Problematik entgegen § 167 Absatz 2 Satz 1 SGB IX kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt und den Kläger arbeitsvertragswidrig freigestellt hatte. Selbst nach der erstinstanzlichen Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers weigerte sich der Beklagte, dies zu akzeptieren, so dass sogar Zwangsvollstreckungsmaßnahmen notwendig wurden.

Der Kläger trug seinen Teil zur Eskalation jedoch bei. Dies erfolgte sowohl (a) vor Zugang der Kündigung vom 23.02.2021 als auch (b) im Rahmen des vorliegenden Kündigungsschutzverfahrens und (c) nach Obsiegen in erster Instanz.

(a) Vor Zugang der Kündigung gab es unstreitig bereits seit einiger Zeit Kommunikationsprobleme, zu denen auch der Kläger beigetragen hatte. Auch seine Kommunikation war schon zu diesem Zeitpunkt nicht als deeskalierend zu bezeichnen.

Am 13.10.2019 übermittelte der Kläger ein Schreiben an einen Vertreter eines Mitglieds des Trägervereins, das ausweislich der Adressierung und der anschließenden Anrede an den Vorstandsvorsitzenden sowie die Mitglieder des Trägervereins gerichtet werden sollte. Zwar wurde nicht vorgetragen und behauptet, dass dieses Schreiben letztlich tatsächlich an den damaligen Vorstandsvorsitzenden und alle Mitglieder versandt wurde. Durch die Übermittlung an nur einen Vertreter eines Mitglieds wurde der Inhalt des Schreibens aber dennoch nach außen getragen und war damit relevant.

In diesem Schreiben führte der Kläger aus, dass sich sein Gefühl verstärke, dass es sich um Mobbing handele. In Bezug auf die durchgeführte Coachingmaßnahme bezeichnete er den Coach als unqualifiziert und behauptete, ihm sei mitgeteilt worden, dass die Ergebnisse der Befragung manipuliert worden seien. Der Kläger behauptet, dass „schon seit Jahren“ Gesetze und Fürsorgepflichten, die ein Arbeitgeber umzusetzen habe, ignoriert würden. Er verweist auf eine mögliche Straftat des Vorsitzenden durch Zugriff auf seinen Mail-Account und darauf, dass übliche und satzungsgemäße Tätigkeiten nicht mehr nachvollziehbar seien, seit Herr W Vorsitzender sei. Verstöße gegen Satzung und Geschäftsordnung lägen – sogar „permanent“ – vor. Er verweist auf fehlenden Sachverstand und darauf, dass klare Strukturen und Abläufe zerstört würden. Der Kläger führt weiter aus, dass er – der Kläger – „keinerlei Fehlverhalten“ bei sich selber sehe.

Der Kläger agierte also schon zu diesem Zeitpunkt mit eskalierender Wirkung, indem er nach außen hin – teils extreme – Vorwürfen erhob, ohne diese zu konkretisieren. Verdeutlicht wird dies auch durch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft, obwohl der damalige Vorstandsvorsitzende lediglich die nachvollziehbare – und vom Kläger nicht erfüllte – Bitte geäußert hatte, einen Abwesenheitsassistenten einzurichten.

Per Mail vom 27.04.2020 wandte sich der Kläger an die Mitarbeiter des Beklagten, zog diese bewusst in die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Beklagten mit ein, schilderte seine – subjektive – Sicht und stellte den Beklagten gegenüber der gesamten Belegschaft damit schlecht dar. Er sprach von „Lügen, Gerüchten und Spekulationen“ und drohte den Mitarbeitern mit dem Ausspruch einer Kündigung, wenn auch nur Teile der Mail weitergegeben werden. Der Kläger verweist darauf, dass der Vorsitzende aus seiner Sicht „die Satzung, Rechtsvorschriften, Datenschutz etc“ missachte.

Damit stellte er die Repräsentanten des Beklagten also nicht nur erneut schlecht dar. Gleichzeitig drohte er auch den Empfängern dieser Mail mit arbeitsrechtlichen Sanktionen.

Berechtigung hierzu war nicht anzuzweifeln, zumal der Beklagte eine entsprechende Genehmigung im Vorfeld ausdrücklich erklärt hatte. Darin forderte er die Mitglieder dazu auf, die seiner Ansicht nach sittenwidrigen Anweisungen des Vorsitzenden anwaltlich überprüfen zu lassen. Er führte aus, dass Dienstanweisungen des Vorsitzenden bereits als schikanös bezeichnet worden seien, er – der Vorsitzende – sich „einmische“ und „immer wieder“ gegen die Satzung verstoße. Er verwies – erneut – auf einen Zugriff auf sein Postfach während seiner Abwesenheit und darauf, dass es sich hierbei um eine Straftat handele. In Bezug auf den Mitarbeiter Herrn L führte er aus, dass er seit Jahren nur das mache, was ihm „Spaß“ mache, er regelmäßig „schreiend“ durch die Flure laufe, in Besprechungen ein „extremer Störfaktor“ sei, oft nicht zuhöre, Dinge nicht verstehe und kategorisch Vorschriften ablehne. Der Kläger behauptete, dass das „aggressive und ungebührliche Verhalten“ des Herrn L „landesweit bekannt“ sei.

All diese Einlassungen sind geprägt von dem Ziel, die Person des Vorstandsvorsitzenden und des Mitarbeiters Herrn L nach außen hin zu diskreditieren. Dies geschieht erneut mit pauschalen Vorwürfen, ohne in sachlicher Art und Weise nachvollziehbare Beispiele zu präsentieren.

Schon damals kommunizierte der Kläger mit dem damaligen Vorsitzenden laut eigener Aussage gemäß Schreiben vom 08.05.2020 unter anderem mit Einwurfeinschreiben.

Am 14.06.2020 verfasste der Kläger das Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden der S A , in welchem er darauf verweist, dass „der Vorsitzende immer wieder gegen die Satzung verstößt, den Datenschutz nicht einhält, gegen Arbeitnehmerrechte verstößt und Arbeitgeberpflichten nicht einhält“. Er behauptet, dass ein Arzt dieses Vorgehen gegen ihn als „korrupt und mafiös“ bezeichnet habe und er – der Kläger – dieses Verhalten als menschenverachtend ansehe. Er verweist darauf, dass nach seinem Empfinden vorsätzlich und mit Willkür seine Gesundheit und seine Existenz zerstört werde.

Im Sommer des Jahres 2020 – ein exaktes Datum ließ sich der Akte nicht entnehmen – nahm der Kläger Kontakt zu den Ermittlungsbehörden auf, um den Vorgang hinsichtlich der Einrichtung eines Abwesenheitsassistenten strafrechtlich überprüfen zu lassen. Im Zuge dieser Ermittlungen erhielt der damalige Vorstandsvorsitzende ein auf den 24.08.2020 datiertes Anhörungsschreiben des Polizeipräsidiums A wegen des Verdachts der Urkundenfälschung.

All diese Verhaltensweisen und Vorgänge verdeutlichen, dass der Kläger selber dazu beitrug, dass die Situation eskalierte. Zwar mag keiner der Vorgänge geeignet sein, eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Teilweise handelt es sich dem Grunde nach sogar um die Wahrnehmung berechtigter Interessen. Dass sich der Kläger nach seiner Freistellung an die S A wandte, ist legitim. Die Art und Weise, wie er diese Rechte verfolgt, verdeutlichen jedoch, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Abgrenzung zwischen persönlicher Anfeindung und der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht leicht vorzunehmen war.

(b) Nach Einleitung des Kündigungsschutzverfahrens verschärfte sich diese Vorgehensweise. Neben den Vorgängen, die der Beklagte zur Begründung der streitgegenständlichen Kündigung herangezogen hatte, traten mithin von nun an weitere, zusätzlich greifbare Tatsachen zu Tage, die im Ergebnis nicht erwarten lassen, dass in Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien möglich wäre.

Der Kläger beantwortete in einem Parallelverfahren die Frage der Vorsitzenden der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen nach seinem Ziel dahingehend, dass er die Ablösung des Vorstandes begehre. Dabei übersieht er, dass er die personelle Zusammensetzung des Organs seines Arbeitgebers hinzunehmen hat und nicht aktiv – und offen kommunizierend – bekämpfen sollte.

Er verharmloste im vorliegenden Verfahren seine Einlassungen gegenüber dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Herrn W damit, dass diese nach Rücktritt des Vorsitzenden nicht mehr relevant seien. Hierbei übersah der Kläger jedoch, dass es nicht auf die Person des Herrn W ankam, sondern auf den Umstand, dass der Kläger das Amt des Vorstandsvorsitzenden nach außen hin nicht respektierte und diffamierte. Er übersah zudem, dass sowohl die Vorgängerin als auch Herrn W zurückgetreten waren und nunmehr auch der aktuelle Vorstandsvorsitzende nicht mehr mit dem Kläger zusammenarbeiten möchte. Die Probleme bestanden also nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich zwischen dem Kläger und einer weiteren Person. Die Probleme bestehen offenbar unabhängig von der Person der oder des Vorstandsvorsitzenden. Insbesondere hat der Kläger als Arbeitnehmer nicht das Recht, jeden Vorstandsvorsitzenden zu diffamieren bis diese Position irgendwann von jemandem eingenommen wird, der dem Kläger genehm ist.

Mit Schriftsatz vom 25.10.2021 behauptet der Kläger, dem Beklagten ginge es um seine Vernichtung. Er führt weiter aus, dass der Beklagte die Erkrankung des Klägers verursacht habe. Mit Schriftsatz vom 25.11.2021 führt der Kläger aus, dass der Beklagte erneut die Unwahrheit gesagt habe und ihn diffamiere. Der Vorwurf der Lüge – dieses Mal sowohl im Rahmen des Zustimmungsverfahrens, in diesem Kündigungsschutzverfahren und auch in einem vor der 3. Kammer des Arbeitsgerichts geführten Verfahrens – wird mit Schriftsatz vom 01.12.2021 wiederholt. Hier wird ausdrücklich von einer „Falschaussage“ gesprochen. Mit Schriftsatz vom 24.02.2022 stellt der Kläger eine persönliche Haftung des Vorstandes für ausgegebene Honorare in den Raum. Es wird weiter ausgeführt, „mit welcher Perfidität die Beklagte den Kläger diskreditieren möchte“. Es wird behauptet, dass der Beklagte mit Vorsatz die Gemeinnützigkeit des Vereins aufs Spiel setzt.

Dabei übersieht die Kammer nicht, dass grundsätzlich auch polemische oder unhöfliche Formulierungen im Prozessvortrag noch durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Prozess gedeckt sein kann (vgl. BAG vom 09.09.2010, 2 AZR 482/09). Da – wie dargestellt – jedoch als Auflösungsgründe gerade auch die Wertung der klägerischen Persönlichkeit, seine Eignung sowie sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern und zum Arbeitgeber relevant sind, runden oben aufgeführte Bemerkungen das Gesamtbild ab.

(c) Insbesondere nach erstinstanzlichem Obsiegen manifestierte sich diese Vorgehensweise.

Mit Schreiben vom 02.03.2022 – nur einen Tag nach dem erstinstanzlichen Kammertermin – wandte sich der Kläger an den Vorstandsvorsitzenden. Darin führte er aus, dass der Beklagte „bis zum Schluss immer neue Unwahrheiten vorgetragen“ haben soll. Er führte aus, dass er nicht beurteilen könne, inwieweit das Gericht dies als möglichen Prozessbetrug verfolgen werde. Worin dieser Betrug liegen könnte, führte er weder in dem Schreiben noch im Rahmen des Berufungsverfahrens konkret aus. Des Weiteren verweist der Kläger in jenem Schreiben darauf, dass etliche weitere Verstöße hinzukämen, die „ohne aktives zutun zu Strafverfolgungen und persönlicher Haftung führen können“. Auch hier verknüpft der Kläger die Vorgehensweise also – wie schon in der Vergangenheit – mit strafrechtlichen Ermittlungen und persönlicher Haftung des Vorstandes, mit dem er nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren weiter zusammenarbeiten müsste. Dieser Widerspruch ist nicht aufzulösen.

Mit Schreiben vom 10.08.2022 an den Trägerverein des Beklagten drückte er sein Erstaunen darüber aus, dass der BUND-N „die vielen Rechtsverstöße ihrer Vertreter im Trägerverein, die auch von der Staatsanwaltschaft und dem Arbeitsgericht bestätigt“ worden seien „hinnimmt und unterstützt“.

Dabei erläuterte der Kläger weder in diesem Schreiben noch im weiteren Verlauf des Verfahrens in nachvollziehbarer Art und Weise, weshalb er diese Ansicht vertrat. Sie ist auch falsch: Das Arbeitsgericht stellte keine Rechtsverstöße des Beklagten fest, sondern allein die Sozialwidrigkeit der von ihm ausgesprochenen Kündigung. Soweit vorgetragen wurde, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt hatte, verdeutlicht dies, dass die Ermittlungsbehörde die strafrechtliche Relevanz gerade nicht geprüft, sondern angenommen hat, dass selbst im Falle der Annahme einer strafbaren Handlung diese als gering anzusehen wäre und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht bestehe. Dass der Kläger als juristischer Laie diese Feinheiten möglicherweise nicht unterscheiden kann, ändert an diesem Umstand nichts. Denn in diesem Falle wäre es ratsam gewesen, derartige Behauptungen schlicht und ergreifend nicht aufzustellen. Da er diese Behauptungen gegenüber Dritten aber mehrfach aufstellte, muss er die entsprechenden Konsequenzen auch tragen.

Mit Mailschreiben vom 24.10.2022 an den Trägerverein und die Landesverbände wiederholte er diese Aussage. Darüber hinaus behauptete er, dass er in der kurzen Zeit seiner Tätigkeit mit vielen Mitarbeitern gesprochen habe, die ihm „etliche Beschwerden zur kommissarischen Geschäftsleitung und dem Vorstand bzw. Vorsitzenden mitgeteilt haben“. Zu keinem Zeitpunkt – weder in dem Schreiben noch im Prozess – konkretisierte er diese Behauptung, die sich erneut gerade gegen die Personen richtet, mit denen er nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren zusammenarbeiten müsste.

Per Mail vom 10.11.2022 an den aktuellen Vorstandsvorsitzenden behauptete er eine Arbeitsverweigerung des Herrn M , dem kommissarischen Geschäftsleiter. Er führte aus, dass angeblich allen Mitarbeitern im Haus bekannt sei, „dass Herr M wochen- oder monatelang Fristsachen nicht bearbeitet, nicht erreichbar ist, nicht antwortet etc“. Weiter hieß es: „Ich habe das Gefühl, dass die Arbeitsverweigerung von Herrn M , seine Versäumnisse, den Schaden den er der Biostation zufügt, seine katastrophale Leitung u.v.m. dem Vorstand egal sind.“ Auch hier belegte der Kläger zu keinem Zeitpunkt und an keiner Stelle seine Behauptungen gegenüber und über Personen, mit denen er nach Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren zusammenarbeiten müsste.

Im selben Schreiben erwähnt er zudem einen ehemaligen Prozessbevollmächtigten sowie den zu diesem Zeitpunkt aktuellen Bevollmächtigten des Beklagten. Er führt aus, dass er gespannt sei, „was die Staatsanwaltschaft in Sachen RA S noch unternimmt und wie tief sie prüft“. Den damals aktuellen Prozessbevollmächtigten habe er „ebenfalls gebeten, sein Mandat zu überdenken“. Auch hierbei handelt es sich um Vorwürfe und Andeutungen, die nie erläutert wurden. Dass ein Arbeitnehmer gegenüber 2 Prozessbevollmächtigten derartiges ausführt, jedenfalls gegenüber einem Bevollmächtigten gar Strafantrag gestellt hat und beide Kanzleien das Mandat niederlegten, darf als außergewöhnlich bezeichnet werden. Es verdeutlicht, dass der Kläger mittlerweile eine Eskalation gegenüber jeder Person betreibt, die er auf Seiten und im Lager des Beklagten vermutet. Dies muss der Beklagte nicht mehr hinnehmen.

Auch gegenüber den Mitarbeitern verhielt der Kläger sich mittlerweile in nicht mehr hinnehmbarer Art und Weise. Verdeutlicht wird dies durch die Ereignisse vom 14.11.2022. An diesem Tag formulierte er eine Mail an Herrn M und setzte die Mitarbeiterin Frau L in cc. Darin hieß es auszugsweise wie folgt:

„hier kommen folgende Anordnungen, die du persönlich und ohne Zuarbeit, Mithilfe umzusetzen hast. Ein delegieren verbiete ich. Ich glaube, so hat es Herr Ln auch immer formuliert.

1. Du hast Präsenzpflicht und bist somit an 5 Tagen in der B . ÜA ist bis auf weiteres gestrichen. Gleiches gilt für neue Urlaubsanträge.

Soweit erstmal vorab. Wie du wissen wirst, werde ich Ablehnungen als Arbeitsverweigerung betrachten müssen. Werden die Anweisungen vom Vorsitzenden zurückgenommen, werden ggf. sofort Zwangsgelder fällig.

Leider muss ich nun genauso vorgehen, wie der Vorsitzende.“

Zum einen offenbart dieses Schreiben erneut, dass der Kläger keine Gelegenheit auslässt, den jeweils aktuellen Vorstandsvorsitzenden in ein schlechtes Licht zu rücken, obwohl er mit ihm zusammenarbeiten müsste. Er untermauert erneut, dass er die Arbeitskraft des kommissarischen Leiters Herrn M nicht respektiert, obwohl er auch mit diesem nach seiner Rückkehr zusammenarbeiten müsste.

Dabei wird nicht übersehen, dass ein Arbeitnehmer – noch dazu in leitender Stellung – selbstredend grundsätzlich dazu befugt ist, Kritik zu äußern. Die vorliegende Kritik verlässt jedoch die notwendige Sachlichkeit und ist nunmehr geprägt davon, sowohl den Vorstandsvorsitzenden als auch den kommissarischen Geschäftsstellenleiter zu diffamieren.

Der Kläger verdeutlicht durch seine abschließende Erklärung, dass er selber davon ausgeht, dass der Vorstandsvorsitzende eben diese Anweisungen zurückzunehmen wird und kommuniziert dies sogar gegenüber den Mitarbeitern. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit stellt dies nicht mehr ansatzweise dar.

Dies wird auch durch folgenden Aspekt deutlich:

Im Rahmen des Schreibens vom 14.11.2022 führt der Kläger aus, dass „Ablehnungen als Arbeitsverweigerung betrachtet werden müssen“. Eine Formulierung, die der Kläger noch mit Mail vom 10.08.2022 an den Trägerverein des Beklagten als „Mobbing“ bezeichnet hatte. Dass er nunmehr genau diese Art des Ausdrucks wählt, verdeutlicht, dass es ihm zu diesem Zeitpunkt nicht mehr um eine sinnvolle Auseinandersetzung ging.

Bestätigt wird dies durch sein Schreiben vom 21.11.2022 an den Trägerverein sowie die Verbände. Darin führte er unter anderem aus:

„Für die letzte Woche habe ich dem kommissarischen Leiter verschiedene Anweisungen gegeben. Ich gehe davon aus, dass er keine davon erfüllt hat. Ich kann jedenfalls nichts erkennen.

Wann werden Sie endlich handeln und dem ein Ende machen? Es ist für mich kaum zu ertrage, dass alles was ich aufgebaut habe, so zerstört wird.“

Nur 5 Stunden später formulierte der Kläger an dieselben Adressaten eine weitere Mail, in der er erneut die Vorgehensweise des aktuellen Vorstandsvorsitzenden kritisiert.

Dass der Kläger nicht mehr gewillt ist, im Interesse des Beklagten zu handeln, sondern stattdessen im Wesentlichen seine Person und sein Ansehen im Blick hat, verdeutlicht auch der Vorgang, bei dem er eigenverantwortlich und ohne Rücksprache seinen Titel auf der Webseite änderte und die Funktion bei den kommissarisch bestellten Geschäftsstellenleitern strich und diese Handlung trotz Aufforderung durch den Vorstandsvorsitzenden nicht zurücknahm. Unabhängig von der Frage, ob die Titelbezeichnung des Klägers tatsächlich falsch war und hätte korrigiert werden müssen, verdeutlicht diese Vorgehensweise, dass der Kläger nicht mehr gewillt ist, vertrauensvoll mit dem Beklagten und seinen – ihm gegenüber weisungsbefugten – Repräsentanten zusammenzuarbeiten. Dies hat der Kläger sogar unstreitig gestellt, indem er ausdrücklich bestätigte, den Vorstand auswechseln zu wollen.

Mit Schriftsatz vom 13.03.2023 – also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger bereits wusste, dass der Beklagte im Berufungsverfahren einen Auflösungsantrag stellten wird – manifestierte er diese Verhaltensweise, indem er einen Strafantrag gegen den aktuellen Vorsitzenden ankündigt („Bumerang gegen den Anzeigenerstatter“), obwohl er die Hintergründe der Anzeige nach eigener Einlassung noch gar nicht kannte. Diese schriftsätzliche Ankündigung verdeutlicht, dass der Kläger selbst nach angekündigtem Auflösungsantrag zur Deeskalation nicht (mehr) in der Lage ist. Diese Annahme wird unterstützt durch die schriftsätzlich und auch mündlich geäußerte Einlassung des Klägers, dass seine Existenz bedroht sei, während er fast gleichzeitig jegliche Chance der Provokation gegenüber allen Beteiligten nutzt.

Ob diese Vorgehensweise noch schuldhaft erfolgte oder möglicherweise personenbedingte Gründe hat – immerhin hat das Integrationsamt einen neuerlichen Antrag des Beklagten auf Zustimmungserteilung zu einer erneuten Kündigung unter Hinweis auf schuldloses Verhalten zurückgewiesen – bedarf keiner Bewertung, da – wie dargelegt – der Auflösungsantrag kein schuldhaftes Verhalten voraussetzt.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der dargestellten Ereignisse überwog nach Auffassung der Kammer das Auflösungsinteresse des Beklagten gegenüber dem klägerischen Beschäftigungsinteresse. Dem Gericht fehlte die Vorstellungskraft, wie eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit in Zukunft erwartet werden könnte. Dass jegliche Vertrauensbasis verloren gegangen ist, lag entgegen der Ansicht des Klägers keineswegs allein am Beklagten, sondern – wie dargelegt – auch am klägerischen Verhalten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Kläger auf einer hohen Position mit Führungs- und Personalverantwortung beschäftigt ist. Angesicht der dargestellten Abläufe dürfte dies nicht mehr in einem vernünftigen Maße möglich sein. Das Arbeitsverhältnis war daher antragsgemäß aufzulösen.

b) Hinsichtlich der Abfindungshöhe galt folgendes:

Maßgeblich für die Bemessung einer Abfindung sind als wichtigste Faktoren die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Höhe des Monatsverdienstes sowie das Lebensalter des Arbeitnehmers. Zu berücksichtigen ist ferner, welche Chancen der Arbeitnehmer hat, auf dem Arbeitsmarkt eine neue gleichartige und gleichwertige Stelle zu finden. Zudem ist auch der Zweck der Abfindung zu berücksichtigen, der in erster Linie darin besteht, dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für die Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu gewähren, die sich aus dem an sich nicht gerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes ergeben. Eine grobe Sozialwidrigkeit der Kündigung kann außerdem die Abfindung erhöhend berücksichtigt werden (vgl. ErfK/Kiel, 16. Auflage 2016, § 10 KSchG Rn. 5 ff. m.w.N.).

Das Gericht ist bei Festsetzung der Abfindung an dem gesetzlichen Bewertungsmaßstab gebunden. Es kann nicht nach freiem Ermessen entscheiden, sondern muss sein pflichtgemäßes Ermessen im Rahmen der gesetzlichen Höchstgrenzen ausüben, ohne an die Anträge der Parteien gebunden zu sein (ErfK/Kiel KSchG § 10 Rn. 4).

Der bei Abfindungsverhandlungen weit verbreitete sogenannte „Regelsatz“ – ein halbes Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr – kann allenfalls als Anhaltspunkt für die Angemessenheit einer Abfindung herangezogen werden, ersetzt aber nicht die Einzelfallabwägung durch das Gericht (BeckOK ArbR/Pleßner KSchG § 10 Rn. 6).

Ausgehend von diesem Anhaltspunkt hat das Gericht folgende Überlegungen angestellt:

Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers beläuft sich der „Regelsatz“ unter Zugrundelegung einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 6.000 Euro und einer Beschäftigungsdauer von 23 Jahren auf 69.000 Euro brutto. Aufgrund des Lebensalters des Klägers sowie seiner damit wohl nur eingeschränkten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat das Gericht diesen Wert um den Faktor 0,1 erhöht. Der Kläger ist am 1960 geboren und war damit am 30.09.2021 – dem Zeitpunkt der Auflösung – fast 61 Jahre alt. Mithin war er zu diesem Zeitpunkt trotz seiner Schwerbehinderung noch nicht rentenberechtigt und muss dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen. Der drohende Vermögensschaden der Arbeitslosigkeit – sowohl hinsichtlich der finanziellen Möglichkeiten ab dem 01.10.2021 als auch hinsichtlich der drohenden Rentenverluste – führte zur Erhöhung um einen Faktor von 0,1.

Eine weitere Erhöhung um einen weiteren Faktor von 0,1 nahm das Gericht aus folgenden Gründen vor:

Eine grobe Sozialwidrigkeit lag zwar nicht vor. Die streitgegenständliche Kündigung war nur deshalb nicht sozial gerechtfertigt, weil im Rahmen der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch überwog. Dennoch agierte der Kläger – wie dargelegt – pflichtwidrig. Eine grobe Sozialwidrigkeit war daher zu verneinen.

Allerdings erkannte das Gericht durchaus, dass die erste greifbare Pflichtwidrigkeit vom Beklagten ausging. Der Beklagte stellte den Kläger ohne greifbaren Grund frei, obwohl der Kläger einen Beschäftigungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis hatte und diesen auch unmittelbar gegenüber dem Beklagten – sogar gerichtlich – einforderte. Dieser Aspekt war zu berücksichtigen und führte zu einer Erhöhung um einen weiteren Faktor von 0,1.

Im Ergebnis war daher folgende Berechnung der Höhe nach vorzunehmen:

6.000 Euro brutto x 0,7 x 23 Jahre = 96.600 Euro brutto.

Der Beklagte wurde dementsprechend zur Zahlung einer Abfindung in dieser Höhe verurteilt.

c) Hinsichtlich des Zeitpunktes der Auflösung galt folgendes:

Das Gericht muss in dem Urteil, in dem es die Auflösung ausspricht, den Zeitpunkt festsetzen, zu dem das Arbeitsverhältnis endet. Das ist nach § 9 Absatz 2 KSchG der Termin, zu dem das Arbeitsverhältnis bei sozial gerechtfertigter Kündigung nach der vertraglichen oder gesetzlichen Frist (§ 622 BGB) geendet hätte. Das Gericht hat bei Festsetzung des Auflösungszeitpunktes nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kein Ermessen (ErfK/Kiel KSchG § 9 Rn. 28).

Der Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23.02.2021 unstreitig unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.09.2021. Das Arbeitsverhältnis war dementsprechend zu diesem Datum aufzulösen.

III) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 97 Absatz 1, 92 ZPO.

IV) Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Absatz 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!